Schön, daß wir Alternativen haben: Zwischen GS und Varadero schiebt sich mit der völlig neuen Triumph Tiger eine weitere Reise-Enduro der Spitzenklasse.
Schön, daß wir Alternativen haben: Zwischen GS und Varadero schiebt sich mit der völlig neuen Triumph Tiger eine weitere Reise-Enduro der Spitzenklasse.
Es gehört zu den dankbareren Aufgaben, Gutes zu verbessern. Die alte Triumph Tiger beispielsweise. Es gehört aber auch zu den schwierigeren Aufgaben. Immerhin verwöhnte die einstmals stärkste serienmäßige Reise-Enduro mit hohem Komfort, beachtlichen Fahrleistungen und angemessener Solidität. Vor allem in GS-Country verhalfen diese Qualitäten zu gesundem Außenseiter-Image und brachten der Tiger jährliche Verkäufe um die 400 Stück - nicht schlecht für eine just neu etablierte Marke und genug für einen Spitzenplatz in deren Modellpalette.
Entsprechend unruhig fieberten die Jungs von Triumph Deutschland nach sechs Jahren alter Tiger der Geburt eines neuen Raubkätzchens entgegen. Auf ihrer Wunschliste hatten etwas weniger Gewicht, niedrigerer Schwerpunkt und - wenn«s geht - ein geregelter Kat gestanden. Seit der INTERMOT im vergangenen Herbst wissen wir, daß sämtliche Vorgaben erfüllt wurden. Aber wir wissen auch, daß ein Daytona-inspirierter Designer die Tiger in ein ungewöhnliches Kleid hüllte. Marken-Identität oder so, doch nicht immer angetan, brave Verkäufer zu beruhigen.
Also: Fern aller Messestände wirkt die Tiger organisch, aber hübsch eigenständig. Andere Meinungen sind selbstverständlich zugelassen, und deshalb soll es fortan nur noch um technische Qualitäten gehen. Da fällt zunächst auf, daß die Neue kein PS mehr vorzeigen kann. 83 nämlich. Was verwundert, denn immerhin werkelt im neuen Perimeter-Rahmen der Drehmoment-optimierte 885er der ersten Speed Triple. »Man wollte«, so Uli Bonsels, Kundendienstleiter bei Triumph Deutschland, »des Guten nicht zuviel tun.« Was wiederum die Vorfreude auf diesen Triple-Express erhöht.
Zum Kennenlernen hatte man einen vortrefflichen Rundkurs an der Cote d«Azur gewählt, bestes Wetter bestellt und den südfranzösischen Autofahrern geraten, daheim zu bleiben. Dank wirklich narrensicherer Sitzhöhenverstellung ist der Arbeitsplatz rasch hergerichtet, wohlgefällig ruhen die Augen auf einem komplett ausstaffierten Cockpit, fallen die Hände auf einen nicht zu breiten Lenker mit soliden, sinnig gestalteten Armaturen. Ein Choke-Hebel fehlt, trotzdem brabbelt der Dreizylinder sofort los: Einspritzung, na klar.
Fast im Standgas rollt die Fuhre auf die Landstraße hinaus, überzeugt schon während der Gewöhnungsphase mit sauberem Durchzug ab 1500 Touren. Die sechs Gänge des Getriebes sortieren sich wie von selbst, beschauliche Bummeleien gelingen aber auch ausschließlich im letzten. Der Tank spreizt die Beine eine Spur weiter auseinander als auf Hondas Varadero, die zweigeteilte Bank wirkt äußerst komfortabel. Na, dann. Kurzer Sprint über die Autobahn - die Verkleidung erzeugt dank guter Hinterströmung zwar wenig Sog, kann aber Kopf und Schultern eines 1,85 Meter messenden Fahrers nicht mehr recht schützen. Der sollte schon beim Kauf die höher und breiter bauende Scheibe aus dem reichhaltigen Zubehörprogramm bestellen.
Oder die Wirbel ignorieren und sich einfach an diesem Triebwerk freuen. 4000/min markieren den point of no return, danach kann nur noch der Begrenzer helfen. Eine Offenbarung, oh ja. Nahezu vibrationsarmer, gleichwohl charakterstarker Lauf begeistert natürlich auch auf Landstraßen, denn der via anderer Nockenwellen und angepaßten Kennfelds homogenisierte Dreier kennt eigentlich keinen Drehzahlbereich, aus dem er nicht lustvoll heraushechten möchte. Was als praktische Dreingabe bedeutet, daß er auch zwei Personen ungerührt durch die Gegend schiebt.
Besonders hervorzuheben bleibt noch, daß die Multipoint-Einspritzung einen exakten Kompromiß zwischen spontaner Gasannahme und weichem Leistungseinsatz findet. Um den Preis einiger weniger PS kommen einige wenige Länder in den Genuß eines geregelten Kats. Prima. Der Reiniger befindet sich in Nähe des Vorschalldämpfers, davor ragt die Lambdasonde aus dem Drei-in-eins-Krümmer. Um Platz für eben diesen Vorschalldämpfer zu schaffen, mußte die Hinterradfederung ihre Umlenkhebelei opfern, um ein winziges Kraftloch im mittleren Drehzahlbereich zu schließen, verbindet ein Interferenzrohr die drei Auslaßrohre. Ein riesiger Luftsammler hockt über den Drosselklappen, schon er allein verbot den Einsatz des alten Einrohr-Baukastenrahmens.
Andererseits erhoffte sich Triumph vom neuen Rohrgeflecht erhöhte Stabilität - die ersten Fahrversuche auf allerdings ziemlich ebenen Straßen signalisieren auch hier vollen Erfolg. Zu monieren wäre höchstens, daß sich an den Rahmen kein geschraubtes, sondern ein angeschweißtes Heck anschließt. Das kann nach Stürzen sehr, sehr teuer werden. Vorn wie hinten wiegen Kayaba-Federelemente das Gefährt mit sehr gutem Komfort, 230 respektive 200 Millimeter Federweg dürften für alle Eventualitäten reichen. Die nicht einstellbare Gabel taucht beim scharfen Bremsen tief ein, für sportliche Fahrt könnten ihre Federn wohl noch mehr Progression vertragen. Am Federbein lassen sich Zugstufe und Federvorspannung verstellen, und weil letzteres hydraulisch geschieht, ist die Tiger blitzfix auch für schwere Zuladung gerüstet. Eine Umlenkung vermißt übrigens kein Mensch.
Ausgesprochen brav und zielsicher läuft die Maschine ihrem 19-Zoll-Vorderrad hinterher, lenkt auf der Dunlop-Erstbereifung weich und neutral ein, wieselt durch Wechselkurven, gestattet bis zum Aufsetzen der Fußrasten jede Menge Schräglage. Die aus der Thunderbird Sport übernommene Dreischeiben-Bremsanlage überzeugt ebenfalls, scheint aber im Interesse eines sanfter abtauchenden Bugs mit weicher einsetzendem Druck zu arbeiten. Trotzdem: Wer solo über Asphalt sprintet, sollte die Fußbremse weitgehend in Ruhe lassen. Sonst steht das Hinterrad.
Gutes ist verbessert worden. Gut so. Triumph Deutschland hat 800 Tiger bestellt. Ob das des Guten nicht zuwenig ist?