Sturzbäche fließen quer über die schmale Bergstraße, die den schneebedeckten Ätna hinaufführt. An einer Stelle bringen die Regenfälle sogar einen halben Vorgarten zum Einsturz und lassen das Erdreich auf die Fahrbahn rauschen. Immer wieder liegt Lavagestein als Geröll auf der meist glitschigen Piste herum. Die ganze Szenerie wirkt bizarr. Von Regen über Nebel bis zu leichtem Aufblitzen von Sonnenlicht bleiben an diesem Weltuntergangstag keine meteorologischen Wünsche offen.
Einstiegsenduro KTM 1090 Adventure
Inmitten jener denkbar ungemütlichen Lage gibt es gewiss untauglichere Rösser als die neue KTM 1090 Adventure. Im Einstiegsmodell in die Familie der Reiseenduros aus Mattighofen leistet der 75-Grad-V2-Motor jetzt 125 PS. Das Powerplus gegenüber dem mäßig erfolgreichen Vorgänger 1050 Adventure resultiert aus anderen Steuerzeiten, überarbeiteten Brennräumen sowie einem neuen Mapping. Auf engem Geläuf wie etwa am Berg braucht sich die 1090er mit ihrem erstarkten Twin nicht zu verstecken. Der Motor drückt in der Mitte ordentlich, aber ohne allzu aggressiven Punch. Weiter oben geht dem Antrieb dafür nicht so schnell die Puste aus und der V2 marschiert tapfer. Speziell in den engen, teilweise rutschigen Kehren fällt die weiche Gasannahme im Verbund mit der leichtgängigen Kupplung positiv auf.
Beim Fahrwerk herrscht dafür Rustikalität. Bis auf die Vorspannung und die Zugstufendämpfung des Federbeins ist bei der Einstiegs-Adventure nichts einstellbar. Die Grundabstimmung der WP-Federelemente fällt recht straff aus. Für sportliches Landstraßenfahren liegt die KTM stabil genug, dafür rangiert das Ansprechverhalten der Dämpfer nicht gerade auf Top-Niveau. Sonst gebührt der 1090er vornehmlich Lob. Sie verfügt über einen dicken 23-Liter-Tank und empfiehlt sich damit für die große Runde. Trotzdem fällt das Handling bemerkenswert leichtfüßig bis spritzig aus, und an der Funktion der Bremsen gibt es nichts zu kritteln. Traktionskontrolle und ABS (noch das „alte“ System ohne Schräglagensensorik) sind an Bord und machen einen ordentlichen Job. Die Bedienung ist allerdings etwas umständlich, das geht mittlerweile besser.
KTM 1290 Super Adventure S
Und vor allem schöner, wie das 6,5 Zoll große TFT-Display der hubraumstärkeren und opulenter ausgestatteten KTM 1290 Super Adventure S zeigt. Auf den ersten Blick wirkt die große Fläche aus bruchsicherem Glas wie eine Art Tablet. Aber Befummeln ist nicht – die Menüführung erfolgt über die Tasten am Lenker. Das Display hält mehrere Informationsebenen bereit und es gibt einen frei konfigurierbaren Favoriten-Modus, in dem acht unterschiedliche Merkmale plus Informationen über Mapping- und elektronische Fahrwerks-Einstellung auf einmal angezeigt werden können. Zudem ändert das Display automatisch in Abhängigkeit der Lichtverhältnisse seine Helligkeit, was wirklich brillant funktioniert. Eine bessere Ablesbarkeit hat es bis dato bei Digitalinstrumenten wohl kaum gegeben.
Schaltautomat mit Blipperfunktion für 389 Euro
Gimmicks wie zum Beispiel auf einer Alu-Trägerplatte montiertes LED-Kurvenlicht (schaltet sich in drei Stufen bei 12, 18 und 25 Grad Schräglage automatisch zu), Tempomat, der anwählbare Offroad-Modus oder der größer dimensionierte und mehrfach einstellbare Windschild gehören zur Serienausstattung der KTM 1290 Super Adventure S. Dagegen muss der fein funktionierende Schaltautomat mit Blipperfunktion für 389 Euro extra geordert werden. Oder man bestellt gleich für 682 Euro das komplette „Travel Pack“ mit Quickshifter, Berganfahrhilfe HHC, Motorschleppmomentregelung MSR (öffnet beim Bremsen leicht das Gas, um die Fuhre zu stabilisieren) und der Funktion „KTM My Ride“. My Ride ermöglicht via Bluetooth das Hören von Musik während der Fahrt oder die Annahme von Anrufen. Heizgriffe kosten dann übrigens noch einmal 194 Euro extra.
Klingt alles stark nach überfrachtetem Hybridwesen. Aber wo KTM draufsteht, ist am Ende zum Glück „Ready to Race“ drin. Da wäre nämlich dieser leicht überarbeitete LC8-Motor mit 160 PS. Urgewaltige 140 Newtonmeter Drehmoment stemmt das Triebwerk, davon liegen 108 Newtonmeter bereits bei 2500/min an. Neben der KTM 1290 Super Adventure S existiert wohl keine weitere Reiseenduro, die Supersportlern und sportlichen Naked Bikes im Kurvendschungel so wüst das Fell über die Ohren zu ziehen vermag. Die Kiste schiebt so was von mächtig aus den Ecken, da bleiben nicht mehr viele Gegner übrig. Würde der Ätna in dieser Sekunde ausbrechen, wäre die 1290er das ideale Fluchtfahrzeug. Die Sitzposition ist bequem, aber sportlich genug für motivierte Sprints.
Leichtes Einlenkverhalten ohne Kraftaufwand
Trotz 23-Liter-Tank baut die KTM nicht zu breit und die Frontpartie präsentiert sich aus der Fahrerperspektive Rallye-mäßig schmal, was eine gute Übersicht schafft. Hinzu kommt ein neutrales, ganz leichtes Einlenkverhalten ohne Kraftaufwand. Bei Langsamfahrten wirkt die großkalibrige KTM 1290 Super Adventure S kein bisschen kippelig oder unruhig. Das semiaktive Fahrwerk funktioniert in den meisten Fällen toll und hält die Maschine beim harten Angasen genau wie beim Ankerwurf stabil auf Kurs. Mit unebenem Asphalt, speziell harten Kanten, scheint es weniger gut klarzukommen. Auffällig: Das Durchfahren von Schlaglöchern quittiert das Federbein teilweise mit einem kurzen „Klack“. Noch ein Wort zur Schräglagensensorik von Bosch: Die Traktionskontrolle arbeitet super! Aufgrund des irrwitzigen Kalt- und Nassgrips der Erstbereifung Pirelli Scorpion Trail II meldet sie sich aber selten zu Wort.
Leider konnten wir die KTM Adventures nicht ganz so ausführen, wie wir uns das gewünscht hätten. Die positiven Fahreindrücke sprechen aber für sich, und vielleicht gibt es beim nächsten Vulkanausbruch ein erneutes Treffen: quasi auf ein kleines Abenteuer!