Die Zeiten für Enduro-Fahrer sind alles andere als rosig. Zumindest wenn man den Begriff Enduro in seiner ursprünglichen Form versteht, als Synonym für Geländespaß, sportliche Herausforderung und Abenteuer abseits befestigter Straßen. Heute, wo es in Deutschland mehr Verbotsschilder als Schlammlöcher gibt, und ein Gelände nach dem anderen geschlossen wird, haben sich auch die Anforderungen an moderne Enduros etwas verändert: weg vom kompromißlosen Sportgerät, hin zu unkomplizierter Alltagstauglichkeit.
Wer also nicht den nötigen Ehrgeiz aufbringt, sich mit wettbewerbstauglichen Sportgeräten abzurackern, und wem auf der anderen Seite eine dickbauchige Reise-Enduro zu langweilig ist, der kann sich sicher für den goldenen Mittelweg erwärmen. Eine sportliche Enduro, leicht und wendig, mit ordentlichen Geländeeigenschaften und genügend Komfort im Straßenbetrieb.
Zu den populärsten Vertretern dieser Gattung zählt die Suzuki DR 650 SE. Für äußerst günstige 9990 Mark bietet sie dem Off Road-Fan alles, was dessen Herz begehrt. Lange Federwege von 260 Millimetern, eine schlanke Linie, einen robusten, luft-/ölgekühlten Motor, eine Auspuffanlage aus Edelstahl und den unschätzbaren Luxus eines E-Starters.
Diesen Luxus gönnt sich auch die Yamaha TT 600 E. Im Gegensatz zu ihrer sportlicheren Variante, der TT 600 S, die aus Gewichtsgründen auf diese nützliche Erungenschaft der Technik verzichtet, kann auch sie nur per Knopfdruck zum Leben erweckt werden. Dabei gibt es immer noch Kritiker, die gern einen zusätzlichen Kickstarter als Alternative und Retter in der Not zum E-Starter hätten. Solch vorsichtigen Naturen sei aber versichert, daß so etwas wenig Sinn macht. Denn der Motor, der nicht anspringt, obwohl schon die ganze Batterie leegeorgelt wurde, hat ein Problem, das auch mit dem Kickstarter nicht zu beheben ist. Abgesehen vom E-Starter kann die nicht mehr ganz so taufrische TT auch in anderer Hinsicht mit der DR konkurrieren. Mit 9750 Mark bleibt sie preislich und mit 163 Kilogramm auch in Sachen Gewicht noch unter dem aktuellen Suzuki-Angebot. Äußerlich allerdings wirkt die TT trotz der modischen Lackierung nicht ganz so zierlich und elegant wie die Suzuki. Das mag auch an der vergleichsweise kurzhubigen Hinterradfederung liegen. So sieht die Yamaha immer etwas hecklastig und pummelig aus.
Rank und schlank präsentiert sich dagegen die KTM 620 LC 4 Enduro. Obwohl sie im österreichischen Stammhaus neben ihren hartgesottenen Schwestern LC 4 Competition und der noch kompromißloseren Super Competition die gemäßigte Linie vertritt, wirkt sie im Vergleich mit der DR und der TT extrem radikal. Hochwertige Federelemente von White Power gestatten bis zu 320 Millimeter Federweg, der wassergekühlte Single soll stolze 50 PS leisten, und die grobstollige Serienbereifung von Michelin ist speziel auf den Geländeeinsatz ausgerichtet. Die KTM ist höher als die anderen, sie ist trotz des großen 20 Liter Tanks mit 155 Kilogramm deutlich leichter, aber sie ist mit 12 790 Mark auch über 25 Prozent teurer als die Kokurrenz. Für einen E-Sarter hat es trotzdem nicht gereicht. Den verbaut KTM bislang leider nur an ihrem Funbike, der Duke. Bei echten Geländemaschinen hält man dieses Detail in Österreich wohl für überflüssig.
Doch mit dem Gelände ist das ja, wie eingangs erwähnt, so eine Sache. Erst muß man mal eines finden. Weil das in deutschen Gefilden ein recht aussichtsloses Unterfangen darstellt, bewegt sich die MOTORRAD-Testcrew in Richtung Elsaß. Die Startzeremonie birgt dabei keinerlei Tücken, die KTM springt bei den herrschenden moderaten Temperaturen spätestens auf den dritten Tritt an. Allerdings ist für das Ankicken eine gewisse Körpergröße gefragt. Der Kickstarter hängt nämlich so hoch, daß Menschen unter 170 Zentimeter schon einen Bordstein brauche, um ihn zu ereichen ist.
Auch sonst gehören die drei Probanden eher zu der Art Motorrad, die große Menschen bevorteilt. Speziell wenn die KTM auf ihrem Hauptständer thront (einen Seitenständer gibt es leider nicht), erscheint sie nahezu unbezwingbar. Dagegen wirken Yamaha und Suzuki richtig harmlos. Zumal die DR durch ihre komfortbetohnte, extrem weiche Fahrwerksabstimmung unter der Last eines 70 Kilogramm-Fahrers schon knapp die Hälfte ihrer 270 Millimeter Federweg aufgibt. Wem das dann immer noch nicht zu einem sicherem Stand reicht, der hat die Möglichkeit, seine DR über eine zusätzlich vorhandene Bohrung in der unteren Federbeinaufnahme um weitere 40 Millimeter abzusenken.
Für die obligatorischen Verbrauchsmessungen begibt sich das Test-Trio zuerst einmal auf die Autobahn. Daß dabei wenig Freude aufkommt, ist allen Beteiligten schon vorher klar, dennoch ergeben sich ein paar interessante Erkentnisse. So zeigt sich die schon auf dem Prüfstand leistungsmäßig überlegene KTM (siehe Kasten Leistungsmessung Seite 39) auch in Sachen Topspeed leicht überlegen. Allerdings läßt bei Geschwindigkeiten um die 160 km/h der Geradeauslauf der hochbeinigen LC 4 schwer zu wünschen übrig. Jeder Luftwirbel vorausfahrender Fahrzeuge erzeugt abenteuerliche Schlingerbewegungen, die nur durch kräftigen Knieschluß und behutsam geführte Lenkerenden auszugleichen sind.
Unbeirrt von allen äußeren Umständen ziehen Yamaha und Suzuki ihre Bahn. Kein Rühren und kein Schaukeln, sicherer Geradeauslauf in allen Geschwindigkeitsbereichen ist garantiert.
Bekommt man die schlechte Geradeauslaufstabilität der KTM noch durch Routine und ein feines Händchen in den Griff, ist man gegen die mörderischen Vibrationen des Triebwerks machtlos. Trotz Ausgleichswelle vibriert der Eintopf so hart, daß schon nach 20 Kilometern zügiger Fahrt Handflächen, Füße und Sitzfleisch empfindlich an Gefühl verlieren. Erst mit Beendigung der Autobahnetappe kommt wieder Leben in die tauben Gliedmaßen des KTM-Fahrers. Die ständigen Drehzahlsprünge auf der Landstraße machen Vibrationen erträglicher.
Daß die DR mit gemessenen 43 PS der KTM um ganze elf Pferdchen unterlegen ist, macht sich nur auf dem Papier bemerkbar. Die Fahrleistungen sprechen eine ganz andere Sprache. Selten gab sich ein Eizylinder so gutmütig und problemlos wie das Suzuki-Triebwerk. Gleichmäßig schiebt er schon aus dem Drehzahlkeller an, ohne dabei wild an der Kette zu reißen. Er kennt weder Leistungslöcher noch störende Vibrationen und entwickelt im oberen Drehzahlbereich eine erfrischende Drehfreude.
Der betagte, luftgekühlte Yamaha-Single steht im Vergleich zur KTM auch nicht so schlecht da, läßt allerdings einiges von der Leichtigkeit vermissen, mit der das Suzuki-Triebwerk überzeugt. Etwas weniger elastisch und ruppiger im unteren Bereich, etwas träger und zäher im oberen Drehzahlbereich, muß sich der mit 42 PS gemessene Oldie aber keinesfalls verstecken.
Die Vorzüge eines elastischen Motors werden einem erst so richtig bewußt, wenn die flotte Hatz über enge Landstraßen von einer der zahlreichen Ortsdurchfahrten unterbrochen wird. Einfach so dahinrollen, im großen Gang mit Tempo 50, wird für die KTM zum Problem. Selbst im Schiebebetrieb sprotzt und kotzt der Sportler, schlägt laut mit der Kette gegen die Kunststofführungen und verlangt nach ständiger Schalterei.
Auf freier Wildbahn nervt der Gangwechsel dagegen weniger, denn alle drei Fünfganggetriebe sind sehr leicht und exakt zu schalten. Am besten kommt aber die Suzuki weg, die außer mit einem guten Getriebe auch noch durch eine fein dosierbare und extrem leichtgängige Kupplung begeistert. KTM und Yamaha verlangen nach etwas mehr Handkraft. Im ersten Moment eigentlich kein Problem, nach einer langen Tagestour lernt man leichtgängige Hebeleien aber schätzen.
Gleiches gilt für die Bremsanlagen. Auch hier ist die DR ihren Mitstreitern einen Tick überlegen. Gerade durch die leichten Vorteile in der Dosierbarkeit läßt sich die Suzuki immer etwas einfacher und dadurch entspannter fahren. Ganz und gar nicht entspannend wirkt sich die Geräuschentwicklung der vorderen KTM-Bremse aus. Kaum zu glauben, wie laut so eine feine 300er-Scheibe quietschen kann.
Die weitere Anfahrt in die Nord-Vogesen gestaltet sich unspektakulär. Wider Erwarten schlägt sich dabei die kompromißlose KTM recht passabel. Sie wirkt in Wechselkurven durch die weichen, sich verschiebenden Stollen zwar etwas schwammig, auch der hohe Schwerpunkt, vor allem mit vollem Tank, erfordert mehr Einsatz vom Fahrer. Dennoch hat sie wenig Mühe, mit dem vorgelegten Tempo ihrer straßenorientierten Widersacher mitzuhalten.
Nach langer, zermürbender Fahrt, bei der keine der drei Sitzbänke sich durch einen besonders pfleglichen Umgang mit dem Allerwertesten hervortun konnte, bekommt die Dreierbande die ersten asphaltlosen Verbindungsträßchen unter die Stollen. Die schmalen Wege sind zwar trocken, aber von langen Regenfällen stark ausgewaschen und mit tiefen Schlaglöchern übersät. Es scheint so, als sei die Stunde der KTM gekommen, doch ihre Überlegenheit hält sich in Grenzen. Nur unter sehr geübter Hand läßt sich die LC 4 flink um die engen Kehren zirkeln. Wer wenig oder keinerlei Geläde- oder Moto Cross-Erfahrung mitbringt, kämpft auf losem Untergrund ständig gegen ein nach außen schiebendes Vorderrad. Nur mit viel Vorlage des Oberkörpers und gleichzeitigem Druck zur Kurveninneseite ist diese Tendenz zu lindern.
Sogar fehlende Übung macht der TT-Pilot durch sein gut ausbalanciertes Fahrwerk gut. Wenden auf engstem Raum ist dank des großen Lenkeinschlags ein Kinderspiel. Der geringe Federweg der Hinterhand macht sich durch die niedrige Sitzhöhe ebenfalls positiv bemerkbar. Die 220 Millimeter reichen jederzeit aus, um selbt die tieftsten Löcher in den ausgefahren Schotterpisten zu glätten.
Ähnlich verhält es sich mit der Suzuki. Auf den ersten Eindruck viel zu weich gefedert, reichen auch ihre Reserven jederzeit aus, um auch mal grobe Geröllbrocken wegzustecken. Die Verbindung von elastischem Motor, sensibel ansprechenden Federelementen und der schlanken Tank-Sitzbank-Linie garantiert auch in leichtem bis mittelschwerem Gelände die streßfreieste Art der Fortbewegung.
In einer kniffligen Trialpassage, wo es heißt, im Schrittempo umgestützte Bäume zu umfahren ohne den angrenzenden Abhang hinunterzusegeln, hat die DR sogar die Nase vorn. Wieder siegt die gute Dosierbarkeit von Kupplung und Bremse über die ellenlangen Federwege einer KTM. Und es passiert immer in solch ungelegenen Situationen wie dieser, daß der KTM-Motor mangels Schwungmasse abrupt seine Arbeit einstellt. Ebenso klar ist auch, daß er genau jetzt nicht auf den ersten oder zweiten Tritt anspringen will.
Die anfänglich harmlose Wandertour findet wenig später ihren Höhepunkt auf einer der vielen kleinen Moto Cross-Pisten Frankreichs. Endlich kann die Österreicherin mal zeigen, was sie wirklich drauf hat. Meterhohe Sprünge stecken die sportlich straffen Federelemente gelassen weg, tiefe Spurrillen lassen sich meistern, ohne daß es einem gleich die Füße von den Rasten reißt, und an den sandigen Auffahrten sorgen die mittlerweile etwas abgerundeten Stollen der Michelin MT 63 noch für ordentlichen Vortrieb. In den engen Anliegern fühlt sich die LC 4 so richtig wohl, als der Spritvorrat langsam zu Ende geht. Mit zirka 1,5 Litern der Reserve im Benzinfaß liegt der Fahrzeugschwerpunkt viel tiefer, die langbeinige Sportlerin wirkt jetzt erfrischend handlich.
Die Yamaha reagiert angesichts solcher Steckenverhältnisse nur mäßig euphorisch. Dank der ebenfals recht straffen Fahrwerksabstimmung steckt auch sie den einen und anderen Hüpfer noch ganz gut weg. Wenn es aber über die langen, ausgefahrenen Wellen auf der Zielgeraden zu donnern gilt, springt die Hinterhand wild auskeilend hinter dem Vorderrad her. Das feine Profil der Pirelli-Reifen stellt ein zusätzliches Handikap dar. Wenig Vortrieb und schlechte Führungseigenschaften lassen beim TT-Piloten nur wenig Freude aufkommen.
Die hat der DR-Fahrer zu diesem Zeitpunkt schon gänzlich verloren. Vorn und hinten krachen seine Federelemente auf Block. Selbst wenn die hintere Feder bis zum Anschlag vorgespannt wird, sackt die Suzuki nach jedem Sprung gnadenlos in sich zusammen. Außerdem teilt sie das Schicksal der Yamaha: mangels griffigen Profils der Bridgestone-Pneus kein Vortrieb auf dem losen, sandigen Untergrund. Auch Rahmenunterzüge und Motorblock haben nichts zu lachen. Immer wieder schrappt der DR-Rumpf unsanft über den Boden. Ein Motorschutz, wie ihn Yamahas TT besitzt, würde auch der Suzuki nicht schaden.
Trotz dieser doch sehr klaren Schlappe im harten Gelände sind sowohl die Suzuki als auch die Yamaha nicht sonderlich deprimiert. Schließlich kommt nach dem kurzen Spaß auf der Cross-Piste wieder der Alltag auf sie zu. Was so viel heißt wie: Schotterwege, kleine und mittlere Landstraßen sowie nicht zuletzt auch ungeliebter Stadtverkehr. Und für diesen Zweck sind sie bestens gerüstet.