Triumph Tiger da sind Assoziationen nicht vermeidbar. Zum Beispiel: Pack den Tiger in den Tank. Und wahrlich: Ihr dickes, tropfenförmiges, nach unten gezogenes Benzinfass legt die Vermutung nahe, die Konstrukteure aus Hinckley, England, hätten ihn darin versteckt. Mit dem auf 956 cm3 Hubraum erstarkten Dreizylinder zeigt die neue Tiger wieder Zähne. Spielt mit nominell 98 PS wieder ganz vorn bei den Großenduros mit. Und ist mit dem ungereinigten, 106 PS starken Auslandsmodell sogar wieder das angriffslustigste Raubtier in Sachen Höchstleistung. Auch beim Drehmoment hat die Tiger mit 95 Newtonmeter bei 6200/min gegenüber 81 Newtonmeter bei 6400/min des alten Modells zumindest auf dem Papier kräftig zugelegt.
Nicht allein einem neuen Herstellungsverfahren ist es zu verdanken, dass das neue Tigerherz mechanisch leiser pocht. Reduzierung von bewegten Teilen lautete die Vorgabe. Und die wurde erfüllt. Die Lichtmaschine, vormals hinter den Zylindern angeflanscht, verpflanzten die Ingenieure auf den linken Kurbelwellenstumpf. Der Anlasserfreilauf wanderte auf die rechte Kurbelwellenseite. Die Ölpumpe, bislang durch Zahnräder angetrieben, wird durch eine Kette aktiviert. Hinzu gesellen sich noch Modifikationen an Motorseitendeckeln und der Ölwanne. Doch genug getechtelt. Jetzt wird gemechtelt.
Die Sitzprobe auf der Tiger fällt nicht ganz befriedigend aus. Die Sitzbank bettet den Allerwertesten zwar komfortabel, der Tank ist jedoch breit geraten, spreizt die Fahrerbeine etwas, die Fußrasten sind zu weit vorn und relativ zu hoch positioniert. Lenkerbreite und Kröpfung sind dagegen ideal, die Schalter gut zu bedienen, Kupplungs- und Bremshebel leider nicht einstellbar. Dafür ist die Sitzhöhe variabel. Die Bank kann in drei Positionen zwischen 840 und 860 Millimeter eingerastet werden. Menschen unter 170 Meter werden den festen Boden unter ihren Füßen trotzdem nur erahnen. Egal. Wir wollen fahren, nicht schieben.
Schieben. Gutes Stichwort. Schon gleich oberhalb Standgasdrehzahl schiebt der 955i-Motor die Katze vorwärts. Und zwar so sanft, dass das subjektive Empfinden konträr zu den Messwerten steht. Turbinengleich und untermalt von dem herrlichen dreizylindrischen Knurren dreht er hoch. Ohne Leistungslöcher, ohne störende Lastwechsel, nahezu ohne Vibrationen. Klasse. Wenn auch nicht weltbewegend besser als das Vorjahresmodell.
Denn Raubkatzen der letzten Modellreihe wurden schon mit 85 Nm bei 6700/min und 95 PS gemessen, also zehn PS über Nennleistung. Die neue Tiger liegt hingegen mit 87 Nm bei 5000/min und 97 PS ziemlich nah an der Werksangabe. Und wartet mit einer schulbuchmäßigen Drehmomentkurve auf. Zwischen 3800 und 8500/min stehen immer mindestens 76 Newtonmeter bereit. Hinzu kommt, dass die Gesamtübersetzung um gut vier Prozent, 46 gegenüber 48 Zähnen hinten, verlängert wurde. Mit der Folge, dass der sechste Gang im Landstraßenbetrieb seltener zum Einsatz kommt als früher. Als spritsparender Overdrive könnte er Reisefreaks und Spritsparer dienen. Könnte, wenn die Tiger bei höherem Tempo nicht so trinkfreudig wäre. Zwar begnügte sich die Tiger auf der Landstraße mit 4,9 Liter, spülte bei konstant 160 km/h jedoch 8,2 Liter durch den Rachen. Und das wirkt sich sowohl empfindlich auf das Portemonnaie des Fahrers als auch die Umwelt aus. Da ist der geregelte Katalysator nur ein kleiner Trost.
Leider zeigt auch die Überarbeitung des Getriebes nur teilweise die versprochene Wirkung. Die Gänge rasten zwar exakt ein, die Schaltarbeit verlangt jedoch Nachdruck. Das Gegenteil gibt es über die Bremsen zu vermelden. Obwohl der Handhebel auf den ersten Millimetern einen gewöhnungsbedürftigen Leerweg aufweist, sind sie allererste Sahne. Exakt dosierbar, benötigen sie wenig Handkraft bei bemerkenswerter Wirkung. Und sind immer in der Lage, eine wild gewordene Tiger, egal in welchem Beladungszustand, zu bändigen.
Fahrwerkstechnisch muss die Triumph selbst auf schlechten Wegen aller Art nicht gezähmt werden. Sänftenmäßig verrichten die Federelemente ihre Arbeit, vermitteln dem Fahrer ständig das Gefühl von Urlaub, entkoppeln ihn vollständig von der Fahrbahn, lassen ihn schweben. Doch wer es sportlicher angehen lässt, bekommt die Kehrseite der komfortablen Auslegung zu spüren. Während die mit progressiveren Federn bestückt Gabel bei der Präsentation (siehe MOTORRAD Heft 9/2001) noch einen straffen Eindruck hinterließ, stößt sie bei der harten Belastung im MOTORRAD-Top-Test an ihre Grenzen. Sie taucht beim Bremsen immer noch zu tief ein, geht des öfteren spürbar auf Block, gibt dem Fahrer wenig Rückmeldung über die Bodenbeschaffenheit. Und ist bei starkem Bremsen für ein stempelndes Vorderrad verantwortlich. Hinzu gesellt sich wie beim alten Modell schon ein unterdämpftes Federbein, das auf welliger Fahrbahn Nachschwingen provoziert und dadurch Unruhe ins Fahrwerk bringt. Daran ändert auch das Zudrehen der Zugstufendämpfung bis zum Anschlag nichts. Und das Vorspannen der Feder führt lediglich dazu, dass die Tiger über keinen Negativfederweg mehr verfügt, das Hinterrad beginnt zu stempeln. Wie gesagt bei sportlicher Fahrweise, nicht bei gemütlichen Cruisen oder zügigen Kurven surfen.
Bei solcher Gangart zeigt sich die Tiger trotz ihres Komfortfahrwerks überraschend stabil. Sie bietet durch die sehr hoch angebrachten Fußrasten viel Schräglagenfreiheit, neigt in engen Kehren allerdings dazu, einen größeren Radius fahren zu wollen als ursprünglich angepeilt. Die wenig exakte Lenkpräzision der Maschine vereitelt ein sauberes Einlenken, beim Herausbeschleunigen gerät der Radius oft größer als beabsichtigt. Da muss manchmal korrigiert werden.
Der Geradeausalauf hingegen ist gut, erst oberhalb von 180 km/h ist eine leichte Pendelneigung zu notieren. Angeregt wird dies meist durch Überfahren von Bodenwellen oder durch starke Windböen, die ihre Angriffspunkte am breiten Lenker und der damit verbundenen Spreizung der Arme finden. Hält man den Lenker lockerer, beruhigt sich die Tiger schnell wieder. Der Effekt ist mit montierten Koffern logischerweise stärker zu spüren.
Wobei wir beim Verreisen und Bepacken wären. Der rechte Koffer ist aufgrund der Aussparung für den Schalldämpfer zerklüftet, große Teile wie Schuhe oder Schlafsack finden nur im linken Platz. Campinggepäck lässt sich nur mit Hilfe einer sehr großen Gepäckrolle verstauen. Für die ist der Gepäckträger leider etwas klein ausgefallen. Oder vielleicht doch nicht fünf Kilogramm darf er, laut Triumph-Angabe, nur tragen. Sechs sind pro Koffer erlaubt. Macht zusammen 17 Kilogramm Gepäck. Wenn man sich an die Vorgaben des Herstellers hält.
Ist erst mal alles verstaut, wird es ernst. Beladen sinkt die Tiger trotz maximal vorgespannten Federbeins tief ein, das Aufbocken auf den Hauptständer artet zum Kraftakt aus. Falls schwergewichtige Piloten die Fuhre gemeinsam mit Beifahrer an den Rand ihres zulässigen Gesamtgewichtes von 485 Kilogramm bringen, dann gleicht die Fahrt in den Urlaub dem Schaukeln eines Bootes bei leichten Seegang. Gabel und Federbein sind unweigerlich überfordert.
Trotzdem ist die Tiger ein gutmütiger Begleiter für Alltag und Reise. Ist aufgrund der enormen Schräglagenfreiheit und des griffigen Metzeler Tourance ein wunderbarer Kurvenräuber, würdigt den Blick in die gut positionierten Rückspiegel mit einwandfreier Sicht. Die Armaturen sind, bis auf die Uhr, gut sicht- und ablesbar, der Blinkerschalter sehr gut bedienbar. Die Handprotektoren wirken zwar wie aus einer Plastikflasche geschnitten, schützen die Hände aber effektiv vor Regen und Fahrtwind. Das trifft auf die Verkleidungsscheibe nicht zu. Den Oberkörper des Fahrers streift der Wind, den die kleine Scheibe vorbeilässt, sie selbst sorgt für Verwirbelungen im Helmbereich.
Bleibt unterm Strich die Erkenntnis, dass Tiger sanftmütig und menschenfreundlich sein können. Sie lieben mitunter die gemächliche Gangart, mögen es lieber mild statt wild. Zumindest die englischen.
Fazit
Die Tiger ist und bleibt ein gutmütiger, zuverlässiger und komfortabler Reisebegleiter. Das früher anstehende Drehmoment und die Leistungssteigerung werten den Motor gegenüber seinem Vorgänger auf. Allerdings könnte die Fahrwerksabstimmung straffer, die Beladungsmöglichkeit etwas großzügiger ausfallen.
Daten
Motor: Wassergekühlter Dreizylinder-Viertakt-Reihenmotor, eine Ausgleichswelle, zwei obenliegende, kettengetriebene Nockenwellen, vier Ventile pro Zylinder, Tassenstößel, Nasssumpfschmierung, elektronische Saugrohreinspritzung, Ø 41 mm, digitales Motormanagement, geregelter Katalysator, E-Starter, Drehstromlichtmaschine 480 W, Batterie 12 V/14 Ah.Bohrung x Hub 79 x 65 mmHubraum 956 cm³Verdichtungsverhältnis 11,7 : 1.Nennleistung (ECE) 72 kW (98 PS) bei 8200/minMax. Drehmoment 95 Nm (9,7 kpm) bei 6200/minKraftübertragung: Primärantrieb über Zahnräder, mechanisch betätigte Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Sechsganggetriebe, X-Ring-Kette, Sekundärübersetzung 46:18.Fahrwerk: Brückenrahmen aus Stahlprofilen, Motor mittragend, Telegabel, Standrohrdurchmesser 43 mm, Zweiarmschwinge aus Aluprofilen, Zentralfederbein direkt angelenkt, verstellbare Federbasis und Zugstufendämpfung, Doppelscheibenbremse vorn, Doppelkolbensättel, Ø 310 mm, Scheibenbremse hinten Doppelkolbensattel, Ø 285 mm.Speichenräder 2.50 x 19; 4.25 x 17Reifen 110/80 V 19; 150/70 V 17Fahrwerksdaten: Radstand 1550 mm, Lenkkopfwinkel 62 Grad, Nachlauf 92 mm, Federweg v/h 230/200 mm.Service-DatenService-Intervalle alle 10 000 kmÖl- und Filterwechsel alle 10 000 km /4,0 lMotoröl Vollsynthetisch SAE 10 W 40Telegabelöl SAE 10 WZündkerzen DPR 8 EA-9Kette 5/8 x 3/8, 114 RollenLeerlaufdrehzahl 1000±50/minVentilspiel Ein-/Auslass 0,10-0,15/0,15-0,20 mmReifenluftdruck Solo (mit Sozius)vorn/hinten 2,5/2,9 (2,5/2,9) barGarantie zwei Jahre ohne KilometerbegrenzungFarben Schwarz, GrünPreis inkl. MwSt. 19 990 MarkNebenkosten 470 Mark
Messungen
Fahrleistungen1HöchstgeschwindigkeitSolo (mit Sozius) 204 (195) km/hBeschleunigung Solo (mit Sozius)0-100 km/h 3,6 (4,6) sek0-140 km/h 6,4 (8,9) sek0-180 km/h 12,0 (19,9) sekDurchzug Solo (mit Sozius)60-100 km/h 4,6 (6,1) sek100-140 km/h 4,5 (5,7) sek140-180 km/h 7,1 (8,1) sekTachometerabweichung Anzeige/effektiv 50/50, 100/100, 208/204 km/hKraftstoffart SuperVerbrauch im Testbei 100 km/h 4,7 l/100 kmbei 160 km/h 8,1 l/100 kmLandstraße 4,9 l/100 kmTheor. Reichweite 489 kmMaße und GewichteL/B/H 2250/880/1400 mmSitzhöhe 850 mmWendekreis 5520 mmGewicht vollgetankt 256 kgZulässiges Gesamtgewicht* 485 kgZuladung 229 kgRadlastverteilung v/h 47/53 %Tankinhalt/Reserve* 24/3 Liter1 Messbedingungen: Temperatur 8 Grad, schwacher Seitenwind ; Messort Jagsttal;2 Leistung an der Kupplung, Dynojet-Rollenprüfstand 150, korrigiert nach ECE. Maximal mögliche Abweichung ± 5 %.* HerstellerangabenMOTORRAD-MessewerteBremsen und FahrdynamikBremsmessungenBremsweg aus 100 km/h 39,6 mMittlere Bremsverzögerung 9,7 m/s²Bemerkungen: Zu Beginn der Bremsung störender Leerweg bei Betätigung der Vorderradbremse, sehr gute Dosierbarkeit und Wirkung, Gabel geht früh auf Block, Vorderrad beginnt zu stempeln.Handling Parcours I (enge Bögen)Beste Rundenzeit 21,3 sekvmax am Messpunkt 105 km/hBemerkungen: Relativ schnelle Rundenzeiten möglich, durch breiten Lenker geringe Lenkkräfte nötig, allerdings starkes Aufschaukeln aufgrund des weichen FahrwerksHandling Parcours II (weite Bögen)Beste Rundenzeit 28,9 sekvmax am Messpunkt 54,8 km/hBemerkungen: Fahrzeug bleibt relativ stabil, neigt jedoch am engen Umkehrpunkt dazu, einen größeren Radius zu fahren als angepeilt, große SchräglagenfreiheitKreisbahn O 46 MeterBeste Rundenzeit 11,4 sekvmax am Messpunkt 52,8 km/hBemerkungen: Nahezu keine Aufstellneigung beim Bremsen durch 19-Zoll-Rad, gute Stabilität beim Überfahren von Bodenwellen jedoch leichtes Aufschaukeln der Maschine
Änderungen im Detail
Motor- Hubraumerweiterung von 885 auf 956 cm³ durch drei Millimeter größere Bohrung- Erhöhung der Verdichtung auf 11,7 : 1- Anhebung des Drehmoments und Verbesserung des Drehmomentverlaufs- Spitzenleistung von 83 auf 98 PS erhöht- geringere mechanische Geräusche des Motors durch optimierte Fertigung- Verlegung des Ölkühlers in die Fahrzeugmitte- neues Interferenzrohr zwischen den Krümmern - kein Vorschalldämpfer mehr, drei Einzelkatalysatoren in den KrümmernGetriebe- Überarbeiteter Schaltklauenmechanismus soll die Rastung der Gänge erleichtern und präzisieren- Änderung der Sekundärübersetzung auf 46:18Fahrwerk- Reifen Metzeler Tourance, Enduro 4, Geschwindigkeitsindex V- progressivere Federn in Verbindung mit einem höheren Gabelölstand sollen dem starken Abtauchen der Front beim Bremsen entgegenwirkenAusstattung- geänderter Aluminium-Motorschutz