Welche Art Mensch gibt sich nicht mit der Leistung eines Sauger-Motorrads zufrieden, sondern will oder braucht den zusätzlichen Kick der Turbo-Aufladung? Nur durchgeknallte Spinner? Keineswegs. Das Turbotreffen 2010 in der Eifel hat es gezeigt.
Welche Art Mensch gibt sich nicht mit der Leistung eines Sauger-Motorrads zufrieden, sondern will oder braucht den zusätzlichen Kick der Turbo-Aufladung? Nur durchgeknallte Spinner? Keineswegs. Das Turbotreffen 2010 in der Eifel hat es gezeigt.
Als die Evolution aufgeladener Straßenmotoren gerade lebendig wurde - wir reden hier von den frühen 1980er-Jahren - versteckte sich hinter der ehrfurchtsvoll vorgetragenen Zauberformel "Turbo" noch die Androhung roher Gewalt. Man dachte an durchdrehende Hinterräder, Gummistriche auf Asphalt und konsternierte Sprintgegner. Wäre so ein Monster im Motorradrahmen überhaupt zu bändigen?
Honda zeigte 1980 am Beispiel der CX 500 Turbo, ein Jahr später mit der 650er, dass gut dosierter Ladedruck sehr wohl zu kontrollierbarer Leistung führen kann. 1982 zog Yamaha mit der XJ 650 Turbo nach. Suzukis XN 85, eine aufgeladene GS 650 mit Katana-Stilelementen, war in Deutschland so gut wie nicht erhältlich. Kawasaki brachte 1983 die GPZ 750 Turbo auf den Markt, die im Rückblick wohl als das ausgereifteste und haltbarste Konzept gelten kann: Am Treffpunkt "Riedener Mühlen" schimmern ihre berühmten Verkleidungsteile aus poliertem Aluminium jedenfalls um die Wette. Dazwischen haben es sich zwei Yamaha XJ 650 Turbo gemütlich gemacht; eine in Harlekin-Bunt ohne Scheibe, die andere weitgehend original. Hondas sind leider keine zu sehen, Suzukis sowieso nicht, und moderne Turbo-Umbauten mit Jenseits-Leistung tummeln sich erfahrungsgemäß lieber auf Streetfighter-Treffen und Dragracing-Events.
Wilde "Lieber tot als Zweiter"-Tätowierungen, martialische Airbrushs oder apokalyptische T-Shirt-Motive? Fehlanzeige. Versammelt haben sich ungefähr 30 Maschinen mit Fahrern und einigen Soziussen. Sie teilen den Spaß an der Aufladung; zweien oder dreien hat die Technik denselben kurzfristig verleidet, und sie sind mit ungeladenen Untersätzen vorgefahren. Klar, bei den wenigsten beschränkt sich die Liebe auf ein einziges Fahrzeug.
Eigentlich sei die Turbo-GPZ ein ganz und gar pflegeleichtes, haltbares Hobby-Motorrad. "Du darfst nur nicht gerade nach einer halbstündigen Vollgasorgie das Motorrad einfach abstellen, sondern musst wie bei einem Porsche den Turbo kühl fahren. Und irgendwann braucht der Lader eben eine Revision." Speziell für Letztere kennt die Szene ihre Spezialisten; Markenprofis schlagen angesichts der GPZ 750 Turbo oft genug die Hände über dem Kopf zusammen: "Mein Händler konnte nicht einmal eine Inspektion machen; er habe das Werkzeug, um die Einspritzung einzustellen, längst zurückgegeben." In der Summe geht aber nicht mehr kaputt als bei anderen 1980er-Jahre-Motorrädern - sagen sie.
Umbauten und Verbesserungen, zum Beispiel in Richtung Eddie-Lawson-Hommage, sind in erster Linie dem Geschmack geschuldet. Lediglich ein Umluftventil, das beim Gaswegnehmen den Gegendruck vom Lader fernhält, sei eine recht verbreitete technische Verbesserung. "Damit bleibt der Lader im Schiebebetrieb auf Drehzahl, er spricht also beim Beschleunigen besser an. Und es schont das Material."
Das ideologische Gegenstück zum Umluftventil bildet die Lamellenblende für den Scheinwerfer. Ihr technischer Nutzen schwankt um den Gefrierpunkt, der Scheinwerferkegel wird dunkler, Insekten auf der Streuscheibe haben eine deutlich längere Halbwertszeit, aber für einige Turbo-Fans ist dieses zeitgenössische Originalzubehör die Krönung des Gesamtkunstwerks. Andere schütteln darüber nur den Kopf und preisen die höheren Lenkerstummel des Kanada-Modells, dank derer man viel bequemer fahren könne. Wer im Turbo-Motorrad immer noch den Porsche-Killer Nummer 1 sieht, dürfte darüber ebenso mild lächeln wie über Seitenkoffer, Tourenscheibe und Heizgriffe. Aber das Motto lautet "Leben und leben lassen": Einer, der sein 100-Prozent-Original im Bestzustand auf dem Hänger herankarrt, ist genauso gern gesehen wie derjenige, der mit dem Turbo-Ratbike quer durch die Republik auf Achse anreist.
Bleibt nur noch eins zu klären: Warum fahrt ihr ein Turbo-Motorrad? Die meisten schauen betreten, erzählen was von "finds einfach schön", "konnte ich mir früher nicht leisten" oder "bin zufällig drauf gestoßen" - bis einer Tacheles redet: "Der Kick, wenn der Lader einsetzt, ist einfach nur geil." Die Runde grinst und murmelt Zustimmung. Wer Kontakt zur Kawa-Turbo-Gemeinde oder Hinweise auf die nächsten Treffen sucht, findet unter www.750turbo.info einen prima Einstieg.