Vergleichstest Cagiva Gran Canyon gegen Yamaha TDM 850

Vergleichstest Cagiva Gran Canyon gegen Yamaha TDM 850 Das zweite Gesicht

Keine war wie sie: Enduro, Sportler, Tourer, Funbike – alles in einem. Und obendrein so markant im Ausdruck. Jetzt aber hat die TDM 850 Konkurrenz bekommen. In Gestalt der 900er Cagiva Gran Canyon.

Sprotz, patsch, pffft – aus. Vermaledeite Karre. Quittiert an jeder Ampel ihren Dienst. Will und will unter 2000 Umdrehungen nicht richtig laufen. Gran Canyon – daß ich nicht lache. Sollte sie je aus eigener Kraft irgendeine Schlucht erreichen, werde ich sie reinschmeißen. Ehrenwort. Und warum springt die Gurke jetzt nicht mehr an? Weil ein Gang drin ist. Aha. Da hilft alles Rumziehen an der Kupplung nichts: Solange die Leerlaufkontrolleuchte kein grünes Licht gibt, mimt der Anlasser den toten Mann.
Was für eine Panne. Welch eine Enttäuschung, nach dem vielversprechenden Debüt der 900er Cagiva in MOTORRAD 13/1998. Keinen Pfifferling hätte ich danach auf die Yamaha gewettet. Inzwischen sieht die Sache allerdings anders aus: gar nicht übel, so eine TDM. Fährt mit dem Platzangebot einer Vierzimmerwohnung auf, verwöhnt mit kuschelweichem Sitzkomfort, kostet ganze 2500 Mark weniger als die Cagiva, leistet nominell 13 PS mehr – und vor allem: Sie läuft. Mit ausgeprägten Lastwechselreaktionen und feinen Vibrationen, stimmt. Ohne stimulierenden Sound, ganz recht. Und das knorrige Getriebe dient auch nicht der reinen Freude – hört sich mitunter stark nach Pool-Billard an. Aber nichtsdestotrotz: Der Reihenzweizylinder spult sein Drehzahlrepertoire geradezu spöttisch locker ab, während der V-Zwo, made by Ducati, im unteren Bereich ums nackte Überleben ringt.
Das hat man nun vom Fortschritt. Einspritzung, Motormanagement, Furz und Feuerstein – wofür? Okay: Gemach. Wir wissen ja aus dem ersten Test, daß der modifizierte Desmo-Motor funktionieren kann. Also: cool bleiben. Werkstatt aufsuchen. Vielleicht ist’s nur eine Kleinigkeit. Vielleicht läßt sich die Sache binnen Sekunden beheben. Ein Blick in den Rechner, und alles ist klar.
Schön wär’s: Zwei mehrstündige offene Operationen seitens eines renommierten Vertragshändlers, der sich auf Einspritzanlagen versteht, bleiben ohne Erfolg. Es hilft nichts: Ein neues Testmotorrad muß her.
Drei Tage später haben wir eins. Und plötzlich ist alles wieder da: Die Begeisterung über den unmißverständlichen Antritt des Zweiventilers, die Lust, seine enorme Elastizität durch sinnfreie Gasstöße herauszufordern, das Verlangen, die Drehzahl immer wieder absinken zu lassen, nur um beim Beschleunigen dieses kraftstrotzende »Broooap« zu hören. Er wirkt wie ein muskelbepackter, sonnengebräunter Zehnkämpfer, dieser Motor. Jederzeit bereit, sein Bestes zu geben.
Der wassergekühlte Yamaha-Antrieb setzt sich weit ausdrucksloser in Szene. Erscheint im direkten Vergleich fast synthetisch – abgeklärt, legere, solariumgebräunt. Obschon dem italienischen Heißblüter in mancher Disziplin gar überlegen, verlangt er nicht danach, sein Können unter Beweis zu stellen. Er kann, wenn du willst. Aber du mußt nicht und er auch nicht. Und genau darin liegt für viele die Versuchung: von dieser großen Gelassenheit getragen durchs Leben zu schweben.
Im wahrsten Sinne. Denn die Fahreigenschaften der TDM wecken Assoziationen wie – Raumgleiter, Luftschiff, Sesselbahn. Man fühlt sich sonderbar entkoppelt. Als habe man nichts mit dem Geschehen zu tun. Sie braucht dich nicht, die Yamaha. Würde alles, was sie so treibt, auch ohne dich tun. Eigenartig ist das. Gleichwohl aber sehr faszinierend. Wie mühelos dieses hohe Gebäude durch Kurven schwingt. Und dann dieser verblüffende Eindruck, daß Vorderrad und Motor zehn Meter vor dir um die Ecke biegen, den Rest der Maschine quasi hinter sich herziehen, mit etwas mehr Schräglage als erwartet.
Unterstützt wird das nebulöse Fahrgefühl durch die weiche Auslegung der Federelemente, die bei zügigem Tempo gehörig ins Pumpen geraten. Damit keine Mißverständnisse aufkommen: Kurze Stöße werden ziemlich ungefiltert weitergeleitet, Bodenwellen indessen bringen die TDM in Wallung. Da gibt’s nur eins: Den Hebel am hinteren Federbein auf »hart« umlegen, viel Zugstufendämpfung draufpacken und die Vorspannung der Gabelfedern erhöhen (zwei Ringe sichtbar). Mit der Behaglichkeit ist’s dann allerdings vorbei.
Die Cagiva schafft den Spagat zwischen stabiler Seitenlage und ansprechendem Komfort. Ihr Fahrwerk zeigt sich krisenfest. Schnelle Kurven, verwinkelte Strecken, löchrige Teerdecken – die Canyon steckt’s weg. Gibt sich spontan, sensibel, spurtreu und stabil. Zumindest generell. Die taufrische Testmaschine jedoch gerät durch jede Längsrille aus dem Tritt. Und ab 150 km/h fängt sie grauenerregend zu pendeln an. Eine völlig neue Macke.
An den Reifen kann’s nicht liegen. Sind nagelneu. Außerdem haben die Pirelli MT 80 RS bereits bewiesen, daß sie mit der Cagiva können. Schwingenlagerung im Eimer? Lenkkopflager zu fest angezogen? Nö: Gabel total verspannt. Fehler bei der Montage. Nachdem alle Schrauben gelöst wurden und die Gabelholme parallel zueinander stehen, kommt die 900er auf die Spur.
Jetzt stimmt die Richtung. Und der erste Schreck nach dem Umstieg von der Yamaha – »huch, die lenkt sich aber zäh« – löst sich in Wohlgefallen auf: »Ah, da hat man wenigstens was in der Hand.« Am breiten Lenker der Cagiva ist man ganz der Chef. Die Maschine entwickelt keinerlei Eigenleben, macht genau das, was ihr befohlen wird. Input gleich Output. Das Feedback stimmt. Auch beim Bremsen.
Nur im Regen fühlt man sich ein wenig unsicher, noch bevor die haftfreudige Serienbereifung auch nur einen Rutscher macht. Vielleicht liegt’s an der angriffslustigen Sitzposition, die bei schönem Wetter und trockener Fahrbahn wahre Eroberungsgelüste, bei Nässe hingegen eine gewisse Schutzbedürftigkeit weckt. Die Psyche spielt einem manchmal ja ganz übel mit.
Im Sattel der Yamaha bleibt man von Umwelteinflüssen nahezu unberührt, sitzt in, nicht auf der Maschine und fühlt sich irgendwie gut aufgehoben. Die ausladende, weit vor dem Lenker angebrachte Verkleidung bietet dem Fahrtwind wacker die Stirn. Doch brechen auf dem langen Weg zwischen Chauffeur und Kabine Turbulenzen aus, die nicht unbedingt angenehmer in Erscheinung treten als der direkt antreffende Luftzug auf der Cagiva. Zumal dieser, sofern man sich vor ihm verneigt, halbwegs gnädig über einen hinwegfegt.
Um auf dem weiten Gebiet der Alltagstauglichkeit zu bleiben: Die Gran Canyon springt prima an, macht im Kaltlauf keine Zicken, weiß durch ein übersichtliches Cockpit mit Zeituhr zu gefallen und vermasselt die Sache mit dieser blöden Plexiglasabdeckung, die zuweilen derart reflektiert, daß die ohnehin armselig vor sich hin glimmenden Kontrolleuchten kaum noch zu erkennen sind. Obacht also: Spritwarnlampe nicht übersehen. Einen Reserveschalter sucht man vergeblich. Übrigens: Der 20-Liter-Tank hat eine Scheidewand, muß also auf beiden Seiten befüllt werden. Gleichfalls nicht sonderlich geschickt: die etwas zu lang geratene Seitenstütze und der Gepäckträger ohne entsprechende Haken.
An der Yamaha gibt’s vier zweckmäßige Ankerplätze für Spanngurte, allerdings keine Ladungsbrücke. Im Cockpit hat die TDM ähnliche Probleme wie die Cagiva: Vor allem der silbern untermalte Drehzahlmesser spiegelt je nach Lichteinfall erheblich, und die ungünstig plazierten Kontrolleuchten ringen oftmals vergeblich um Aufmerksamkeit.
Und wo war noch mal der Öleinfüllstutzen? Unter der Sitzbank? Falsch. Das ist lange her. Seit ihrem Remake im Jahr 1996, als die TDM mit dem Motor der TRX 850 beglückt wurde, kippt man die Schmiere rechts oben, unterm Tank rein. Ziemliches Gewürge. Ein Guckloch gibt’s übrigens auch. Man muß es nur finden. Es versteckt sich hinterm rechten Rahmenprofil. Wer den Ölstand im Alleingang kontrollieren will, läuft allerdings Gefahr, von der kopflastigen Yamaha erschlagen zu werden.
Als Zweisitzer taugen beide Maschinen. Wobei die TDM mit dem üppigeren Platzangebot aufwartet. Allerdings verliert sie unter Doppelbelastung an Contenance, beginnt angeregt zu schunkeln und verfehlt mitunter die angepeilte Linie. Wenn auch nur um Haaresbreite. Die Lastwechselreaktionen des Fünfventilers nerven beim Paarlauf gehörig. Überhaupt wirkt der Motor irgendwie gestreßt. An Steigungen nahezu kurzatmig. Bergab gerät dann die Vorderradbremse unter Druck. Man muß schon ochsenmäßig ziehen, um die Fuhre einigermaßen punktgenau zum Stehen zu bringen.
Auf der Cagiva wird der Gast zum Aktiven. Was nicht zuletzt an der kurz geratenen, leicht nach vorn geneigten Sitzbank liegt, die ein enges Miteinander erzwingt. Das muß man mögen, sonst wird die Tour zum schlechten Trip. Eingespielte Teams aber legen mit der Canyon Bestnoten aufs Parkett. Denn am Fahrverhalten der 900er ändert sich wenig. Sie behält ihre sportlich dynamische Art, läßt sich nach wie vor hemmungslos um die Ecken pfeffern, bremst ordentlich, richtet sich dabei jedoch deutlicher auf als die TDM.
Diese setzt an anderer Stelle auf Überraschungseffekte. Nächtens in Linkskurven zum Beispiel, wenn der Lichtkegel des Doppelscheinwerfers alles erhellt, nur nicht die Straße. Das ist vielleicht ein saudummes Gefühl: Man schwenkt die Maschine und fährt in ein schwarzes Loch. Die schlitzäugige Canyon tritt bei Dunkelheit ebenfalls nicht unbedingt als leuchtendes Vorbild an. Wird Zeit, daß sich die Motorradhersteller drei, vier Gedanken mehr zum Thema Lichtausbeute machen. Markante Gesichter zu formen ist eine Sache, ihnen Ausstrahlung zu verleihen eine andere.

Daniel Lengwenus, Chefreiseleiter vom MOTORRAD ACTION TEAM - Für mich: Japans Antwort auf Bayerns GS

Daniel Lengwenus, Chefreiseleiter vom MOTORRAD ACTION TEAM, hat 70000 TDM-Kilometer auf dem Hintern

»Es ist uns gelungen, dir dein Lieblingsmotorrad zu besorgen.« So kündigte mir mein Team-Chef vor sechs Jahren die TDM als Dienstmotorrad an. Häßlich fand ich sie. Schrecklich häßlich. Doch nach den ersten Kurven war das schon egal: satter Durchzug, gutes Handling, entspannte Sitzposition, enorme Schräglagenfreiheit. Vielleicht doch ein adäquater Ersatz für meine BMW Paris-Dakar? Für zügiges Tempo auf den verschlungenen Pfaden der ACTION TEAM-Touren ist die Yamaha jedenfalls bestens geeignet. Doch keine Sonne ohne Schatten: Läßt sich das Fehlen eines Hauptständers noch verschmerzen, erweisen sich Ölkontrolle (am aktuellen Modell) und präzise Fahrwerkseinstellung als unmöglich: bockelhart oder butterweich. Dazwischen gibt es nichts. Die straffe Abstimmung geht auf Kreuz und Nerven, ist jedoch die einzige Lösung für unbedenkliches Kurvenräubern. Und das macht mir auf der mittlerweile dritten, wesentlich hübscher gewordenen TDM immer noch Heidenspaß. Wenn es Yamaha jetzt noch gelänge, die extremen Lastwechselreaktionen abzustellen, könnte die 850er wirklich mein Lieblingsmotorrad werden – und mein Chef recht behalten. Im nachhinein. Wie immer.

Wirbel Wind und andere Widrigkeiten

Erst zieht’s erbärmlich in den Augen, dann haut’s dir – zack – das Visier zu. Frischluftfans haben auf der TDM komplett verloren. Bereits ab 50 km/h entstehen hinter der Verkleidung lästige Verwirbelungen, die sich mit zunehmendem Tempo unsympathisch aufblähen. Klarer Fall, dachten wir: Da muß ein anderes Windschild dran. Von wegen: Die hohe Scheibe von Five-Stars (montiert) nimmt zwar Druck raus, doch die Verwirbelungen werden eher unangenehmer, und das Exemplar von MRA (rechts) bringt nur, wenn man sich duckt, ein wenig Besserung. Die Ursache des Übels liegt woanders: Der Abstand zwischen Mensch und Windschutz ist zu groß, es herrscht zu viel Raum, auf dem sich störende Turbulenzen ausbreiten können. Bezugsadressen: JF Motorsport, Telefon 06002/910391 (Five-Stars, 169 Mark); Hein Gericke, Telefon 0211/98989 (MRA, 130 Mark).

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MOTORRAD-Redakteurin Monika Schulz zu den Ausfallerscheinungen der Cagiva Gran Canyon

Als ich die Canyon des neuen deutschen Cagiva-Importeurs Zupin übernahm, traf mich fast der Schlag: Was für eine Möhre. Hätte eine direkt aus Italien importierte Vertreterin dieser Baureihe nicht vier Wochen zuvor einen glänzenden Auftritt in MOTORRAD abgelegt – kaum auszudenken, wie dieser Vergleichstest gelaufen wäre. Nun hatten wir das Glück, relativ problemlos ein Ersatzmotorrad zu bekommen. Ob selbiges auch einem Kunden zuteil wird? Und dann – die nächste Panne: Fahrwerk eiert. Lag zwar nur an einer verspannten Gabel, aber so etwas nervt erheblich. Ebenso die Schlamperei auf anderen Gebieten. Bei der ersten Testmaschine steckte der Wurm in der Elektrik, an der zweiten blieb der Gasgriff hängen, und diverse Schrauben fehlten sowieso an beiden. Da stellt sich unweigerlich die Frage: Fällt der Kauf einer Gran Canyon mehr unter die Rubrick Glücksspiel? 18495 Mark – alles auf Rot?

1. Platz - Cagiva Gran Canyon 900

1. Platz

Die mit den Hummeln im Hintern. Ein unglaublich dynamisches Bike, für Leute, die angefressen sind. Angefressen vom Gedanken, vorn mitzumischen. Auch auf der ganz großen Tour. Motor, Fahrwerk, Sitzposition, Styling, Sound – alles an der Cagiva hat diesen gewissen Biß, der Motorrad fahren zum Sinnenrausch werden läßt. Bitter allerdings das Erwachen beim Blick auf den Preis: 18495 Mark. Da muß dringend was passieren, ebenso in puncto Serienstreuung. Sonst steht die Gran Canyon wie Blei.

2. Platz - Yamaha TDM 850

2. Platz

Die mit dem Verwöhnaroma. Sie liebt große Gesten, die TDM. Empfängt dich mit offenen Armen, wirkt auf langen Strecken beruhigend und sehr, sehr jovial, wenn sie mit ungeahnter Leichtigkeit durch Kurvenkorridore schwingt. Auf eigentümliche Art ist TDM fahren wie Fernsehen: mittendrin und trotzdem nur dabei. Störend nehmen sich die Lastwechselreaktionen des Motors aus, nervig das hakende, peinlich laute Getriebe, gewöhnungsbedürftig die temporär auftretenden Fahrwerkswallungen.

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