Fahrbericht Cagiva Navigator

Fahrbericht Cagiva Navigator Käpt’n Blaubär

Kein Seemannsgarn: Cagiva baut tolle Motorräder – mit freundlicher Unterstützung von Suzuki. Jetzt auch eine Reiseenduro namens Navigator. Der Stapellauf, exklusiv in MOTORRAD.

Bei Cagiva geht’s Schlag auf Schlag. Nach den beiden Raptor-Modellen folgt nun Kapitel drei des beliebten Fortsetzungsromans »Was Ihnen Ihr Suzuki-Händler auch schon immer gerne verkauft hätte«: die Navigator, eine Reiseenduro. Angetrieben von jenem V2, der 1997 seinen Einstand in der Suzuki TL 1000 S feierte und der mittlerweile so funktioniert, wie man sich das schon bei seiner Vorstellung gewünscht hätte: tadellos. Erfreulich, dass dieser urgewaltige Motor dank der Kooperation mit Suzuki nun auch die Reiseenduro aus dem Hause Cagiva antreibt. Mit nominell 97 statt 106 PS nicht so sehr auf Spitzenleistung getrimmt wie in der Raptor-Baureihe, sondern, so versichert ein Cagiva-Ingenieur, entsprechend ihrem Metier, auf noch mehr Drehmoment ausgelegt.
Morgens um zehn vor den Cagiva-Werkshallen steht eine Vorserien-Maschine vollgetankt für die erste Probefahrt bereit. Viel Spaß wird noch gewünscht, und so gegen halb sechs solle man bitte zurück sein. Fast acht Stunden, Zeit genug, ausreichend und aufschlussreiche erste Kilometer abzuspulen und zu prüfen, ob die Navigator für lange Strecken taugt.
Eines kann und will die Navigator schon auf dem Seitenständer nicht: Ihre Verwandtschaft mit der weiterhin erhältlichen Gran Canyon 900 verheimlichen. Ja, genau, die mit dem Zweiventil-V-Twin von Ducati, einst zur Cagiva-Gruppe gehörend, heute Konkurrent. Die Navigator verfügt über die gleichen, verspielt wirkenden Doppel-Tankstutzen, eine ähnliche Frontpartie sowie ein schönes, aber reichlich rutschiges Gepäckabteil am Heck. Und über denselben vortrefflichen, beinahe perfekten Fahrerplatz: Man sitzt nicht auf, sondern vielmehr im Motorrad.
210 Kilogramm Trockengewicht verspricht Cagiva, lediglich zwei mehr als bei der kleineren Schwester Gran Canyon. Vollgetankt und mit Öl und Kühlwasser an Bord dürfte die Navigator rund 235 Kilogramm auf die Waage bringen. Damit wäre sie ganz klar die Leichteste unter den Konkurrentinnen BMW R 1150 GS, Honda Varadero und Triumph Tiger. Doch nicht nur deshalb stehen die Chancen der Cagiva gut, sondern mit ihren proklamierten 97 PS wird sie sich leistungsmäßig mit der Varadero ein beinhartes Duell liefern. BMW und Triumph müssen sich da hinten anstellen.
Und hier geht’s keineswegs nur um Spitzenleistung, so viel darf bereits nach gut sechs Stunden Fahrzeit orakelt werden. Denn das japanische Herz der Navigator verfügt nicht nur über jede Menge Laufkultur, einen mäßigen Durst (im Schnitt gut sechs Liter), sondern auch über einen gewaltigen Punch: Unwiderstehlich beinahe, wie der Motor nach kurzer Warmlaufphase auch aus niedrigen Drehzahlen vehement antritt, spontan und ohne Aussetzer auf kleinste Zupfer am Gasgriff reagiert, untermalt von dem fröhlichen, V2-typischen Stakkato aus den beiden Lafranconi-Endschalldämpfern. Einmal, auf der Autostrada nach Mailand, illegalerweise die sauber und leicht schaltbaren sechs Gänge durchbeschleunigt – und schwups, die Tachonadel schnellt mit Leichtigkeit über die 200er-Marke. Der Windschutz gefällt auch bei Geschwindigkeiten von 160 km/h und mehr, die Geräuschkulisse hinter der hohen Verkleidungsscheibe ist dann allerdings nicht von Pappe.
Der V2 taugt jedoch zu weit mehr als Tempobolzen auf gut ausgebauten Straßen. Wer mag, kann mit der Navigator auch gemütlich im sechsten Gang dahingleiten. Gerne mit Begleitung, der Sitzplatz hinten ist schön breit und knackig gepolstert. Ihr ureigenstes Revier findet diese Cagiva aber auf Landstraßen. Da streift sie alle Reiseenduro-Konventionen ab – und darf endlich sein, was sie eigentlich sein will: ein Funbike.
Denn keine andere dieser beliebten Spezies verfügt über ein so sportlich ausgelegtes Fahrwerk, immer wieder überrascht die Navigator mit ihre straffen, direkten Art. Das hat weniger mit Enduro als mit einem gekonnt abgestimmten Straßenmotorrad zu tun. Selbst von harten Bremsmanövern – und die Cagiva bremst gut, sehr gut sogar – zeigt sich die nicht einstellbare Gabel unbeeindruckt. Kein urplötzliches Wegtauchen ins Nirvana, kein metallisches auf Block gehen.
Die straffe Hinterhand harmoniert gut mit der Frontpartie, ohne den Piloten jedoch über Gebühr zu strapazieren. Aufgrund ihrer Stabilität wirkt die Navigator Vertrauen einflößend, egal ob in engen Radien oder auf schnellen Abschnitten. Dabei erfordern Schräglagenwechsel keinen Nachdruck, auch wenn die Cagiva nicht gerade das Prädikat überhandlich verdient. Als Gradmesser in dieser Disziplin wird wohl weiterhin die BMW R 1150 GS gelten. Wenig Probleme bereiten der Navigator langsame, holprige Passagen, die sie nahezu neutral umrundet, gestört nur durch ein spürbares Aufstellmoment beim Hineinbremsen in die Kurve, für das die Erstbereifung Metzeler ME Z4 ansonsten eigentlich nicht bekannt ist. Jawohl, richtig bemerkt, die Italiener gehen auch hier eigene Wege, verzichten von vorneherein auf eine mehr oder weniger geländetaugliche Enduro-Bereifung, sondern setzen auf einen laufleistungsfreudigen Tourensport-Pneu, vorn nur mit 18 Zoll Durchmesser.
Das passt zur italientischen Interpretation des Themas »Reiseenduro«. Alles etwas sportlicher eben. Eine Bereicherung für diese beliebte Motorradsparte ist die Navigator auf jeden Fall. Wo sie im Vergleich zur Konkurrenz steht, klärt der Vergleichstest mit den großen Drei der Szene in Heft 11/2000.

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