Sie eröffnete eine neue Ära: stark, schnell, stabil. Die GPZ 900 R, Kawasakis erste Ninja mit dem ersten wassergekühlten, vierventiligen Vierzylinder. Noch heute wirkt sie als Vorbild.
Sie eröffnete eine neue Ära: stark, schnell, stabil. Die GPZ 900 R, Kawasakis erste Ninja mit dem ersten wassergekühlten, vierventiligen Vierzylinder. Noch heute wirkt sie als Vorbild.
Es war ein Bild, das man nicht vergisst. Zur Präsentation eines echten Meilensteins hatte Kawasaki die Journalistenschar nach Laguna Seca in die USA eingeladen. Dort maßen sich im Dezember 1983 Redakteure aus Deutschland mit supercoolen amerikanischen Sprint-Piloten, die enges Leder und lässige Halstücher trugen. Fotos von rauchenden Burnouts, von gequältem Gummi gingen um die Welt. Sie trugen einen Mythos in die Herzen der Motorradfahrer.
Feuerrot glühend stand da ein Motorrad auf Rennasphalt, das eine einzige Ansage war: Speed. Die links und rechts des Rechteckscheinwerfers spitz ausgezogene Halbschalenverkleidung sah aus wie die Unterlippe des Fieslings Darth Vader aus "Krieg der Sterne". 1977 hatte dieses Weltraum-Epos den Science-Fiction-Film neu erfunden. Nun erfand Kawasaki mit der GPZ 900 R das Sportmotorrad neu. Es begann eine kühlrippenlose Ära. Kawasakis erster Vierventil-Motor bildete mit kühlendem Wassermantel das Fundament für ungeahnte Literleistungen. 115 PS aus nur 908 cm³, das saß.
Angeblich heißt "Kawah" auf Arabisch "Kraft". Würde passen. Wie alt, uralt wirkte dagegen eine Honda CB 900 F Bol d'Or, die noch wenige Jahre zuvor als das Sportmotorrad schlechthin gegolten hatte. Und auch die Yamaha XJ 900 F, gerade mal ein Jahr vor der GPZ erschienen, verblasste sofort. In Deutschland galt Anfang der 80er die freiwillige Selbstbeschränkung auf 100 PS, aber die Gäule der GPZ standen gut im Futter. Der Kraftprotz erreichte auf Anhieb beste Beschleunigungswerte.
3,6 Sekunden von Null auf Hundert, 11,5 Sekunden für den Sprint über die Viertelmeile. Einfach der Hammer. Kawasaki lag also nicht so falsch mit der Präsentation via Sprint-Rennen. Bei Motorrad-Urgestein Franz Josef Schermer hängt die Urkunde von seiner Teilnahme heute noch an der Wand. "Uns ist das Herz gehüpft bis zum Hals", erinnert sich der Ex-MOTORRAD-Redakteur. Nicht nur wegen des wimmernden, durchdrehenden Hinterreifens. Sondern weil die GPZ 900 R "eines der besten Motorräder war, das jemals auf die Welt kam". Das blaue Band für die höchste Spitzengeschwindigkeit der Serienmaschinen nahm die GPZ im Sturm: Tempo 241 solo liegend, 232 solo sitzend. Respekt. Kawasaki hatte sich zurück besonnen auf kompromisslos-starke Maschinen mit unverwechselbarem Charakter. Und 900 cm³ Hubraum. Ganz im Stil der legendären Z1.
Die trotz beachtlicher 85 PS allerdings noch eine andere, eine traditionelle Epoche des Motorradbaus verkörperte. Bereits im Zylinderkopf der Z1, ein rundes Jahrzehnt vor der GPZ 900 R, rotierten zwei obenliegende Nockenwellen. Doch "Frankensteins Tochter" führte eher das bestehende Konzept der Honda CB 750 Four fort. Starke Motorräder als Freizeitgerät, nicht als Transportmittel.Anders als ihre Ahnin machte die GPZ 900 R nicht auf Evolution, sondern setzte auf Revolution. Schon das Typkürzel, "R" wie Racing, eine klare Ansage. Offen für ein großes R-lebnis.
Zum Auftakt etablierte diese 900er vor 25 Jahren den Namenszusatz "Ninja". Er schmückt seither alle supersportlichen Kawasakis zwischen 600 und 1200 cm3. Ein Ninja (zu Deutsch: "Verborgener") ist ein schwer zu fassender Schattenkrieger, neben dem Samurai eine der bekanntesten Gestalten des alten Japan. Billigfilme der 80er-Jahre setzten den schwarz maskierten Kämpfern ein zweifelhaftes Denkmal; auf den Straßen der Welt hinterlassen vierzylindrige Ninjas seit 1984 ihre Spuren. Und was für welche. Denn im Gegensatz zur Z1 hatte die erste Ninja bereits ein dem Motor ebenbürtiges Fahrwerk. Von Anfang an konnte die GPZ mehr, als ihren Fahrer gen Horizont zu katapultieren.
"Vorbildliche Fahreigenschaften" attestierte MOTORRAD der 900er in zahlreichen Vergleichstests 1983 und 1984: "Unbeirrbarer Geradeauslauf bei Maximalgeschwindigkeit und hohe Kurvenstabilität" das war damals nicht selbstverständlich. Eine "gelungene Kombination von Nachlauf, Lenkkopfwinkel, Radstand (1495 Millimeter!) und Gewichtsverteilung" bescheinigten ihr die Redakteure. Dabei wog das Superbike satte 257 Kilogramm. Trug aber ein recht aufwändig gemachtes Fahrwerk. Zwar war der eigentliche Stahlrohrrahmen eine einfache Rückgratkonstruktion, die den Motor tragend einspannte.
Richtig innovativ war aber das Heck aus Aluminium. Reparaturfreundlich geschraubt, für den Fall des Falles. Topmodern: die aus großzügig dimensionierten Aluminiumprofilen verschweißte Kastenschwinge, deren praktische Exzenter das Spannen der O-Ring-Kette erleichterten. "Monotonie" herrschte am Heck, ein fortschrittliches Zentralfederbein mit progressiv wirkendem Umlenksystem, bei Kawasaki "Uni Trak" genannt. Die luftunterstützte GPZ-Gabel war 1984 der reine Luxus, trotz schmächtiger 38er-Standrohre. Anti-Dive entpuppte sich als modischer Schnickschnack. Genau wie das kleine 16-Zoll-Vorderrad vorn und der 18-Zöller hinten. Doch im Mittelpunkt des Phänomens GPZ stand stets der neu konstruierte Vierzylinder-Motor. Noch 1985 ließ die GPZ beim Brennen auf freier Bahn alle Big Bikes mit mindestens einem satten Liter Hubraum hinter sich (MOTORRAD 14/1985). Die "kleine" 900er war die Krönung ihrer Klasse.
Kein Zweifel, Kawasaki hatte ein kluges Konzept kreiert. Die Steuerkette lag nicht althergebracht zwischen den beiden mittleren Zylindern, sondern wanderte nach ganz links außen. Heute Standard, macht diese Maßnahme doch die Kurbelwelle steifer und spart ein Kurbelwellengleitlager ein. Außerdem ermöglicht dieser Nockenwellenantrieb kurze, gerade Ansaugwege. Gut für die Leistungsausbeute. Gleiches gilt für die kompakten Brennräume mit mittig angeordneter Zündkerze. Viel Bohrung (72,5 Millimeter) bei geringem Hub (55 Millimeter) machte den Motor drehzahlfest und feurig; dicke Kolben ermöglichen große (und eng zueinander stehende) Ventile zu Gunsten guten Gasdurchsatzes. Um das Triebwerk kompakt zu halten, verlegten die Kawa-Ingenieure die ketten-getriebene Lichtmaschine hinter den Zylinderkopf: 123 Millimeter baute der 900er-Motor schmaler als der luftgekühlte Vierzylinder der GPZ 1100. Eine Ausgleichswelle schließlich kümmerte sich um die Laufkultur des Kraftprotzes. "Die Technik der Kawasaki GPZ 900 R ist gespickt mit cleveren Einfällen und Detaillösungen", frohlockte MOTORRAD 5/1984 im ersten Test. Und wie frohlockten die Kunden? Massenhaft.
Noch im Erscheinungsjahr 1984 folgten in Deutschland rund 2500 Kunden dem Wahlspruch "Komm zu Kawasaki". Bis Ende 1993, als der Import eingestellt wurde, fanden rund 11600 offiziell importierte Exemplare der 900er ihren Käufer. Ein Erfolgsmodell, das in neun Jahren einen bemerkenswerten Imagewandel zum "elder statesman" durchmachte. Die 900er reifte zum famosen Sporttourer, keine schlechte Karriere.
Als solcher gibt sie heute noch eine gute Figur ab, speziell ab Jahrgang 1990. Denn da wurde die GPZ umbereift, auf einen 17-Zoll-Reifen im Format 120/70 vorn und einen breiteren Heckschlappen: 150/70-18 statt des schmalen 130/80ers zuvor. Vorn verzögerten ab 1990 standesgemäße Vierkolben-Festsättel. Bis dahin waren es einfache Einkolben-Schwimmsättel. Weniger Scheibenbremse geht nicht. Im Zuge der Modellpflege 1990 entfiel auch das ohnehin wenig wirksame Anti-Dive-System, das allzu schnelles Eintauchen der progressiven Gabel beim Bremsen verhindern sollte. Doch selbst Maschinen von 1984 ziehen sich nach heutigen Maßstäben sehr ordentlich aus der Affäre. Eine GPZ bereitet immer noch Vergnügen.
Sie muss ihrer Zeit weit voraus gewesen sein. Hut ab. Das beginnt mit der kommoden, seinerzeit heftig kritisierten Sitzposition. Doch heutige Supersportler beugen Knie und Oberkörper weit stärker; auch die Lenkerstummel liegen gut zur Hand. Okay, hinter der knapp geschnittenen Verkleidung muss man sich jenseits der 200 zusammenfalten, aber aktuelle 1000er bieten weniger Windschutz. Und martern einen Sozius mehr. Auf der 900er hingegen sitzt ein nicht zu großer Passagier zumindest auf Kurzstrecken bequem.
Erstaunlich wie sich Proportionen und Abmessungen von Sportmotorrädern geändert haben. Extrem lang und schmal wirkt die GPZ mit den Augen des 21. Jahrhunderts betrachtet. Aber Länge läuft, stabil bolzt der Youngtimer über die Bahn. Und der Bums bei mittleren Drehzahlen, so ab 5500 Touren, ist immer noch beachtlich. Ein toller Motor. Der Sound aus den schwarz lackierten, 25 Jahre jungen Schalldämpfern ist erstaunlich dezent. Die Kawa ist kein Kinderschreck. Typisch knöchern hingegen: ihr Getriebe. Unauffällig agiert die hydraulisch betätigte (!) Kupplung. Was man vom Chassis nicht behaupten kann. Kippeliges Kurvenverhalten kennzeichnet die Kawa, bedingt durch den kleinen, knubbeligen 16-Zoll-Reifen. Hohe Eigendämpfung hin oder her, er stellt sich beim Bremsen oder auf Bodenunebenheiten mächtig auf, sucht sich eigene Linien. Und klappt ab gewisser Schräglagen von allein weiter ab. Das gilt selbst für die famosen Bridgestone BT 45, das Universalgenie unter den Diagonalreifen.
Links-rechts-Kurvenkombinationen wollen allerdings mit Kraft am Lenker eingeleitet werden; Handlichkeit war von Anfang an nicht die Stärke der Kawa. Irgendwie kein Wunder, dass 16-Zöller wieder in der Versenkung verschwanden. Rückmeldung von vorn bleibt irgendwo im Anti-Dive der unsensibel ansprechenden Gabel hängen. Feinfühliger federt und dämpft das Federbein. Zahnlos ankern die Einkolben-Stopper vorn. Hui, hui, hui, man muss ziehen wie ein Ochse, trotzdem passiert kaum was.
Wie wohl ein Exemplar von 1990 bremst? Vorausschauend bewegt, gibt aber auch die 84er-Maschine noch einen beachtlichen Sporttourer ab. Mit Gepäckhaken, Hauptständer und riesigem 22-Liter-Tank. Nur von der pessimistischen Tankuhr darf man sich nicht irritieren lassen, sonst läuft man viel öfter eine Tankstelle an als nötig. Oder vom Blinkerschalter, den man immer wieder selbst in die Mittelstellung zurück schieben muss. Egal, denn die GPZ 900 hat viele Menschen glücklich gemacht. Was will man mehr? Nun, gute, unverbastelte Exemplare gibt's bereits für weniger als 1500 Euro. Der Traum von einst, er ist in greifbare Nähe gerückt. Anmerkung des Autors: Habe eine GPZ 900 R von 1987 mit 1000er-Kolben aus der GPZ 1000 RX erstanden. Vielleicht genau das Richtige, um damit 2010 bei Klassik-Rennen (www.classicsuperbikes.de) anzutreten? Wir werden sehen...
Motor:
Wassergekühlter Vierzylinder-Viertakt-Reihenmotor, vier Ventile je Zylinder, dohc,Bohrung x Hub 72,5 x 55,0 Millimeter, 908 cm3,84,5 kW (115 PS) bei 9000/min, 86 Nm bei7000/min, vier Gleichdruckvergaser (0 34 mm),E-Starter, Sechsganggetriebe, O-Ring-Kette.
Fahrwerk:
Rückgratrahmen aus Stahlrohrmit angeschraubtem Aluminiumheck, Tele-Gabel (0 38 mm) mit Anti-Dive-System, hintenZentral-Federbein mit Hebelsystem, Zweiarm-Aluminiumschwinge, Doppelscheibenbremsevorn, Scheibenbremse hinten, Gussräder,Bereifung 120/80 V 16 und 130/80 V 18.
Maße und Gewicht:
Radstand 1495 mm, Lenkkopfwinkel 61 Grad, Sitzhöhe 780 mm, Gewicht vollgetankt 257 kg, Tankinhalt 22 Liter, Höchstgeschwindigkeit 241 km/h Preis 1984: 11690 Mark (5977 Euro)