BMW und die GS: Wenn es um das Thema Enduro ging, dann kamen schon in den ersten Sätzen jeder Diskussion zwingend diese beiden Buchstabenkombinationen vor. Heute ist das nicht mehr unbedingt der Fall, wildern doch inzwischen etliche Marken in den BMW-Gefilden. Wer beispielsweise hätte vor zehn Jahren gedacht, dass Ducati große Reiseenduros baut? Und wer hätte es dem Offroad-Hersteller KTM zugeschrieben, mit einer 1300er-V2-Großtank-Reiseenduro selbst der dicksten BMW das Leben schwer zu machen?
Kein Zweifel: Im Endurosegment herrscht Wachstum. Wachstum in Sachen Vielfalt der Marken allemal. Aber inzwischen auch Ausweitung in Sachen Hubraum: Es gibt wieder kleine Enduros! Klammheimlich entwickeln nahezu alle relevanten Hersteller kleine Einsteiger-Enduros und schaffen so eine neue Klasse: die 300er-Adventure-Bikes. Natürlich will Platzhirsch BMW auch bei den Kleinen punkten und präsentierte in Mailand auf der Motorradmesse EICMA die G 310 GS. Aber auch andere zeigten Flagge bei den Kleinen.
Fahrbarkeit, Gewicht, Offroadtauglichkeit
Am anderen Ende der Hubraum- und Gewichtsskala tut sich dagegen weniger. Ja, man kann sogar behaupten, die Hersteller besinnen sich inzwischen wieder mehr auf das Thema Fahrbarkeit, Gewicht, Offroadtauglichkeit. Die Ducati Multistrada 950 ist so ein Motorrad oder auch die KTM Adventure 1090. Ausgelöst hat diesen Trend die sich bestens verkaufende Honda Africa Twin. Weltweit kletterte die schicke Honda trotz ihrer „nur“ 95 PS und trotz ihres 21-Zoll-Vorderrads in den Zulassungsstatistiken nach oben. Ob die neue BMW R 1200 GS Rallye mit ihrem deutlich sportlicheren Touch eine Antwort auf den Erfolg der Honda ist?
BMW und GS müssen sich jedenfalls langsam strecken. Der Boxer steht ja noch immer gut im Saft. In Sachen Mittelklasse gewinnen die F 800-Modelle jedoch keinen Blumentopf mehr. Dort, wo inzwischen um die 1000 cm3 und 100 PS gefragt sind, muss bei BMW dringend etwas geschehen. Damit auch in Zukunft beim Thema Enduro BMW und GS spätestens im zweiten Satz auftauchen.
Enduros der 300er-Klasse
Schade, dass Yamaha die wirklich toll gemachte 250er-Enduro WR vom Markt nahm. Die erfreute sich einer festen Fangemeinde, war voll geländetauglich und hielt so die Fahne der kleinen sportlichen Offroader hoch. So rettet sich wohl allein die KTM Freeride noch in die Saison 2017, die mit ihrem von den Sportenduros abgeleiteten Einzylinder eine Sonderstellung einnimmt. Die Freeride ist das einzige Motorrad, das weniger als 100 Kilogramm wiegt. Dieses fantastische Sportgerät, mit dem Leisetreter von Motor auch für kleinste Trails geeignet, ist natürlich kein Massenmotorrad. Winziger Tank, große Sitzhöhe, Einmannzulassung – ein klassisches Drittbike für den Kenner.
Ganz anders präsentiert sich da die neue BMW G 310 GS. Ein ausgewachsenes Straßenmotorrad, voll zweipersonentauglich, mit 34 PS auch ausreichend stark und dank großer Sitzbank auch für die Urlaubstour geeignet. Dazu helfen noch ausreichend lange Federwege und eine flott geschnittene Verkleidung. Technisch geht die BMW mit ihrem umgedrehten Vierventilmotor, der nach hinten auspufft und vorne ansaugt, ganz eigene Wege. Der Zylinder wurde dabei nach hinten gekippt, statt wie üblich leicht nach vorne auszukragen. Eine günstige Schwerpunktlage verspricht BMW durch diese unkonventionelle Bauweise. Bei 170 Kilogramm Lebendgewicht wird das nicht so kriegsentscheidend sein. Eher schon, wann die BMW auf den Markt kommt. Der Straßenableger G 310 R wurde anfangs nämlich von technischen Problemen eingebremst.
Bei Hondas neuester Einsteiger-Enduro sind solche Probleme hoffentlich nicht zu erwarten. Basiert die CRF 250, die es neben einer Standardversion auch als attraktive Rallye-Ausführung gibt, auf bewährter Technik. Seit 2012 bietet Honda die CRF 250 L an, die nun durch die Euro 4-Regeln neu abgestimmt werden musste. So sorgten die Honda-Techniker für mehr Leistung und Durchzug durch sanftes Motortuning. Der Einzylinder wartet nun mit 25 PS auf, die mit der 146 Kilogramm leichten Basisversion oder der hochbeinigeren 152-Kilo-Rally leichtes Spiel haben dürften. Besonderes Extra: Das für diese Klasse nun vorgeschriebene ABS lässt sich bei der Honda für das Hinterrad abschalten. Sehr nützlich für den Offroad-Betrieb.

Ebenfalls ein ernst zu nehmendes Motorrad baut Suzuki. Mit der zweizylindrigen V-Strom 250 rundet Suzuki die Reiseenduro-Reihe nach unten ab. Tatsächlich wirkt die Einsteiger-Enduro keineswegs schmächtig neben ihren großen Schwestern V-Strom 650 oder V-Strom 1000. Und dank mächtigem 17-Liter-Tank darf sie sich schon mal den Titel Reichweiten-Königin umhängen. Bis zu 500 Kilometer soll die 250er mit einer Tankfüllung kommen. Dazu hilft auch der reibungsoptimierte Zweizylinder, dessen 25 PS bei der Viertelliter-Fraktion Standard sind. In seiner Konstruktion wirkt der Motor simpel, strahlt aber eine große Robustheit aus. Dank Bosch-ABS, optionalem Koffersystem und sogar einer Zwölf-Volt-Steckdose wird die Suzuki zum vollwertigen Tourer.
Auf Touren will die letzte Neuheit in der Enduro-Einsteigerklasse gebracht werden. Der quirlige Zweizylinder der Kawasaki Versys-X 300 stammt aus dem Straßenrenner Ninja 300, leistet zirka 37 PS und setzt damit die Bestmarke. Markentypisch gestaltet, fügt sich die kleine Kawa nahtlos ins Programm. Noch gibt es zu wenig verfügbare Daten, aber immerhin wurden zwei Ausstattungslinien bekannt gegeben: eine Urban-Version mit Topcase und Hauptständer und eine Adventure-Version mit 17-Liter-Koffern.
Die neue 300er-Klasse ist also bunt gemischt und spannend angerichtet. Und Yamaha wird sicher auch bald ein Wörtchen mitreden wollen. Mit der MT-03 hat man ja bereits eine technische Basis. Und KTM arbeitet an einer 390 Adventure.
Mittelklasse-Enduros
Die Enduro-Mittelklasse sollten wir ab sofort eigentlich Africa Twin-Klasse nennen. Die hübsche Honda schlug nicht nur bei uns in der MOTORRAD-Redaktion ein. Sie ist auch die bestverkaufte Honda 2016 in Deutschland. Bei ihr stimmt einfach fast alles. Optik, Konzept, Verarbeitung und natürlich die ruhmreiche Vergangenheit.

Ein Fakt, der beispielsweise Ducati immer noch etwas bremst. Trotz inzwischen fünf Jahren Multistrada traut man den Italienern nicht unbedingt zu, tolle Reiseenduros zu bauen. Die Ducati Multistrada 950 ist aber eine. Stärker und spritziger als die Honda Africa Twin, ja sogar neutraler und mindestens ebenso komfortabel. KTM will mit noch mehr Leistung punkten. Und stellt die 1090 Adventure mit satten 125 PS in die Showrooms. Auch bei ihr ist zu vermuten, dass sie ein guter Kompromiss aus starkem Motor und neutralem Handling ist. Der V2 ist ausgereift, und in Sachen Fahrwerk braucht die KTM wohl niemanden zu fürchten.
Suzuki hingegen tut sich etwas schwer in dieser Klasse. Obwohl die V-Strom 1000 ähnlich wie die Honda positioniert ist. Mit einem Schuss DR Big-Heritage in Sachen Design ist das Update gelungen, und die Speichenrad-Version wirkt noch stimmiger.
BMW muss etwas tun. Die F 800-Baureihe wirkt nun etwas zahnlos. Dabei haben die Münchner mit dem 900er-Motor der ehemaligen Husqvarna Nuda ein tolles Triebwerk im Regal. Drumherum ein feines Motorrad à la Honda gebaut, und alles wäre wieder gut. Bis dahin wird es aber wohl noch etwas dauern, und man muss sich mit den grundsoliden F-Modellen zufriedengeben.
Auch Triumph mit der einzigartigen Tiger 800 könnte etwas mehr Hubraum vertragen. Die 95 PS in der Spitze reichen aus. Mit sechs angebotenen Versionen bieten die Briten vorbildlich für jeden etwas.
Große Enduros
Trotz der zweistufigen Überarbeitung der BMW R 1200 GS-Modelle (Antriebsstrang Herbst 2016, Optik und neue Modelle für 2017) setzt Herausforderer KTM in der großen Klasse das größte Ausrufezeichen. Die neuen Spitzenmodelle Adventure 1290 S und 1290 R werden nicht nur vom stärksten Enduro-V2 aller Zeiten angetrieben, sie wurden auch optisch prägnant und sehr gelungen überarbeitet. Neben der Straßenversion S, die mit semiaktivem Fahrwerk glänzt, soll die R dank speziellen Fahrprogrammen trotz der immensen Motorleistung voll offroadtauglich sein.
Beide Versionen werden mit der neuesten Bosch-Elektronik ausgestattet, dem MSP genannten, sensorgesteuerten Stabilitätsprogramm. Das erlaubt nicht nur kurventaugliches ABS-Bremsen und Traktionskontrolle, sondern ist nun auch mit dem Hauptscheinwerfer vernetzt, der je nach Schräglage die Kurven ausleuchtet.

Ähnlich gut ausgestattet ist die Ducati Multistrada 1200, die nahezu gleich stark ist, aber nicht ganz so bärig durchzieht wie die KTM. Dafür wirkt sie in Sachen Design und Verarbeitung sehr edel.
Eher für Reisefreunde wurden die beiden Kardan-Enduros von Yamaha und Triumph entwickelt. Die XT 1200 ZE Super Ténéré mit ihrem unkaputtbaren Reihenzweizylinder absolvierte nicht nur den MOTORRAD-Dauertest souverän, sondern bietet mit den größten Komfort dieser Klasse. Und auch bei der etwas schwereren Tiger Explorer liegt die Kraft in der Ruhe. Trotz guten 130 PS ist man auf der dreizylindrigen Britin gemütlich unterwegs und nie gestresst.
So liegt die BMW R 1200 GS mit ihrem 125-PS-Boxer und Kardanantrieb zwischen allen Extremen. Leistungsmäßig hinter KTM und Co., gewichtsmäßig unter Triumph und Yamaha. Vielleicht ist das genau der Grund für ihre jahrelange Spitzenposition.
Wie viel Zoll braucht das Vorderrad?
Der Trend geht wieder zum 21-Zöller. Oder doch zum 19er? Wie auch immer, in der Endurowelt gibt es eine große Vielfalt bei den Vorderradgrößen. Vor allem durch die erfolgreiche Honda ändert sich vieles.
Noch vor drei, vier Jahren war die Sache klar. Auf eine Enduro darf höchstens ein 19-Zöller zwischen die Gabelholme. Die dünnen 21er-Vorderräder wirkten irgendwie unsportlich und in den Dickschiffen vom Schlage einer KTM 1190 Adventure sogar fast deplatziert. Eher schon wollte man die Sportreifen der 17-Zoll-Straßenrenner nutzen, bei MOTORRAD nennt man diese Spezies dann Crossover-Bikes. Diese Grip-Monster bieten beste Schräglagensicherheit, machen aber aus einer Reiseenduro eine nervöse Kiste, die nur allzu gern jeder Längsrille nachläuft und auf Bodenwellen Souveränität vermissen lässt. Die 21-Zöller sind das Gegenteil. Stoisch halten sie die Linie, egal, was der Straßenbauer für Gemeinheiten bereithält. Und erst recht offroad. Da sind schon die neutralen 19-Zöller von Nachteil, weil sie nicht so gut spuren wie die Großräder. Dennoch sind sie momentan der beste Kompromiss. Ein gutes Beispiel ist die Ducati Multistrada 950. Aus ihr wurde mit der Umstellung auf 19 Zoll ein neutrales All-Terrain-Bike.
Kardan oder Kette?
Manche meinen, das Erfolgskonzept der BMW R 1200 GS sei hauptsächlich der saubere Kardanantrieb.
Die meisten anderen Enduros setzen auf Kettenantrieb. Was macht mehr Sinn?
Leichtbau ist bei Motorrädern immer ein Thema. Und ein Kardanantrieb ist nicht leicht. Vor allem, wenn sich die Kurbelwelle quer zur Fahrtrichtung dreht, muss der Kraftfluss noch umgelenkt werden, was einen zusätzlichen Kegelradsatz bedingt. So kommen schnell zweistellige Kilozahlen an Mehrgewicht zusammen. Dafür ist ein Kardanantrieb aber auch eine saubere Sache, die auch 1000 Kilometer Regenfahrt klaglos und wartungsfrei bewältigt. Hier ist der größte Nachteil der Kettenantriebe zu sehen. Wartung muss sein. Wenn auch eine moderne X-Ring-Kette einiges wegsteckt, ohne Schmiermittel verschleißen die Bauteile unnötig schnell. Kaum ein Kettensatz schafft mehr als 30 000 Kilometer Laufleistung, trotz bester Pflege und regelmäßig korrigiertem Durchhang. Vielfahrer und Allwetter-Piloten setzen deshalb meist auf ein Kardanmotorrad. Für Fahrdynamiker bietet jedoch der Kettenantrieb nicht nur die sportlichere Optik, sondern auch eine leichtere Fahrwerksabstimmung und mehr Grip am Hinterrad durch geringere ungefederte Massen und zumeist ein weicher zu schaltendes Getriebe. Erstaunlicherweise gibt es Kardanantriebe nur noch für Motorräder ab 1200 cm3, nämlich bei den Boxer-BMWs, Honda Crosstourer, Moto Guzzi Stelvio, Yamaha Super Ténéré und Triumph Tiger Explorer.
Die dicken Touren-Enduros

Über den eh schon recht schweren Großenduros zeigen die dicken Großtanker, was technisch gerade noch möglich ist. Der Trend zu wieder leichteren Maschinen geht an ihnen spurlos vorbei. 30-Liter-Fässer fürs Benzin, lange Federwege für den Komfort und große Räder für die Offroad-Optik.
Begründet hatten einst dieses Segment BMW mit der R 80 GS Dakar und Yamaha mit der XT 600 Ténéré. Auf leichte Straßenenduros pflanzte man ein dickes Spritfass, fertig war das Abenteuer-Bike, das direkt von den Rallye-Pisten der Welt zu kommen schien.
Heute liegen die Dinge anders. Bei den Rallyes sind die dicken Brummer längst verboten und viel leichteren 450ern gewichen, und die Adventure-Bikes mutierten zu ausgewachsenen Tourern mit Offroad-Optik, aber keineswegs Offoad-Tauglichkeit. Viel zu schwer und zu hochbeinig gelingen die aktuellen Maschinen vom Schlage einer Ducati Multistrada 1200 Enduro oder BMW R 1200 GS Adventure, um ernsthaft mehr als eine Schotterstraße zu meistern. Wie bei den Edel-SUVs werden auch diese 280-Kilo-Brocken nur ausnahmsweise im Gelände bewegt. Denn wehe, wenn sie umfallen, dann wird es teuer.
Ducati Multistrada 1200 Enduro, BMW R 1200 GS Adventure, KTM 1290 Super Adventure T, Aprilia Caponord Rally, Honda VFR 1200 X Crosstourer und Triumph Tiger Explorer XCX - allesamt sind veritable Tourer. Während von der überraschend gut abgestimmten Aprilia noch Restbestände verkauft werden, sind die anderen aktuelle Euro 4-Modelle. Die BMW R 1200 GS Adventure liegt dank langer Historie und Kardanantrieb vorn. Ducati und KTM bieten ebenfalls viel Gutes, vor allem stärkere Motoren. Aber beide tun sich im Verkauf noch etwas schwer. Genauso wie die mächtige Honda Crosstourer, die in Sachen Gewicht Richtung 300 Kilogramm tendiert. Eher Außenseiter ist hier die Tourenversion der Triumph Tiger Explorer, die XR. Trotz Reise-Features wie beispielsweise einem Tempomaten, bärigem Dreizylinder und viel Windschutz spielt die kräftige Britin im Verkauf eine Nebenrolle.
Wohin geht die Reise bei den Dickschiffen? MOTORRAD sagt ihnen eine eher verhaltene Zukunft voraus. Auch hier ist bereits der Einfluss der erfolgreichen Honda Africa Twin zu spüren. Denn mit der deutlich leichteren, optisch eher präsenteren und viel einfacher zu rangierenden Honda kann man fast genauso gut touren, aber viel leichter fahren. So gesehen spiegelt die Honda gar den Downsizing-Trend bei den großen Rallyes wieder. Statt mit unglaublich potenten Boliden mit 220 km/h durch die Wüste zu ballern, reicht es auch, mit halb so starken und 160 km/h schnellen 450ern die Strecken zu meistern. Weniger ist manchmal eben mehr, und das wird die Großenduro-Landschaft prägen.