Es war wie ein Wunder. Triumphs Tiger erschien, Hondas Varadero debütierte - und in Bayern geschah nichts. Gar nichts. Nur Bierruhe. Seit dem 8. Juli wissen alle, daß es die Ruhe vor dem Sturm war: BMW hatte noch einen Pfeil im Köcher. Er heißt R 1150 GS, und er trifft.
Warum? Bei unverändertem Hub verhelfen die Zylinder des Cruisers R 1200 C zu 1130 statt 1085 Kubikzentimetern Hubraum. Kurbelwelle und Zylinderköpfe, Einspritz-Komponenten und Motormanagement stammen vom Sportler R 1100 S. Zwischen 3000 und 6500 Kurbelwellen-Umdrehungen reicht der Vierventil-Boxer neuerdings mehr als 90 Newtonmeter weiter, und seine Nennleistung stieg um fünf auf 85 PS. Alles Technik-Kauderwelsch? Na gut: Unter Mißachtung der ehernen Techniker-Regel, daß Durchzug im letzten Gang gemessen wird, bleibt zu vermelden, daß im haarscharf auf Topspeed ausgelegten Fünften zwischen 60 und 100 km/h exakt vier Sekunden vergehen. Vier Sekunden! Und Hondas Varadero braucht 4,5. Ab 2000 Touren, wenns sein soll, schon darunter, geht bei diesem Münchner Kradl die Eilpost ab. Ruckfrei, druckvoll, fröhlich. Urbayerisch eigentlich, doch auch jenseits des Allgäus sind diese Werte, selbst wenn die Varadero bis 180 km/h wieder hauchdünn vorbeizieht, einfach zum Jodeln schön.
Dann gibts da noch einen Sechsten. Overdrive. Der macht pro 1000 Umdrehungen glatt xx Kilometer in der Stunde, wo der Fünfte just xx schafft. Für die genußvollen Momente. Oder Stunden: Ein niedriges Drehzahlniveau minimiert auch beim Motorrad - man glaubt es kaum - den Autobahnstreß enorm. Den Verbrauch senkt es sowieso.
Weil das Getriebe nun etwas länger baut, geriet die Einarmschwinge - bei gleichem Radstand - kürzer. Und in der Form eleganter. Außerdem federt sie sanfter ein: Ein neu abgestimmtes Federbein erhöht vor allem beim Überfahren von Querfugen spürbar den Komfort. Vorn gab«s nie etwas auszusetzen, eine leichtere Version der BMW-eigenen Radführung namens Telelever verringert aber die ungefederten Massen. Was sowohl Ansprechverhalten als auch Handling etwas verbessert.
Mehr Komfort also. Schön. Noch schöner, daß die GS weiterhin ein absolut konkretes Gefühl für die Fahrbahn vermittelt, daß sie mit untadeligem Handling überzeugt. Je schlechter und kurviger die Straßen, desto mehr will sie räubern. Rastlos, unbändig: dritter, vierter Gang, die nunmehr hydraulisch betätigte Kupplung kommt kaum zur Ruhe, die Gänge flutschen nur so. Jawohl, flutschen. Beim Testexemplar veranlaßte allein der große Drehzahlsprung vom sechsten in den fünften Gang gelegentlich ein trockenes Plong. Paßt scho«, oder?
Die Sitzposition auch: Zwar wünschen sich ganz Lange trotz der variablen Sitzbankhöhe etwas niedriger angebrachte Rasten, aber die ganz Sportlichen auf keinen Fall weniger Schräglagenfreiheit. Wegen Räubern und so. Der gefundene Kompromiß muß folglich als geglückt gelten, zumal er auf langen Etappen ebenso trägt wie auf Schotterpisten. Und vor allem, na ja, beim Räubern, denn mit leicht vorgeschobenen Schultern, den breiten Lenker ganz dicht dran am Oberkörper, läßt sich diese BMW ums Eck werfen wie ein Mittelklässler. Fast verziehen ihre vielen Pfündlein, nur Wonne und Wind.
Letzterem stemmt sich auf der Autobahn eine neue, in der Neigung verstellbare Verkleidungsscheibe entgegen. Sehr segensreich, weil das schmale Ding völlig ausreicht, um dauerhaft und ohne schmerzende Oberarme 160, 170 zu fahren. Total windige Gestalten können es übrigens ganz abschrauben. Dann bleibt ein kleines Schild übrig, hinter dem sich die umgestaltete Instrumenteneinheit versteckt. Über deren Design gehen die Meinungen zwar auseinander, die Funktionalität ist jedoch nahezu unumstritten. Wer das Display mit Uhr, Temperatur-, Gang- und Benzinstandsanzeige geordert hat, der vermißt höchstens noch einen Tripmaster. Über den typischen Entenschnabel lugen jetzt zwei richtige Augen. Das heißt, eigentlich zwinkern sie, weil der Scheinwerfer des Freiformflächen-Fernlichts deutlich kleiner geriet als jener des Ellipsoid-Abblendlichts. Nämliches leuchtet zwar sehr weit und gleichmäßig, taucht aber in manchen überraschend schnell weg.
Tja. Da steht sie nun also und leuchtet, die neue GS. Die Novitäten-Runde wäre beendet, im Nachtrag noch von den seit R 1200 C bekannten, glatten Armaturen zu berichten. Solide, hübsch, die getrennten Blinkerschalter wie bei BMW gewohnt zum Gewöhnen, der Hupenschalter etwas deplaziert. Dann von der neuen Auspuffanlage. Solide, hübsch, im Gegensatz zur alten GS wieder mit zwei gerade nach hinten verlaufenden Krümmerrohren, zu 50 Prozent verantwortlich für die Mehrleistung und mit Lambda-Sonde sowie Kat im riesigen Vorschalldämpfer. Von Magnesium-Zylinderkopfhauben. Leicht, hübsch.
Der Deutschen liebstes Motorrad oberhalb von 750 cm³, das deutsche Prachtkrad schlechthin, und mit den Hauptstädtern fragt die ganze Nation: »Jibt et denn nischt zu meckern?« Doch. Die R 1150 GS vibiriert etwas mehr, und der bayerische Ingenieur Brandlhuber, verantwortlich für die Boxer-Baureihe, versucht auch dieses eher emotionale Phänomen noch in Zahlen zu fassen: »Zirka fünf Prozent.« Mit dieser optimistischen Einschätzung könnte er meinen, daß die Neue beim Beschleunigen fünf Prozent lustiger, bei konstanten Drehzahlen zwischen 4000 und 4500/min fünf Prozent nerviger ist. Aber dann kann man ja immer noch zwischen fünftem und sechstem Gang wählen. Außerdem monieren Off Road-Akrobaten, daß der erste Gang für schwieriges Gelände etwas kürzer übersetzt sein könnte. Normalsterblichen fällt nur auf, daß diese GS beim Anfahren am Berg und mit zwei Personen besetzt manchmal abstirbt. Aber nur in der Gewöhnungsphase.
Ach ja, Mitreisende wenden ein, daß ihre Sitzmöglichkeit ruhig ein wenig mehr Varadero sein dürfte. Doch das berührt schon Dinge, die geblieben sind, wie sie immer waren. Gibts nämlich auch. Den Tank, für den BMW jetzt ehrlich nutzbare 22 statt theoretisch fassende 25 Liter angibt. Das ABS zur sowieso recht effizienten Dreischeiben-Bremsanlage. Die zweigeteilte Sitzbank mit Ladefläche unterm abnehmbaren Sozuisplatz. Auf Wunsch das Gepäcksystem. Nämliches hängt schön tief, weswegen es auch mit vollgestopften Koffern das Handling nur wenig beeinflußt. Und hängt stabil, weswegen auch vollgestopfte Koffer die Fuhre selbst bei Topspeed nicht zum Pendeln verführen. Überhaupt nicht: Die GS läuft in jedem Beladungszustand bolzgeradeaus, läßt sich auch von welligen schnellen Kurven nicht irritieren.
Womit der Kern dieser ausnehmend gelungenen Renovierungsarbeit umrissen wäre: BMW hat keine der schon bekannten Tugenden verwässert. Keine Sänfte gebaut, keinen Softie. Sondern - und das war der schwerere Weg - die beste GS aller Zeiten.
Fazit
Klar, daß BMW im Segment der Großenduros enormes Engagement beweist: Die Münchner haben es vor fast 20 Jahren mit der R 80 G/S erfunden, sie setzen hier bis heute einen Großteil ihrer Boxer ab. Aber daß sie dermaßen zielbewußt zu Werke gingen, verdient denn doch hohen Respekt. Die R 1150 GS ist die Fahraktivste ihrer Klasse. Ihr Design polarisiert nicht mehr ganz so stark wie früher und - sie kostet kaum mehr als ihre Vorgängerin. Eine Überarbeitung nach Maß.