Mit einer 400er Viertakter setzt Yamaha ein neues Highlight am Off Road-Himmel.
Eigentlich ist er ein Kumpel zum Pferdestehlen: klein, leicht, quirlig und anspruchslos. Doch wie das mit so genialen Freunden ist, in Sachen Manieren liegt´s im argen. Und so mögen den Zweitakter mit seiner ständigen Qualmerei und Trunksucht nur noch wenige. Am allerwenigsten die moralbewußten Amerikaner, die den Lebemann seit Beginn dieses Jahres mit für ihn unerfüllbaren Abgas-Grenzwerten aus den weiten Steppen Kaliforniens verbannten - und den Herstellern damit ihren wichtigsten Absatzmarkt für Moto Crosser und Enduros mit dem knatternden Herz entzogen.
Und so kam es, wie es eigentlich schon längst hätte kommen müssen: Plötzlich kümmert man sich auch im Land der aufgehenden Sonne um sportive Viertakt-Crosser. Wohl gemerkt, dieses Feld lag bislang keineswegs brach, doch mit den vergleichsweise behäbigen und teilweise antiquierten 600-cm³-Viertakt-Boliden vom Schlage einer Honda XR 600, Kawasaki KLR 650 oder erst recht deren schwachbrüstigen kleinen Schwestern wie Suzuki DR 350 oder der Yamaha TT-Reihe wurde es nur dürftig bewirtschaftet - bis Yamaha jetzt zum Generalangriff bläst.
YZM 400 F nennt sich die Wunderwaffe, welche die Marke mit den drei Stimmgabeln als potentielle Erbin der möglicherweise scheidenden Zweitakt-Dynastie einsetzt. Der Aufwand der Amtseinführung kann sich sehen lassen. Mit den beiden Top-WM-Crossern Peter Johansson aus Schweden und dem Italiener Andrea Bartolini als Galionsfiguren treibt derzeit eine zehnköpfige Crew die Entwicklung im Rahmen der 500er Moto Cross-WM voran. In den USA wird der Neuzugang unter dem derzeitigen Supercross-Tabellenführer Doug Henry in der anstehenden Freilandcross-Meisterschaft aufgepäppelt.
Wobei das technische Konzept zunächst überrascht. Statt mit möglichst viel Hubraum den bislang propagierten prinzipiellen Vorteil der Viertakttechnik - die sanft einsetzende, leicht beherrschbare Leistungentfaltung - zu nutzen, ernennt Yamaha-Cheftechniker Hisazumi Takasaki Handlichkeit zum obersten Entwicklungsziel. Sein Weg dorthin: erstens geringes Gesamtgewicht und zweitens wenig Hubraum, um die großen drehenden Massen und abrupten Motorreaktionen großvolumiger Viertakter zu vermeiden.
Das Ergebnis: ein Motor mit derart niedrig Bauweise, daß er in das nur minimal abgeänderte Fahrgestell der aktuellen 250er Yamaha-Zweitakt-Crosser mit der für diese Spezies hinreichend bekannten gigantischen Handlichkeit implantiert werden konnte. Der Schlüssel dazu liegt in der Tat im Winz-Hubraum oder präziser in der extrem kurzhubigen Auslegung des YZM-Motors. Konkrete Werte lassen sich die Yamaha-Techniker, die seit eineinhalb Jahren an diesem Projekt arbeiten, zwar nicht abringen, Insider schätzen aber, daß bei insgesamt 397 cm³ Hubraum deutlich unter 50 Millimeter Hub reichen müssen. Im Vergleich: Die Honda XR 400 arbeitet mit 70 Millimetern Hub, die 400er Husqvarna mit deren 60,8.
Gedeckelt wird das Ganze von einem für Yamaha seit 1985 typischen Fünfventil-Zylinderkopf, bei dem drei Einlaßventile für mehr Zylinderfüllung aus dem 40er Mikuni-Flachschieber-Vergaser sorgen sollen.
Das alles thront im Fall der bislang produzierten sechs YZM-Motoren auf einem CNC-gefrästen Alu-Gehäuse mit Magnesium-Seitendeckeln. Vier Gänge reichen für den aktuellen Moto Cross-Einsatz locker aus, auch wenn die deklarierten, unter dem Konkurrenzdruck in der 500er WM aber auch notwendigen 57 PS nicht unter 13000 Umdrehungen anfallen dürften.
Gewicht sparen die Yamaha-Mannen außerdem beim Schmiersystem. Auf eine Ölpumpe wird wie bei Husqvarna verzichtet und statt dessen der Überdruck im geschlossenen Kurbelgehäuse benutzt, um das Öl über ein Ventil mit Hilfe der Steuerkette zu den beiden Nockenwellen hochzupumpen. Noch im verborgenen bleibt allerdings die Bestimmung des auf den ersten Blick wie ein Ölabscheider aussehenden Behälters am Zylinderkopf, in den zwar der Schlauch der Getriebegehäuseentlüftung mündet, der aber gleichzeitig mit einem Auspuffkrümmer verbunden ist.
Summa sumarum bringt die YZM kärgliche 102 Kilogramm auf die Waage - exakt genausoviel wie ihr Viertelliter-Zweitakt-Pendant-. Bei Viertakt-Crossern, die in der Regel 115 Kilogramm nicht unterschreiten, ein absoluter Spitzenwert.
Daß das Konzept der YZM aufzugehen scheint, beweist das Resultat von Andrea Bartolini bei der hochkarätig besetzten internationalen Moto Cross-Saison-Eröffnung im südfranzösischen Beaucaire. Der Italiener plazierte den weißen Blitz im dritten Lauf auf dem sensationellen vierten Rang direkt hinter Viertelliter-Weltmeister Stefan Everts und vor Moto Cross-Superstar Sébastien Tortelli. Der Eindruck vom Streckenrand: Die Viertakt-Yamaha jubelt bis in höchste Töne, kann nach engen Kehren aber dennoch mit erstaunlichem Antritt aus sehr niedrigen Drehzahlen auffallend schaltfaul gefahren werden.
Daß aus dem Moto Cross-Prototyp natürlich die längst erwartete, sehr sportlich ausgerichtete Viertakt-Enduro hervorgehen wird, liegt auf der Hand. Doch vor 1999 dürfen Off Road-Freaks nicht auf quirlige Viertakt-Technik hoffen. Genauso verfrüht ist die Frage nach Einspritzung, Katalysator und erst recht dem Preis. Ganz klar dürfte aber sein, daß das handliche und federleichte YZM-Experiment eine Trendwende im Off Road-Motorradbau einleiten könnte. Denn bereits in Beaucaire setzte auch Ex-Halbliter-Weltmeister Joel Smets erstmals eine 440-cm³-Husaberg ein.
Viertakter im Moto Cross - Alles schon mal dagewesen
Bereits vor zwei Jahrzehnten kämpfte Yamaha mit einem Viertakter in der Cross-WM
Viertakter im Moto Cross - eine Geschichte mit Höhen und Tiefen, in der auch Yamaha eine Rolle spielte. Bis Mitte der sechziger Jahre dominierten die Dampfhämmer den Off Road-Sport, allmählich eroberten jedoch die quirligeren Zweitakter das Terrain. Doch das Herz vieler ehemaliger Cross-Champions schlug weiter im Viertakt. So auch das des vierfachen Weltmeisters Torsten Hallman, nach seiner Karriere Yamaha-Importeur in Schweden, sowie seines Mitarbeiters Sten Lundin, ebenfalls mit zwei WM-Titeln dekoriert. Als 1976 die damals sensationelle Viertakt-Enduro XT 500 nach Europa kam, sahen die beiden Oldies neue Perspektiven. Sie implantierten das Zentralorgan der XT in ein aus Husqvarna-Fragmenten aufgebautes Fahrwerk. Als Fahrer konnten sie den Altstar Bengt Aberg gewinnen, der mit der in Schweden gebauten HL 500 die Weltmeisterschaft 1977 bestritt. Mit diesen Argumenten konnte Yamaha zu einer bescheidenen Unterstützung des Projekts gewonnen werden. Krönender Höhepunkt: der Gesamtsieg beim Grand Prix Luxemburg, der bis zum WM-Titel des Belgiers Jacky Martens auf Husqvarna im Jahr 1993 für lange Zeit der letzte Erfolg eines Viertakters bleiben sollte.Da die HL hauptsächlich mit Ersatzteilen aus dem Regal des Yamaha-Importeurs Hallman aufgebaut worden war, war der Schritt zum »echten« Yamaha-Motorrad nicht mehr weit. Nachdem Hallman 1977 einige wenige Rahmenkits verkauft hatte, baute er 1978 und 1979 jeweils 200 Exemplare, die über das Yamaha-Händlernetz vertrieben wurden.Zur ihrer Zeit war die heute wie ein altertümliches Relikt wirkende HL eine durchaus moderne Cross-Maschine. Der nur milde getunte XT-Motor agierte im Vergleich zu den hart einsetzenden Zweitaktern unglaublich sanft. Etwas mehr Leistung brachte der 38-Millimeter-Mikuni-Vergaser in Kombination mit einer schärferen Nockenwelle.Die leichte CDI-Zündung eines damaligen Yamaha-Zweitakt-Crossers machte die Leistungscharakteristik spontaner. Mit kaum mehr als 40 PS - das entspricht einer Literleistung von 80 PS - sieht der Oldie im Vergleich zur YZM 400 F (150 PS Literleistung) allerdings ziemlich alt aus. Als dann Zentralfederbeine mit modernen Hebelsystemen aufkamen, geriet die HL schnell ins Hintertreffen.So kam es, wie es kommen mußte: Das von Yamaha nur halbherzig unterstützte Projekt wurde nach nur zwei Jahren wieder eingestellt und erlebt in Gestalt der YZM 400 F nun erst nach 18 Jahren seine Wiedergeburt. GT
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