Reiseenduros von BMW, Ducati und KTM im Test
Technik bis zur Tankkante

In diesem Vergleichstest kämpfen Ducati Multistrada V4 S und KTM 1290 Super Adventure S mit dem Klassenprimus BMW R 1250 GS. Alle mit feinster Technik bis zur Tankkante ausgestattet sowie mit kräftigen Motoren und vielfältig einstellbaren Fahrwerken.

BMW R 1250 GS, Ducati Multistrada V4 S, KTM 1290 Super Adventure S Vergleichstest
Foto: Markus Jahn

BMW R 1250 GS, Ducati Multistrada V4 S sowie KTM 1290 Super Adventure S sind wahre Alleskönner. Touren, rasen und ein wenig Gelände, reisen mit Sozius bis ans Ende der Welt oder zur nächsten Eisdiele: für die 3 kein Problem. Sie vereinen die Potenz kräftiger Naked Bikes mit dem Komfort der Sporttourer und würzen das ganze mit langen Federwegen und einer 19/17-Zoll-Bereifung, die Geländetauglichkeit suggeriert.

Kein Test-Bike unter 20.000 Euro

Als Kirsche auf der Torte überschütten ihre Schöpfer sie außerdem mit modernsten elektronischen Hilfsmitteln und komfortsteigernden Goodies. Beispiele: semiaktive Fahrwerke, schräglagenabhängige ABS und Traktionskontrollen, klare, konnektivitätstaugliche TFT-Displays, überall erhältliche Heizgriffe und Sitzheizungen, verstellbare Windschilde, Quickshifter mit Blipperfunktion fürs Hoch- und Runterschalten ohne Griff zur Kupplung und vieles mehr. Und mit radargesteuerten Tempomaten würzen Ducati und KTM noch einmal zusätzlich nach. Vor dieser Technikoffensive darf man den Hut ziehen und gleich darauf tief in die Tasche greifen. Günstig kaufen klappt bei keinem der drei Motorräder. Besonders dann nicht, wenn wie im Fall der Testmaschinen überall ein Aufschlag zur Basis in Form von Extrapaketen an Bord ist. So, wie die drei hier stehen, sind immer mehr als 20.000 Euro pro Bike fällig.

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BMW R 1250 GS

Da ist es nicht vermessen, eine ganze Menge von ihnen fürs Geld zu erwarten. Daher jetzt zu grundlegenden Werten, denn was hilft die ganze Technik, wenn die Basis nicht passt? Und wie die aussehen muss, zeigt die GS. Seit Jahren immer weiter feingeschliffen, in der letzten 1250er-Ausbaustufe partiell wassergekühlt, gut für 136 PS und fulminante 143 Nm. Als solide Faustformel gelten zehn Nm pro 100 Kubik. Die Münchnerin besitzt exakt 1.254 cm3. Genügt das, um ihre motorische Nm-Macht einzusortieren?

Aber die GS glänzt noch mit ganz anderen Tugenden. Hier steht ein Motorrad mit immerhin 260 Kilogramm vollgetankt, mit einem Lenker, der die Hände 890 Millimeter auseinanderspannt und mit einer Sitzhöhe, die einen turnerischen Aufschwung über 840 bis 860 Millimeter voraussetzt. Auf den ersten Blick fordert das Respekt ein. Auf den zweiten auch noch, was übrigens auch auf die Multistrada (Sitzhöhe 845–865 mm) und die 1290 Super Adventure S (Sitzhöhe 855–875 mm) zutrifft. Aber dann, einmal im Sattel, kommt dieser GS-Moment, der in Vertrauen mündet. Wo und wie BMW dieses Feature im Motorrad versteckt hat, konnte bis heute nicht eindeutig ergründet werden. Aber es ist da. Vielleicht, weil der Boxer mit seiner in Fahrtrichtung liegenden Kurbelwelle das Handling beflügelt, weil nichts an diesem Motorrad ein Rätsel aufgibt.

Das bleibt immer so. Stoisch und mit Macht tritt der Boxer schon aus tiefsten Drehzahlen an. Obwohl hier zweimal 627 Kubik Hubraum pro Zylinder mit jeder Zündung mit Leben gefüllt werden, gleiten die 102,5er-Kolben so lässig und geschmeidig durch ihre Laufbahnen, dass der Daumen automatisch nach oben zeigt. Außer, der Boxer trifft den subjektiven Geschmack überhaupt nicht. Aber objektiv, da gibt es fast nichts an ihm auszusetzen. Im Vergleich fehlt ihm etwas Leistung – fürs forsche Treiben auf der nicht reglementierten, linken Autobahnspur –, und das Getriebe dürfte trotz Blipper geschmeidiger die Gänge wechseln. Das war’s auch schon.

Multistrada V4 S

Ähnliche Testresultate erzielte die bisherige V2-Multistrada nicht. Mit dem Granturismo-V4 in der aktuellen Stelzen-Duc ist das anders. Und zwar komplett. Dieser Motor ist eine reine Wonne. Er powert zwar ganz unten, also knapp über Standgas, nicht ganz so mustergültig los wie die BMW, alles darüber meistert er aber mit einer Lässigkeit, die bis dato einem Duc-V4 unbekannt war. Mehr Hubraum, mehr Schwungmasse, zahmere Nockenwellen und der Verzicht auf die Desmodromik zaubern aus dem Basis-V4 von Panigale und Streetfighter ein perfektes Landstraßenaggregat. An gefühlter Fleischigkeit im Vergleich zur BMW fehlt es ihm zwar, der Blick zu den Fahrleistungen verrät aber, dass der Duc-V4 der GS im Idealfall beim Beschleunigen eine lange Nase zeigt und auch beim Durchzug mit ihr auf einem Niveau liegt. Das Schöne daran: Diesen performanten Auftritt liefert die Duc ohne Hinterhältigkeiten, sie serviert ihre Leistung wie die BMW über alle Fahrmodi nahezu last- und ruckfrei. Ohne Übertreibung: Dieser Motor ist ein großer Wurf. Die 30 PS weniger als in Streetfighter und Co. nimmt man mit Kusshand in Kauf, sie sind kein Verlust, sondern Teil des Gewinns an feinen Umgangsformen des Granturismo-V4 – und zwar bei jeder Drehzahl. Egal, ob er tief im Drehzahlkeller arbeitet oder mit mächtig Eifer durch die obere Drehzahlhälfte prescht, nur um seine strammen 170 PS von der Leine zu lassen – immer heißt sein Credo pure Beherrschbarkeit.

Die gelungene Sitzposition hinter der höhenverstellbaren Scheibe – die auch BMW und KTM besitzen – untermauert den Wohlfühlfaktor auf der Ducati noch. Von der V2-Multi war noch anderes bekannt. Bei der V4 S hat Ducati den Brachial-Faktor auch in Sachen Sitzarrangement klar zugunsten von Alltagstauglichkeit und nahezu idealen Abmessungen für alle zurückgeschraubt. Von 1,70 bis zwei Meter finden sich jede und jeder lässig auf ihr zurecht. Eigenschaften, mit denen die Multi V4 deutlich näher ans Universaltalent der GS heranrückt.

Das gilt ebenso für Gabel und Dämpfer, wobei Ducati hier ein semiaktives Fahrwerk mit mannigfaltigen Einstellmöglichkeiten verknüpft. Zum Vergleich: Bei der BMW stehen die Dämpfungsabstimmungen Road und Dynamik zur Wahl, die Vorspannung hinten regelt sich bestmöglich automatisch ein. Ergänzend dazu gibt’s noch ein Extra-Setup für den Fahrmodus Enduro Pro. Für 90 Prozent aller denkbaren Fahrzustände passt das, vereinen sich straßenglättender Fahrkomfort und sportliche Härte nahezu ideal. Bei Ducati gehen sie einen anderen Weg. Jeder Fahrmodus besitzt eine andere Dämpfungsabstimmung. Diese erlaubt jeweils noch individuelle Anpassungen in fünf Stufen, getrennt für Gabel und Federbein. Und auch die Vorspannung lässt sich noch in vier Stufen vorwählen. Unterm Strich ergeben sich beim Ausschöpfen aller Optionen 400 Fahrwerkskonfigurationen. Bei so vielen Möglichkeiten erschließt sich der Bedienkomfort-Vorteil eines semi-aktiven Fahrwerks, das automatisch auf Fahrwerksimpulse reagieren kann, nicht ganz. Zudem: Kommod über den Asphalt schweben kann die Ducati gut, an die Fahrstabilität der BMW kommt sie, auch in härtester Dämpfungs-Vorauswahl, nicht ganz heran. Dafür begeistert ihr knackig-geschmeidiges Einlenkverhalten.

KTM 1290 Super Adventure S

Hat sich die Duc in der aktuellen Ausbaustufe insgesamt klar den Grundtugenden der GS – eingerahmt von einer dynamisch-flotten Formensprache – genähert, geht die 1290 Super Adventure S von KTM weiter ihren eigenen Weg. Auch wenn das im ersten Moment anders erscheint. Ihr neues, etwas niedrigeres Sitzmöbel und der näher an den Fahrer gerückte Lenker stärken den Eindruck, dass auch KTM verstanden hat: Mehr Tauglichkeit für alle, egal ob Groß oder Klein, steht im Fokus. Mehr Reisekomfort sowieso, dank Radar-Tempomat (wie bei der Ducati) sowie überarbeitetem, semiaktivem Fahrwerk. Das kommt gut an. Bis der 75-Grad-V2 nach kurzem Druck auf den Starter erwacht. Das gelingt reibungslos nur im Leerlauf. Irgendwie zickte das Testbike rum, ließ sich häufig selbst bei komplett bis zum Griffgummi gezogener Kupplung mit eingelegtem Gang nicht starten. Aber wenn der V2 da ist, dann richtig – und zwar mit allen Vor- und Nachteilen. Den lässigen Antritt aus niedrigen Drehzahlen verschmäht er größtenteils, besonders in den hohen Gängen. Kettenpeitschen bis 2.500/min ist die Regel. Jenseits dieser Marke spannt das 160-PS-Aggregat aber langsam die Muskeln, um ab guten 5.000 Umdrehungen alle Ketten zu sprengen, mit sportlicher Rasanz Richtung Leistungsspitze bei 9.200 Touren zu streben. Die KTM gibt den Ballermann. In 9,6 Sekunden erreicht sie – auch dank weniger Wheelieneigung wegen des neuen, weit heruntergezogenen Tanks – Tempo 200. Da kommen die anderen nicht mit. Ein Fest für sportlich angehauchte Enduristen, die im oberen Drehzahlbereich allerdings deutliche Vibrationen des V2 ertragen müssen. Wer dagegen motorische Geschmeidigkeit höher schätzt, goutiert die Leistungsentfaltung von BMW und Ducati mehr.

Ein wenig zieht sich dieser raubeinige Charakter durch die komplette KTM, setzt sich auch beim Fahrwerk fort. Gesegnet mit einer Flut von Einstellmöglichkeiten, die der Tech-Pack als Extra noch erweitert, entpuppt sich auch das semiaktive Fahrwerk als Spielwiese für Klickfreudige. Mit der richtigen Einstellung – der Komfort-Modus taugt für die meisten Landstraßen –, gleitet die KTM dann auch gekonnt über Verwerfungen hinweg, lässt sich geradeaus und in Kurven durch nichts erschüttern. Kurze Stöße mag sie allerdings nicht. Diese bügelt besonders die WP-Gabel mit ihrem zu hohen Losbrechmoment nicht sauber aus, spricht unsensibel an, was sich im etwas bescheidenen Fahrkomfort niederschlägt. Weil die mit 247 Kilogramm (BMW: 260 kg, Ducati: 254 kg) vollgetankt im Vergleich leichte 1290er zudem nicht ganz so engagiert in Kurven abtaucht, wie es BMW und Ducati vormachen, muss sie sich beim Thema Fahrwerk hinten einsortieren. Ihr fehlt einfach diese Spur magischer Feenstaub, die der BMW und Ducati bei Motor und Fahrwerk eine funktionelle Eleganz verleiht, an welche die KTM nicht ganz heranreicht.

Doch ihre Stunde schlägt noch. Nicht beim Thema Bremsen, da liegen alle auf ähnlich hohem Niveau, aber bei der Ausstattung gibt sie ausgerüstet mit dem Tech-Pack den Primus. Mit recht geringen 5,4 Litern Verbrauch und großem 23-Liter Tank tourt sie zudem bis zu 426 Kilometer am Stück. Trotz bescheidener 4,9 Liter für 100 km und damit weniger Spritkonsum kommt die BMW mit 20 Litern Tankvolumen da nicht ganz heran, während sich die Ducati beim Durst ihre einzige nennenswerte Schwäche leistet. Wenngleich sie sich beim für diesen Test erneut herausgefahrenen Landstraßenverbrauch mit 6,3 Liter auf 100 Kilometern bescheidet, beim Top-Test in Heft 4/2021 flossen noch 6,8 Liter in den V4, liegt sie klar über den Werten der BMW und KTM. Beim Lustmobil Motorrad ist das wahrscheinlich nicht das wichtigste Pro- oder Contra-Argument, aber eines, das sich bei Reichweite, Kosten und Umwelt gleich mehrfach nachteilig auswirkt.

So fährt letztendlich im heißen Wagenrennen am Fuße des Ätnas erneut die R 1250 GS den Sieg in dieser Klasse ein. Wobei die beste Multistrada, die Bologna je verlassen hat, ihr haarscharf auf die Pelle rückt, während die 1290 Super Adventure S auf den allgemeinen Großenduro-Konformismus ein Stück weit pfeift, sich auch in der 2021-Variante treu bleibt – auf Power und manchmal raue Sitten setzt.

Fazit

  1. BMW R 1250 GS: Die Qualitäten der BMW sind unbestritten, sie sind auch dieses Mal wieder der Garant für den hauchdünnen Sieg beim Vergleichstest. Wer in vier von fünf Bewertungskriterien vorne liegt, landet zurecht auf dem ersten Platz. Doch die Luft da oben wird dünn, aus Italien weht ein erfrischender, neuer Reiseenduro-Wind herüber.
  2. Ducati Multistrada V4 S: Gleich doppelt schlägt der Verbrauch der Ducati ins Kontor, einmal als Konsum an sich, einmal bei der Reichweite. Mit weniger Durst hätte sie die GS hinter sich gelassen. Was nur zeigt, was für ein großer Wurf die neue Multistrada V4 S ist, die die alte V2-Multi im Handumdrehen in Vergessenheit geraten lässt. Molto bene, Ducati.
  3. KTM 1290 Super Adventure S: Bei der Ausstattung hat die KTM für 2021 noch einmal kräftig nachgelegt. Hat das ihren Grundcharakter verändert? Nein. Wie bisher auch, arbeiten Motor und Fahrwerk etwas hemdsärmelig. Dafür entpuppt sich ihr V2 aber wieder einmal als sportlicher Kracher, der richtig druckvoll schiebt. Ein Fest für vibrationsfeste Vollgasfans.