Norton Command 961Fahrbericht

Fahrbericht: Norton Command 961 Wiedergeburt: neues Serienbike von Norton

Beim legendären britischen Motorradhersteller Norton wird endlich wieder ein Bike in Serie produziert: Die Commando 961 verbindet klassisches Styling und traditionelles Motorkonzept mit moderner Technik. MOTORRAD durfte zu einer ersten Ausfahrt starten, ihre Urahnin Commando 850 fuhr mit.

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Klassiker und Neo-Klassiker liegen im Trend. Auch der traditionsreiche britische Hersteller Norton unternimmt derzeit, nach jahrelangem Anlauf, einen weiteren Versuch, mit einem Bike im Retro-Look an die Erfolge vergangener Zeiten anzuknüpfen. Letztere liegen bereits lange zurück: Berühmtheit erlangte die 1898 gegründete Motorradschmiede durch zahlreiche Triumphe bei der TT auf der Isle of Man (allein acht Siege in Folge von 1947 bis 1954), ging jedoch 1974 in Konkurs und durchlebte nachfolgend sehr wechselhafte Zeiten. Nun machte Norton seit einigen Jahren Schlagzeilen mit der Ankündigung eines Retro-Bikes mit neu entwickeltem, hubraumstarkem, charaktervollem Twin. Erste Prototypen hatten jedoch permanent mit technischen Problemen zu kämpfen. 2006 kam das Projekt in Ermangelung finanzieller Mittel zum Erliegen, bis schließlich Stuart Garner, ein vermögender Geschäftsmann und bereits Eigentümer des Norton-Rennteams, sämtliche Rechte und Entwicklungen kaufte, um das Projekt in den neuen Produktionsstätten nahe der Donnington Park-Rennstrecke zu Ende zu führen. Vor allem die Probleme mit den bei Zulieferer Menard gefertigten Motoren mussten beseitigt werden, also holte Garner die Motorenproduktion ins Haus. Nun, da der fertig entwickelte Motor auch die Euro3-Norm erfüllt, steht eine Commando 961 zur Ausfahrt bereit. Ein Vergleich mit einer Commando 850 von 1973 soll zeigen, wie gut der Spagat zwischen Nostalgie und Moderne gelungen ist.

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Die äußerlich sehr ähnlichen Motoren weisen auch technisch viele Gemeinsamkeiten auf: Hier wie dort steuert eine untenliegende Nockenwelle per Stoßstangen und Kipphebel die beiden Ventile pro Zylinder - antiquierte Technik, die keine allzu hohen Drehzahlen zulässt. Wobei der modernere Twin der 961 aufgrund seiner kurzhubigen Auslegung die Anlagen für höhere Drehzahlen mitbringen würde. Der betagte, langhubige 850er winkt hier zwangsläufig früher mit der weißen Fahne. Einspritzung und modernes Motormanagement samt höherer Verdichtung verhelfen dem 961er zu stolzen 80 PS. Behauptet zumindest Norton. Wobei ja auch der 850er-Parallel-Twin seinerzeit nur echte 53 PS statt der offiziell ausgewiesenen 60 PS drückte, weshalb die Werksangabe gerne als „Katalogleistung“ verhöhnt wurde.

Gentlemen, start your engines: Die 850er darf als Erste angeworfen werden - schließlich muss sie per Kickstarter zum Leben erweckt werden. Dazu ist es ratsam, die schlanke, hochbeinige Britin vor dem Einsatz der vollen Trittgewalt auf den Hauptständer zu hieven. Ein bis maximal zwei Tritte genügen, um dem Motor sein trockenes, unverwechselbares Parallel-Twin-Bollern zu entlocken. Mit 1200/min schüttelt sich der 850er im Leerlauf, erst darüber eliminiert die sogenannte Isolastic-Aufhängung grobe Vibrationen ganz ordentlich, zwischen 2500 und 4000/min läuft der Twin gar vergleichsweise seidenweich, nicht ohne dabei herzhaft aus den beiden Schalldämpfern zu röhren. Das Vierganggetriebe muss mit dem rechten Fuß bedient werden, gemäß der naheliegenden Logik: Wer links fährt, muss auch rechts schalten. Auch das Schaltschema ist umgekehrt: Erster Gang oben, die restlichen Stufen werden nach unten eingelegt. Ab 2000 Touren schiebt der Twin mit Nachdruck an, hat mit den 188 Kilogramm (trocken) plus Sprit und Fahrer relativ leichtes Spiel. Die dezent nach vorn geneigte, dennoch recht bequeme Sitzhaltung verleitet zu frechem Fahrstil, die schmalen Reifen fördern das kinderleichte Wechseln der Schräglage. Für die nötige Präzision sorgt das große 19-Zoll-Vorderrad. Die gute alte Lady erweist sich als handlich, aber nicht kippelig. Wirklich ernsthafte Kritik erntet die betagte Commando jedoch wegen ihrer lausigen Vorderbremse und der bockigen Federbeine. Die Einzelscheibe vorn agiert stumpf und zeigt nur schwache Wirkung, die schlecht ansprechenden Girling-Federbeine ignorieren kleinste Stöße und geben diese ungefiltert an den Piloten weiter. Nicht die feine englische Art.

Nakamura
Black beauty: Die klassisch gehaltene Linienführung und das Design des Twins wirken stimmig.

Die neue 961 kann dies viel besser. Kein Wunder, bedient sie sich doch schwedischer Federungselemente von Öhlins und italienischer Bremstechnik von Brembo. Vor allem jedoch erleichtert sie dem Fahrer bereits die Startprozedur, denn per Druck aufs Knöpfchen springt der Twin spontan und verlässlich an, um sogleich in einen polternden Leerlauf bei 1300/min zu verfallen. Von Parallel-Twin-Stampfen allerdings keine Spur: Schon seit den frühen Entwicklungsstufen rotiert im 961er-Motor eine 270-Grad-Kurbelwelle. Dieser Hubzapfenversatz sollte Vibrationen eliminieren, die dem Parallelläufer anfangs trotz Ausgleichswelle nicht abzugewöhnen waren. Mit dieser Variante der Zündfolge klingt der britische Zweizylinder jedoch eindeutig nach Ducati, was dem einen oder anderen Puristen unter den Norton-Fans sicher unangenehm aufstoßen dürfte.

Freude dürfte angesichts der Leistungscharakteristik aufkommen: Praktisch ab Standgas zerrt der Twin die angeblich ebenfalls nur 188 Kilogramm (trocken) leichte Norton voran, ab 2000/min spürbar energischer, und von 4000 bis 6500/min scheint der leistungsträchtige Wohlfühlbereich des 961ers zu liegen. Darüber hinaus oder gar in die Nähe der Abriegel-Marke bei 8000/min zu drehen, fiele höchstens von japanischen Mehrzylinder-Motoren verwöhnten Ignoranten ein. Weil sich das reichlich vorhandene Drehmoment über einen so weiten Bereich abrufen lässt, kommt nie der Wunsch nach einem sechsten Gang auf, selbst die gebotenen fünf muten schon beinahe als Luxus an.

Mit der neu eingeführten Verwendung eines Schaltgestänges gehört nun auch die anfangs regelmäßig geäußerte Kritik an dem direkt auf der Schaltwelle sitzenden Schalthebel der Vergangenheit an. Noch geändert werden sollte allerdings der Seitenständer - er ist derzeit noch schlicht zu lang und zu schlecht erreichbar. Wenig auszusetzen gibt es am Fahrverhalten des Neo-Klassikers. Trotz breiter 120er- bzw. 180er-Bereifung erweist sich die Norton als präzise einlenkende, handliche und stabile Fahrmaschine. Aufstellen beim Bremsen in Schräglage ist der Britin nahezu fremd, sie offenbart ein vertrauenerweckendes Fahrverhalten. Nicht zuletzt aufgrund der Verwendung der sauber ansprechenden, schluckfreudigen Öhlins-Federelemente sowie des tiefen Schwerpunkts, den die Trockensumpfschmierung möglich macht.

Die fast 40 Jahre jüngere, aktuelle Commando bremst nun auch endlich so vehement und gut dosierbar, wie es sich die alten Norton-Fans schon immer gewünscht haben. Ob die Neuinterpretation der Norton Commando die geheimen Wünsche der Fans britischer Klassiker erfüllt, muss die Zukunft zeigen. Wenn Verarbeitungsqualität und Preis stimmen, könnten sich die angestrebten Verkaufszahlen vielleicht erzielen lassen. Hardcore-Fans, die in Union Jack-Bettwäsche schlafen, werden ihren Fuhrpark wohl in jedem Fall um eine Commando 961 erweitern.

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