Nirgends sonst kommen so viele und so verschiedene Vorkriegs-Klassiker in einer so einzigartigen Atmosphäre zusammen wie beim Vintage Revival Montlhéry. Leider nur alle zwei Jahre.
Nirgends sonst kommen so viele und so verschiedene Vorkriegs-Klassiker in einer so einzigartigen Atmosphäre zusammen wie beim Vintage Revival Montlhéry. Leider nur alle zwei Jahre.
Hoch für runter, runter für hoch. Es ist besser, sich das zu notieren. Also schreiben sie, weil gerade nichts anderes da ist, mit einem roten Nagellack „Up for down, down for up“ auf die Metallplatte im Blickfeld vor dem Lenker. Nicht auszudenken, was passiert, wenn er es vermasselt und bei 120 nicht den letzten Gang nachlegt, sondern in den zweiten zurückschaltet. „Es wird schon gehen“, schreit James ihn an, als die beiden nebeneinander in der Boxengasse stehen, James auf einer 1000er-Vincent-HRD von 1938 und Tony auf dem Wiederaufbau einer 1928er-Cotton mit JAP-Speedway-V2. Tony nickt nur und hebt kurz den Daumen, viel reden hilft jetzt ohnehin nichts. Um die beiden herum brüllen sich fast 40 Grand Prix- und Rennmaschinen auf Temperatur, die ältesten wie die Norton CS 1, die 500er-AJS oder die BMW R 63 Sport beinahe 90, die jüngste 78 Jahre alt, eine Velocette MAC MOV 350.
Es ist so laut, dass einem ein Fiepen in den Ohren bleibt, noch Minuten, nachdem die Maschinen eine nach der anderen auf die Strecke beschleunigt haben. Dabei wurde die Gegend um die Boxengasse großzügig eingenebelt von einer sehr aromatischen Wolke aus schlecht verbranntem Sprit und Methanol. Schon am Vorstart war es kaum auszuhalten gewesen, und der arme Ansager hatte, obwohl er sich förmlich überschlug in seiner Begeisterung, gegen die Maschinen so wenig eine Chance wie die Chansons, die sie der nostalgischen Atmosphäre wegen zwischendurch einspielten.
„Ist das nicht irre?“, fragt George Davidson mit großen Augen, als die Motorräder unterwegs sind. „Hast du gesehen, wie an der NLG die Ventile gehen, und wie du es hören kannst jedes Mal, wenn sie öffnen und schließen? Fffffft, fffffft, fffffft, fffffft, ffffffft“, macht George und mit den Zeigefingern so, als wären es die Kipphebel, die auf die Ventile drücken. George ist extra aus Kentucky zum Vintage Revival Montlhéry gekommen, und obwohl er als Bugatti-Fahrer in der Hauptsache der Autos wegen da ist, kommt er von diesem Ding nicht los. Das Ding ist die Replika der North London Garages Maschine, mit der W.E. Cook vor 98 Jahren in Brooklands eine Geschwindigkeit von 90 Meilen die Stunde erreichte, unter sich einen 90-Grad-JAP-V2 mit 2,7 Liter Hubraum. Die Replika hat der Tscheche Pavel Malanik in mehr als zwei Jahren Arbeit aufgebaut und dabei jedes einzelne Teil, jedes einzelne, anfertigen müssen.
Das Vintage Revival Montlhéry ist die perfekte Bühne, um die gigantische Maschine laufen zu lassen. Alle zwei Jahre versammelt das Revival 30 Kilometer im Süden von Paris an die 400 Autos und fast 200 Motorräder aus Vorkriegszeiten auf der alten Steilwandstrecke von Montlhéry. „Es gibt kein besseres Vorkriegs-Treffen als dieses“, sagt Patrick Bouton, zwischen den Fingern eine dicke Zigarre, unter der Nase ein angeklebter Bart zum 20er-Jahre-Anzug. „Die Maschinen, die du hier zu sehen und zu hören bekommst, sind sensationell, und die Leute sind es ebenfalls.“ Olivier Mahé, er bevorzugt Pfeife und einen grauen Werkstatt-Overall, gibt Patrick recht.
„Hier bildet sich keiner was ein, aber alle haben sie ölige Finger und dieselbe Begeisterung für den alten Kram.“ Die lassen sie sich auch vom lausigen Wetter nicht nehmen. Es regnet, mehr oder weniger, die ganze Zeit über, doch schade ist das nur, weil es mit den Motorrädern deshalb keiner wagen kann, sich dem oberen Rand der mächtigen Steilkurven zu nähern. Dort sichert eine heftig verbeulte Doppelleitplanke alle Mutigen gegen den Abflug ins Nichts. Anders als in Brooklands oder Sitges mit ihren künstlichen Böschungen ruht die etwa 2,5 Kilometer lange und bis zu 20 Meter breite Betonbahn von Montlhéry in den überhöhten Kurven auf 18 Meter hohen Stahlbetonsäulen.
Mit ihrer Neigung von 51 Grad sind die Kurven mehr als doppelt so steil wie diejenigen moderner Nascar-Kurse in den USA. „Du hast nur ein Betonband vor dir, das sich gegen den Himmel krümmt, und wenn du das erste Mal in die Steilkurve fährst, denkst du, du musst doch runterfallen. Aber die Physik“, sagt Jean-Frédéric Frot, „die Physik funktioniert. Und wenn du dich dran gewöhnt hast, ist es ein grandioses Gefühl hier zu fahren, es ist die perfekte Balance.“ Zusammen mit Vincent Chamon organisiert Fred das Vintage Revival Montlhéry in privater Initiative. Und man muss die beiden nicht fragen, warum sie das tun. „Schau dich doch um“, sagt Vincent. „Wir lieben diese Maschinen, wir lieben die Ästhetik ihrer Mechanik, die so nahbar ist, wie alles Moderne es nicht ist. Und wer hierher kommt, dem geht es ganz schnell genauso.“
Da liegt er richtig, die Atmosphäre ist ansteckend beim Vintage Revival Montlhéry. Das hat sicher auch mit der rekordreichen Vergangenheit, mit der Aura dieser Strecke zu tun, wo 1929 Herbert le Vack mit einer Brough Superior als Erster die 200er-Marke auf einem Motorrad knackt. „Das wird heute wohl nicht gehen“, sagt Philippe Boucq lächelnd. Er hat gerade einige Runden auf seiner 175er-Monet Goyon ZS 3 von 1925 gedreht. „Die Strecke ist rutschig wegen des Regens, und teilweise hoppelst du auch ganz schön herum. Da tun wir lieber langsam.“ Manchen bleibt auf ihren Lourquin et Coudert, Alcyon Alcyonette oder Griffon Type E sowieso nichts anderes übrig. Wobei das mit der Geschwindigkeit ja auch im Alltagsverständnis des Begriffs alles relativ ist. Auf einer Magnat Debon Course oder einer Thoman AD 250 können sich auch 80 Sachen verwegen schnell anfühlen, auf einer Gillet Herstal 350 oder Douglas W 350 rasant und auf einer Dreizylinder-Buchet von 1905, einer ABC Brooklands oder einer Zenith Gradua wie der Sprung in eine andere Dimension.
In eine andere Zeit schickt das Vintage Revival jeden in Montlhéry, Teilnehmer, Helfer und Besucher. Eine Zeit armlanger Stößelstangen, klapperdünner, starrer Rahmen, laufradgroßer Riemenscheiben, direkt angetriebener Vorderräder, offen bellender Einzylinder, monumentaler Zweizylinder, Seitensteuerung und Gegensteuerung, eine Zeit steil aufrechter oder kauernder oder beinahe liegend gestreckter Sitzpositionen. Allen diesen Maschinen ist es unmittelbar anzusehen, das ständige Bemühen etwas Anderes, etwas anders und es damit besser zu konstruieren, als es bis dahin möglich war. Das hat freilich nicht immer geklappt, es entstanden dabei viele Dinger der Unmöglichkeit, aber schön ist doch, dass sich das ja später erst herausstellen würde, und dass fast jeder Ausfall sehr schnell zu einem neuen Einfall führte. Wie machen wir das jetzt bloß? Die Gedanken sind den Konstruktionen beinahe anzusehen, sie sind an ihnen abzulesen wie die Schaltanweisungen, die sie Tony mit Nagellack an die Cotton-JAP gepinselt haben. Hoch für runter, runter für hoch. Und natürlich geht es, natürlich kommt er nicht durcheinander, sondern locker klar mit dem umgedrehten Schaltschema des Albion-Getriebes.
Alle zwei Jahre ist 30 Kilometer südlich von Paris die alte Rennstrecke von Montlhéry mit ihren immensen Steilkurven der passende Austragungsort für das privat organisierte Vintage Revival, nach Aussage von Teilnehmern und Besuchern das beste Treffen der Welt für Vorkriegs-Klassiker mit zwei oder mehr Rädern.