Crossover bedeutet die Mischung von Stilen. Unter Zweirädern bezeichnet das aufrechten Enduro-Look für viel Spielübersicht, ergänzt um sporttouristische Aspekte und 17-Zoll-Felgen, weil das nächste Abenteuer auf der Straße gesucht wird. Ganz streng genommen passen BMWs neue F 750 GS und Suzukis V-Strom 650 nicht in dieses Raster. Vorne rotiert bei ihnen ein 19-Zöller. Sein reines Straßenprofil weist aber in beiden Fällen eindeutig in eine Richtung, und die sieht grobes Terrain nicht vor. Also doch alles paletti mit der Neuen aus Bayern und dem Evergreen aus Hamamatsu in diesem Kreis, zu dem sich noch Kawasakis Versys 650 und Yamahas Tracer 700 gesellen.
Wörtlich aus dem Englischen übersetzt bedeutet „to cross over“ aber auch überqueren. Das klappt mit Brücken wunderbar. Und wo versammeln sich die meisten davon in Europa? Richtig, in der Hansestadt Hamburg. Mehr als 2.500 spannen sich dort über Elbe, Alster, zahlreiche Kanäle und Hafenbecken. Der Haken daran? Gute 700 Kilometer liegen zwischen dem Start in Baden-Württembergs Landesmetropole Stuttgart und dem Ziel im Norden. Das verlangt nach einer frühen Abfahrt. Sechs Uhr zeigt der Zeitmesser an einem Montagmorgen. Gut, dass alle eine gehörige Portion Touring in sich versammeln. So gleiten wir die ersten Meter auf der Autobahn dahin.
Sitzposition, Platzangebot, Komfort
Kommod empfängt die BMW F 750 GS ihren Reiter. Leicht dynamisch nach vorne gebeugt greifen die Hände zum breiten Lenker, entspannen die tief platzierten Rasten den Kniewinkel. Der Komfort des 830 Millimeter hohen Sitzmöbels passt. Das gilt auch für die Kawasaki Versys 650. Ihr Lenker streckt sich an langen Risern dem Fahrer etwas mehr entgegen, Polsterung, Kniewinkel und Platzangebot taugen aber ebenso problemlos fürs Kilometersammeln. Noch mehr Raum gefällig? Die Suzuki V-Strom 650 hat ihn im Angebot. Ihr Kniewinkel zwingt die Beine wegen der höher angebrachten Rasten zwar in eine sportlichere Grundhaltung, dafür stimmt der Rest unter allen Belangen. Engster Knieschluss, kuscheliges, aber festes Polster, aufrechter Sitz: Wo bitte geht’s zum Ende der Welt? Und dann zwickt es doch schon vorher, der Steiß meldet sich. Die gerade Sitzposition hinterm großen Tank ist schuld. Zusammen mit dem weit nach hinten geschwungenen Lenker hockt der Suzuki-Pilot bequem, aber inaktiv in ihr. Das viele Gewicht auf dem Hintern kann das beste Polster auf Dauer nicht sänftengleich betten. Schade, da wäre mehr drin.
Aktiver sitzt es sich wiederum auf der Yamaha Tracer 700, allerdings nur für Menschen bis 185 cm. Die Tracer geizt mit Platz, bietet Bequemlichkeit, aber wenig Raum zum Hin- und Herrutschen, fürs Ändern der Sitzhaltung. Für Normalgewachsene ist das okay, Längere tun sich damit schwer.
Tempomat, Gasannahme, Getriebe
Dank Tempomat, der zum Touren-Paket der BMW gehört, huscht die F 750 GS flugs mit entspanntem Fahrer zum nächsten Halt. Die anderen verzichten auf den Geschwindigkeitsregler.
Wahnsinn, wie geschmeidig die Suzuki am Gas hängt, innerorts selbst in hohen Gängen lässig im Verkehr mitschwimmt. Die Yamaha meistert das auf ähnlichem Niveau, die Kawasaki dröhnt bei Drehzahlen zwischen 2.000 und 3.000 Touren nur mächtig, gibt sich zahm, aber etwas unmotiviert, ruckt schon mal leicht beim Gasanlegen. Laut und etwas ruppig, das kann unter diesen Voraussetzungen auch die BMW. Ihr Motor mahlt und rasselt inbrünstig mit der Steuerkette, zudem zuckt auch ihr Antrieb bei Drehzahlen um 2.000 Umdrehungen schon mal. Zwei Schritte vor, einer zurück – so fühlt sich das an. Dann lieber per gut funktionierendem Blipper – im Dynamik-Paket enthalten – einen Gang nach unten schalten.
Da die Getriebe gerade schon zur Sprache kommen: Alle geben sich verlässlich. Die BMW punktet mit dem Schaltautomaten fürs Hoch- und Runterschalten, verwöhnt zudem mit einer fein dosierbaren Kupplung. Ein Finger genügt bei der Versys 650, um den Kraftschluss zu trennen, der Druckpunkt ist gut, die Schaltbox verlangt aber nach einem kräftigen Fuß. V-Strom 650 und Tracer 700 geben sich insgesamt ebenso untadelig, bieten Kupplungs- und Schaltkomfort auf hohem Niveau.
Geradeauslauf, Leistung, Windschutz
Auf der Autobahn 7 stehen die Geradeauslauf-Qualitäten im Fokus. Flott fegen die BMW und die Yamaha die BAB-Auffahrt hinauf. Ihre Motoren setzen mit 78 und 75 PS die Ausrufezeichen in diesem Feld. Versys 650 und V-Strom 650 begnügen sich mit 69 Pferdestärken. Da alle vier mit Koffern ausgerüstet sind, pendelt sich das Reisetempo um empfohlene 130 km/h ein. Nur ein kleiner Sprint würzt ab und zu die Etappe.
Unerschütterlich saugen die BMW und die Suzuki Meter unter ihren Rädern durch. Mit Radständen von mehr als 150 cm rennen sie ohne zu pendeln voran. Selbst bewusst eingeleitete Anregungen über den Lenker klingen schnell wieder ab. Die Radstände von Kawasaki und Yamaha zeigen im Ansatz schon, was sie wollen: wuseln, nicht stur geradeaus rennen. 1.415 Millimeter trennen Vorder- und Hinterrad bei der Kawasaki, 1.450 mm bei der Yamaha. Dazu sind bei beiden die Fahrwerke kommod abgestimmt, verfügen über wenige Reserven. Wer es drauf anlegt, bringt viel Bewegung in die beiden. Daher lieber gemütlich voranmachen. Durchweg gut fällt bei Autobahntempo bei den Japanern der Windschutz hinter den höhenverstellbaren Scheiben aus. Zwar geht’s hinter der Suzuki-Scheibe je nach Fahrergröße auch ein wenig turbulent zu – besser als auf der BMW bleibt’s in jedem Fall. Deren Mikroscheibchen entlastet nicht. Da hilft nur ducken.
Handling, Fahrwerk, Motor
Zwei Stunden später sind die Bilder im Kasten, der Fotograf zischt schon mal Richtung Hotel in Paderborn weiter. Der Rest folgt der L 755 noch ein Stück aus Altenbeken heraus. Endlich Kurven. Wie von selbst finden Versys und Tracer die enge Linie, huschen mühelos um die tollen Biegungen der Strecke. Da fordern F 750 GS und V-Strom 650 deutlichere Impulse. Die Radstände machen sich erneut bemerkbar. So handlich wie Kawasaki und Yamaha sind sie nicht. Doch ihre große Stunde kommt noch. Die Fahrwerke der BMW und der Suzuki machen das Mehr an Kraftaufwand durch Stabilität, Präzision und die gelungenen Fahrwerksabstimmungen locker wett. Die Kawasaki und die Yamaha trudeln leicht, wenn Last- oder Gangwechsel anstehen. Vor der Kurve den Hahn schließen und bremsen – schon sacken beide leicht zusammen. Flinkes Runterschalten quittiert die Yamaha zudem mit einem stempelnden Hinterrad. Die Versys meistert das dank Anti-Hopping-Kupplung souverän. Richtig ruhig liegt sie aber auch nicht, wenn kurvige Fahrfreude im Vordergrund steht. Das offenbart der Umstieg auf die Suzuki und die BMW sofort. Besonders die F 750 GS fährt viel souveräner. Die Federbasis des semiaktiven, elektrisch justierbaren Dynamik-ESA-Fahrwerks auf die Stufe „Person plus Gepäck“ angehoben, die Dämpfung auf „dynamisch“ verstellt – und die BMW rauscht wie hingezimmert durchs Winkelwerk. Die Suzuki kann das fast genauso gut. Einzig ihre Gabel schwingt nach der Anbremsphase schon mal leicht nach. Dafür brilliert sie mit der größten Schräglagenfreiheit.
Das Gute dabei: Selbst unter dem Aspekt Komfort bedeuten die stabilen Fahrwerksabstimmungen von BMW und Suzuki keine Einbußen, erreichen beide das Level der soft dämpfenden Kawasaki, die Yamaha muss sich sogar klar dahinter einsortieren. Die begeistert trotz des leicht gautschigen Wesens ein ums andere Mal mit ihrem Motor. Der kann wirklich alles, ein tolles Aggregat, genau wie der V2 der Suzuki. Der dreht bei Bedarf fluffig nach oben, wo dem BMW-Zweier langsam die Puste ausgeht. Ab mittleren Drehzahlen signalisiert der Twin von Kawasaki: Hier bin ich daheim. Nur: Er würzt jedes Hochdrehen über 5.000 Touren mit zunehmenden Vibrationen. Ein drehfreudiger Zitteraal. Immerhin: Das Ansprechverhalten der Versys ist in diesem Bereich ohne Tadel. Also den Twin noch einmal jubeln lassen. Die nächste Biegung liegt schon in Sichtweite, doch warum steht der VW-Bulli da vorne so komisch im Feld? Die örtlichen Ordnungshüter wollen am Motorradspaß verdienen. Zeit fürs Hotel.
Mit 15 Litern hat die BMW den kleinsten Tank – da droht trotz geringen 4,2 Liter Verbrauch auf 100 Kilometern nach 357 Kilometern Ebbe im Spritfass. Beim Verbrauch schenken sich die vier nur wenig, mit satten 21 Liter Tankinhalt markiert die Kawa bei der Reichweite den Primus, müsste theoretisch erst nach 525 Kilometern wieder zur Zapfsäule.