Vergleichstest Reise-Enduros
Groß in Fahrt

Weiterreisen, wo andere die Segel streichen, hoch über den Dingen thronen, wenn der Rest im Smog erstickt - große Reise-Enduros machen’s möglich. Neu im Spiel: die Triumph Tiger.

»Ein Bayer, ein Engländer und ein Japaner wollen verreisen...« Schon mal gehört? Eine solche Geschichte läßt sich erfahren, und zwar mit Reise-Enduros. BMW R 1100 GS, Honda Varadero und Triumph Tiger vertreten charakterstark ihre Nationalität: technisch-martialisch die GS, perfektionistisch gerundet die Varadero, traditionell-elegant die Tiger.
Der geneigte Leser erinnert sich natürlich an den Vergleichstest BMW gegen Honda aus Heft 1/1999. »Warum nicht gleich mit der Tiger?« könnte er fragen. Nun, weil die Varadero viel früher debütierte und die GS lange Zeit konkurrenzlos war, schoß MOTORRAD den Zweier-Vergleich voraus, den die Honda knapp, aber sicher dominierte. Fast zwei Monate später steht jetzt die Engländerin zum Final Countdown bereit. Sie möchte natürlich nicht nur an der frisch gekührten Testsiegerin, sondern auch an der bayerischen Markthoheit gemessen werden. Nebenbei reist es sich zu dritt auch viel netter. Also Kombi an, Textiljacke und dicke Handschuhe übergestreift und ab auf Tour.
Die Triumph ist nicht nur neu verkleidet, sondern komplett renoviert. So pflanzten ihr die Chirurgen aus Hinckley zunächst das Herz der ´1997er Speed-Triple ein, das sich vom alten Tigermotor vor allem durch moderneres Kopflayout - Fallstrom-Ansaugkanäle - unterscheidet. Schon deshalb schlingt sich der neue Rahmen um den Motor herum und nimmt diesen als tragendes Teil auf. Die alte Vergaserbatterie wich einer modernen Saugrohreinspritzung nebst Motormanagement, was den Einsatz eines geregelten Katalysators geradezu aufdrängt. Prima, die Umwelt wird’s danken, der Triumph-Fahrer sowieso, wenn er trotz sommerlichen Smog-Fahrverbots im Verkehr mittummeln darf. Ganz vorbildlich fährt die BMW übrigens schon immer mit Kat und Einspritzung, die Honda läßt’s dagegen bei Vergasern und Sekundärluftsystem bewenden - eigentlich nicht mehr zeitgemäß, aber sicher gewinnoptimierend, auf jeden Fall Pluspunkte für die Europäer.
Spontan reagiert der Triumph-Drilling auf den Befehl des Anlassers, startet aber immer ein paar Umdrehungen später als GS oder Varadero. Nach ganz kurzer Warmlaufphase signalisieren alle drei durch hurtige Gasannahme ihre Arbeitsbereitschaft. Varadero und BMW bombern von unten heraus, daß es eine Pracht ist. Und geht dem Bayern-Boxer dann bei hohen Drehzahlen der Punch aus, jubelt der kernige Honda-V-Twin nimmermüde weiter. Da kann der äußerst kultivierte englische Dreizylinder nur heftigst geschaltet mithalten. Zwar bescheinigt der Prüfstand satte 90 PS, aber die schulmäßig-schönen Leistungs- und Drehmomentkurven der Triumph verlaufen deutlich unterhalb denen der Widersacher. Klar, eine Gangstufe mehr kaschiert die Drehmomentschwäche einigermaßen, dennoch wirkt die Raubkatze im direkten Vergleich relativ zahnlos. Relativ, wohlgemerkt, denn für sich genommen ist die Tiger allemal stark genug.
Und zu dieser unspektakulären, aber ganz gentlemanlike Leistungsentfaltung gesellen sich entsprechende Antriebs- und Getriebemanieren. Da klackt nichts, da klonckt nichts, da schlagen weder Kette noch Zahnräder, da gibt’s kein Spiel im Antriebsstrang, exakt und leicht flutschen die Gänge rein. Hut ab, das kann die Engländerin besser. Auch die Gasannahme gestaltet sie eleganter, ruppige Lastwechsel sind der Britin komplett fremd.
Dafür trinkt sie gern mal einen, womit sie sich nahtlos in die Konkurrenz einreiht. Zu den in diesem Test sehr hohen Verbräuchen trug auch der heftige Mistral bei, der die Fahrt bisweilen kräftigst bremste. Trotzdem verdient der Spritkonsum des Trios kein besonderes Lob.
Dabei kann die Reichweite gar nicht groß genug sein, denn Fahren macht mit diesen Motorrädern enormen Spaß. Schon die hohe Sitzposition, bei BMW und Triumph variabel, suggeriert Souveränität. Dank komfortabler Federelemente über den Dingen schweben, den Blick in die Ferne schweifen lassen, mit leichter Hand den breiten Lenker führend, enge oder weite Bögen zirkelnd, Kurven, Kurven, immer weiter, das ist es, so soll es sein!
Lange Autobahntransits offenbaren dagegen kleine Schwächen. So hängt der BMW-Fahrer ein bißchen hilflos hinter dem breiten Lenker. Auch der Windschutz dürfte besser sein. Ist es obendrein kalt oder regnerisch, beneidet der GS-Treiber seine Kollegen um die schützenden Handschalen. Empfindliche Tiger-Dompteure fühlen sich derweil von einer Kante in der Sitzbank gestört. Dafür zieht’s bei ihnen weniger, sofern sie sich anständig ducken. Der Varadero-Fahrer genießt, ungestört von solchen Unbehaglichkeiten, die Landschaft - geschmeicheltes Sitzfleisch, bester Windschutz, versammelt-bequeme Sitzposition, den Lenker perfekt zur Hand, japanischer Perfektionismus eben. Nur die Tankuhr fehlt.
In der zweioten Reihe demonstrieren die Söhne Nippons, wie ein Passagier unterzubringen ist. Nicht nur, daß Rasten- und Sitzposition hervorragend arrangiert sind, der große Gepäckträger bietet außerdem den besten Haltegriff. Auf der BMW fährt sitzt ein Passagier nicht ganz so bequem, auf der Tiger am wenigsten entspannt.
Die vorbildliche Ergonomie der Honda rächt sich ausgerechnet in Kurven: Reicht die Schräglagenfreiheit - bei ganz vorgespanntem Federbein - solo noch einigermaßen aus, so finden die Fußrasten im Soziusbetrieb allzu früh Bodenkontakt. Die Raubkatze, die in Schräglage dank der geringfügig breiteren, moderneren Bereifung noch mehr Vergnügen bereitet, läßt minimal größere Kratzwinkel zu, sofern die Dederbasis - hydraulisch-einfach - kräftig verstellt wird. Die Bayerin schließlich trägt den Geist alpiner Kurvengeschlängel - da setzt bei Solofahrt kaum mal was auf.
Wird die Fahrt bei Nacht fortgesetzt, reihen sich GS und Tiger gern hinter der Varadero ein, deren Licht zwei Nummern heller leuchtet. In Sachen Gabel markiert die Honda allerdings das Schlußlicht. So teilt sie zwar den Komfort an der Frontpartie, mit BMW und Triumph, doch diese bieten größere Reserven. Dies zeigt sich vor allem beim Bremsen, ohnedies ein bedeutsames Kapitel. Die Test-GS bereitet Sorglosigkeit - das ABS (2000 Mark Aufpreis) wird’s schon richten. Keine schlechte Sache, obwohl die Regelung manchmal früher einsetzt, als erwünscht. Nun, sicher ist sicher, zumal das Federungsvermögen dank Telelever weitgehend erhalten bleibt. Die Varadero reglementiert die Bremsverzögerung auf unschönere Weise: Zwar ist ihre Kombibremse gut dosierbar und packt auch eisern zu, nur setzt die weiche Gabel harten Verzögerungen Grenzen. Sie taucht nämlich ganz ein, das infolge ungefederte Rad nutzt jede Unebenheit zum - quietsch - blockieren. Aber auch hier sei gesagt, daß die eingebaute Bremskraftverteilung in den meisten Situationen, vor allem bei schmieriger Straße, hilfreich ist.
Die Briten demonstrieren das Potential konventioneller Bremsen. Hinten montieren sie einen machtvollen Stopper, den der Pilot nach kurzer Eingewöhnung tatkräftig mitnutzt, und vorn bauen sie mittels langem Federweg und progressiver Gabelfedern Reserven ein, die beim Bremsen entscheidende Meter bringen. Meter, die Varadero und GS einerseits durch Kraft wieder wettmachen. Andererseits handlen beide auch noch leichter, die BMW geradezu spielerisch. Und beide bringen die immense Kraft ihrer Motoren, dank größerer Reserven der Hinterradfederung, besser auf den Boden.
In der Summe ihrer Eigenschaften sind alle drei ohnehin verblüffende Landstraßenräuber. Die GS harkt gar durch die Kurven, daß es manchem Straßenfeger Nacht vor Augen wird. Und im Gelände? Es dürfte klar sein, daß der Geist der Wüstenrallye an diesen Mopeds einen dicken Fettrand hat. Schotterpassagen sind kein Problem, alles weitere wenig empfehlenswert, wie schon die schmählich ungeschützten Federbeine signalisieren. Am ehesten eignet sich noch die BMW, die sich auch fulminant leicht rangieren läßt. Die Honda hat zuwenig Federweg, die Triumph einen zu hohen Schwerpunkt und ein zu empfindliches Unterteil. Aber was soll’s? Für die große Fahrt taugen die drei allemal. Reisen, das wollen und das können sie - egal, ob nach Japan, England oder Bayern. Ob sie das allerdings besser können als ein Nakedbike, ein Tourer oder ein Sporttourer, das klären die nächsten sechs Seiten.

Unsere Highlights

3. Platz - BMW R 1100 GS

Eher letzter Sieger als knapp geschlagen. Die Mutter aller Riesen-Enduros demonstriert vor den Jungspunten Klasse. Die GS begeistert immer noch durch die harmonische Mischung von moderner Technik und dominierenden Fahreigenschaften. Sie muß aber Einbußen in Alltag und Ökonomie hinnehmen. Unbegreiflich bleibt die geringe Garantiezeit von einem Jahr.

1. Platz - Honda Varadero

Honda kann’s. Die Paarung aus perfekter Ergonomie, komfortablem, sicheren Fahrverhalten und kraftvollem 1000er-V-Twin gefällt in fast allen Lebenslagen. Nun ja, die Gabel dürfte straffer sein, die Bodenfreiheit größer. Als Gesamtpaket überzeugt die dicke Honda. Ein bißchen Kat hier, etwas gediegenere Ausstattung da, sie wäre noch besser.

2. Platz - Triumph Tiger

Der Dreiklang aus Hinckley fügt sich elegant und auf hohem Niveau in die Galerie der Groß-Enduros ein. Die Tiger bietet am meisten zum Hingucken - Exzenterschwinge, Speichenräder, feines Edelstahl - und erfreut mit ausgewogenen Fahreigenschaften. Im direkten Vergleich fehlt es dem 900er etwas an Pfeffer, wirklich stören tut das aber niemanden.

Die aktuelle Ausgabe
MOTORRAD 12 / 2023

Erscheinungsdatum 26.05.2023