Vergleichstest KTM 620 LC4 EGS-E gegen MuZ Baghira gegen Suzuki DR 650 SE gegen Yamaha TT 600 E
Flugstunde

Fliegt die KTM LC 4 dank E-Starter der Konkurrenz davon? Taugt auch die neue MuZ Baghira für große Sprünge? Trudeln die altbewährten Suzuki DR 650 SE und Yamaha TT 600 E nur hinterher?

Die Luft wird dünner im Geländeland. Weniger und weniger unbefestigte Erde darf von grobem Gummi durchwühlt werden. So begeben sich die hiesigen Hobbyflieger häufig oft gleich nach Frankreich oder Italien. Die gemäßigten Endurofahrer dagegen - und das trifft auf den größten Teil zu - bewegen ihren Untersatz nur auf der Straße. Um beiden Lagern gerecht zu werden, wird im diesjährigen Vergleichstest Straßen- und Geländewertung getrennt.
Durch seine Mischung aus Altbewährtem und Neuem ist der 1997 Sport-Enduro-Jahrgang besonders interessant. Die Suzuki DR 650 SE und die Yamaha TT 600 E stehen unverändert in den Startlöchern. Die KTM 620 LC 4 präsentiert sich seit kurzem mit kräfte- und nervenschonendem E-Starter. Und ganz neu und eigenständig giert die MuZ Baghira nach der Käufergunst.
Bunt und witzig steht sie da, die Sächsin. Und für einen echten Kampfpreis von 10 240 Mark hat sie einiges zu bieten: eine 45er Marzocchi-Telegabel und ein White Power-Federbein, beide voll einstellbar und mit achtbaren 280 Millimeter Federweg. Oder der kantige Endschalldämpfer aus Edelstahl, welcher in weiser Voraussicht für die Beherbergung eines Katalysators dimensioniert wurde, der aber, laut MuZ, erst ab Herbst lieferbar sein wird. Ob Pedalerie, die fette Alu-Schwinge, die Alu-Felgen - die Baghira ist einfach gut bestückt. Zudem erfreut die bequeme, aufrechte Sitzposition und die gelungene Lenkerkröpfung.
Die Suzuki kommt viel bescheidener daher. Nicht, daß sie nicht alle Attribute einer modernen Enduro hätte. Auch sie bietet Alu-Felgen und ordentliche Federelemente mit je 260 Millimeter Federweg. Aber im Vergleich mit der MuZ oder gar der KTM wirkt sie rotstiftig. Ein bißchen liegt das auch an der unscheinbaren Erscheinung der DR. Und im Gegensatz zur MuZ kommt sich der Fahrer auf der Suzuki immer ein bißchen zusammengefaltet vor. Die Fußrasten liegen weit vorn und verhindern auf Dauer eine entspannte Beinhaltung. Immerhin bietet die DR die geringste Sitzhöhe, die sich bei Bedarf noch um weitere 40 Millimeter absenken läßt. Gute Argumente für kleine Leute. Die DR ist aber mit 9990 Mark kaum billiger als die aufwendiger gemachte MuZ.
Die ebenfalls 9990 Mark teure Yamaha TT 600 E scheint noch aus einer anderen Epoche zu stammen. Das kurze Federbein mit lediglich 209 Millimeter Federweg will nicht so recht zur langbeinigen Gabel passen. Der Hintern der TT hängt herunter wie bei einem hüftkranken Schäferhund. Entsprechend leicht choppermäßig fällt die Sitzposition hinter dem hohen und breiten Lenker aus. Die TT vermittelt so schon im Stand das Gefühl, bergauf zu fahren. Etwas altbacken ist ihr simpler, luftgekühlter 600er Eintopf, dessen moderner Nachfolger in der MuZ werkelt.
Die KTM toppt die MuZ in Sachen Ausstattung noch. Jedes Teil ein Hingucker. Seien es die geschmiedeten Pedale, die Federelemente mit gewaltigen 320 Millimeter Federweg oder die Edelstahlauspuffanlage (mit ungeregeltem Kat und zusätzlichem Sekundär-Luftsystem) - die Liste der schönen Details ist schier endlos. Zudem protzt die hochbeinige Alpen-Lady mit dem größten Tank im Feld. Wahlweise wird sie auch mit einem sportivem 11,5-Liter-Fäßchen ausgeliefert. Unabhängig davon thront der Fahrer mit entspannter Beinhaltung auf der straffen, hohen Sitzbank. Auch die Lenkerkröpfung paßt genau, hier zeigt sich die langjährige Off Road-Erfahrung der österreichischen Motorrad-Schmiede.
Und das Beste: Nach jahrelangen Verzweiflungsrufen gequälter Enduristen gönnt KTM der LC 4 die ersehnte Elektro-Starthilfe. Und siehe da, selbst eingefleischte Trampeltiere senken verstohlen den Blick, wenn sie ihren Kickstarter mit »Früher war alles besser«-Tiraden verteidigen. Hand aufs Herz: Vermißt einer die elendige, schweißtreibende Kickerei? Tun die zwei lächerlichen Zusatz-Kilos irgend jemand weh? Die 390 Zusatz-Mark sind allerdings überflüssig, denn mit fast dreizehn Großen ist der Preis der KTM sowieso schon recht hoch.
Wummern die Einzylinder erst mal im Quartett, rücken finanzielle Aspekte jedoch schnell in den Hintergrund. Von den vier Vergleichs-Singles bietet der KTM-Eintopf die meiste Wurst. Der wassergekühlte Vierventiler hat mit der höchsten Vedichtung, dem kürzesten Hub und den geringsten Schwungmassen die besten Voraussetzungen im Wettbewerb. Ein echtes Sportlerherz, das spontan und extrem drehfreudig auf jedes Zucken der Gashand reagiert. Toll, wären da nicht die Vibrationen, die trotz Ausgleichswelle schon nach kurzer Zeit für ein betäubendes Kribbeln in Händen und Füßen sorgen. Auch niedrige Drehzahlen mag die LC 4 nach wie vor nicht, unwillig rüttelt und schüttelt sie beim gemächlichen Dahinrollen ihren Antriebsstrang.
Wesentlich kultivierter geben sich da die japanischen Nudeltöpfe, die niedertouriges Fahren deutlich gelassener nehmen. Der luft-/ölgekühlte Suzuki-Treibling erreicht zwar mit seinen gemessenen 41 PS bei weitem nicht die Endleistung von MuZ und KTM (siehe Diagramm Seite 16), glänzt aber durch ungehemmte Drehfreude. Zudem überrascht der vibrationsarme DR-Motor mit prima Durchzugswerten und hängt spontan am Gas.
Der luftgekühlte Oldie der Yamaha drückt zwar auf der Prüfstandsrolle die gleiche Leistung ab wie der Suzuki-Motor, wirkt im direkten Vergleich aber ziemlich müde. Immerhin kaschiert er diese Schwäche durch einen kernigen Sound. Deutlich unspektakulärer meldet sich das MuZ-Triebwerk zu Wort, obwohl dieses in den Grundfesten seines Motorgehäuses identisch mit dem TT-Single ist. Obenherum trägt die MuZ aber den wassergekühlten Zylinder mit größerer Bohrung, auf dem der aufwendige Fünfventilkopf sitzt, und schüttelt dadurch gleich acht Pferde mehr ins Getriebe. Leider ist der Fünfventiler etwas durchzugsschwach, und über den gesamten Drehzahlbereich mangelt es ihm an Spritzigkeit. Einen Teil ihrer 49 Pferdchen verspielt die MuZ durch ihr relativ hohes Gewicht von 176 Kilogramm.
Das Suzuki-Getriebe bietet lange Schaltwege und exakte Schaltbarkeit, das der KTM gibt sich sportlich-knochig. Die Yamaha-Räderwerke von TT und MuZ leiden unter einer schwammigen Rastung der einzelnen Gangstufen. Dies gilt vor allem für die Baghira, die durch ihr Schaltgestänge die Gangwechsel noch stärker verwässert. Besonders in extremen Fahrsituationen rasten die Schaltklauen gern mal aus.
Im Stadtverkehr geht es mit allen vier Hochbeinern gut voran. Agil wedeln sie durch den Verkehr, die Übersicht vom hohen Sitzplatz ist ausgezeichnet. Am höchsten thront der KTM-Bändiger, der aber alle Hände und Füße voll zu tun hat, seinen Kolben am osziliieren zu halten. Wenn´s richtig eng wird, tun sich MuZ und KTM ein bißchen schwer. Der hohe Schwerpunkt der LC 4 will balanciert sein, und die Pausbacken der Baghira fallen hier am deutlichsten ins Gewicht. Yamaha und Suzuki bekommen dank ihrer niedrigen Schwerpunkte den Handlingpreis.
»Geschwindigkeit stabilisiert«, spricht´s Gscheidhaferl - und irrt, zumindest im Falle unserer Flugschüler. Rühmliche Ausnahme ist die fahrstabile MuZ, die anderen schlingern mit zunehmendem Tempo immer stärker über die Autobahn. Bei Suzuki und Yamaha ist das ausgeprägte Pendeln in den Griff zu bekommen, wenn sich der Fahrer klein macht und den Lenker mit leichter Hand führt. Der Eiertanz der KTM bei Highspeed schaukelt dagegen knapp am Rand des Zumutbaren vorbei. Das müßte nicht so sein, würden die Österreicher nicht im Interesse ihres »Harte Männer«-Images serienmäßig grobstollige Michelin T 63-Pneus montieren. Die vermasseln auf der Straße jede Linie, verwässern das Einlenkgefühl und bieten nur wenig Grip. Überdies sind die Stollen nach wenigen hundert Kilometern Landstraße so abgefahren, daß die Pellen auch fürs Gelände nicht mehr richtig taugen. Mit Pirelli MT 70 bestückt, können die für diesen Test sehr soft abgestimmten Federelemente endlich zeigen, was sie können, wie sensibel sie ansprechen, wie viele Reserven in der Dämpfung stecken. Zwar ist die KTM dann immer noch nicht so handlich wie die Yamaha und die Suzuki, aber in Verbindung mit dem spurtstarken Motor fährt sie der Konkurrenz um die Ohren.
Runter von der Autobahn, rauf auf die Landstraße. Die Yamaha wieselt am agilsten durch enge Kehren. Aber Kehren wollen angebremst sein. Und das fällt der TT besonders schwer. Ihre Bremsanlage ist schwer zu dosieren, außerdem werden Bergabfahrten nach kurzer Zeit mit starkem Fading und beißendem Bremsengestank quittiert. Unbeladen und solo, wohlgemerkt. Auch die Federelemente der TT stoßen recht früh an ihre Grenzen. Auf schnell gefahrenen Holperstrecken leidet die Fahrstabilität, vor allem das Fahrzeugheck pumpt und stempelt.
Die Suzuki rollt butterweich und ausgesprochen komfortabel über die Tücken des Nebenstraßenasphalts hinweg. Zuverlässig bügeln die weichen Federelemente jede Unebenheit glatt, handlich und zielgenau durcheilt die flinke DR Biegungen aller Art.
Der Straßenpanther aber heißt MuZ Baghira. Instabilität ist dem Sachen-Bike gänzlich fremd. Die sportlich straffen Federelemente geben jederzeit genaue Rückmeldung über den Fahrzustand und sorgen für eine sichere Verbindung zwischen serienmäßigen Pirelli MT 70-Reifen und Straßenbelag. Lässig fliegt die MuZ durch den Asphaltdschungel, läßt sich über den breiten Lenker zielgenau und ohne störende Schaukelbewegungen durch Wechselkurven treiben. Ihre Grimeca-Stopper verzögern punktgenau, sie sind die besten im Vergleich. Leider quietscht die vordere Bremsscheibe bei niedriger Bremskraft unschicklich. Dieses Problem wollen die Sachsen mit kleinen Gummipuffern zwischen Bremsscheibe und Radnabe beheben.
Was wäre ein Enduro-Vergleichstest, der nicht mächtig Staub aufwirbelt. Daß alle vier Kandidaten gute Schottersurfer sind, ist klar. Daß sich Suzuki und Yamaha mit ihren niedrigen Sitzen und Schwerpunkten als Anfängergeräte bestens eignen, ist ebenfalls keine allzu große Überraschung. In leichtem Gelände reichen ihre Fahrwerksreserven locker aus. Ihr weicher, gut zu beherrschender Leistungseinsatz im unteren Drehzahlbereich schafft Vertrauen. Im groben Terrain schlägt allerdings die Stunde der hochbeinigen KTM, die den heillos durchschlagenden Japanern auf und davon fliegt. Vor allem die Yamaha, deren Gabel sensibel anspricht und auch mal ein paar Sprünge wegsteckt, leidet unter ihrem kurzen Federbein. Die MuZ ist für grobes Gelände und Höhenflüge besser gerüstet, sie ist stabil, straff abgestimmt und hat lange Federwege. Auf trockenen Off Road-Pisten ist der Abstand zur LC 4 nicht allzu groß.
Wird´s extrem, sprich sandig oder gar schlammig, profitiert die Österreicherin natürlich von ihren grob profilierten Reifen. Versuchsweise wurden auch die Kontrahentinnen mit Stollengummi bestückt. Und siehe da, die Baghira kann als einzige der KTM folgen, fliegt fröhlich durch die Lüfte und hechelt durch Anlieger. Hut ab, wenn´s auch nicht ganz für die KTM reicht.
Dennoch darf die MuZ Baghira als echter Überflieger dieses Tests bezeichnet werden, bietet sie doch den besten Kompromiß zwischen Sportlichkeit und Alltagstauglichkeit, überzeugt auf der Straße und im Gelände.

Unsere Highlights

Fazit KTM

3. Platz Straße
Das faszinierende Rauhbein profitiert enorm vom neuen Elektrostarter, bleibt aber trotzdem ein kompromißloser Sportler. Eigentlich bietet die KTM alle Voraussetzungen für einen schnellen Straßenfeger. Doch mit den Serienreifen ist auf Asphalt kein Strich zu finden. Zusätzlich stört der rauhe Motor und vor allem der konkurrenzlos hohe Preis

1. Platz GeländeDas ist meine Welt, hier bin ich zu Haus! Off Road macht der KTM keiner was vor. Alles paßt, nix stört, Herkunft und Tradition sind unverkennbar

Fazit MuZ

1. Platz Straße
Sie kam, sah und siegte. Die Zschopauer haben sich Gedanken gemacht. Ein sehr gutes Fahrwerk, die besten Bremsen und ein gutmütiger Motor schnüren das beste Gesamtpaket. Obendrein ist die MuZ hervorragend ausgestattet und hat ein eigenständiges Design. Sie bietet mit Abstand das meiste fürs Geld. So kann es weitergehen im Sachsenland!

2. Platz GeländeAuch im Dreck macht die MuZ eine gute Figur. Die tollen Federelemente und das stabile Fahrwerk bieten selbst für grobes Gelände genügend Reserven

Fazit Suzuki

2. Platz Straße
Die Suzuki DR 650 SE ist ein guter Freund, der sich eigentlich keine Schwächen leistet. Sie ist handlich, sie ist bequem, sie ist wieselflink und läßt sich durch die Höhenverstellung auch von kleinen Leuten prima dressieren. Was will man eigentlich mehr? Vielleicht einen Hauch mehr Leistung, Sportlichkeit und ein pfiffigeres Design.

3. Platz GeländeSchotter, Trial: ja. Schweres Gelände: nein. Die DR ist zu weich für grobe Schläge. Gelegenheitsenduristen und Anfänger macht sie trotzdem glücklich

Fazit Yamaha

4. Platz Straße
Die handliche Yamaha ist die Verliererin dieses Vergleichstests. Der müde, XX Jahre alte Motor kann mit den Triebwerken der Konkurrenz nicht mehr ganz mithalten. Und für derart unterdimensionierte Teigbremsen gibt es keine Entschuldigung. Zudem ist die Yamaha am sparsamsten ausgestattet. Die Federelemente der TT 600 S hätten ihr gut getan

4. Platz GeländeAuch hier erntet die TT die rote Laterne. Zu kurze Federwege, zu unexaktes Getriebe, zu lascher Motor, zu wenig Reserven - da sind die anderen besser

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Erscheinungsdatum 15.09.2023