Es gibt Motorräder, die sind einfach nur alt. Dann gibt es welche, die sind alt und schön. Und dann gibt es die Adler Sixdays, die man der verehrten MOTORRAD-Leserschaft auf keinen Fall vorenthalten darf.
Es gibt Motorräder, die sind einfach nur alt. Dann gibt es welche, die sind alt und schön. Und dann gibt es die Adler Sixdays, die man der verehrten MOTORRAD-Leserschaft auf keinen Fall vorenthalten darf.
Erinnern wir uns: Das MOTORRAD-Zweitakttreffen (Heft 23/2010) ist in vollem Gange, es wird geschoben und gedrängelt wie auf dem Oktoberfest. Zwischen kreischenden Mopeds und rauchgeschwängerter Luft, bleibt die Meute stecken. Hälse werden lang und länger, Handy-Kameras blitzen über den Köpfen. Was gibt‘s denn da Spannendes zu gucken? Holla, ein grünes Stück Geschichte, dass blitzsauber aufgebaut die Meute ins Schwärmen bringt. Nur zwanzig Stück dieser Geländemaschine wurden 1956 im Frankfurter Adler-Werk aufgebaut und gegen die etablierten 250er von NSU, Maico und Konsorten in den schlammigen Wettkampf geschickt. Zwar meldeten die Adler-Werksfahrer mit vier Goldmedaillen bei der Sixdays in Garmisch Partenkirchen noch im selben Jahr "Auftrag erfüllt", doch die Geschäftsleitung der Adler-Triumph-Werke unter Führung des Grundig-Konzerns entschied sich anders. Die Fabrikation der Adler-Motorräder wurde im Oktober 1957 eingestellt. Womit auch die Sixdays von der Bildfläche verschwand.
"Komm her, ich trete sie dir an, dann kannst du eine Runde fahren." Die Aufforderung von Horst Oberwalder kommt wie aus heiterem Himmel. Der Erbauer und Besitzer des guten Stücks, humorvoller Hesse und Adler-Fahrer seit 1956, fackelt nicht lang. "Wer dem Mick Doohan seine Fünfhunderter nicht kaputt macht, wird auch meine Adler nicht ruinieren", schmeichelt er dem Autor und kickt schwungvoll den Zweitaktmotor an.
Sehr gemütlich, dieser Geländesportler. Im formschlüssigen Schwingsattel komfortabel untergebracht, die verchromte Segelstange entspannt zur Hand, hatten sich die Stollenritter der 1950er/1960er-Jahre auf strapaziöse Dauerprüfungen eingerichtet. Und darauf, das Ziel zu erreichen. Zuverlässigkeit vor Schnelligkeit hieß das Motto. Weshalb man bewährte Großserien-Technik schnellen, aber kapriziösen Motocrossern vorzog.
Was nützte damals der heiße Ritt durch Dick und Dünn, wenn die Kiste nach einem halben Tag die Grätsche machte. Was nicht heißen soll, dass die den Serienmaschine entlehnten Erdferkel den Strapazen immer standhielten. Defekte Zündkerzen oder gar Kolbenklemmer gehörten speziell bei den Zweitaktern zum tagtäglichen Repertoire. Und diesbezüglich machte da auch der spritzige Adler-Twin keine Ausnahme. Trotzdem gilt der MB 250-Motor in Konstruktion und Design unbestritten als Grundlage für die erfolgreichen Yamaha-Zweittaktmotoren. Für die 1957 auf den Markt gebrachte Yamaha YD-1 kopierten die Japaner den Adler MB 250-Motor bis ins Detail. Ange-fangen beim quadratischen Bohrung-Hub-Verhältnis von 54 x 54 Millimeter bis hin zu den seitlich ins Motorgehäuse ein-gepflanzten Kurbel- und Getriebewellen, machte sich Yamaha daran, mit dem geklauten Konzept "Made in Germany" den Motorradmarkt zu erobern.
Gute und erfolgreiche Geländefahrer waren damals Steuermann, Maschinist und Mechaniker zugleich. Für Letzteren sind auch die vielen großen und kleinen Blechtornister gedacht, die, gefüllt mit Zündkerzen, Schläuchen, Ersatzteilen, Schrauben und jeder Menge Werkzeug, für größere Reparaturen unter freiem Himmel gewappnet waren. Und gleich eine ganze Gasflasche mit Handrad, Schlauch und groß wie eine Thermoskanne entbindet den Fahrer vom zeit- und kraftraubenden Hantieren mit der Luftpumpe. Auch im Detail entdeckt man Kleinigkeiten, mit denen die Techniker ihren geschundenen Piloten die absehbaren Reparaturen erleichtern wollten. So lassen sich die verdreckten Radsteckachsen an großzügig dimensionierten Ösen aus den Lagern ziehen. Und natürlich darf ein Hauptständer aus Aluminium nicht fehlen, um dem Gestühl bei Reparaturarbeiten aller Art einen sicheren Stand zu geben.
Eines ist sicher: Ein Zuckerschlecken war der Geländesport damals so wenig wie heute. Außer den Geländereifen mit trialartigem Stollenmuster, dem breiten Lenker und hochgelegtem Auspuff waren die damaligen Geländemaschinen nicht mehr als verkappte Straßenmotorräder. Das war ungefähr so, als wenn man heutzutage einer Honda Hornet 600 ein paar Stollenreifen überstülpt und drei Startnummerntafeln verpasst, um damit hüfthohe Wasserläufe und wabbelige Sumpfgebiete zu durchqueren.
Allein das Gewicht der 250er-Adler von knapp 160 Kilogramm, die von 18 PS auf Trab gehalten werden, lassen erahnen, dass der Fahrer knifflige Passagen nur mit beherztem und schwungvollem Fahrstil meistern konnte. Und auch da waren Grenzen gesetzt, weil Federwege in Zigarettenlänge bei respektlos ignorierten Bodenwellen Ross und Reiter kopfüber in die Botanik gesteckt hätten.
Im Gegensatz zu den heutigen Enduro-Wettbewerben, die sich durch die extremen Sonderprüfungen immer mehr dem spektakulären Motocross-Sport nähern, ackerten die GS-Haudegen der 1950er-Jahre auch über Schotterpisten und Landstraßen. Und das über viele hundert Kilometer am Tag und oft noch bis spät in die Nacht hinein. So ist es auch zu verstehen, dass die Adler einen massiven Steinschlagschutz vor dem Scheinwerfer spazieren fährt. Denn hätte ein Steinschlag durch vorausfahrende Konkurrenten das Licht "ausgeschossen", wäre der Blindflug durch die Nacht zum höchst gefährlichen Unterfangen geworden. Und aufgeben galt damals nicht. Zumal das Handy erst ein halbes Jahrhundert später Rettung in der Nacht herbeiklingeln konnte.
Motor:
Luftgekühlter Zweizylinder-Zweitaktmotor, schlitzgesteuert, Mischungsschmierung, Bohrung x Hub 54 x 54 mm, Hubraum 247 cm³, Verdichtung 6,6 : 1, Leistung 18 PS bei 6200/min, ein 22er Bing-Rundschiebervergaser, Kickstarter, Bosch Batteriezündung mit Unterbrecherkontakten, 6 Volt-Lichtmaschine
Kraftübertragung:
Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Viergang-Klauengetriebe, Sekundärantrieb über gekapselte Rollenkette
Fahrwerk:
Doppelschleifen-Stahlrohrrahmen, vorn hydraulisch gedämpfte Kurzschwingengabel, Zweiarmschwinge mit zwei ölgedämpften Federbeinen hinten, Drahtspeichenräder, Reifen vorn 3.00-19, Reifen hinten 4.00-18, vorn und hinten Simplex Trommelbremse, Durchmesser 180 mm.
Maße und Gewicht:
Gewicht zirka 160 kg, Tankinhalt zirka 15 Liter; Besitzer: Horst Oberwalder/Rodgau