Fahrbericht: Ducati Multistrada 1200

Fahrbericht Ducati Multistrada 1200 (2010) Renn- oder Reisemaschine, City- oder Geländeflitzer

Um alles geht es nicht, aber doch um vieles, sagt Ducati. Auf jeden Fall um die Zukunft. In die ein Motorrad führen soll, das vielleicht nicht alles, aber doch vieles kann. Und daher den Namen Multistrada verdient.

Renn- oder Reisemaschine, City- oder Geländeflitzer Foto: jkuenstle.de
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Wie werden Motorräder im Jahr 2020 wohl aussehen? Werden sie noch Verbrennungsmotoren haben? Sicher. Werden sie vollgestopft mit Elektronik sein? Höchstwahrscheinlich. Und werden wir dann nur noch Multitasking-Alleskönner statt schmal profilierter Spezialisten bewegen? Schau'n wir mal. Wenn es nach Ducati geht, könnte schon jetzt ein einziges Motorrad in der Garage sämtliche Bedürfnisse abdecken.

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Fahrbericht Die neue Ducati Multistrada 1200
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Die neue Multistrada 1200 S nämlich soll sich auf Knopfdruckin eine Renn- oder Reisemaschine, einen City- oder Geländeflitzer verwandeln.  Möglich wurde das, indem die Techniker verschiedene Abstimmungen von Motor, Fahrwerk und Assistenzsystemen in vier auf Knopfdruck abrufbaren Fahrmodi zusammen fassten. Der Fahrer kann unterwegs bei Bedarf blitzschnell am Lenker zwischen Sport, Touring, Urban oder Enduro hin- und herzappen. Die Bordelektronik kümmert sich augenblicklich um eine konvenierende Leistungsabgabe und ein entsprechendes Ansprechverhalten des V-Zwo, um das erforderliche Fahrwerks-Setup und die unterstützenden Eingriffe durch die Traktionskontrolle. Im Prinzip keine Revolution, einzeln gab es solche Einstellmöglichkeiten bereits. Aber erstmals hat Ducati sie nun in der S-Variante der Multistrada unter einem Dach versammelt – und vor allem logisch kombiniert.

Am Fahrwerk werden Dämpfung und Federbasis variiert, zum Beispiel, um im Enduro-Modus die Bodenfreiheit zu vergrößern. Aber auch, um die Vorspannung an unterschiedliche Beladung anzupassen, denn neben den vier Fahrprogrammen lässt sich in einer zweiten Ebene noch die Beladung vorgeben, also Fahrer allein, mit Gepäck, mit Sozius oder mit beidem.

Hört sich aufwändig an – und ist es in der Entwicklung auch. Der Fahrer hat es aber leicht, einfach aufsteigen und losfahren. Zumindest, wenn der Schlüssel in der Nähe ist. Der gibt über Funk ab zwei Metern Entfernung automatisch die Zündung frei. Beim Einschalten entriegelt der Bordcomputer das Lenkschloss, und die Maschine lässt sich ohne weitere Eingriffe direkt starten. Ausgesprochen praktisch.

Mit der alten Multistrada hat die neue rein gar nichts zu tun. Im Gegensatz zu den ergonomischen Eigenheiten vieler anderer Modelle der Italiener sitzt und passt hier alles, von der Lenkerkröpfung bis zum Sitzplatz. Und, oh Wunder, in den Spiegeln ist sogar der rückwärtige Verkehr erkennbar – auch das ist für Ducatisti eine neue Erfahrung. Untypisch ist außerdem die durch eine Servomechanik im Kupplungskorb relativ leichtgängige Kupplung sowie deren gute Dosierbarkeit. Was darauf zurückzuführen ist, dass der Korb im Gegensatz zur 1198 in Öl baden darf.Letzter kurzer Check auf dem Dashboard, das eine unglaubliche Fülle an Infos präsentiert. „Sport“ meldet das Zusatzdisplay diskret. Sicher kein unpassendes Einstiegsprogramm für eine Ducati, zumal die griffigen Straßen bei der Präsentation auf Lanzarote reichlich Spaß versprechen. In der vorgegeben Konfiguration – die sich im Übrigen nach Gusto des Fahrers beliebig dauerhaft umprogrammieren lässt – wird hier die Dämpfung zugedreht und das Ansprechverhalten des Motors auf aggressiv getrimmt. Die Leistung bleibt hier selbstredend unkastriert. Bei Vollgas am Griff öffnet das Ride-by-wire die Drosselklappen also voll, was in der Spitze knapp 150 PS ergibt, rund 20 PS weniger als bei den Supersport-Modellen. Im Gegenzug gibt es mehr Drehmoment in der unteren Hälfte des Bandes, was durch eine ganze Reihe von Eingriffen an der Mechanik erreicht wurde, etwa mehr Schwungmasse, verjüngte Ansaugwege und neue Steuerzeiten mit einer von 41 auf 11 Grad reduzierten Ventilüberschneidung. Das ist der Drehwinkel der Kurbelwelle, bei dem Ein- und Auslassventile gleichzeitig geöffnet sind. Weniger Überschneidung ergibt zwar weniger Spitzenleistung, aber mehr Drehmoment und eine sauberere Verbrennung.

So pfeffert die Multistrada vom Stand weg mit Schmackes los, schnalzt beim kleinsten Dreh am Gasgriff voran, dass das Vorderrad selbst im zweiten Gang kaum am Boden zu halten ist. Der Motor läuft unten nicht nur kraftvoller, sondern auch geschmeidiger als der der Sportversion, ohne aber zu verhehlen, wes Geistes Kind er ist. Nämlich ein echtes Hammerteil, das die Gier nach Beschleunigung und Drehzahl permanent gegen die Schädeldecke trommeln lässt. Allerdings brüllt die Multistrada ihre Kraft nicht so lautstark hinaus wie eine 1198, die beiden kurzen Stummeldämpfer üben sich trotz Auspuffklappe in Zurückhaltung.

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Wheelies forever - das können weder die serienmäßigen Koffer noch der Touringmodus wirklich verhindern.

Das Öhlins-Fahrwerk spricht sensibel an, bietet hervorragende Rückmeldung. wirkt beim Abbiegen auf eine holperige Piste aber ein wenig unnachgiebig. Also schnell aufs „Touring“-Programm umgeswitcht. Mit deutlich spürbarem Erfolg. Weiter geöffnete Dämpferventile absorbieren harte Stöße besser, und der Motor hängt nun spürbar weicher am Gas, springt im Teillastbereich nicht mehr so spitz voran. Plötzlich steht er da hinterm Felsvorsprung, der unvermeidliche Reisebus. Also Anker werfen, was dank hervorragender Brembo-Stopper und ABS ja kein Problem aufwerfen sollte. Doch weit vor der Blockiergrenze regelt da irgendetwas in der Elektronik, es wird eng. Ähnlich wie bei der Traktionskontrolle, die mitunter auch dubios eingreift, gibt das ABS Rätsel auf. Offensichtlich haben die Techniker unbedingt den Salto vorwärts verhindern wollen und eine recht früh regelnde Überschlagserkennung eingebaut. Schwacher Trost: Das ABS ist abschaltbar, allerdings ist das nicht dauerhaft einzuprogrammieren.

Zurück in der Stadt. Das „Urban“-Programm stellt die Ventile auf Durchzug, senkt das Heck ein wenig ab. Und reduziert die Leistung auf runde 100 Pferdchen. Schwachbrüstig wirkt die Ducati deswegen keineswegs. Beim Ampelstart macht sie weiterhin brav Männchen, weil das Drehmoment ja erhalten bleibt.Bleibt als letztes noch das „Enduro“-Programm. Passt das wirklich zu diesem Wetzhobel? Ducati sagt ja, hat bei Pirelli extra für die Multistrada Reifen mit verstärkter Karkasse in Auftrag gegeben. Also ab in die Botanik. Ein langer Schotterweg Richtung Strand ist sicher keine harte Prüfung, aber ein erster Fingerzeig. Geschwindigkeit aufzubauen ist allerdings nicht ganz easy. Permanent greift die Traktionskontrolle ein, obwohl sie in der Position zwei jetzt viel Schlupf zulassen sollte. Bei Tempo 80 bis 90 schaltet sie offensichtlich ab, denn plötzlich dreht das Hinterrad gnadenlos durch.

Hoppla, unvermittelt taucht eine derbe Bodenwelle auf. Also Vorderrad leicht machen, Augen zu und durch. Hart stanzt das Schutzbleck des Auspuffkrümmers ein Loch in den Boden. Eine echte Offroad-Maschine ist die Ducati nicht, besonders für trialartige Einsätze fehlt es an der Bodenfreiheit, die eine BMW GS bietet. Und auch der vordere 17-Zöller ist offroad keine ideale Lösung. Trotzdem überrascht die Geländetauglichkeit der Ducati.

Vieles kann die Multistrada also, alles sicher nicht. Aber den Italienern ist es gelungen, eine neue Spezies von Motorrad zu kreieren. Ein Supersport-Funbike mit faszinierenden, zukunftsweisenden Möglichkeiten. Das gewiß auch für die Tour taugt, im Herzen aber immer ein Sportbike bleibt. Und somit der ursprünglichen Ducati-Philosophie die Treue hält: alles oder nichts. Im Klartext: Lieber eine S 1000 RR jagen als hinter einer R 1200 GS herzuckeln.

Technische Daten

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Neue Messlatte: 220 Kilogramm fahrfertig, ein Schock für die Mitbewerber.

Motor:
Wassergekühlter Zweizylinder-Viertakt-90-Grad-V-Motor, je zwei obenliegende, zahnriemengetriebene Nockenwellen, vier Ventile pro Zylinder, desmodromisch betätigt, Nasssumpfschmierung, Einspritzung, ø 56 mm, geregelter Katalysator, Lichtmaschine 520 W, Batterie 12 V/12 Ah, hydraulisch betätigte Mehrscheiben-Ölbadkupplung (Anti-Hopping), Sechsganggetriebe, O-Ring-Kette, Sekundärübersetzung 40:15.
Bohrung x Hub 106,0 x 67,9 mm
Hubraum 1198 cm³
Verdichtungsverhältnis 11,5:1
Nennleistung 108,8 kW (148 PS) bei 9250/min
Max. Drehmoment 119 Nm bei 7500/min

Fahrwerk:
Gitterrohrrahmen aus Stahl, Motor mittragend, Upside-down-Gabel, Ø 48 mm, elektronisch verstellbare Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung, Einarmschwinge aus Aluminium, Zentralfederbein mit Hebelsystem, elektronisch verstellbare Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung, Doppelscheibenbremse vorn, Ø 320 mm, Vierkolben-Festsättel, Scheibenbremse hinten, Ø 245 mm, Zweikolben-Festsattel, ABS.
Alu-Schmiederäder 3.50 x 17; 6.00 x 17
Reifen 120/70 ZR 17; 190/55 ZR 17

Maße und Gewichte:
Radstand 1530 mm, Lenkkopfwinkel 65,0 Grad, Nachlauf k. A., Federweg v/h 170/170 mm, Trockengewicht 192 kg, Tankinhalt 20 Liter.
Garantie zwei Jahre
Mobilitätsgarantie zwei Jahre
Farben Rot, Schwarz, Weiß
Preis 17990 Euro*
Nebenkosten 255 Euro*Touring-Version serienmäßig mit Koffern, Hauptständer und Heizgriffen, Sport-Version mit Karbon-Anbauteilen.

Aufgefallen

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Plus:

  • Vielfältigste Absimmungsmöglichkeiten.
  • Gewicht mit 220 kg sehr niedrig.
  • Motor hat gewaltig Schmackes.
  • Touring-Paket mit Koffern und Hauptständern.

Minus:

  • Preis für S-Version ziemlich heftig.
  • ABS und Traktionskontrolle regeln mitunter etwas nebulös.
  • Bodenfreiheit offroad begrenzt.
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