Vergleichstest Allrounder: Cagiva Navigator, Honda XL 650 V Transalp, Yamaha TDM 850

Vergleichstest Allrounder: Cagiva Navigator, Honda XL 650 V Transalp, Yamaha TDM 850 Die Sehfahrer

Draufsetzen, Anlassen, Abfahren. Egal, ob kurze Rundfahrt oder großer Törn, diese Zweizylinder-Allrounder sind für jeden Trip zu haben.

Jetzt ist es amtlich: Der Sommer ist rum, der Herbst am Ruder. Doch längst kein Grund, in Depression zu verfallen. Schließlich begrüßt die dritte Jahreszeit aufmerksame Genussmenschen mit dem Duft gemähter Wiesen, dem erdigen Aroma satten Waldbodens, in knalliges Grün getauchter Landschaft und bisweilen psychedelisch-anmutenden Farbenspielen.
Genau die richtige Zeit, um drei bewährte Easy-going-Allrounder unter die Lupe zu nehmen und den Blick mal von der Drehzahlmessernadel abschweifen zu lassen. Sag’ einfach »tschüss« zum Vollgas und »hallo« zum intensiven Riechen, Fühlen und Schmecken. Egal ob Reiseenduro Honda Transalp mit 650 cm3 Hubraum, Pro-forma-Reisebolide Cagiva Navigator mit satten 1000 oder Spaßgleiter Yamaha TDM mit 850 cm3 – alle bekommen Starterlaubnis. Klar, die drei Protagonisten liegen leistungsmäßig auseinander, in puncto Gewicht und Abmessungen sind sie dafür gleichauf. Wer weiß, vielleicht gelingt es David Transalp Goliath Navigator einen gehörigen Tritt vors imaginäre Schienbein zu versetzen.
Gegen die Konkurrenz der Mittelklasse-Reiseenduros hat es für Honda bereits zum Sieg gereicht (MOTORRAD 10/2000). In ihrer Klasse musste sich die Cagiva mit Platz zwei nur knapp geschlagen geben (MOTORRAD 11/2000), konnte dafür aber Naked-Bike-Legende Kawasaki ZRX 1100 in die Schranken weisen (MOTORRAD 13/2000). Bleibt abzuwarten, wie sich Yamahas Dauerbrenner und Funbike-Trendsetter TDM 850 – in Sachen Hubraum und Leistung die goldene Mitte - aus der Affäre zieht.
Immerhin gibt es fast nichts, was sie nicht kann. Vor leichten Schotterpässen oder miserabelen Campingplatzzufahrten muss Yamahas Allrounder trotz reinrassiger Straßenpneus ebensowenig kapitulieren wie Cagivas Navigator. Noch mehr geht abseits der Straße mit der Transalp: 21-Zoll-Vorderrad, lange Federwege, Stollenreifen sowie ordentlich Bodenfreiheit ermutigen zu Abstechern in die Botanik. So wühlt die Honda noch wacker voran, während es für die anderen bereits in feuchtem Gras Land unter heißt.
Vorsicht, schadenfreudiges Gelächter ist im Transalp-Sattel fehl am Platze, zurück auf dem Asphalt schlägt nämlich die Stunde der Konkurrenz. Hier hadert der 650er-Underdog mit den negativen Eigenschaften der montierten Bridgestone Trail Wing TW 48. Kaum leichtfüßig in Schräglage gebracht, will die Honda rasant nach innen kippen und muss mit ständigen Korrekturen auf Kurs gehalten werden. Derart wankelmütiges Eigenlenkverhalten in langsamen Kurven verhagelt Linie und Laune gleichermaßen. In schnelleren Passagen passt’s wieder. Cagiva und Yamaha zischen bei Bedarf ebenfalls mit vollen Segeln ums Eck – Schräglagenfreiheit und Grip genügen vollauf.
Wie war das gleich mit dem Relaxen? Nun, vor allem die kraftstrotzende Navigator führt ihren Besitzer ständig in Versuchung, die 52er-Drosselklappen des Vierventilers auf Durchzug zu stellen um sich an der körperlich spürbaren Produktion von Leistung und Drehmoment zu weiden. Er kann’s einfach, der Ex-TL-1000-S-Antrieb. Bei aller Begeisterung heißt es aber auch, die nächste Kurve im Auge zu behalten, denn erstens kommt sie schneller und zweitens als man denkt. Vor dem Einlenken muss schließlich der Bremsanker wieder eingeholt sein, sonst stellt sich die Fuhre auf. Ein zweifelhafter Verdienst der Metzeler Z4, mit probehalber montierten Bridgestone BT 020 ist dieser Effekt kaum spürbar.
Apropos Bremsanker: Zwar protzt die Navigator mit einer imposanten Doppelscheibenanlage inklusive Stahlflexleitungen, beim Griff zum Hebel fühlt man sich trotzdem an einen Holzklotz erinnert, selbst wenn die Bremswirkung in Ordnung geht. Die Transalp-Stopper beißen vehementer zu, allerdings verwässert die abtauchende Gabel exakte Manöver, was in abgeschwächter Form ebenfalls für die TDM gilt. Im Stile eines überdimensionalen Silentblocks transportiert die Yamaha ihre Passagiere durch Raum und Zeit. Den einen begeistert’s, der andere wünscht sich hie und da etwas mehr Rückmeldung und Lenkpräzision.
Am Komfort gibt’s nix zu kritteln, wenn ein Sozius mit auf die Reise geht, genügt ein kurzer Dreh am patent gemachten Federbein um die – weichere - Zusatzfeder für den Solobetrieb zu blockieren und schon passt es wieder. Zugstufe und Federbasis sind ebenfalls einstellbar, bei der Honda gilt das für Druckstufe und Federbasis, bei der Navigator nur für letzteres. Wenn alles eingepegelt ist, fühlen sich Passagiere aller Art auf den hinteren Plätzen bestens untergebracht, mit einem kleinen Vorsprung zugunsten der Honda, deren Dreiventil-V2 mit seiner berechenbar einsetzenden Leistung darüber hinaus selbst verzickte Straßenverläufe zu lösbaren Aufgaben macht.
Im krassen Gegensatz dazu reißen die galoppierfreudigen Cavalli der Cagiva so rabiat an der Kette, dass der Gasgriff nur mit spitzen Fingern gedreht werden darf. Solch schlechte Manieren verwandeln den Ausflug ins Spitzkehreneldorado der Schwäbischen Alb schnell vom Alb-Traum zum Albtraum. Da lobt der entspannungssuchende Sehfahrer wohlerzogene Pferdestärken vom Schlage Transalp oder TDM. Vor allem Yamahas Fünfventiler verleugnet nach Kräften, eine Verbrennungskraftmaschine zu sein. Mit dem linearen Charakter von Elektromotoren schiebt der Reihentwin – ebenso wie der Honda-V2 - vibrationsarm und ohne Federlesens an und vermittelt somit selbst auf laubgespickten Schlängelstrecken ein sicheres Gefühl. Zuhilfenahme der Kupplung wie bei der ungehobelten Navigator ist bei TDM und Transalp jedenfalls nicht nötig.
In Sachen Getriebe geben sich alle drei vorbildlich, bis auf die leichte Knochigkeit der Yamaha-Fünfgangbox. Trotzdem hat letztere einen gewaltigen Schritt nach vorn gemacht. Vorbei die Zeit, in der böse Zungen TDM-Schaltgeräusche mit Pool-Billard assoziierten.
Einen Malus kassiert die Cagiva in Sachen Getriebeabstufung: Topspeed 213 bedutet Drehzahlbegrenzer. Allerdings setzt dieser in einer Geschwindigkeitsregion ein, die die Transalp höchstens im freien Fall erreicht und über deren Nutzen sich angesichts der realen Verhältnisse des bundesrepublikanischen Fernstraßennetzes streiten lässt. Fakt ist, dass sich keine Vergleichsteilnehmerin wirklich absetzen kann, spätestens beim nächsten 40-Tonner-Duell tredden sich die drei wieder.
Wesentlich bedeutsamer: das Thema Windschutz, dargebracht in drei unterschiedlichen Philosophien. Mit ihrer hohen, nah am Helm positionierten Scheibe entlastet die Cagiva Kopf und Schultern effektiv. Nachteil: kräftige Geräuschentwicklung ab Autobahnrichtgeschwindigkeit, die - je nach Fahrergröße – mit mehr oder weniger lästigen Verwirbelungen gewürzt ist. Solch windige Watschen kennen Transalp-Piloten bestenfalls vom Hörensagen. Die zierliche Verschalung leistet weniger Widerstand, sorgt aber für eine gleichmäßige Anströmung, ähnlich wie das weit vom Fahrer entfernte TDM-Plastik, dem der beste Kompromiss zwischen Elementeabwehr und störenden Turbulenzen gelingt.
Im Kampf der Cagiva-Sitzbank gegen das Element Wasser unterliegt erstere nachhaltig: Zunächst saugt sich das Polster voll, um die nasse Fracht dann peu á peu über die Sitzbanknaht an den Fahrerhintern weiterzugeben. Überhaupt ist das Cagiva-Finish von nonchalanter Natur: Wabbelig montierte Kunststoffteile, die an den Stoßstellen Plastikstaub absondern, eine hochfrequent quietschende Bremse und Auspuffknallen, das Polizistenhände blitzartig zum Halfter greifen lässt, ruft nicht nur bei Perfektionisten Groll hervor.
Honda und Yamaha spielen dagegen konsequent die Rolle der Musterknaben. Sie sind durchweg solide verarbeitet, verschonen die Passagiere vor nervigen Zicken und garantieren Sehfahrer so streßfreien Aufenthalt an Bord.

1. Platz - Cagiva Navigator

Die Stärkste gewinnt. War doch klar. Nicht ganz. Mit seiner Ruppigkeit verspielt der V2 nämlich Sympathien, vor allem, wenn’s auf Entdeckungstour ins Hinterland geht. Gut, dass das straffe und dennoch komfortable Fahrwerk die Mienen wieder erhellt. In Sachen Verarbeitung und Feinabstimmung hat die Navigator Nachholbedarf.

2. Platz - Honda XL 650 V Transalp

Okay, David hat Goliath - rein punktemäßig - nicht bezwungen. Bis auf die eher akademischen Fahrleistungen und leichtes Eigenlenkverhalten ist die Transalp voll auf der Höhe. Bequemes, problemloses Reisen - gern auch zu zweit - inklusive moderater Geländeeinlagen ist ihre Stärke. Und das Ganze noch zu einem günstigen Preis. Sauber!

3. Platz - Yamaha TDM 850

Trotz der sahnigen Motor-Fahrwerks-Kombination läuft die Funbike-Vorreiterin auf Platz drei ein, wenn auch nur mit einem Punkt Rückstand. Sie ist und bleibt erste Wahl für Menschen, die aufrechten Hauptes flott durch die Lande schweben wollen und denen günstiger Spritverbrauch und saubere Verarbeitung über dramatisches Gehabe gehen.

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