DKW RT 350 S - der Klassiker im Test

DKW RT 350 S Top-Modell von DKW

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Die DKW RT 350 war stolzer Höhe- und Schlusspunkt der ruhmreichen DKW-Geschichte. MOTORRAD Classic-Autor Jan Leek konnte erfahren, was das bedeutet.

Top-Modell von DKW Biebricher

Der Fahrtwind ist warm, das Drehmoment nicht von schlechten Eltern. Satt schiebt der 350er- Zweitakt-Zweizylinder schon aus niedrigen Drehzahlen. Singt dabei ein seriös klingendes Lied, mechanisch gesund, unaufgeregt, vielleicht einen Hauch schwermütig. Mit 80 Stundenkilometern schwinge ich elegant durch die Eifel, genieße die Solidität der Maschine unter mir. Kultiviert drückt der Zweizylinder aus den Kurven, die Vibrationen gehen gegen null und lassen mich ungestört meinen Gedanken nachhängen. Genial, wie ruhig dieser Motor läuft. Was ich gerade erlebe, wäre nicht möglich gewesen, hätte die DKW RT 350 nicht eine Vorläuferin gehabt, die ihr den Weg ebnete.

 Das war die RT 125. Ein Meilenstein im Motorradbau und Geburtshelferin ihrer größeren Schwestern. Klar, seriös, auf das Wesentliche konzentriert. 1939 vorgestellt, nach dem Krieg rund 450000-mal in Deutschland gebaut, weltweit millionenfach kopiert. Unendliche Geschichten ranken sich um die von Hermann Weber konstruierte RT 125. Eine spielt Anfang der 50er-Jahre in der Eifel, wo Uli Ponten, der Besitzer meiner 350er-„Test“-DKW mit drei Geschwistern aufwuchs. Sein Vater fuhr DKW RT 125. Er liebte den kleinen Zweitakter, bewegte ihn jeden Tag und verlor doch bei Kilometerstand 130000 die Nerven. Verzweifelt brachte er die demontierte 125er in die Adenauer DKW-Werkstatt: Die Mechaniker beschieden ihn mit einem knappen „zusammenbauen und weiterfahren“. Was der alte Ponten bis zu seinem Ableben beherzigte.

Die RT 125 war eine derart gelungene Konstruktion, dass sie überall auf der Welt zu finden ist und Uli Ponten noch heute mit ihr in die Provence in den Urlaub fährt. Nicht alle RT tragen allerdings das grün-weiße DKW-Emblem auf dem Tank: Die ersten MZ bauten auf der Original-DKW auf, waren zunächst als IFA etikettiert. Die Engländer verschafften sich RT-Baupläne, woraus die BSA Bantam entstand. Auch die Amerikaner kopierten, daher findet man den RT-Motor in der Harley-Davidson Hummer, zuletzt mit 175 cm³. Selbst der  Motor der ersten Yamaha, der YA-1, wies in seinen Grundzügen Gene aus Sachsen auf. Auch die Russen bedienten sich. Sie nahmen   neben Konstrukteur Hermann Weber noch den DKW-Betriebsdirektor und neun Mitarbeiter für ihre eigene Motorrad-Industrie in Beschlag, während im westlichen Teil Deutschlands die Marke DKW unter die Fittiche der Auto Union AG in Ingolstadt kam.

Anspruchslose Transportmittel waren gefragt, und als Vorlage für neue Konstruktionspläne diente eine bei einem Händler gefundene, fabrikneue RT 125. Die „neue“ Marke DKW baute ab 1949 zunächst die Urversion mit 4,75 PS, Trapezgabel und ungefedertem Hinterrad weiter, entwickelte dann aber zügig neue Komponenten. 1952 kam die RT 125/2 mit Telegabel und größeren Trommelbremsen, samt einer auf 6,4 PS bei 5600/min gestiegenen Leistung.

Ulis Maschinen sind beide RT 125 2 H, nun erstmals mit Geradewegfederung hinten, zwischen 1954 und 1957 im Programm. Sinkende Verkaufszahlen und ein organisatorisches Durcheinander führten zunächst zu einer Fusion mit Express und Victoria, und danach waren bei dem gleichen Produkt oft nur die Embleme unterschiedlich. Die „echte“ DKW-Produktion endete 1957. Uli ist kein Historiker und auch kein Wirtschaftsexperte, staunt aber immer wieder über den großen Aufwand der in den 50ern hergestellten Motorräder. Besonders schwärmt er von seiner Zweizylinder RT 350 S  von 1955, die mich heute durch die Eifel trägt. „Der Aufwand, den die deutsche Motorradindustrie damals betrieben hat, übertrifft die Vorstellungskraft aller heutigen Wirtschaftsprüfer. Sogar die kleinen Blechfedern der Kontaktzündung haben die vier Ringe der Auto Union eingestanzt“, erzählt Ponten. Dieser Identitätsdrang, die persönliche Darstellung des eigenen Markenwerts, ist typisch für den damaligen Markt. 1954 war DKW ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Im Ingoldstädter Werk waren rund 5000 Mann beschäftigt, und die RT 350  war das Topmodell im Programm. Sie wurde 1953 eingeführt und war zusammen mit den anderen Modellen ab 1955 als „S“-Version erhältlich, wobei das „S“ für  die Schwinge stand, welche die Geradewegfederung am Hinterrad ersetzte.

Biebricher
Unter dem Tankdeckel: patentierter „Shell-Mixer“ zum Vormischen des Öls. Im Lam- pengehäuse: Zündschlüssel mit Sonderposition. Gabel: für Gespannbetrieb ausgelegt.

2250 Mark rief der Händler für die 350er auf, nur 500 Mark weniger als der zweizylindrige Viertakter BMW R 51/3 1954 kostete. Doch es gab Gründe für den vergleichsweise hohen Preis des Zweizylinder-Zweitakters. Die ausgereifte Technik war gespickt mit praktischen Details: Bei leerer Batterie konnte der Fahrer den Stromkreis über den Zündschlüssel am Lampengehäuse überbrücken („Position 5“) für Direktzündung von der Lichtmaschine. Dann anschieben und wieder auf Normalbetrieb umschalten.

Im Hinterrad arbeitet eine hydraulisch betätigte Trommelbremse samt extra Hydraulikanschluss für einen Seitenwagen. War das Boot - am liebsten ein „Binder“ - über die vier Anschlüsse montiert, wurde die Bremsleitung an den Bremszylinder unter dem rechten Seitenkasten angeschraubt und entlüftet. So hatte man auch am dritten Rad eine vollwertige Bremse. Der Zündschlüssel öffnete gleichzeitig die Seitenkästen. Ein weiteres interessantes Detail: das Widerlager für den Bremszug an der vorderen Bremsankerplatte. Mit zunehmendem Leerweg bei Passfahrten konnte der Fahrer den Bowdenzug einfach in einer höheren Position einhängen und den gewohnten Leerweg erhalten. DKW hatte außerdem den „DKW-Shell-Mixer“ patentiert, ein zusätzliches Rohr in der Tanköffnung zum Vormischen des Öls, das einfach nach und nach über Schlitze die Beimischung zum Benzin freigab. Die Kette lief gut geschmiert im geschlossenen Kettenkasten. Eine spezielle Konstruktion sorgte dafür, dass das Kettenrad beim Ausbau des Hinterrads an seinem Platz bleiben konnte.

Der 350er-Zweitaktmotor zeigt interessante Merkmale: War die torsionsgedämpfte Kupplung einmal demontiert, konnte der Mechaniker das komplette Getriebe als Kassette seitlich herausziehen und die nötigen Reparaturen vornehmen. Mit 62 Millimeter Bohrung und 58 Millimeter Hub ist der Reihenzweizylinder ein echter Kurzhuber, der zwischen 4000 und 5000/min rund 18 PS leistet. Sein maximales Drehmoment liegt zwischen 3000 und 3500 Umdrehungen. Die mittig gelagerte Kurbelwelle rotiert auf abgedichteten Wälzlagern. „Bei zügiger Fahrt braucht der Motor schon fünf bis sechs Liter“, räumt Uli Ponten ein und erzählt, dass seine Lieblingsschmiermittel von Valvoline oder Agip kommen, in einem Verhältnis von    1:33 bis 1:40, je nach Einsatzzweck.

Die Hinterradbremse hat Uli handwerklich geschickt und unsichtbar mit Hilfe eines moderneren Hauptbremszylinders modifiziert, deshalb überrascht mich ihre Wirkung immer wieder aufs Neue. Vorn bremst die RT 350 zeitgemäß, eine vorausschauende Fahrweise schadet nicht. Auf den kleinen Eifelsträßchen sind 80 Stundenkilometer schon zügig, der Motor hat aber noch Reserven. Das Werk gab eine Spitze von 118 km/h an. Laut Herstellerangaben durfte die 350er dauerhaft Vollgas gefahren werden, doch heute brauche ich die 18 PS nicht, denn die DKW fährt im Bereich ihres maximalen Drehmoments absolut souverän. Sauber läuft sie durch die Kurven und auf dem bequemen Sitz genieße ich die hydraulisch gedämpften Federbeine, deren Federvorspannung sich an die Beladung und den Gespannbetrieb anpassen lässt. Größere Bodenunebenheiten kommen am Heck schon mal bis zum Fahrer durch, doch die Gabel überrascht mit tollem Schluckvermögen. Die Lenkeigenschaften sind zunächst etwas gewöhnungsbedürftig. Der Wendekreis mit angegebenen vier Metern ist indessen phänomenal.

Ja, das nächste Mal könnte ich mir gut vorstellen, Uli auf seiner DKW RT 125 in die Provence zu begleiten. Mit ihrer großen Schwester RT 350 S, versteht sich.

Technische Daten

Biebricher
DKW RT 350 S.

Motor:
Zweizylinder-Zweitaktmotor, Bohrung 62 mm, Hub 58 mm, 350 cm³, Verdichtung 6,5:1, 18 PS bei 4500/min, ein Bing-Rundschiebervergaser, Ø 26 mm, Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Vierganggetriebe, Kettenantrieb

Fahrwerk:
Einschleifenrahmen aus Stahlrohr, Telegabel vorn,  Zweiarmschwinge hinten, zwei hydraulisch gedämpfte Federbeine hinten, Trommelbremse v/h, Ø 180 mm, Bereifung v/h 3.50-18, Gewicht 176 kg, Tankinhalt 17 l

Kontakt:
www.dkw-motorrad-club.de, www.motoclub.de, www.dkw-motorraeder.de (für Schrauber)

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