Fahrbericht BMW R 1200 GS (2004)
Zum Erfolg verpflichtet

BMW erfand 1980 die Zweizylinder-Enduro. Seither wurden 170000 GS gebaut. Diese Erfolgsgeschichte muss die Neue weiterschreiben. Wird ihr das gelingen?

Zum Erfolg verpflichtet
Foto: Foto: Gargolov

Wer die R 1150 GS kennt, wird schon bei den ersten Gasstößen bemerken, dass der Motor der Neuen anders ist. Sonor ballert er aus dem ovalen Endtopf, spricht kerniger an, produziert dabei weniger Rückdrehmoment. Nichts bleibt, wie es ist. Ein bulliger Boxer,
1150 cm3 groß, 85 PS stark – verjährt. Das meistverkaufte Motorrad in Deutschland der letzten Jahre – veraltet!
Die Zukunft begann vor drei Jahren, als sich BMW vornahm, die GS gründ-
lich, sehr gründlich zu renovieren. Oder besser gesagt zu revolutionieren. 30 Kilogramm leichter, dafür viel stärker und
kultivierter sollte sie werden. Weg von
der gemütlichen Reiseenduro hin zum sportlichen Offroadbike mit einem Schuss Supermoto. Kampfansage an KTM mit
ihrer 950 Adventure, Distanz schaffen zu den langsam aufmüpfigen Honda Varadero und Suzuki V-Strom. Und das alles, ohne die BMW-typischen Attribute wie
Sicherheit, Reisetauglichkeit und Langlebigkeit außer Acht zu lassen. Eine Herkules-Aufgabe, die eine völlige Neukonstruktion erforderte (siehe Seite 16 ff.).
Nun ist es so weit. Die Weltpresse, versammelt in Südafrika, bewundert die viel schlankeren Linien der R 1200 GS, staunt über 100 PS Motorleistung, 115 Nm Drehmoment und 225 Kilogramm Gewicht mit vollem 20-Liter-Tank. Und freut sich, dass dem Boxer Beine gemacht werden dürfen. Bereits bei 1500/min zieht er satt durch, schiebt nachdrücklich
nach vorne. Um die 5000 Touren läuft er zwar immer noch kernig-rumpelig, wird ab 6000/min aber wieder spürbar geschmeidiger. Und dreht endlich richtig frei und lüstern bis an die 8000er-Grenze. So agil und drehfreudig, wie der Alte besten-
falls nach aufwendigem Tuning war. Kein Zweifel, der Boxer hat viel schnellere Fäuste bekommen. Wohl dreht ein supersportlicher V2 von Aprilia, Ducati, Honda, KTM oder Suzuki immer noch energischer hoch, dafür ziehen die nicht so schön von ganz unten heraus.
Sein größtes laufkulturelles Problem bestand im Versatz der beiden Hubzapfen, welcher mit wachsendem Hubraum und steigender Drehzahl manchmal fast schon wütende Vibrationen erzeugte. Mittels Ausgleichswelle wird das Laufverhalten des großen Zweizylinders nun kultiviert, ohne es komplett weichzuspülen.
100 PS – in Deutschland wird die
GS serienmäßig in einer versicherungsgünstigen 98-PS-Variante ausgeliefert – sind in Relation zum Vorgängermodell ein Wort, und obgleich niemand über einen inneren Leistungsprüfstand verfügt, entsteht beim Fahren kein Anlass, an
ihnen zu zweifeln. Die GS pfeilt sich die Steigungen hinauf, dass es eine wahre Freude ist. Auch, weil der Fahrer außer dem angenehm dumpfen Motorklang und dem Fahrtwind fast nichts anderes mehr zu hören bekommt, das Getriebe endlich Ruhe hält. Kein metallisches Knallen beim Zurückschalten oder schnellen Hochladen der Gänge, ja noch nicht einmal mehr beim Einlegen des Ersten im Stand. Und keine Zweifel mehr, ob der nächste Gang sitzt. Das neue Getriebe arbeitet um Welten leiser und exakter als alles, was den BMW-Konstrukteuren bislang zu diesem Thema gelungen ist.
Trotz so viel Neuem und Besserem vermag die 1200er GS-typische Gefühle zu erzeugen – der enge Wendekreis, der kurz übersetzte erste Gang, der Sitzkomfort, die Ausgewogenheit, die Sicher-
heit, immer alles im Griff zu haben. Das unnachahmliche Gemisch aus allem. Mit
der jüngsten GS in nochmals gesteigerter Intensität. Dazu trägt nicht nur der Antrieb bei, das ganze Fahrzeug wirkt wie manche jener echten, menschlichen Boxer, die für eine leichtere Gewichtsklasse
abgespeckt haben. Sie sind immer noch
sie selbst, haben jedoch dank ihrer schlankeren Statur an Schnelligkeit und dadurch an Punch eher gewonnen. Insofern sind die 30 Kilogramm weniger
Gewicht nicht bloß ein akademischer Zahlenwert oder Diskussionsmunition für den Bikerstammtisch. Sie werden beim Fahren spürbar, vom viel leichteren Rangieren ganz abgesehen.
Die deutlich schlankere Form des Tanks und ein schmalerer Lenker waren die Ausgangspunkte für eine komplette Neugestaltung der Sitzposition. Sie ermöglicht es, durch die zierlichere Taille trotz einer vernünftigen Höhe noch mit den Füßen an den Boden zu kommen. Weil das Motorrad schmaler geworden ist, konnten auch die Fußrasten weiter unten positioniert werden, dennoch wurde die Schräglagenfreiheit größer. Die
tiefer liegenden Rasten sorgen für einen sehr kommoden Kniewinkel. Und der schmalere Lenker stört niemanden. Im Gegenteil, Wenden am Lenkanschlag wird dadurch leichter.
Mit dieser Ergonomie ist es ge-
lungen, fahrdynamische Ansprüche und den Wunsch nach Komfort zu vereinen. Nicht zuletzt auch deshalb, weil die
Frontscheibe bei höheren Geschwindigkeiten deutlich geringere Turbulenzen produziert. Und weil die Abstimmung der Federung und Dämpfung zwar sport-
lich straff, aber durchaus schluckfreudig gelungen ist. Hinten sorgt eine wegabhängige Dämpfung für eine höhere Durchschlagsicherheit unter höchster Belastung.
Die kräftig zupackende Bremsanlage mit Integral-ABS und leicht modifiziertem elektrohydraulischem Bremskraftverstärker ist so fast der einzige Bereich, in dem die Fortschritte der R 1200 GS wohl nur im direkten Vergleich mit der R 1150 GS spürbar werden. In allem anderen steht die neue GS für einen gewaltigen Entwicklungssprung. Die Erfolgsgeschichte wird also weitergehen. Hut ab!

Unsere Highlights

Technische Daten – BMW R 1200 GS

BMW R 1200 GS
Daten
Motor: luft-/ölgekühlter Zweizylinder-Viertakt-Boxermotor, Kurbelwelle längs liegend, eine Ausgleichswelle, je zwei hoch liegende, kettengetriebene Nockenwellen, vier Ventile pro Zylinder, Tassenstößel, Stoßstangen, Kipphebel, Nasssumpfschmierung, elektronische Saugrohreinspritzung, Ø 47 mm, Motormanagement, Doppelzündung, geregelter Katalysator, E-Starter, Drehstromlichtmaschine 600 Watt, Batterie 12 V/14 Ah.
Bohrung x Hub 101 x 73 mm
Hubraum 1170 cm3
Verdichtungsverhältnis 11,0:1
Nennleistung
72 kW (98 PS) bei 7000/min
Max. Drehmoment
115 Nm (11,7 kpm) bei 5500/min
Kraftübertragung: Primärantrieb über Zahnräder, hydraulisch betätigte Einscheiben-Trockenkupplung, Sechsganggetriebe, Kardan.
Fahrwerk: Gitterrohrrahmen aus Stahl, Motor mittragend, längslenkergeführte Telegabel, Standrohrdurchmesser 41 mm, verstellbare Federbasis, Einarmschwinge aus Aluminium, Zentralfederbein, direkt angelenkt, verstellbare Federbasis und Zugstufendämpfung, Doppelscheibenbremse vorn, Ø 305 mm, Vierkolben-Festsättel, Scheibenbremse hinten, Ø 265 mm, Doppelkolben-Schwimmsattel*.
Alugussräder 2.50 x 19; 4.00 x 17
Reifen 110/80 H 19; 150/70 H 17
Fahrwerksdaten: Radstand 1519 mm, Lenkkopfwinkel 62,9 Grad, Nachlauf 110 mm, Federweg v/h 190/200 mm.
Maße und Gewichte: L/B/H 2210/
915/k.A., Gewicht vollgetankt 225 kg, zulässiges Gesamtgewicht 425 kg, Tankinhalt 20 Liter.
Garantie zwei Jahre ohne
Kilometerbegrenzung
Farben Gelb, Rot, Blau
Leistungsvariante 74 kW (100 PS)
Preis 11500 Euro
Nebenkosten 262 Euro

Die aktuelle Ausgabe
MOTORRAD 20 / 2023

Erscheinungsdatum 15.09.2023