Schluss mit gigantischen, zerklüfteten Hubraumriesen: Schlanke 500er-Twins von BMW und Triumph leiteten ab Mitte der 30er-Jahre den Weg zum modernen Sportmotorrad ein.
Schluss mit gigantischen, zerklüfteten Hubraumriesen: Schlanke 500er-Twins von BMW und Triumph leiteten ab Mitte der 30er-Jahre den Weg zum modernen Sportmotorrad ein.
Die allererste BMW soll ja 1923 deshalb entstanden sein, weil der erboste Chefkonstrukteur Max Friz allen anderen zeigen wollte, wie man einen Boxer richtig einsetzt. In wenigen Nachtschichten drehte er an seinem Zeichentisch den bis dahinausschließlich an Konfektionäre verkauften BMW-Motor um 90 Grad herum, hängte Getriebe sowie Kardan dran und gebar einen Jahrhundert-Erfolg. Herrlich. Filmreif gar, und deshalb glauben wir einfach mal, dass es neben der R 32 noch einige andere Motorräder gibt, deren Geburt von den verschwenderisch sprühenden Geistesblitzen eines genialen Individuums zumindest eingeleitet wurde. Es wäre doch zu schade, wenn unsere großen Träume – egal, ob sie nun Honda CB 750 heißen oder Moto Guzzi V7 Sport, Vincent Black Shadow oder Yamaha RD 350 LC – einzig und allein unternehmerischem Kalkül entsprungen wären.
Aus diesem Grund folgt nun die Geschichte zweier Motorräder, die aus Trotz und aus Weitsicht entstanden, die einen Willen verkörpern und eine große Idee. Beide debütierten in der zweiten Hälfte der 30er-Jahre, und das ist kein Zufall: Alle führenden Industrienationen hatten die Folgen der Weltwirtschaftskrise halbwegs abgeschüttelt, eine aufstrebende Mittelschicht entwickelte spürbares Interesse an gehobenen Konsumgütern, der Motorsport erlebte eine wahre Hochzeit. Im Design herrschte die neue Sachlichkeit, die Technik erfand sich täglich neu, es ging voran. Auch im Motorradbau: Seitenventiler mochten fürs Gespann taugen, der flotte Solist verlangte mindestens ohv. 1935 brachte BMW die erste hydraulische Telegabel in Serie, in England läutete der erste Paralleltwin von Triumph 1933 das Ende der bis dahin dominierenden V2-Riesen ein. All diese Entwicklungen schwirrten sowohl Rudolf Schleicher als auch Edward Turner durch den Kopf, als sie ihre jeweils größten Entwürfe erdachten – BMW R 5 und Triumph Speed Twin.
Schon an der R 32 hatte der 1897 geborene Schleicher mitgewirkt, auf ihn geht deren sportliche Schwester zurück, die R 37 mit ohv-Alu-Zylinderkopf und gekapselten Ventilen. Schleicher selbst fuhr damit frühe BMW-Erfolge ein, 1925 ging sein Renner in (Klein-) Serie. Als das Konzept an Grenzen stieß, sollte ihm ein Kompressor Beine machen, was wiederum Max Friz zu teuer erschien – man trennte sich 1927 im Streit. Trotzdem: Volksheld Ernst Henne fuhr seine Weltrekorde mit einem 750er-Kompressor-Boxer ein. Die englischen 1100er-JAP-V2-Granaten hielten dagegen, Henne forderte die Rückkehr Schleichers, und so geschah‘s im Frühjahr 1931. Henne brach wieder Rekorde, Schleicher legte nach und baute ihm 1935 den legendären Kompressor-dohc-Königswellenboxer, mit dem später Schorsch Meier auch noch TT-Sieg und Europameistertitel holte. So ein Ding in Serie, das wär‘s.
Der BMW-Vorstand winkte angesichts der drohenden Produktionskosten erschrocken ab, doch dieses Mal blieb Rudolf Schleicher. Und machte das Beste draus – die R 5. Selbige sollte es endlich mit den besten englischen Sportlern aufnehmen können, musste kompakt, handlich und schnell werden – nicht eben hervorragende Wesenszüge damaliger BMW. Also weg mit dem ausladenden horizontal geteilten Kurbelgehäuse. Wie beim Renner trägt die R5 ein Tunnelgehäuse, in das die Kurbelwelle samt vorderem Lageschild frontal eingeführt wird und in zwei Kugellagern rotiert. Obenliegende Nockenwellen waren ja tabu, aber gegen zwei hatte niemand was einzuwenden. So blieben die Stoßstangen zu den Kipphebeln kurz, und das wiederum erlaubte stramme Drehzahlen. Über dem Gehäuse, aber optisch gut integriert sitzt die Bosch-Lichtmaschine, hinterm zentral verschraubten Motordeckel finden Batterie-Zündanlage und Zündspule Platz. Alles wie aus einem Guss.
Und aufgehoben in einem Rahmen, der sich ebenso radikal vom BMW-Vorgänger unterschied. Statt der damals vor allem in Deutschland weit verbreiteten Pressstahl-Stränge kann die R 5 eine hoch elegante Doppelschleife aus konisch gezogenen Stahlrohren vorzeigen. Mehr noch, die Rohre wurden nicht in Muffen eingelötet, sondern unter Schutzgas direkt miteinander verschweißt. Seinerzeit ziemlich neu im Serienbau, aber von Schleicher privat bereits durchprobiert. Als Vorderradführung dient natürlich wie in R 12 und R 17 eine Telegabel, hier sogar mit verstellbarer Dämpfung.
Trotz jubelnder Kritiken schien Schleicher nicht ganz sicher gewesen zu sein, ob seine 1936 eingeführte Maschine ihr Ziel wirklich erreicht hatte. Wie sonst ließe sich erklären, dass er 1939 just jene Triumph Tiger kaufen und nach München schaffen ließ, die so fröhlich durch diese Fotostrecke brummt. Konkurrenzvergleich, schon damals. Sogar eine Berichtsmappe soll im BMW-Archiv noch existieren, ist aber derzeit wegen Umbau leider nicht auffindbar.
Anlass des Kaufs war sicher der enorme Erfolg des 1937 präsentierten Triumph-Paralleltwins. Bis dahin hatten in typischen Briten-Sportlern gut gemachte, aber eben irgendwo limitierte Singles gesteckt. Jetzt öffnete Edward Turner, seit 1936 Big Boss bei Triumph, ein neues Fass. Der 1901 geborene Londoner hatte zuvor unter Jack Sangster bei Ariel den Square Four entwickelt und bleibende Eindrücke gesammelt. Fortan fasste Turner nichts mehr an, was sich nicht möglichst rationell fertigen ließ. Außerdem legte er – sehr ungewöhnlich für einen Konstrukteur jener Zeit – großen Wert auf Styling und geschickte Vermarktung. Nachdem Turner die bei Triumph vorgefundenen, von Val Page ersonnenen und sehr brauchbaren Einzylinder angehübscht und mit dem Beinamen Tiger auf die Erfolgsspur gesetzt hatte, räumte er weiter oben auf: Den ebenfalls von Page konstruierten Twin der 6/1 fand er blöd.
Mag sein, dass hier alte Rechnungen beglichen wurden, denn genau wie Friz und Schleicher pflegten Page und Turner so ihre Reibereien. Sie kannten sich noch von Ariel. Auch dort hatte Page sehr gute Singles aufgelegt, die aber erst nach seinem Weggang zu Triumph dank Turners Marketing- und Rationalisierungstalent richtig Kasse machten, zum Beispiel die auffällige Red Hunter. Dann kaufte Ariel-Boss Sangster die Triumph-Motorradsparte. Page war zwar zu BSA weitergewandert, aber die unter ihm entwickelten Motorräder blieben. Auch die 6/1. Jener Twin, mit dem der Rivale Turner zuvorgekommen war. Zu Turners Glück erfreute das schwere Teil eigentlich nur Gespannfahrer, und die Buchhaltung verfluchte den 650er wegen seiner irre vielen Zahnräder und der hohen Produktionskosten.
Also machte Turner alles neu. Und sportlich, das gebot der Zeitgeist. Weil sich aus Kostengründen auch hier eine obenliegende Nockenwelle verbat, kommen wie bei BMW zwei untenliegende zum Einsatz, vor und hinter dem Zylinderfuß in je zwei Bronzebuchsen gelagert. Kompakte Stößel und kurze Stoßstangen erlauben die angestrebten hohen Drehzahlen, je zwei Ventile stehen im 90-Grad-Winkel zueinander, beide Zylinder teilen sich einen Vergaser. Die in zwei Kugellagern rotierende, dreiteilige Kurbelwelle weist 360 Grad Hubzapfenversatz auf, der Gleichläufer vibriert zwar wie ein Single und braucht ordentlich Schwungmasse, zündet aber doppelt so häufig. Daraus resultieren ein sehr gutes Ansprechverhalten bei niedrigen Drehzahlen sowie beachtliche Sprinterqualitäten. 63 Millimeter Bohrung entsprechen den Maßen des 250er-Einzylinders, folglich konnte man dessen Kolben, Ringe und Bolzen verwenden. Turner war wirklich sparsam geworden. Statt Zahnrädern wie bei Page übernimmt eine Kette den Primärtrieb zur Kupplung, von dort geht die Kraft ins separate Triumph-Vierganggetriebe.
Weil das Ganze tatsächlich sehr kompakt geraten war, konnte Turner glatt das Fahrgestell des Einzylinders Tiger 90 verwenden. Auch in England war die Telegabel ein Thema, ebenso die Hinterradfederung, auf beides verzichtete der Triumph-Boss. Er war nämlich am Gewinn beteiligt, lockte Kunden lieber mit einem attraktiven Preis. 75 Pfund lautete die Ansage, gerade mal vier mehr als für den größten Einzylinder. Im Frühjahr 1937 startete der Verkauf, nach einigen lobenden Testberichten ging die Speed Twin getaufte Neuheit weg wie nichts. Vor allem an sportliche Fahrer, und so kam, was kommen musste – es wurde getunt.
Was den Sport-Verächter Turner ausnahmsweise nicht störte, denn der große Stratege sah die Marktlücke für eine weitere Tiger. Allerdings verursachten die Leistungskuren häufig Risse des Zylinderfußes, und deshalb hielten ihn fortan acht statt bisher sechs Bolzen am Gehäuse. Ein größerer Tank kam her, neue Schalldämpfer und auffälligere Farben. Um auf Mehrleistung zu kommen, wurden Kurbelwelle und Pleuel poliert, geschmiedete Slipper-Kolben mit höheren Kolbenböden verwendet (Verdichtungsverhältnis 7,8:1 statt 7:1), der Ansaugkrümmer verändert und ein größerer Vergaser angesetzt. Ergebnis? Statt bereits respektabler 27 produziert die 1938 vorgestellte T 100 Tiger nun 33 PS. Arme BMW.
Wie, arme BMW? Motorradeln ist kein Zahlenspiel. 24 gegen 33 PS, das heißt noch nicht viel. Ein wundervoller Allgäuer Maienmorgen lädt zum Fahrvergnügen, nach überschaubarer Startprozedur grummeln die Motoren sich warm, bitte Platz zu nehmen. Sehr entspannte Sitzposition auf der Triumph, sportlicher und milde nach vorn orientiert auf der BMW. Etwas knirschend hier (Triumph, rechts, Erster unten) und leicht krachend dort (BMW, links, Erster oben) rasten die Gänge ein, dann geht’s vom Hof. Sofort fällt der energische Antritt der Tiger auf, wenig später ihr Gleichmut gegenüber niedrigen Drehzahlen: Wer mag, fährt außer Spitzkehren fast alles im letzten Gang. Ihr Twin kennt keine Schluckbeschwerden, geht schon kurz über Leerlauf wunderbar ans Gas und hämmert ab mittleren Drehzahlen ausgelassen los. Das ist klasse, das macht an und das kann wild machen: Turners Meisterstück braucht keine 20 Kilometer, um sein Potenzial offenzulegen, und wer nicht vollkommen stumpf ist in der Birne, versteht, warum es so oft kopiert wurde. Kleine Landstraßen, Heckenwege gar mit den in England so beliebten rechtwinklig arrangierten Kurvenfolgen passen perfekt zu einem solchen Antrieb. Schnellstraßen wohl weniger, weil er bauartbedingt bei konstanten Drehzahlen doch deutliche Vibrationen spüren lässt.
Die BMW läuft im Vergleich dazu nicht seidenweich. Aber mit spürbarem Bemühen darum. Ein hochzivilisierter Motor, in jedem Drehzahlbereich. Eruptive Leistungsentfaltung verkneift er sich, hält das stete Zulegen wohl für kultivierter. Am besten fährt, wer sich dieser Eleganz anpasst und ihn laufen lässt. Öfter mal schaltet als auf der Triumph, öfter mal die Drehzahlreserven ausnutzt. Und die eindeutigen Vorzüge der famosen Telegabel ausspielt, die einfach besser führt und mehr Gefühl fürs Vorderrad vermittelt als die in der Dämpfung nur schwer anzupassende Trapezgabel der Tiger. Übermut in welligen Kurven quittieren beide mit lustigen Hinterradhüpfern, aber den nötigen Komfort stellen – allemal auf heutigen Straßen – die gut gefederten breiten Sättel trotzdem sicher.
So, und nun lassen wir mal neben der fehlenden Hinterradfederung auch noch die zeitgemäß zwar ordentlichen, absolut betrachtet jedoch miesen Bremsen außen vor. Für ein paar Kilometer nur, über winklige und weniger winklige Landstraßen. Die Bedienung ist uns längst geläufig, wie selbstverständlich sitzt jeder Griff. Geschickt nutzen wir beim Anfahren von Kurven die Bremswirkung der Motoren, winkeln leicht und lässig ab, finden stets exakt unseren Kurs und halten ihn unbeirrbar. Jedem Straßengewürm fiebern wir voller Vertrauen entgegen, bis zuerst der BMW-Fahrer und kurz darauf auch der Triumph-Pilot registriert, dass diese beiden Motorräder niemals 80 Jahre alt sein können. Nein, die feinsinnige Homogenität der R5, die lustvolle Explosivität der Tiger müssen der Ewigkeit entstammen. Die besten ihrer Zunft streben bis heute danach, stets werden sich kundige Motorradfahrer dafür begeistern. So was nennt man dann wohl Klassiker.
BMW R 5
Triumph T 100 Tiger