Wann immer der erfindungsreiche Eidgenosse Fritz W. Egli sein glitzerndes Rohrwerk für einen japanischen Reihenvierer zusammenfügte, entstand ein Kultobjekt. Doch was geschah, wenn der Motor von Ducati kam, von Vincent gar?
Wann immer der erfindungsreiche Eidgenosse Fritz W. Egli sein glitzerndes Rohrwerk für einen japanischen Reihenvierer zusammenfügte, entstand ein Kultobjekt. Doch was geschah, wenn der Motor von Ducati kam, von Vincent gar?
Es gibt sie, diese Motorräder, die keine Fragen offen lassen. Um die – egal, wo sie gerade parken – immer einige schweigend staunende Leute rumstehen, und deren Betrachtung ein ähnlich aufgeräumtes Gefühl hinterlässt wie der Spaziergang durch einen japanischen Garten. Alles an ihnen hat seinen richtigen Platz, alles hat sein richtiges Maß, trifft sich im berauschenden Einklang von Form und Funktion.
Echte Krafträder. Niemand will wissen, was sie leisten oder wie schnell sie gehen. Weil jeder fühlt, welchen Spaß es bereiten muss, mit ihnen zu fahren. Mit einer Egli Vincent 1000, einer Egli Ducati 960... Gewiss hat Fritz W. Egli auch manche Kreation mit Einzylinder oder Reihenmotor geschaffen, die ähnliche Assoziationen wecken kann. Beim einen, beim anderen, bei vielen womöglich. Aber nicht bei allen.
Bei fast allen, zumindest, und dieser Umstand verweist darauf, dass etliche Enthusiasten den mit querliegender Kurbelwelle verbauten Zweizylinder-V-Motor für den am besten geeigneten Antrieb eines Motorrads halten: Er hat genug Leistung, macht was her und trägt nicht auf. In der Pionierzeit bot er auch (kühlungs-)technische Pluspunkte und war sehr weit verbreitet. Später gerieten jedoch seine Kostennachteile in den Vordergrund, und so blieben ihm nach dem Zweiten Weltkrieg nur noch wenige Marken treu. Das heißeste Gerät trug trotzdem V2: Die Vincent Black Shadow rannte mit ihren 55 PS allen anderen Serienmotorrädern davon. Bis 1955, dann ging ihr Hersteller pleite.
Nur beinahe pleite war Ducati, als 1970 die 750 GT debütierte. Ihr V2 nennt sich L-Twin, weil er seine Zylinder im Winkel von 90 Grad spreizt und der untere fast horizontal liegt. Der Königswellenantrieb der jeweils einen obenliegenden Nockenwelle verhieß sportliche Qualitäten, die tatsächliche Leistung von rund 50 PS enttäuschte ein wenig. Doch dann kamen Paul Smart und Imola: Mit dem per Desmodromik aufgerüsteten Ventiltrieb ließ die Ducati 1972 beim 200-Meilen-Rennen alles hinter sich, Europas Widerstand gegen Japans Multizylinder hatte einen Namen: 750 SS. Der Schöpfer dieses Wunders, Dottore Fabio Taglioni, verordnete seinen Twins aus Respekt vor den neuen Leistungshorizonten höchste Geradeauslaufstabilität.
Genau hier setzte kurz darauf Fritz W. Egli an. Der Schweizer Feinmechaniker hatte bis 1973 bereits Fahrwerke für Vincent-V2, Honda-Zwei- und Vierzylinder, Triumph- und Laverda-Twins sowie Kawasaki-Zweitakter gebaut, allesamt nicht nur mit Stabilität, sondern auch mit alpentauglichem Handling gesegnet. Grundsätzlich arrangierte er seinen Rahmen um ein zehn Zentimeter dickes Zentralrohr aus hochfestem Präzisionsstahl, an das sich vorn der Lenkkopf anschließt und hinten zwei nur auf Zug und Druck belastete Ausleger zur Schwingenaufnahme.
Möglichst wenig Biegekräfte ins Geflecht reinlassen, so lautet die Devise, und von den Lenkkopflagern bis zu den Federbeinen möglichst hochwertige Komponenten verwenden. In der ersten Ducati-Kreation des Eidgenossen steckt logischerweise noch der Rundmotor, zwei Federbeine stützen die Egli-Schwinge gegen das Rahmenheck ab. Phantome heißt das Teil, und der Name scheint Programm: Die ungefähr zehn gebauten Exemplare tauchen quasi nie auf.
Häufig zu sehen ist dagegen das zauberhafte und regelmäßig bewegte Motorrad von Michael Niemann. Der hatte längst eine Egli, mit 750er-Honda-Four nämlich, als er 1986 eine frisch für MOTORRAD präparierte Egli-Ducati-Testmaschine mit gemachtem 900er fahren durfte und sich schlagartig verliebte. So was musste nun auch noch her, und zwar in Form eines Kits sowie des gebrauchten Motors einer 900 SS von 1981. Selbiger wurde dann sorgfältig revidiert und allerliebst verschärft. Zunächst mal wuchs die Bohrung von 86 auf 90 Millimeter, wodurch der Hubraum von 864 auf stramme 960 cm³ stieg. In den Nikasil-Zylindern toben Mahle-Kolben rauf und runter, über Carillo-Pleuel mit der feinbearbeiteten Kurbelwelle verbunden. Nockenwellen des australischen Ducati-Tuners Vee Two setzen die vergrößerten Ventile in Schwung, die Kanäle wurden bearbeitet.
Damit wären die verborgenen Stärken dieses Motorrads umrissen. Seine sichtbaren Teile erklären sich eigentlich von selbst. Egli-Campagnolo-Magnesium-Räder und die 38er-Racing-Gabel des Schweizers mit ihrem markanten Stabilisator sind obligatorisch. Freilich – und schon kommt wieder Verborgenes zur Sprache – hat Michael Niemann deren Tauchrohre zwecks besserer Gleitfähigkeit von innen mit einem Teflon-imprägnierten Auftrag und die Standrohre mit PVD-Titan-Nitrit beschichten lassen. Er will‘s eben wissen, und er muss es auch wissen wollen: Der diplomierte Fertigungstechniker betreibt in Iserlohn Egli-Racing Deutschland, betreut zwischen 600 und 700 Kunden in aller Welt – und hat im Rahmen seiner Diplomarbeit bei Fritz W. höchstselbst praktiziert. Michael fasziniert, wie konkurrenzfähig sich so eine Egli bis heute halten lässt, und nicht nur die montierten Brembo-Racing-Zangen oder das Öhlins-inspirierte Zentralfederbein verleihen seiner Aussage die nötige Entschlossenheit.
Mit einem ähnlichen Ansatz hat die ganze Sache mal angefangen: Als der hochbegabte Feinmechaniker Fritz W. Egli auch seine Talente als Rennfahrer austesten wollte, griff er zu einer zehn Jahre alten Vincent und hoffte, damit Schweizer Bergmeister zu werden. Das misslang, aber nicht mangels Talent oder Motorleistung, sondern wegen des ungeeigneten Fahrwerks. Bekanntlich verfügte die Anfang der 50er-Jahre hochmoderne 1000er bereits über einen Zentralrohrrahmen und eine Dreieckschwinge, das Vorderrad wurde von einer hydraulisch gedämpften Parallelogrammgabel geführt. Alles ganz ordentlich im normalen Straßenverkehr, aber nicht renntauglich.
Die Idee mit dem Rückgratrahmen, der gleichzeitig als Öltank fungiert, fand Egli gut, aber ein zehn Zentimeter dickes Rohr wäre viel verwindungssteifer. Kleine Halteplatten verbanden es mit dem Motor. Dreieckschwinge war auch okay, aber leider gab es damals keine geeigneten Zubehör-Federbeine. Also stützte er die Eigenbau-Zweiarmschwinge konventionell mit zwei Beinen ab. Eine Ceriani-Gabel führte das Vorderrad, los ging‘s. Nach sieben Siegen in acht Läufen hieß der Schweizer Bergmeister 1968 Fritz Walter Egli. In den folgenden Jahren überließ er sein Renngerät zwei Freunden, die besagte Meisterschaft noch bis 1973 unter sich ausmachten.
Egli selbst aber musste jene Geister besänftigen, die er 1967 gerufen hatte, als er seine Egli-Vincent 1000 auf der Züricher Messe ZÜSPA vorstellte. Aus aller Welt trudelten die Anfragen nach einem Rahmen oder gar einem Komplettmotorrad bei ihm ein, schon bald wurde es schwierig, an Motoren heranzukommen. Sein bereits 1968 eingesetzter englischer Importeur Roger Slater dagegen saß an der Quelle und wollte verkaufen. Also gestattete Egli den Bau seiner Rahmen in England, die dann bei Slater komplettiert wurden. Dumm nur, dass auch andere Leute mit fast baugleichen Rahmen ihre Geschäfte machten und so Slater der Idee verfiel, die Lizenzvereinbarung mit Egli zu umgehen und anderswo, bei Erik Cheeney nämlich, preiswerter einzukaufen. Eine unschöne, aber längst nicht mehr schmerzende Erfahrung für Fritz Egli.
Den Motorrädern hat die ganze Nachbauerei selten geschadet, und deshalb musste auch Martin Stegemann nicht lange überlegen, als er eine Egli-Vincent 1000 mit Slater-Rahmen erwerben konnte. Seine Leidenschaft wurde vor über 30 Jahren durch ein Buch namens „Feuerstühle“ entfacht, die beiden dort abgebildeten Egli-Vincent verfolgten ihn bis in den Schlaf. Erst 2006 erfüllte sich sein Sehnen, als ein äußerlich recht ordentliches Exemplar von London ins deutsche Flachland übersiedelte. Der Rahmen war lackiert, durchaus keine Seltenheit. Meistens jedoch freuten sich die Besitzer am Glanz seiner vernickelten Rohre, und das wollte auch Stegemann tun. Also beizte er die rote Farbe vorsichtig ab, den eigentlichen Lackteilen wie Tank und Schutzblechen ließ er ihre nette Patina.
Mehr Arbeit verlangte der völlig runtergerittene Motor. Dieser hatte das Vincent-Werk in Stevenage nahe London im Jahr 1955 verlassen, und zwar ziemlich komplett verborgen unter der ausladenden Verkleidung einer Black Prince. Im Wetterschutz hatte nicht nur diese renommierte Marke ihre letzte Chance gesehen. Roger Slater war‘s egal, wie in der Black Shadow leistet der 50-Grad-Twin gesunde 55 PS. Dank seiner weit nach oben gerutschten und mittels Zahnrädern angetriebenen Nockenwellen genügen recht kurze Stoßstangen, die mittig an den Ventilen angreifenden Kipphebel reduzieren deren Baulänge nochmals. Die Nenndrehzahl liegt mit 5500/min schon recht hoch für einen Riesen-Twin der damaligen Zeit, Rennversionen inklusive der ab Werk angebotenen Black Lightning legten für ihre 70 bis 80 PS noch 1500 Touren drauf. Darüber wurde es kritisch. Eine Triplex-Primärkette leitet die Kraft über eine kombinierte Lamellen-Trommel-Kupplung ans Vierganggetriebe weiter.
Der erste Vincent-V2 entstand bereits vor dem Krieg und hatte noch einen Zylinderwinkel von 47,5 Grad. Wegen seiner vielen Leitungen und Anschlüsse hieß das Teil plunger‘s nightmare, des Klempners Albtraum. Die Nachkriegskonstruktion mit 50-Grad-Winkel soll aufgeräumter sein, aber egal: Genau wie der große Fritz ist Martin Stegemann gelernter Feinmechaniker, und er mag es am liebsten richtig kompliziert. Allerdings fußen seine Motorraderfahrungen auf jahrelangem BMW-Schrauben, und so rückte er dem Stirnradantrieb der Nockenwellen mit deutschen Toleranzmaßen zu Leibe. Danach ging erst mal gar nichts mehr. Auch die Batteriezündung wollte Krieg und streikte ständig. Hier half ein pragmatischer Vincent-Fahrer, den Stegemann auf der Isle of Man traf und der zur elektronischen BTH-Zündung riet.
Streng klassisch ging Stegemann bei den Rädern vor und rüstete zurück auf schmale Felgen, vorn speichte er eine ziemlich seltene – natürlich richtig komplizierte – Achtbacken-Bremse von CMA ein. Diese Teile gehen auf den Racer Dave Degens zurück, der sie Ende der 60er erfolgreich in seiner Langstrecken-Triumph einsetzte. Wie bei der Duc von Michael Niemann mit ihren brutalen Brembo-Zangen entspricht auch dieses mechanische Wunderwerk dem Geist einer Egli: Erlaubt ist, was gefällt. Und Fritz, der eidgenössische Freigeist, hätte gewiss auch nichts gegen den Kickstarter an Stegemanns Egli-Vincent 1000 einzuwenden. Das wild geschwungene Original steht nämlich zurückverlegten Rasten im Weg und ist sowieso Käse. Also ließ er eine neue Innenverzahnung in einen Honda-Kicker erodieren.
Den kann er nun gelassen ausklappen. Zwei Tritte, schon läuft der mächtige V2, rasselt viel weniger als erwartet. Auch der L-Twin aus Bologna startet willig auf den ersten oder zweiten Kick, tönt etwas tiefer noch als die Vincent aus seinen überarbeiteten Conti-Endrohren und dreht beim Warmlaufen hörbar spontaner hoch. Der stille Betrachter weicht einen Meter zurück und lauscht verzückt: Dieser besondere Klang, erzwungen durch ungleichmäßige Zündfolge und angereichert durch offene Ansaugtrichter, der sich aus eher rauem Leerlauf blitzschnell in wohlig-drohende Kraftausbrüche verwandelt. Genau das hat noch gefehlt, um sein Urteil zu vollenden. Keine weiteren Fragen mehr, die Egli-Ducati 960 und die Egli-Vincent 1000 zählen zu den allerschönsten Motorrädern der Welt.
Egli-Ducati 960
Motor: Luftgekühlter 90-Grad-Zweizylinder-V-Motor, je eine obenliegende, per Königswelle angetriebene Nockenwelle, je zwei desmodromisch betätigte Ventile pro Zylinder, Ø Einlass 43 mm, Ø Auslass 38 mm, bearbeitete Kanäle, zwei Dellorto-Vergaser, Ø 41 mm, Bohrung x Hub 90 x 74,4 mm, Verdichtung zirka 10:1, Hubraum 960 cm³, Leistung 90 PS bei 8000/min.
Kraftübertragung: Mehrscheibenkupplung im Ölbad, Fünfganggetriebe, Sekundärantrieb über Kette.
Fahrwerk: Zentralrohrrahmen, Egli-Racing-Telegabel vorn, Ø 38 mm, Egli-Dreieckschwinge mit Zentralfederbein, Rahmen und Schwinge vernickelt, Egli-Campagnolo-Magnesiumräder, Reifen vorn 130/70 ZR 16, hinten 180/55 ZR 17, Doppelscheibenbremse mit Brembo-Vierkolben-Racing-Bremszangen vorn, Ø 300 mm, Scheibenbremse hinten, Ø 230 mm, polierter Egli-Alu-Tank.
Leergewicht: 170 kg
Info: Michael Niemann, Egli-Racing-Deutschland, Obere Mühle 28, 58644 Iserlohn, Telefon: 0 23 71/2 52 92
Egli-Vincent 1000
Motor: Luftgekühlter 50-Grad-Zweizylinder-V-Motor, je eine untenliegende Nockenwelle, je zwei über Schlepphebel, Stoßstangen und Kipphebel betätigte Ventile pro Zylinder, zwei Amal-TT-Vergaser, Ø 28,6 mm, Bohrung x Hub 84 x 90 mm, Verdichtung 8,5:1, Hubraum 998 cm³, Leistung 55 PS bei 5500/min.
Kraftübertragung: Primärantrieb über Triplexkette, Zweischeiben-/Trommel-Servokupplung, Vierganggetriebe, Sekundärantrieb über Kette.
Fahrwerk: Zentralrohrrahmen, Ceriani-GP-Gabel, Ø 35 mm, Zweiarmschwinge mit Stereo-Federbeinen, Rahmen und Schwinge vernickelt, Speichenräder mit Akront-Hochschulter-Alu-Felgen, Reifen 100/90 x 18 vorn, 120/90 x 18 hinten, Achtbacken-CMA-Trommelbremse vorn, Simplex-Trommelbremse hinten, Slater-Alu-Tank.
Leergewicht: 175 kg
Info: Eine wunderbare englischsprachige Website widmet sich ausschließlich den diversen Egli-Vincent: www.egli-vincent.net. Um die Marke Vincent geht‘s auf www.thevincent.com
Michael Niemann, Besitzer der Egli-Ducati 960
Die heute für Egli-Motorräder verfügbaren Karbonteile, die Egli-Gabel mit den verschiedenen Beschichtungsvarianten zur Reduzierung des Losbrechmoments und den einstellbaren Dämpfersystemen, das voll einstellbare Federbein und vieles mehr entstanden beim Aufbau meiner Egli-Ducati 960. Die Entwicklung der Pirelli-Reifen hat zusätzlich zum perfekten Fahrverhalten beigetragen. Dieses Motorrad ist für mich ein Traum auf zwei Rädern, ist Perfektion reduziert auf das Notwendige. Der Königswellen-Motor mit viel Drehmoment aus dem Keller, der mit Nachdruck – wenn es sein muss – bis in den roten Bereich anschiebt, ein Fahrwerk, das alles mitmacht, und die phantastische Handlichkeit sind Dinge, welche das eigentliche Alter dieser Konstruktion vergessen lassen. Diese Egli ist purer Genuss.
Martin Stegemann, Besitzer der Egli-Vincent 1000
Zwei Dinge haben mich zum Kauf bewogen: das Äußere, dominiert vom herrlichen Motor, und das Interesse an der Mechanik dieses nicht eben einfach aufgebauten Triebwerks. Treffer. Wie vor über 30 Jahren finde ich die Egli-Vincent 1000 hinreißend. Was mich fast noch mehr überrascht: Noch immer fahre ich diese handliche, stabile Maschine sehr gerne. Allerdings nicht im Dunkeln, wegen der 6-Volt-Anlage. Weil ich auch modernes Gerät bewege, weiß ich zwar, dass es noch besser geht, aber sein hohes Alter merke ich meinem Motorrad wirklich nicht an. Der V-Twin entfaltet viel Dampf schon bei niedrigen Drehzahlen, auf normalen Landstraßen brauche ich eigentlich nur die beiden letzten Gänge. Andererseits dreht er auch recht willig hoch – schon toll, was die bei Vincent da vor über 60 Jahren hingekriegt haben.