Was den Motorradfahrer ganz und gar nicht erfreut, der hiesige Winter, hat für den Motorradtester durchaus positive Seiten: Endlich gibt es die vielen, leckeren Neuigkeiten zum Testen, und wegen der widrigen klimatischen Bedingungen schickt der Chef die Mannschaft regelmäßig in südliche Gefilde. Dahin, wo sich neben sonnigem Fotowetter die schärfsten Enduro-Paradiese finden. Etwa Südfrankreich, im Gebiet Haute Ardèche, wo in der Nähe von Annonay das vom ehemaligen Enduro- und Trial-Profi Albert Addesso betriebene, mehr als 500 Hektar große Enduro-Gelände A2O (www.a2o.fr) auf Gäste wartet. Offroadfans vom Anfänger bis zum Profi finden hier grandiose Möglichkeiten, sowohl mit eigenen wie auch geliehenen Maschinen. Ein ideales Testgelände, um Sportenduros vom Schlage der Gas Gas oder Cannondale unter härtesten Bedingungen auf den Zahn zu fühlen. Bei diesem Vergleich mit dabei: Richard Angot, kampferprobter Tester der französischen Schwesterzeitschrift Moto Crampons, der die 450er-Gas Gas vom französischen Importeur organisierte, nachdem dessen deutscher Kollege seine Maschine nicht zur Verfügung stellen konnte.
Eines haben die ungleichen Kandidaten gemeinsam: Die Gemischaufbereitung erledigt statt des üblichen Vergasers eine elektronisch gesteuerte Einspritzanlage (siehe Kasten Seite 55). Cannondale, bis dato Fahrradspezialist, begann bereits 1998 mit der Entwicklung einer Hightech-Enduro, deren Motor mit dem ungewöhnlichen, umgedrehten Zylinderkopf von Anfang an für Einspritzanlagen konzipiert war. Aber die kapriziöse Maschine litt an so vielen Kinderkrankheiten, dass sie erst gar nicht in den Export kam, in den USA befanden sich die verkauften Exemplare hauptsächlich für Umrüstmaßnahmen im Werk. Das Projekt stand auf der Kippe, lief erst im letzten Jahr weiter, nachdem neues Geld in die Firma gepumpt wurde. Kürzlich wurde ein überarbeitetes Modell präsentiert (MOTORAD 19/2002), das zum eher abschreckenden Preis von 10600 Euro nun nach Europa kommt.
Gas Gas hat einen völlig anderen Hintergrund. Die Spanier sind im Gegensatz zu den Amis keine Branchenneulinge, sondern schon seit vielen Jahren im Offroad-Geschäft. Bis vor kurzem ausschließlich mit Zweitaktern, doch der Trend zum Viertakter zwingt auch kleine Trial- und Enduro-Spezialisten zum Umdenken. Der hauseigene Viertaktmotor debütierte vor zwei Jahren als 400er, wurde nun passend für das neue Reglement aufgebohrt. Er ist eine komplette Eigenentwicklung, die sich äußerlich und technisch mit dem dohc-Kopf stark am Suzuki-DR-400-Triebwerk orientiert. Auch die FSE ist mit rund 8000 Euro kein Sonderangebot, aber preislich im Rahmen.
Die Motorräder stehen also bereit, aber wo ist das erhoffte, sonnige Foto- und Testwetter? Auf den Bergkuppen oberhalb des Testareals liegt Schnee, es weht ein eisiger Wind. Selbst gegen Mittag bleibt es zappenduster. Der Fotograf wird nervös, da hätte man ja auch in Deutschland bleiben können. Doch wo, bitte schön, gibt es da solch herrliche Endurostrecken? Also: Gentlemen, start your engines. Was gleich einmal Probleme aufwirft: Die Cannondale orgelt mühsam durch, springt schließlich gnädigerweise gerade eben noch an. Die Gas Gas lässt sich gar nicht zum Leben erwecken, weder per E- noch Kickstarter. Erst ein Starthilfekabel spendet den nötigen Strom. Also kein Ruhmesblatt für die Entwickler, gerade solch widrige Bedingungen sollte eine Einspritzung besser bewältigen.
Die Cannondale rasselt und klappert, läuft auch warm ausgesprochen holperig. Sie braucht daher eine relativ hohe Standgas-Drehzahl. Trotzdem stirbt der Motor im Gelände häufig ab, patsch, immer genau zum falschen Zeitpunkt. Und die Amerikanerin verweigert dann hartnäckig den Dienst. Das Warmstartverhalten ist so miserabel wie der Kaltstart der Gas Gas: Da die Drosselklappe eben wegen des hohen Standgas bereits einen Spalt offen steht, schafft es der Anlasser kaum, die Kurbelwelle durchzudrehen. Gas geben darf man während des Anlassvorgangs sowieso nicht. Schon nach ein paar Sekunden ist die Batterie am Ende. Wer Glück hat, steht am Hang, nach kurzem Rollweg springt die 440er immer sofort an. Wer auf der Ebene steht, muss mangels Kickstarter Hilfe in Form von kräftigem Schiebepersonal oder einem Überbrückungskabel bemühen.
Wenn sie nach dem Kaltstart erst einmal läuft, kennt die Gas Gas solche Probleme nicht. Warm springt sie jederzeit problemlos an, tuckert dann mit solidem Standgas rund und gesund vor sich hin. Vor allem plagt sie im Gegensatz zur Cannondale nicht der Schluckauf, im glibbrigen Bachbett arbeitet sie sich mit niedrigsten Drehzahlen tapfer durch. Reichlich Schwungmasse sorgt für optimale Traktion, die man zum Beispiel an der neuen 450er-KTM in haarigen Situationen vermisst. Sicher ist die KTM aggressiver, spritziger und stärker, aber die Gas Gas setzt ihre Leistung optimal um, ist in schwerem Gelände leicht zu zähmen. Die Cannondale-Leistungskurve auf dem Papier ist kaum, die Entfaltung in der Paxis hingegen deutlich schlechter. Es fehlt an Geschmeidigkeit, der Motor hängt nicht direkt am Gas. Oben heraus dreht er ganz ordentlich, wirkt jedoch in allen Bereichen unwilliger als der der Gas Gas-Antrieb.
Auch beim Chassis beschreiten die beiden Einspritzer verschiedene Wege. Gas Gas setzt auf einen Perimeter-Rahmen aus rechteckigen Stahlrohren, Cannondale auf einen Brückenrahmen mit kräftigen Aluminium-Profilen. Beide machen im Fahrbetrieb einen außerordentlich stabilen Eindruck. Der Geradeauslauf ist bei hohen Geschwindigkeiten tadellos, Lenkerflattern ein Fremdwort. Große Unterschiede gibt es hingegen beim Lenkverhalten. Die Gas Gas verhält sich nicht anders als von den Zweitaktern gewohnt. Sie liegt ausgesprochen neutral, schiebt weder übers Vorderrad, noch kippt sie in die Kurven hinein. Zielgenau lässt sie sich auf holprigem Terrain und schmalen Pfaden in den Wäldern um Steine und andere Hindernisse bugsieren. Nur bei brutaler Fahrweise auf den Spezialtests der Endurostrecke fällt auf, dass ihr etwa im Vergleich zu Yamaha, Husaberg oder KTM doch ein wenig Spritzigkeit und Wendigkeit fehlt.
Ganz anders die Cannondale: Sie braucht zur Führung eine eisenharte Hand, will einfach nicht den angepeilten Spuren folgen, schiebt gern über die Kurven hinaus. Da kommt kaum Spaß auf, nur mit äußerster Konzentration und sehr viel Körpereinsatz kann der Cannondale-Pilot der Gas Gas halbwegs folgen. Was zum großen Teil auch an der Fahrwerksabstimmung liegt. Die Gas Gas-Abstimmung ist für Hardcore-Einsätze optimal präpariert, spricht butterweich auf jeden kleinen Stein an und schlägt sogar dann nicht durch, wenn man einmal ein derbes Loch übersehen hat. Die ungewöhnliche Kombination von Öhlins-Federbein und Marzocchi-Gabel harmoniert prächtig. Die Amis setzen dagegen komplett auf Öhlins, prinzipiell sicher keine schlechte Wahl. Aber es hapert an der endurogemäßen Feinabstimmung. Besonders die Gabel missfällt durch unsensibles Ansprechverhalten. Damit lässt sich bei crosstypischem Einsatz vielleicht noch einigermaßen leben, beim Enduro ist mehr Sensibilität gefragt. So hoppelt die Cannondale durch das Bachbett, den Fahrer beschäftigt stärker der Kampf mehr mit der Maschine als mit dem Gelände.
Fazit: Überlegen ist die Einspritzung den Vergasern noch nicht. Aber während Gas Gas die Technik bereits recht gut im Griff hat, müssen die Amis an ihrem Motorrad noch kräftig herumfeilen.
Offroad-Einspritzungen
In gar nicht so ferner Zukunft zwingen verschärfte Emissionsvorschriften auch die Hersteller von Viertakt-Enduros, ihre Maschinen auf Einspritzung umzurüsten.
In einigen Jahren blüht den Zweitaktern das Ende. Aber Viertakter haben an der ab 2006 greifenden, verschärften Euro-3-Norm ebenfalls zu knapsen, Neumaschinen müssen dann zwangsläufig per Einspritzung befeuert werden. Einzige Ausnahme: Kleinserienhersteller dürfen maximal 5000 Exemplare pro Modell europaweit noch bis 2008 homologieren. Für moderne Straßenmaschinen ist Euro 3 dank Einspritzanlagen kein großes Problem, selbst nur mit ungeregeltem Kat und Sekundärluftsystem (SLS) meistern einige aktuelle Modelle bereits die Abgashürden. Die Enduro-Einzylinder schaffen dies im derzeitigen Trimm keinesfalls, weil sie üblicherweise Vergaser besitzen, zudem bislang auf eine Abgasreinigung verzichten. Außerdem verhalten sich die großen Hubräume der Einzylinder bei der Verbrennung problematischer. Selbst wenn es noch in paar Jährchen dauert: Betroffen sind dann zwangsläufig auch alle Hardenduros vom Schlage einer EXC-Racing-KTM oder WR-F-Yamaha. Für die großen Hersteller kein Grund zur Panik. Viele verfügen aus dem Straßenbereich über reichlich Erfahrung mit Einspritzungen, und überall laufen Einzylinder mit Einspritzung schon in der Erprobung. KTM experimentiert zum Beispiel bereits mit Einspritzanlagen sowohl an der neuen LC 4-Reihe, die für 2006 geplant ist, wie auch an den Racing-Viertaktern. Problematisch sind dabei die viel höheren Ansprüche an die Gemischaufbereitung von Offroad-Maschinen. Crosser und Enduros laufen mit ständigen Last- und Drehzahlwechseln, oft wird das Gas in Bruchteilen von Sekunden stakkatoartig geschlossen, kurz aufgerissen und gleich wieder zugedreht. Straßenmaschinen arbeiten dagegen eher quasistationär, die Gasstellung wird meist nicht im hektischen Rhythmus verändert. Moderne Vergaser erledigen ihren Job im Offroad-Bereich mit Bravour, lassen in Kombination mit dem Zündmanagement hinsichtlich Dosierbarkeit, Ansprechverhalten und Leistungsentfaltung kaum noch Wünsche offen. Vor allem haben sie einen breiten Einsatzbereich, stellen selbst unter nicht ganz optimalen Bedingungen ein akzeptables Gemisch bereit. Einspritzungen verhalten sich da viel heikler, wollen auf den Punkt genau abgestimmt werden. Cross-Maschinen, die keine Homologation brauchen, werden mit Sicherheit so lange ihre Vergaser behalten, bis irgendwann auch hier Druck gemacht würde. Was sich zur Zeit aber nicht abzeichnet, konsequenterweise müssten gleiche Vorschriften dann ebenso etwa für Rasenmäher gelten. Das bedeutet, dass sich die technische Differenz zwischen Enduros und Crossern in Zukunft vergrößern wird. Denn freiwillig würde momentan kaum ein Hersteller auf die komplizierteren und teureren Einspritzanlagen umschwenken, zumal die höheren Entwicklungskosten und den Hardware-Aufwand am Ende ohnehin der Kunde zahlen muss.Sicherlich haben Einspritzungen auch Vorzüge. Zum Beispiel lässt sich die Gemischzusammensetzung viel schneller und umfangreicher ändern, als irgendjemand am Vergaser Düsen wechseln kann. Aber die Änderung des Kennfelds, etwa beim Tuning eines Motors, erfordert mehr materiellen Aufwand für den Service. Die Händler oder Fahrer brauchen Computer, Testgeräte und vor allem die entsprechende Schulung. Genau das stellt für einen globalen Massenhersteller wie KTM oder Yamaha nicht unerhebliche Probleme dar. Ein kleiner Hersteller kann sicherlich flexibler agieren und reagieren.
Fazit: Gas Gas EC 450 FSE
Die Spanier gehen mit ihrer Sportenduro in eine andere Richtung als die meisten aktuellen 450er-Viertakter: weg vom verkappten Crosser, der vorrangig für brutalste Fahrweise auf präparierten Sonderprüfungen ausgelegt ist, hin zur klassischen Sportenduro für harte Geländetouren mit dem Schwerpunkt auf Fahrbarkeit. Das Konzept ist gelungen, kommt vor allem dem ambitionierten Offroad-Amateur entgegen. Nur Sport-Profis würden sich etwas weniger Gewicht und mehr Aggressivität wünschen. Die Einspritzung arbeitet unauffällig und braucht nur noch minimalen Feinschliff. Ansonsten wirkt die FSE ausgesprochen rund und solide verarbeitet.
Fazit: Cannondale E 440 R
Der Mut der Amis ist bewundernswert: Trauen sich als Fahrradspezialist ohne jegliche Erfahrung an eine mit Hightech-Features gespickte Enduro-Neuentwicklung. Auch im vierten Jahr wirkt die Maschine aber noch keineswegs ausgereift. Sicher ist Potenzial vorhanden, es hapert allerdings in vielen Details an Feinschliff. Einer dringenden Überarbeitung bedarf die Einspritzung, Start- und Ansprechverhalten sind verbesserungswürdig. Zudem braucht das Öhlins-Fahrwerk eine sanftere Auslegung, die Lenkung muss präzisiert werden. Und schließlich gibt es noch viele Kleinigkeiten in den Details, deren Funktion und Verarbeitung optimiert werden kann.