Mit der neuen 350 EXC-F kämpft KTM in der populärsten Enduroklasse ab sofort an zwei Fronten. Gräbt das neue Konzept der 450er-Liga künftig das Wasser ab? MOTORRAD hat´s getestet.
Mit der neuen 350 EXC-F kämpft KTM in der populärsten Enduroklasse ab sofort an zwei Fronten. Gräbt das neue Konzept der 450er-Liga künftig das Wasser ab? MOTORRAD hat´s getestet.
Zum 350-cm³-Motocross-Modell von KTM braucht es nicht mehr viele Worte: WM-Titel in der MX1-Klasse (bis 450 cm³) im Jahr 2010, aktueller Verkaufs-Hit - logisch, dass diese Erfolgsgeschichte im Endurosport fortgeschrieben werden soll. Die Protagonistin dafür heißt 350 EXC-F.In der Tat erscheint das Hybridkonzept für diese Disziplin sogar logischer als im Crosser. Schließlich favorisiert kniffliges Enduroterrain die Stärken des 350er-Konzepts: einfache Beherrschbarkeit und flinkes Handling.
Dessen Schwächen hingegen (Beschleunigung am Start und Antritt auf griffigem Terrain) verlieren im Unterholz an Bedeutung. Die Messlatte liefert KTM gleich mit: die zur Saison 2012 ebenfalls technisch kräftig modifizierte 450 EXC. Zumal sich das Duo in Sachen Fahrwerk wie ein Ei dem anderen gleicht. Die von den Motocross-Modellen übernommenen schlanken Kunststoffteile besitzen beide genauso wie das beiden Enduros noch immer direkt an der Schwinge angelenkte PDS-Federbein. Grundverschieden sind dagegen die Motoren.
Zwei obenliegende Nockenwellen, die über Schlepphebel die vier Titanventile betätigen, signalisieren das auf Drehfreude ausgerichtete Konzept der 350er. Ein Einnockenmotor mit je zwei Stahl- (Auslass) und Titanventilen (Einlass) betont den eher auf kompakte Bauweise und standfeste Technik gelegten Schwerpunkt des 450er-Aggregats. Stolze 47 PS drückt der Treibsatz der 350 EXC-F auf die Prüfstandsrolle. Gerade mal eines weniger als beispielsweise eine von MOTORRAD gemessene 450er-Husaberg (48 PS) und nur vier weniger als die 51 PS starke EXC 450. Doch wie heißt es so schön? Was zählt, ist aufm Platz. Starten: kein Problem. E-Starter sind bei Sportenduros state of the art.
Benzineinspritzungen mittlerweile auch. Diese Technik, die bei der 450er erstmals den Vergaser ersetzt, funktioniert genauso unauffällig wie effizient.Schon auf den ersten Metern der zügig ausgesteckten Sonderprüfung offenbaren sich die Unterschiede der Motoren. Weich hängt das 350er-Aggregat am Gas, läuft rund und geschmeidig. Und doch lässt es sofort sein Potenzial spüren. Bei jedem Schnippen am Gas drückt der Single voran, fühlt sich im Drehzahlkeller eher wie ein 450er- denn wie ein 250er-Motor an.
Um wenig später den Nachbrenner zu aktivieren. Der Drehmomentanstieg ab 5000/min (siehe Diagramm rechts) katapultiert die 350er regelrecht nach vorn und lässt anschließend das Motörchen ungeniert bis in höchste Touren hochjubeln. Dass der Einsatz dabei kinderleicht kontrollierbar bleibt und die Überdrehfähigkeit so manchen Schaltvorgang auf kurzen Geraden erspart - genau das macht den Reiz dieses herrlich einfach zu fahrenden Motorrads aus.
Ganz so unbekümmert lässt es sich auf den trockenen und wenig Grip bietenden Bögen mit der 450 EXC nicht am Kabel ziehen. Deren Motor, der übrigens durch Druckgussgehäuse und viele Detailmodifikationen um sensationelle 2,5 Kilogramm erleichtert wurde, benötigt einen versierteren Piloten.
Doch wer die Vorteile des kräftigen Antritts und die potente Mitte mit fein regulierender Gashand nützen kann, für den muss sich der 350er-Pilot gewaltig langmachen. Dennoch: Auf traktionsarmem Terrain verzeiht die 350 EXC-F deutlich mehr Fahrfehler und lässt sich auf längeren Distanzen deshalb von Otto Normalendurist länger schnell bewegen.
Und noch etwas fällt auf: Obwohl Gabel und Federbein der beiden Bikes identisch abgestimmt sind, schluckt die Hinterhand der 350 EXC-F durch die geringeren Motorreaktionen harte Beschleunigungskanten spürbar effektiver als ihre große Schwester.
Hubraum ist eben doch durch nichts zu ersetzen: Leistung und Drehmoment der 350er liegen deutlich unter denen der 450 EXC. In der Praxis spielen die Unterschiede eine weniger wichtige Rolle als im Diagramm. Zur Info: Das Motocross-Schwestermodell der 350 EXC-F, die 350 SX-F, leistet 52 PS und wiegt 105 Kilogramm.
Ortswechsel zu einer Auffahrt mit losem Geröll und Steinstufen. Grundsätzlich nicht die Stärken der mit eher spritzigen Motoren und relativ straffen Fahrwerken abgestimmten KTM-Enduros. Gas auf und durch: Damit erntet der 450er-Pilot meist ein durchdrehendes Hinterrad. Füße auf die Rasten und mit dem fein ansprechenden Motor wie ein Trialfahrer mit kurzen Gasstößen und dosiertem Kupplungseinsatz die Absätze hochspringen - so hangelt sich der 450er-Treiber nach oben. Sofern ers denn fahrerisch beherrscht.
Die 350er offeriert in dieser Situation wieder ein breiteres Spektrum. Sie bietet genügend Biss im unteren Drehzahlbereich, um die Front mühelos über die Kanten zu heben, liefert mit ihrer weichen Leistungsabgabe aber auch fühlbar mehr Grip als die 450er. Dass sie mit 109 Kilogramm die bisher leichteste von MOTORRAD je gewogene Viertakt-Sportenduro darstellt, kann dabei nur helfen.
Auch wenn dieser Wert das kaum weniger sensationelle Gewicht der 450 EXC von 111 Kilogramm (2011er-Modell: 114 Kilogramm) unverdient in den Hintergrund rückt. Letzter Ortswechsel. Eine sandige Motocross-Piste.
Tiefe Anlieger, Traktion satt. Endlich schlägt die Stunde der 450er. Der kräftige Durchzug, die über das ganze Drehzahlband überlegene Leistung, damit spielt das Big Bike die 350er an die Wand.
Selbst das etwas agilere Handling rettet die kleine Schwester hier - und auch auf jedem anderen griffigen Terrain - nicht. Was letztlich wieder nur die grundsätzliche Tendenz bestätigt: Unter Idealbedingungen, bei Motocross-orientierten Einsätzen und in fachkundigen Händen ist die 450 EXC potenter denn je. Unter allen anderen Voraussetzungen lässt sich die 350 EXC-F jedoch kaum weniger effizient, dafür aber umso stressfreier bewegen. Eine gute Kombination.
KTM 350 EXC-F
Die 350er kann fast alles genauso gut wie die 450 EXC - und setzt mit stattlicher Drehfreude, besserer Laufkultur und toller Kontrollierbarkeit noch was obendrauf.
KTM 450 EXC
In kundigen Händen bleibt die 450er der Platzhirsch der Klasse. Doch mehr Leistung und mehr Punch bringen auch Nachteile mit sich: Der Grat für Irrtümer fällt auf der 450 EXC schmaler aus.