Hunde, die bellen, beißen nicht. Sagt man ja sprichwörtlich. Der eine oder andere Postbote schüttelt da protestierend den Kopf. So eine muskulöse Briefträger-Wade taugt halt prima als Kauknochen. Hauskatzen jagen einem da bekanntermaßen weniger Schrecken ein, auch wenn der schmusige Vierbeiner an schlechten Tagen mal die Krallen ausfährt. Was das mit der Triumph Tiger 1200 zu tun hat, die in der höchsten und edelsten Ausstattungsstufe XCA zum MOTORRAD-Top-Test anrollt? Nun, einiges. Denn diese Triumph Tiger 1200 XCA faucht unnachahmlich heiser aus ihrem Drillings-Triebwerk, unterstützt den Jagdtrieb des Piloten mit merklich verbesserter Stabilität, lässt nie einen Zweifel daran aufkommen, ihrem Fahrer zur Seite zu stehen und jegliche Eskapade zu unterbinden.
Zwölf Kilogramm leichter
Schon nach den ersten Metern auf der kräftig renovierten Reiseenduro fühlt man sich pudelwohl, sitzt relaxt, genießt die gute Übersicht und die feine Balance der Engländerin, die im vollen Ornat ein Loch von gut 20.000 Euro in den Kontoauszug brennt. Dafür wärmt die Katze jedoch Fahrer und Beifahrer nicht nur den Popo, sondern bietet ein umfassenderes Wellnesspaket an. Die Triumph Tiger 1200 XCA macht eben auf Wohlstandskatze. Doch der Reihe nach! Zunächst mal hat die Tiger 1200 nicht nur ihren Beinamen Explorer in der Bezeichnung verloren, sondern auch zwölf Kilogramm Gewicht. Die Triumph-Ingenieure hatten es einst gut gemeint, doch wohlgenährte 284 Kilogramm waren und bleiben für eine Reiseenduro einfach zu viel. Respekt dafür, dass das Gewicht bei gleichzeitig verbesserter Ausstattung reduziert wurde. Das gilt vor allem deshalb, weil an den Grundfesten des Bikes (Motor, Rahmen, Kardan, Fahrwerk) nicht radikal gerüttelt wurde.

Stolze 272 Kilogramm drückt die Triumph Tiger 1200 XCA noch auf die Waage. Als Spargeltarzan geht sie folglich nicht durch. Beim Rangieren, beim Hin- und Herschieben auf dem Hof oder beim Aufbocken auf den serienmäßigen Hauptständer sollte die eigene Muskulatur gut ausgebildet sein. Wer nicht bei der Sache ist, legt sich ruckzuck zur Tiger in den Dreck. Außerdem trägt das Bike mit dem neuen, hervorragend zu bedienenden und solide verarbeiteten Gepäcksystem weitere 13,4 Kilogramm mit sich herum – ohne Zuladung von je fünf Kilogramm versteht sich. Die schwingend gelagerten Koffer lassen sich kinderleicht über zwei Haltenasen in den entsprechenden Vorrichtungen am Heck montieren, sind wasserdicht und fassen sogar einen großen Endurohelm samt Sonnenschirm. Sie gehören bei der XCA leider nicht zur Serienausstattung, der leichtere Arrow-Endtopf hingegen schon, der einen Teil zur Gewichtsreduktion der neuen Tiger beigetragen haben dürfte.
Sehr komfortable Sitzposition
Wer auf der Triumph Tiger 1200 XCA Platz nimmt, bemerkt sofort den nun stärker zum Fahrer gekröpften Lenker. Er erleichtert das Manövrieren bei niedrigen Geschwindigkeiten und am Lenkanschlag erheblich, ermöglicht auch Personen ohne meterlange Extremitäten einen spielerischen Umgang. Spielerisch? Ja, in der Tat verliert das Bike mit dem Losrollen spontan an Hüftspeck, schon ab Schrittgeschwindigkeit dirigiert man die Reiseenduro präzise und ohne großen Körpereinsatz. Auf Wunsch kommt der Lenker dem Fahrer durch ein Umdrehen der Klemmblöcke sogar weitere 20 Millimeter entgegen. Super! Die zweigeteilte Sitzbank wurde ebenfalls überarbeitet. Im direkten Vergleich mit dem Vorjahresmodell fällt das aber nicht sofort auf. Ist auch egal, denn nach gut acht Stunden im (um 20 Millimeter höhenverstellbaren) Sattel gibt es keine Schmerzen am Hintern zu beklagen. Auch der Rest des Körpers fühlt sich erstaunlich frisch an. Und darum geht es ja am Ende.

Die opulenten Platzverhältnisse bringen kleine wie große Personen höchst komfortabel unter. Dank entspanntem Kniewinkel und aufrechter Sitzposition dübelt man lässig die 750 Kilometer von Stuttgart nach Schleswig-Holstein zum Kaffeekränzchen des Ex-Kollegen. Die große, elektrisch verstellbare Scheibe liefert dabei guten, wenn auch nicht perfekten Windschutz. Bei einer Fahrergröße von 1,78 Metern verschwinden auf der Autobahn (unabhängig vom getragenen Helm) die Turbulenzen in der Kopfregion erst, nachdem man die Sitzbank auf die niedrigste und die Scheibe auf die höchste Stufe gestellt hat. Für lange Autobahnetappen ein entscheidendes Kriterium! Kenner bemerken, dass die veränderten Motorschutzbügel nun auf die weit nach oben gezogenen Profile verzichten, was nicht nur Gewicht einspart, sondern vor allem auch dem Schienbein des Fahrers mehr Bewegungsfreiheit zuerkennt. Kurzum: Wer auf der neuen Triumph Tiger 1200 XCA Platz nimmt, steigt so schnell nicht wieder ab.
Motor hat Grundtugenden bewahrt
Von der Kommandozentrale aus klingt der Triple schon im Stand herzerwärmend. Seidenweich hängt das an Schwungmasse abgespeckte Aggregat am Kabel, spricht selbst im Sport-Mapping spontan, aber nie ruppig an. Dazu faucht es herrlich heiser aus der Airbox, kein lautstarkes Sirren aus dem Primärtrieb wie bei früheren Dreizylinder-Triebwerken aus Hinckley stört den einmaligen Sound. Trotz Überarbeitung hat der Motor dabei seine Grundtugenden bewahrt: tadelloses Hochdrehen aus niedrigsten Drehzahlen heraus, nur minimale Vibrationen, eine schöne, kräftige Mitte und ein nun befreiteres Ausdrehen. Zwischen 2.000 und 3.000 Touren schiebt die Triumph Tiger 1200 XCA engagiert voran, gönnt sich dann eine kleine Gedenksekunde, bis der Druck zulegt und zwischen 4.000 und 8.000 Umdrehungen auf konstantem Niveau bleibt.

Gut zu wissen: Triumph begrenzt im fünften und sechsten Gang die Drehzahl. Nur in den ersten vier Gangstufen erreicht man bei einer Drehzahl von 9.000 die Spitzenleistung. Der Motor der Triumph Tiger 1200 XCA zeigt dabei jederzeit beste Manieren, kann zornig ausgezwirbelt, aber auch untertourig zahm bewegt werden. Zweifelsfrei ein klasse Triebwerk, das ganz dem Klischee entspricht, einen feinen Kompromiss aus Reisen, Touring und Sport zu bieten. Doch einen faden Beigeschmack hat das Ganze. Ein kurzer Rückblick: Schon die Vorgängerin, Modelljahr 2016, sollte um zwei PS von damals 137 auf 139 zulegen.
Was zeigt der Prüfstand?
Der Prüfstandslauf zeigte jedoch keine wirkliche Leistungszunahme. Der Triple drückte maximal 131 PS und 112 Newtonmeter auf die Kurbelwelle, das Modelljahr 2015 leistete 130 PS und 116 Newtonmeter. Mit der jetzigen Überarbeitung gibt der Hersteller eine weitere Zunahme der Spitzenleistung auf 141 PS an. Und der bekanntermaßen sehr exakt messende Prüfstand von MOTORRAD offenbart erneut: Die gemessene Leistung liegt bei nur 129,5 PS, die Drehmomentkurve verläuft gar nochmals unterhalb des Vorjahresmodells. Dass man dem Kunden gut 11 PS und satte 13 Newtonmeter mehr verspricht, als der Motor leistet, passt nicht in die ansonsten tadellose Vorstellung der Triumph Tiger 1200 XCA und löst wohl bei so manchem (potenziellen) Kunden Stirnrunzeln aus.

Im Fahrbetrieb spürt man die Unterschiede zwischen dem alten und dem neuen Motor zwar, groß fallen sie jedoch nicht aus. Das Vorjahrestriebwerk tritt untenrum spürbar direkter an, das neue dreht dafür etwas beherzter bis in den Drehzahlbegrenzer. Das war es eigentlich schon. Einen echten Fortschritt kann man dem gut abgestuften Sechsganggetriebe der Triumph Tiger 1200 XCA attestieren. Es besitzt jetzt einen Schaltautomaten, der den Kupplungseinsatz weitestgehend überflüssig macht. Die Gänge rasten zudem auch insgesamt exakter ein. Weitere Optimierung: Die augenscheinlich unveränderte Bremsanlage liefert nicht nur Top-Verzögerungswerte und ein gut und sicher abgestimmtes Kurven-ABS, im Vergleich zur Vorgängerin benötigt man auch weniger Handkraft bei deutlich besserer Dosierbarkeit. Zwei-Finger-Bremser kommen hier voll auf ihre Kosten. Und alle Freunde der Schräglagen-Kunst ebenfalls.
Fahrabstimmung rundum gelungen
Die minimalen Änderungen in der Geometrie (Nachlauf 1 mm länger, Lenkkopfwinkel 0,1 Grad flacher) wirken sich zusammen mit den geringeren (rotierenden) Massen vorteilhaft auf das Handling und die Stabilität in Kurven aus. Angenehm neutral lenkt die mit Metzeler Tourance Next bereifte Triumph Tiger 1200 XCA ein, lässt sich ohne viel Kraft am Lenkerende von der Links- in die kommende Rechtskurve umwerfen. Anders als bei der Vorgängerin reagiert die Gabel beim späten Ankern und Einlenken nicht stur und bockig und verhagelt die Linie, sondern hält die Tiger zielstrebig auf Kurs, sogar unbeeindruckt von Bodenwellen.

Das Fahrwerk lässt sich über den Joystick am linken Lenkerende schnell, einfach und auch während der Fahrt in neun Stufen von komfortabel bis sportlich einstellen. Sowohl die Zug- als auch die Druckstufendämpfung reagieren prompt. Wählt man die straffste Einstellung, liegt die Triumph Tiger 1200 XCA sportlich-satt auf der Straße, im komfortabelsten Modus gautscht es hingegen kräftig. Dafür dringen kaum noch Stöße bis zum Fahrer durch. Die goldene Mitte befindet sich logischerweise dazwischen. Die Fahrwerksabstimmung ist Triumph rundum gelungen. Mit der Neuen ist man weniger angestrengt flott unterwegs. Modell-Update gelungen!
Ein treuer Begleiter für alle Lebenslagen
Das gilt gleichermaßen für die Menüführung und die Bedienung des jederzeit hervorragend ablesbaren und in der Neigung verstellbaren Fünf-Zoll-TFT-Displays. Die sechs Mappings (Road, Rain, Sport, Offroad, Offroad-Pro und ein Individualmapping) variieren die Sensibilität der Traktionskontrolle, den Einsatz des ABS, die Gasannahme und die Dämpfungscharakteristik. Die Voreinstellungen können sogar nach individuellen Vorlieben angepasst werden, die Dämpfung – wie beschrieben – auch während der Fahrt. Vollautomatisch nivelliert sich hingegen die Vorspannung des WP-Federbeins. Wie bisher überwacht ein Potenziometer den Beladungszustand und justiert den Monoshock entsprechend. Bei einem Ausflug ins Gelände erkennt die Elektronik der Triumph Tiger 1200 XCA die veränderten Bedingungen in Millisekunden und passt daraufhin auch die Zug- und Druckstufendämpfung an.

Dass die multifunktional einsetzbare Triumph Tiger 1200 XCA daneben noch Schmankerl wie einen erfreulich simpel zu bedienenden Tempomaten besitzt, am steilen Berg den Fahrer mit einer Anfahrhilfe unterstützt, selbstredend vorne wie hinten eine Zwölf-Volt-Bordsteckdose parat hält und unter dem Soziussitz einen USB-Port, versteht sich in dieser Preisklasse so gut wie von selbst. Das neue LED-Licht verfügt über eine Kurvenfunktion, in Schräglage schalten sich nach und nach zusätzliche LEDs ein, um die Fahrbahn besser auszuleuchten. Und im Übrigen: Die Schräglagenfreiheit fällt für eine Reiseenduro groß aus, die Pneus verbeißen sich auch bei einstelligen Temperaturen sicher mit dem Asphalt und stellen sich beim Bremsen in Schräglage kaum auf. Gänzlich unauffällig zeigt sich auch der akustisch kaum wahrnehmbare, mächtige Kardanantrieb. Ausschließlich bei niedrigsten Drehzahlen und provozierten Lastwechseln hört man es im Antriebsstrang ein wenig poltern. Ansonsten tut die Tiger stets das, was der Fahrer ihr vorgibt, überrascht mit sportlicher Dynamik und hohem Komfort, ohne jemals dem Fahrer gegenüber die Krallen auszufahren. Kein Raubtier also, sondern ein treuer Begleiter für alle Lebenslagen.
MOTORRAD-Fazit
Die Tiger 1200 XCA ist die beste Reiseenduro, die Triumph je gebaut hat. Sie schnurrt auf Reisen, faucht auf der Jagd und reagiert selbst in Extremsituationen kontrolliert und gutmütig. Die teilweise unscheinbaren Änderungen machen sie sportlicher, ohne dabei an Komfort zu verlieren. Die Überarbeitung macht die Triumph Tiger 1200 XCA nicht zum Raubtier, sondern zum verlässlichen Begleiter in allen Lebenslagen.
Die Konkurrenz
BMW R 1200 GS
Zweizylinder-Boxermotor, 125 PS, Gewicht: 251 kg, 0–100 km/h: 3,6 sek, Vmax: 219 km/h, Verbrauch: 4,8 Liter, 15.660 Euro*
Honda Crosstourer
Vierzylinder-V-Motor, 129 PS, Gewicht: 283 kg, 0–100 km/h: 3,6 sek, Vmax: 209 km/h, Verbrauch: 5,6 Liter, 15.490 Euro*
Yamaha XT 1200 ZE Super Ténéré
Zweizylinder-Reihenmotor, 112 PS, Gewicht: 271 kg, 0–100 km/h: 3,7 sek, Vmax: 210 km/h, Verbrauch: 5,1 Liter, 16.180 Euro*
*inkl. Nebenkosten