Raider heißt längst Twix, Aktion Sorgenkind jetzt Aktion Mensch und Moto TM nun TM Racing. Weshalb? Marketing bei den einen, Streit um Namensrechte bei den anderen. Ist eigentlich auch Wurst, sollte nur mal erwähnt werden. Denn hinter den Namen stecken Menschen. Im Fall TM Racing solche, die’s schön haben, in Pesaro, ein paar Kilometer südlich von Rimini. Wegen der Sonne, und weil sie Motorräder bauen. Etwas unbekannte, ehrlicherweise. Mit 1500 Stück pro Jahr aber nicht mal so ganz wenige, erstaunlicherweise. Und vor allem keine schlechten, erprobenerweise. Jede Menge Sport-Trophäen zeigen, dass sie’s drauf haben.
Doch derzeit dreht es sich nicht nur um die Schnelligkeit auf den Pisten, sondern auch in den Entwicklungsabteilungen. Denn eins steht fest: Der Zweitakter stirbt, und es lebe derjenige, der mit leichten Viertakt-Offroadern den neuen Markt versorgen kann. Denn obwohl Yamaha mit der YZ 400 F bereits 1998 Flagge zeigte, schmiedet der größte Teil der Hersteller (siehe Kasten Seite ???) noch an seinen Waffen.
Chefingenieur Eduardo Rossi weiß, was alle denken: »Unser Motor ist keine Yamaha-Kopie«, versichert der 43-Jährige. In der Tat suggeriert das TM-Aggregat vor allem durch den voluminösen Doppelnockenkopf die Seelenverwandtschaft zum japanischen Schrittmacher. Verständlich, denn wer im relativ hubraumschwachen Bereich nach Leistung sucht, muss für ausreichend Drehfreude sorgen. Leistungsfördernde hohe Drehzahlen können aber nur über einen steifen Ventiltrieb mit zwei Nockenwellen erreicht werden. Weil dafür außerdem ein kurzer Hub von Vorteil ist, übernahm TM Racing auch das Bohrung-Hub-Verhältnis der Yamaha: 92 mal 60,1 Millimeter.
Den augenfälligsten Unterschied bildet erst der für TM Racing längst typische Doppelschleifenrahmen, der eine andere Vergaseranordnung ermöglicht. Entgegen allen bisherigen Lösungen im Offroadbereich findet das Frischgas seinen Weg über den strömungsgünstig im Winkel von 45 Grad zur Zylinderachse geneigten Einlass. Der Vergaser – ein 40er-Mikuni-Flachschieber mit horizontaler Schwimmerkammer statt der in sportorientierten Viertaktkreisen omnipräsenten Keihin-FCR-Gasfabrik – findet im Freiraum zwischen den Rahmenrohren locker Platz. Nur: Dafür muss jetzt die Frischluft vom konventionell hinter dem Motor platzierten Luftfilter zwei scharfe Haken in Richtung Vergaser schlagen.
Das Rahmenkonzept schafft aber noch weiteren Freiraum. Denn der Motor kann für genügend Bodenfreiheit höher platziert werden. Der Vorteil: Signore Rossi ist somit nicht auf die absolute Minimierung der Bauhöhe angewiesen und bringt die 1,6 Liter Motoröl – ohne den Rahmen als zusätzliches Ölreservoir zu nutzen – vollständig im Motorgehäuse unter. Den ungewollten Panschverlusten der bei Konzeptionen mt dem Ölsumpf unter der Kurbelwelle rückt er gewissermaßen durch einen doppelten Boden zuleibe. Eine Zwischenwand trennt das Motoröl von den drehenden Wellen, die Schmierstoffversorgung übernehmen zwei Ölpumpen. Das Fünfganggetriebe samt hydraulisch betätigter Kupplung stammt übrigens unverändert von den Zweitakt-Modellen des Hauses.
Wie auch das für die anderen Hubraumvarianten. Ein 250er-Motor – allerdings mit demselben Hub wie die 400er – und ein 530er-Modell sind mit dem gleichen Gehäuse für kommendes Jahr vorgesehen. Läuft alles nach Plan, soll bis dahin auch die zweite Entwicklungsstufe stehen. Für den Elektrostarter sowie die Sensoren der Einspritzanlage von Marelli-Weber sind die Aufnahmen bereits jetzt ins Gehäuse gegossen.
Was für den Moment bedeutet: Wir kicken noch, bei unserer jungfräulichen TM 400 F mit der Motornummer 006. Choke gezogen, zwei, drei Tritte, und sie schnurrt. Nicht zu laut und praktisch ohne Vibrationen, obwohl Meister Rossi im Gegensatz zu Yamaha auf eine Ausgleichswelle verzichtete. Die erste Gerade. Wie war das noch? Kurzer Hub? Zwei Nockenwellen? Yamaha? Stimmt. Und genauso lustvoll dreht die TM hoch. Den Drehzahlbegrenzer, der das Yamaha-Aggregat bei 12600/min abwürgt, kennt die TM nicht. Der Viertakter jubelt in den höchsten Tönen. Deshalb geht´s zügig voran. Sollte es auch. Knapp 50 PS? sind im Sportenduro-Metier üblicher Standard in der 400er-Liga. So viel leistet die TM subjektiv ebenfalls.
Nur durchschalten lässt sich die Blaue unwillig. Gibt sich noch, wenn sich die Bearbeitungsgrate am Schaltmechanismus abgeschliffen haben, sagt Mike von Mikes Bike Shop, dem deutschen TM-Racing-Importeur. Hoffen wir mit ihm. Und auch, dass der im unteren Drehzahlbereich zu mager abgestimmte Mikuni, richtig bedüst, das Loch beim Herausbeschleunigen aus engen Kehren stopft. Denn was trotz dieser Unart begeistert, sind gerade die Eigenschaften, welche die 400er-Viertakter inzwischen in die Herzen einer ganzen Generation gefahren haben: Traktion satt. Hartgefahrene Kehren mit losen Erdklumpen – kein Problem. Die TM schiebt mit blitzsauber kontrollierbaren Drifts voran. Kein Gedanke an ein unwirsch ausbrechendes Hinterrad. Cool bleiben trotz heißem Reifen.
Was auch auf Holperpisten gelingt. Die Abstimmung des Öhlins-Federbeins geht fast schon als perfekt durch, die Upside-down-Gabel von Paioli ist – typisch für Enduros – auf der komfortablen Seite. Den rigiden Rahmen aus eigener Fertigung beeindruckt sowieso nichts. Überhaupt, gespart wird nicht bei TM. Liebevoll selbst gefräste Naben, Gabelbrücken?, Ritzel und Fußbremshebel sowie hauseigene Bremsscheiben samt Komponenten von Nissin wirken wertig und verleihen der 400er-TM für den Kampf gegen die aufziehende Konkurrenz einen eigenen Charakter.
Den braucht sie auch, denn die Luft wird bald dünner im Stollen-Metier. Und da ist´s immer gut, etwas früher dran zu sein.
Technische Daten - TM Racing 400 F
Motor: Wassergekühlter Einzylinder-Viertaktmotor, zwei obenliegende, kettengetriebene Nockenwellen, vier Ventile, Nasssumpf-Schmierung, Mikuni-Flachschieber-Vergaser, O 40 mm, Kickstarter, Ölinhalt 1,6 Liter.Bohrung x Hub 92 x 60,1 mmHubraum 399,3 cm3Nennleistung n.a.KraftübertragungPrimärantrieb über Zahnräder, hydraulisch betätigte Kupplung, Fünfganggetriebe, Sekundärantrieb über Kette.FahrwerkBrückenrahmen aus Ovalstahlrohren, angeschraubtes Rahmenheck, Schwinge aus Alu-Kastenprofilen, Zentralfederbein, verstellbare Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung, Upside-down-Gabel, O 46 mm, verstellbare Zug- und Druckstufendämpfung, Scheibenbremse mit schwimmend gelagertem Doppelkolben-Bremssattel vorn, O 270 mm, Scheibenbremse mit schwimmend gelagertem Einkolben-Bremssattel hinten, O 220 mm. Speichenräder mit Aluflegen, 1.60 x 21, 2.00 x 18; Reifen 90/90-21, 140/80-18.FahrwerksdatenRadstand 1490 mm, Lenkkopfwinkel n.a., Federweg v/h 300/300 mm.FarbeBlau Preis14 990 Markinkl. MwSt. und NebenkostenImporteurMike´s Bike Shop, Ruppen 8, 96317 Kronach, Telefon 09261/61576.
Die Zukunft
Es tut sich was im Offroad-Geschäft. Seit Yamaha mit der YZ 400 F vor drei Jahren die entscheidenden Vorteile von kompromisslos konzipierten, hubraumschwachen, hochdrehenden Viertakt-Maschinen demonstrierte und KTM mit der 400/520 Racing nachzog, steht die übrige Konkurrenz in den Startlöchern. Cannondale will nach Anlaufschwierigkeiten in dieser Saison die EX 400 mit Alurahmen und 400-cm3-dohc-Motor mit Einspritzung sowie um 180 Grad gedrehtem Zylinderkopf endlich auf den Markt bringen. Schon lange werkelt auch Gas Gas an seinem Viertakt-Aggregat. Im kommenden Jahr soll der spanische 250/400er-Motor mit Doppelnockenkopf endlich ein Serienbike antreiben. Seinen ersten Stapellauf absolvierte der neue Viertakter von Honda bereits im vergangenen Jahr. Die Serienversion des 450-cm3-Singles mit nur einer Nockenwelle im Honda-typischen Alubrückenrahmen ist für 2002 geplant. Auf dem 250/400-cm3-Viertakter mit Doppelnockenkopf von Husqvarna konnte MOTORRAD schon Ende vergangenen Jahres einige Runden drehen. 2002 kann sie jeder haben. Ein Jahr später soll der neue, hubraumstarke Bolide der Italiener mit etwa 550 cm3 Hubraum erscheinen, allerdings mit einer Nockenwelle. Kurz vor der Fertigstellung einer Kleinserie steht derzeit die italienische Edelschmiede Vertemati. Der Single mit 512 cm3 Hubraum und einer Nockenwelle demonstriert unkonventionelles Motordesign.