Das weltumspannende Netz aus Schotterpisten und Highways kennt bisher nur eine Herrscherin, die BMW R 1100 GS. Aber jetzt kommt Hondas Varadero.
Das weltumspannende Netz aus Schotterpisten und Highways kennt bisher nur eine Herrscherin, die BMW R 1100 GS. Aber jetzt kommt Hondas Varadero.
Ein normales Motorradleben kann ziemlich genau zwischen Brötchenholen und Weltreise pendeln. Am besten bewegen sich in diesem Spannungsfeld große, wirklich große Reise-Enduros: gar prächtige Fahrzeuge, gut gerüstet für alle Eventualitäten. Obendrein mit einer imperialen Aura versehen, die den Reiter garantiert mit einschließt: Wer Africa Twin fährt, hat«s nie weit bis zum Kongo. Wer seine Tiger korrekt parken kann, taugt auch für die Tropen, und die R 1100 GS markiert eh den Überflieger als solchen.
Es ist nur lückenhaft überliefert, was die Amis im einst mondänen kubanischen Badeort Varadero trieben, dürfte aber im Spannungsfeld von Cuba Libre und Hurerei gelegen haben. So gesehen eröffnet Hondas neue, gleichnamige Großenduro aufregende Assoziations-Horizonte, und in der Tat widmet sie sich dem Thema Reise-Enduro schon optisch auf eher dandyhafte Art. Nichts da mit pistentauglichen Drahtspeichenrädern oder Gummibälgen. Schluß mit dem herben Charme unverhüllter Motoren, her mit dezentem Zweifarb-Chic.
Doch es irrt, wer das alles unter Weichmacherei verbucht. Erstens brauchen die wenigsten Enduro-Fahrer irgendwelchen Rallye-Krempel. Und zweitens schmettert der knallige Varadero-Motor jeden diesbezüglichen Verdacht ab. Denn: Auf den mäßig, aber immerhin sichtbar profilierten Michelin T 66-Hinterreifen wirken 95 PS, abgegeben von einem aus dem Sportler VTR 1000 bekannten und gelinde überarbeiten V2.
95 PS, das schreckt sogar den Überflieger von BMW auf. In Nordspaniens Küstengebirge tritt die R 1100 GS, Klassenbeste und Stückzahlenkönigin, zum ersten MOTORRAD-Vergleich an. Zur Erinnerung: luft-/ölgekühlter 1100er Boxer mit Einspritzung, Längslenker-geführte Gabel vorn, Kardan in Paralever-Schwinge hinten. Alles vollgepackt mit dem ganzen Know-how des Erfinders wahrhaft großvolumiger Enduros und nominell 80 PS stark.
Freunde der Marke freilich goutieren längst die Boxer-typische Serienstreuung. Auch dieses Testexemplar stemmt wieder mal muntere 90 PS auf den Prüfstand. Die Fahrleistungen liegen also fast auf gleichem Niveau, lediglich beim Durchzug fährt der selbst im unteren Drehzahlbereich sehr spontane Honda-V vorneweg.
Etwas überraschender schon, daß der wassergekühlte 90-Grad-V-Twin auch einen Tick mehr Laufruhe bietet als der Boxer, den es beim Gasgeben unter 2500/min kurz schüttelt und der bei konstanten Drehzahlen nicht nur Konstantfahrruckeln produziert, sondern auch zarte Vibrationen in Fußrasten und Sitz einleitet. Marginalien, gewiß, aber in diesem Fall womöglich kaufentscheidend: hier glatte Perfektion, dort charmanter Maschinenbau.
Diesem Differenzierungsraster ordnen sich - sorry, es muß jetzt kommen - auch die Getriebe unter. Darüber täuscht nicht einmal die vergleichsweise gute Box dieser Test-BMW hinweg. Und Lastwechselreaktionen zeigt die von einer beinahe ungeschützten Kette angetriebene Honda ebenfalls weniger als die Kardan-bewährte GS. Aber genug der eher akademischen Betrachtungen. Hinein ins pralle Leben, und das mißt in Nordspanien maximal dreifuffzig Breite, schlängelt sich durch Olivenbaum-Terrassen und hört nie auf.
Kleine Landstraßen. Aus denen beide Motoren Tummelplätze machen. Hängen stets spontan am Gas, immer bereit, an die 100 Nm Drehmoment aus dem Ärmel zu schütteln. Beide überlassen es ganz dem Piloten, ob er zügig, aber bei mäßigen Drehzahlen dahinbollern oder bis hart an den roten Bereich und noch deutlich zügiger herumdreschen möchte. Souveränität in gehobener Form, hier zelebriert mit deutlich spürbarem Kick bei 4500/min, dort mit Gummiband-Effekt: Wann immer die Varadero durch ihre 42er Keihins mehr Gas kriegt, legt sie zu. Legt einfach immer weiter zu. Und auf der Autobahn tut sie das auch noch bei 180 im Fünften.
Was - zumindest abstrakt - selbst politisch völlig korrekte Enduristen freuen könnte, wenn da eben nicht das Wort Keihin gefallen wäre. Tatsächlich verbergen sich dahinter schnöde Gleichdruckvergaser, und das bedeutet: Auch diese Honda-Neuheit mogelt sich ohne geregelten Kat, nur mit dem Feigenblatt Sekundärluftsystem, unters Volk. Dabei lassen die Erfolge der BMW-Politik nur den Schluß zu, daß gerade in diesem Segment der Kat gewünscht und durchsetzungsfähig ist.
Auch ABS - wahlweise um 2000 Mark erhältlich und für Geländefahrt abschaltbar - bleibt BMW-exklusiv. Allerdings kontert die Varadero mit der Honda-Verbundbremse CBS. Selbige aktiviert stets hintere und vordere Bremse, auch beim Tritt auf das Pedal. Doch keine Panik, die Bremskräfte werden so geschickt verteilt, daß selbst auf losem Schotter keine außergewöhnliche Blockiergefahr besteht. Auf Asphalt zeigt sich die Dreischeiben-Anlage - schon bekannt vom noblen Tourensportler VFR - den 95 PS mehr als gewachsen. Dagegen verblassen sogar die Brembo-Zangen an der BMW-Doppelscheibe, zumal sie sich nicht ganz so gut dosieren lassen und wie bei der Honda über einen schwammigen Druckpunkt verfügen.
Auf noch höherem Niveau tragen die Fahrwerke ihren Streit aus. BMW setzt auf wieselflink, stabil und sportlich bei erstaunlich hohem Komfort. Honda kontert mit hochkomfortabel, flink und ebenfalls stabil bei erstaunlichem Sportsgeist. Zwei Welten? Nein, aber entscheidende Nuancen, denn die konkreten Rückmeldungen des BMW-Telelever gefallen dem aggressiven Kurvenräuber, der gerne das Mehr an Schräglagenfreiheit nutzt und sich freut, wie exakt dieses Riesenschiff Kurven aller Art umrundet. Der Tourist dagegen läßt sich vom Varadero-Komfort verwöhnen, der selbst unter Großtourern seinesgleichen sucht und - es sei zugegeben - gegen Ende eines anstrengenden Testtags auch MOTORRAD-Profis nachhaltig beeindruckte. Draufsetzen und wohlfühlen.
Selbiges gilt verstärkt für den Passagier, der - egal, ob groß oder eher klein - ein sehr akzeptables Plätzchen vorfindet. Er kann sich lässig über die Beine abstützen, an soliden Griffen festhalten und so selbst kühnstem Sturm und Drang trotzen. Der BMW-Sozius hat dann längst den Bauch des Fahrers umklammert, weil er keinen besseren Halt findet und seine Rasten etwas zu weit vorne liegen, um sich gescheit abstützen zu können. Dennoch - und damit keine Zweifel aufkommen: Auch auf den etwas strafferen Sitzen der BMW reist es sich first class.
Und wenn Fahrer und Sozius so richtig aneinander geschweißt sind, geht«s sogar noch einen Tick schneller als auf der Honda. Deren Gabel nämlich, die unter dem Solisten höchst sensibel anspricht und göttlich federt, sollte für flotte Fahrt unter hoher Zuladung eine Spur straffer dämpfen. Dann bliebe ein präziseres Gefühl fürs Lenken erhalten. Noch eine Nuance, aber bitte sehr: Irgendwie müssen sich auch zwei Spitzenprodukte bewerten lassen.
Erwartungsgemäß entscheidet sich der Vergleich nicht off road, weil selbst begnadete Könner bei 246 beziehungsweise 26x Kilogramm die leise Angst beschleicht. Wer«s respektvoll angeht, schafft mit beiden Motorrädern überraschend viel. Schwankt dabei aber immer zwischen Bummeltempo und Sitzen oder Normaltempo und Aufstehen. Dafür nämlich sind die fetten Tanks nicht geeignet. Unterm Strich kommt die wegen ihrer Zusatzausstattung schwerere BMW etwas besser weg: Sie hat einen tieferen Schwerpunkt, den kleineren Wendekreis, die niedrigere Sitzhöhe und den breiteren Lenker.
Leider ließ sich nicht ermitteln, wie sich die Varadero on oder auch off road mit dem Spezial-Gepäcksystem verhält. Es war für die erste in Deutschland ausgeteilte Testmaschine noch nicht lieferbar. Mehr darüber also in einem späteren Heft. Für den weitreisenden Solisten verbucht die BMW schon vom Augenschein her Vorteile, weil unter ihrem Soziussitz eine ebene Fläche zum Verzurren von Gepäck wartet. Die Varadero-Bank dagegen ist durchgängig.
Unter besagter Ladefläche steckt übrigens hübsch aufgeräumt und umfangreich das BMW-Bordwerkzeug. Inklusive Set für die Notreparatur der schlauchlosen Reifen. Dann gibt«s noch eine Steckdose. Oder Heizgriffe. Oder Warnblinkanlage. Und einen Hauptständer - und eigentlich hört fast jeder Vergleich mit einer BMW so oder so ähnlich auf, verdammt noch mal. Ganz besonders dieser, denn nirgends zählen derlei Details mehr als bei Reise-Enduros: Macht nicht erst die Anwesenheit einer Steckdose so richtig frei? Für die wilden Sachen jenseits von Cuba Libre.
Knapp geschlagen wegen Licht, Windschutz und dergleichen. Oder wegen Preis und Garantie. Das Konzept der GS bleibt dennoch so aktuell wie eh und je, setzt mit besseren Geländeeigenschaften, agilem Handling und sinnvollem Fernreise-Zubehör eher auf die Abenteurer unter den Reise-Enduristen. Den Alltag meistert diese BMW dann so nebenher. Nicht nur im Kreise anderer Stollenkräder, sondern auch innerhalb der BMW-Palette zählt die GS zur absoluten Spitze der Alleskönner.
Wer Schotterpisten eher zufällig befährt und sich auf Landstraßen nicht mit Superbikes messen will, für den bietet die Varadero ein wenig mehr. Mehr Leistung, mehr Perfektion, mehr Verkleidung. Vor allem mehr Komfort, denn diese Groß-Enduro füllt den Begriff sänftengleich mit neuem Inhalt. Und bleibt trotzdem ein blitzschnelles, fahraktives Motorrad. Schade, daß Honda sich um das Thema Kat herummogelt, zumal die Varadero auch für ein paar Hunderter mehr Erfolg hätte.