Die zweite Auflage der ADAC Sachsenring Classic vereint unzählige Motorrad-Legenden. Menschen wie Maschinen verdeutlichen dem begeisterten Publikum, wie sich der Zweiradrennsport über die Jahrzehnte entwickelt hat.
Die zweite Auflage der ADAC Sachsenring Classic vereint unzählige Motorrad-Legenden. Menschen wie Maschinen verdeutlichen dem begeisterten Publikum, wie sich der Zweiradrennsport über die Jahrzehnte entwickelt hat.
Wer sich heute fragt, welche Faszination der Motorsport vor vielen Jahrzehnten auf die Massen ausübte, fährt gemeinhin nach Goodwood. Oder nach Hockenheim. Oder nach Spa. Die dortige Stimmung, vor allem aber authentische Eindrücke der Straßenrennen früherer Zeiten lassen sich dort am besten aufsaugen. Alte Maschinen, historische Strecken, große Legenden… Es scheint nun aber fast so, als etabliere sich eine weitere, noch junge Veranstaltung im Kalender der Fans: die ADAC Sachsenring Classic.
Schon beim Betreten des Fahrerlagers bemerkt man, wie eng die Menschen rund um den Sachsenring mit dem Motorsport verbunden sind. Schließlich geht die Geschichte der Berg-und-Tal-Strecke in der Nähe von Chemnitz bis ins Jahr 1927 zurück. Damals, als das Badberg-Vierecks-Rennen auf der Landstraße und quer durch Hohenstein-Ernstthal Hunderttausende Menschen anzog. Im selben Jahr wurde auch der Nürburgring eröffnet. Seither lodert in vielen Menschen der Region das Feuer für den Motorsport. Zumal MZ aus Zschopau die benzinbefeuerte Identität der Sachsen über viele Jahrzehnte und Generationen hinweg aufheizte. Es gab sogar Zeiten, in denen man zur absoluten Elite des Zweiradbaus gehörte.
Diese Zeiten sind lange vorbei, leider. Doch gefeiert werden sie immer noch! Zur aktuellsten, nun zweiten Auflage der Sachsenring Classic Mitte Juni verwundert es also nicht, dass Dutzende Maschinen aus dem MZ-Werksfuhrpark zugegen sind – mitsamt vielen, noch erstaunlich rüstigen Fahrern. Auch der Nachwuchs scheint ihnen zu folgen. Denn sogar die Generation unter 40 widmet sich den MZs mit viel Liebe. Das Vermächtnis der Marke wird kultiviert, respektiert und gepflegt. So bevölkert gleich eine ganze Armada blau-silberner oder grün-silberner Renner das Fahrerlager. Es wird tief in der alten Zeit gegraben, es werden Vergaser eingestellt oder Ketten gefluchtet. Heinz Rosner, „Mister MZ“ genannt, oder Ralf Waldmann hüpfen vergnügt ob des zweitaktenden Lärms durch die Box. Dazu gesellen sich andere Marken des früheren Ostblocks, etwa Jawa oder ein paar wunderschöne CZ mitsamt den früheren Werksfahrern. Bei vielen Besuchern aus der Region weckt das alte Erinnerungen.
Die Veranstaltung bietet aber mehr als nur eine Rückschau auf den Motorsport des Ostens. Die geladenen Rennsport-Legenden kommen aus allen Teilen der Welt. In insgesamt 13 Klassen starten neben einigen Autos vor allem unzählige Motorräder. Sie stammen vielfach aus Italien, Spanien oder Japan. Insgesamt sind aber nicht weniger als 20 Nationen vertreten. Selbst der Neuseeländer Hugh Anderson, ein früherer Straßenweltmeister der 50er- und 125er-Klasse auf Suzuki, ließ sich von der langen Anreise nicht abhalten. Er feierte sein erstes Podium 1962 auf dem Sachsenring. Viele damalige Kollegen sind ihm gefolgt und haben ihre brüllenden Grand Prix-Maschinen von MV Agusta, Honda oder Gilera in der Boxengasse platziert.
Doch auch auf dem Kurs ist ordentlich was los. Eine Horde extrem schlanker und flacher 50er fliegt wie ein aufgescheuchter Hornissenschwarm über die Start-Ziel-Gerade. Jan de Vries, der immerhin zwei WM-Titel in der Tasche hat, ist mit seiner grünen Kreidler ganz vorn mit dabei. Aus der Box, und noch viel besser von den Tribünen der insgesamt drei Fahrerlager lässt sich die Action auf dem kurvigen Asphalt wunderbar genießen. Kompetente Moderation schallt aus den Lautsprechern, während sich etwa im Halbstundentakt eine neue Meute großer Klassiker auf die Strecke begibt.
Unterdessen bringen ein paar in Würde gealterte Italiener das Motoröl ihrer Benellis in der Box auf Betriebstemperatur. Für zehn Minuten erschüttern ihre Gasstöße und das ungehemmte Grollen aus den Megafonen die Szenerie. Man könnte meinen, der Putz bröckelt ob des harten Stakkatos sogleich von der Decke. Dabei sind die Herren im stramm sitzenden Leder sichtlich stolz. „Schaut her, was wir Feines über die Piste treiben dürfen!“, scheinen sie munter zu rufen. Auch alte Augen können funkeln. Das bewundernd bis erschreckt dreinblickende Publikum weiß die überaus satte Klangkulisse durchaus zu genießen. Stets sucht die Masse den nächsten, lautesten sowie interessantesten Ort in der Box. Doch trotzdem: ein Königreich für ein paar Ohrstöpsel!
Nicht weniger zimperlich geht es in der Box nebenan zur Sache: Schon wieder sind es die Italiener, die für Aufruhr sorgen. Diesmal mit einer Guzzi V8. Die „Otto Cilindri“ war Mitte der Fünfziger wohl die Krönung des Rennsports. Acht kleine Kolben, auf 500 Kubik verteilt und durch filigrane 20-mm-Vergaser atmend, ließen die Rennmaschine bis auf 14.000 Umdrehungen hyperventilieren. Damals galten 80 PS als Fabelwert, was mittels Vollverkleidung für über 270 Sachen taugte. Mit Trommelbremsen und dünnsten Reifen! Das lindgrüne Zweirad-Monument aus Mandello beeindruckt noch heute – durch handwerkliche Ästhetik, den mechanischen Sound und eine gehörige Portion Patina. Die rare Guzzi – es gibt wohl nur noch fünf von ihnen – wirkt, als käme sie direkt vom 1957er-Grand Prix in Monza. Einfach fantastisch!
Die Aufzählung seltener, teils nicht mehr bestehender Marken und Motorräder kann man bei der Sachsenring Classic munter fortführen: AJS, Norton, Vincent, Mondial, Bianchi, aber auch die NSU Sportmax oder Cagivas 500er aus den Händen von Eddie Lawson versetzen einen in die Vergangenheit. In vermeintlich bessere Zeiten, als Motorsport in jedem Fall gefährlicher, aber vielleicht auch erlebnisreicher war.
Die historische Vielfalt macht einem auf dem Sachsenring in dieser ungewohnten Intensität bewusst, wie weit die Zeit vorangeschritten ist. Selbst bei den Pro Superbikes, verhältnismäßig modernen Maschinen wie der Yamaha OW01 oder einer Ducati 888 stochert man schnell mehr als 20 Jahre tief in der Geschichte. Auch den Superbike-Fahrern, Stars wie Michael Galinski oder Peter Rubatto, sieht man die Jahre an. Doch trotzdem: Die nicht mehr ganz so frischen Jungs lassen es auf dem Ring immer noch mächtig krachen. Sie geben alles. Neben der Deutschen Historischen Motorradmeisterschaft, bei der es wirklich um Sieg oder Niederlage geht, sind die Superbike-Helden der 90er wahre Publikumslieblinge.
Und genau das – der Lärm, der Geruch, die enthusiastischen Fahrer und Schrauber, vor allem aber die Unmittelbarkeit des ganzen Spektakels – macht den Reiz des historischen Motorsports am Sachsenring aus. Denn wo sonst wird einem an nur einem Wochenende fast die gesamte Evolution des Straßensports, vom Vorkriegsgespann bis hin zum Superbike, so verdichtet präsentiert?
Im Fahrerlager, das allen Zuschauern zugänglich ist, blickt man den zweirädrigen Schönheiten ganz tief unter die Verkleidung, darf altersschwachen Rennern beim Anschieben helfen oder kommt bei der Autogrammstunde mit Legenden wie dem Schweizer Luigi Taveri ins Gespräch. Der heimste für Honda in den 60ern drei WM-Titel und drei Klassensiege auf der TT ein. Und hat, wie viele seiner Kollegen, offenbar keinen Grund für ein beschauliches Rentnerdasein. Dem Publikum ist’s recht. Es weiß, dass die Zeit rennt – ganz besonders am Sachsenring.
Für einen Moment war es wirklich wie früher. Die Zündung wurde am Start ausgemacht. Für Sekunden herrschte Stille. Dann liefen die Beifahrer los, schoben die historischen Gespanne an und sprangen schließlich in ihre Position. So war das einst üblich.
Insgesamt 28 Seitenwagen gingen bei der ADAC Sachsenring Classic an den Start. Es war ein elitärer Mix von Sitzer- und Kneelergespannen, die bis 1967 gebaut wurden. Zwischen zahlreichen, eng ans Original angelehnten Nachbauten befanden sich auch zwei lupenreine Rennsport-Raritäten: die BMW RS 54-Rennmaschine von Ewald Dahms aus dem Jahr 1954 und die Kneeler-BMW von Theo Sattler, die der Schwarzwälder 1968 erwarb und seitdem hegt und pflegt. Dahms, der die BMW einst kaufte und restaurierte sowie Sattler, der schon in den 70er-Jahren im OMK-Pokal seine Rennsportqualitäten unter Beweis stellte, sind selbst zwei Originale. Die beiden sind 77 beziehungsweise 68 Jahre alt und haben das Gas aus ihrem Leben noch längst nicht herausgenommen. Die erstmals in Sachsen ausgetragenen Gleichmäßigkeitsläufe gingen in die Wertung zur Deutschen Historischen Meisterschaft (DHM) ein. Wie ernsthaft dort mit den alten Schätzchen gekämpft wird, sagt DHM-Organisationsleiter Stephan Otto, der nicht nur als Schreibtischtäter wirkt, sondern sich auch als Beifahrer im Eigenbau-Gespann von Dieter Wandelt aus dem Boot lehnt: „Wir greifen voll an. Abgerechnet wird zum Schluss.“ Wandelt/Otto sind die aktuellen Titelverteidiger und derzeit Gesamt-Dritte.
Großes Kino boten den Fans auch die 33 Solomotorräder, aufgeteilt in die Klassen E (Vintage/Post Vintage, 1920 bis 1949) und H (bis 250 cm³, 1950-1967). Die Fahrer der zwischen 30 und 40 PS starken Vorkriegsmodelle, die keinerlei Federung oder Scheibenbremsen haben, mussten viel Mut und Gefühl in den anspruchsvollen Kurven auf dem Sachsenring beweisen. „Aber für die 250er, die 130 Kilo wiegen, 35 PS haben und etwa 160 km/h schnell sind, war es reiner Genuss“, meint Stephan Otto, der hofft, nächstes Jahr noch eine Klasse mehr an den Grid schieben zu dürfen.