Bei aller Schwärmerei fürs Kraftrad im Allgemeinen und gut gemachte Zweitakter im Besonderen bewahrte Siegfried Rauch doch immer eine tiefe Besonnenheit. Jeden dieser Wesenszüge zeigt Ausgabe 18/1976 von MOTORRAD: Dort begrüßt der langjährige Chefredakteur die frischen Zündapp-Motorräder und frohlockt, dass sie sich dank neuer deutscher Versicherungsregeln endlich aus der Hubraumfalle befreien und wieder mehr alltagstaugliche Zweitakt-Tugenden entfalten können. Statt aus vorgegebenem Hubraum möglichst viel Leistung zu quetschen, um in der entsprechenden Versicherungsklasse konkurrenzfähig zu sein, durften nun 17, 27 oder 50 PS aus egal wie viel Hubraum produziert werden. Die Zündapp-Leute hatte diese segensreiche Entwicklung veranlasst, ihre etwas nervöse 125er durch eine gleichstarke 175er mit angenehmerer Drehmomentkurve zu ersetzen, das fand unser Alter prima.
Trotzdem erfasste sein nüchterner Blick das große Ganze, und deshalb leitete Rauch just dieses Heft 18 mit einem Editorial ein, welches angesichts der durch die Japaner vorgegebenen Marktstrukturen forderte, in Europa deutlich rationeller zu fertigen und sich auf wenige Modelle zu konzentrieren. Mehr noch: "Auf die Dauer den Japanern das Feld nicht ganz überlassen zu wollen, bedeutet die bittere, aber harte Konsequenz einer unerbittlichen Konzentration – einer echten europäischen Zweiradunion."
Zündapp KS 175 kostete 3.880 Mark
Was das alles immer noch mit der KS 175 zu tun hat? Nun, im Nachgang neigt der Mensch zur Nostalgie, und obwohl bekanntlich niemand Anstrengungen wie die von Rauch geforderten unternommen hat, flüstert eben diese Nostalgie bis heute nicht nur Liebhabern der Marke ein, Zündapp habe damals eine große Chance verpasst. Das Management habe seine 17-PS-Neuheit und – vor allem – die parallel vorgestellte, aber nie in Serie gegangene 350er stiefmütterlich behandelt, quasi trotz bestehenden Kundeninteresses den eigenen Niedergang vollendet.
Fakt ist: Ungeachtet der Frage, ob Zündapp 1976 überhaupt noch genug Geld für einen komplett neuen Motor wie den 350er-Twin besessen hätte, gab es längst kein Halten mehr, weil jedes deutsche Motorrad ungefähr so teuer sein musste wie ein doppelt so starkes aus Fernost.
Unsere wunderbare KS 175 war der Beweis. Die kam 1977 tatsächlich auf den Markt und kostete 3.880 Mark. Was unter ihren wenigen Nachteilen der schlimmste blieb, technisch zählte sie stets zur Spitze des 17-PS-Feldes. Günstige Steuer- und Versicherungstarife sorgten dort für ein buntes Treiben von Zweitakt-Einzylindern (unter anderem Harley-Davidson SS 175, Hercules K 125 S, KTM Comet 125 RS, Maico MD 125, MZ TS 250), Viertakt-Singles (Benelli 250 Sport Spezial, Kawasaki Z 200), Zweitakt-Zweizylindern (Malanca 125, Suzuki GT 185, Yamaha RD 200) sowie Viertakt-Twins (Honda CB 200 und 250J, Yamaha XS 250). Womit nur jene reinen Straßenmaschinen genannt wären, die das PS-Limit echt ausschöpften, Leistungsverweigerer und Enduros kamen noch hinzu. All diese Maschinen schafften 110 bis gut 120 km/h, konnten also jenseits der Autobahn bestens bestehen.
1978 erzielte sie die besten Durchzugswerte
Die Zündapp KS 175 allerdings konnte noch etwas mehr, nämlich Sport und Alltag versöhnen. So hatte auch das Entwicklungsziel gelautet, als um das Jahr 1974 herum der Auftrag erging, mithilfe einer Thermosiphon-Kühlung sowie einer moderaten Hubraumerhöhung den vorhandenen 125er-Fünfgangmotor zu zivilisieren. Es blieb beim Hub von 54 Millimetern, der Kolbendurchmesser wuchs jedoch von 54 auf 62 Millimeter, was dann exakt 163 cm³ ergibt. Den Vergaser lieferte nicht länger Bing, sondern Mikuni, dessen Durchmesser wuchs um einen auf 28 Millimeter. Wie gewünscht strebt die Leistungskurve der großen KS zwischen 2.500 und gut 5.000/min deutlich steiler nach oben als bei der 125er, ihre Gipfel von 17 PS erreichen beide jedoch auf vergleichbarem Drehzahlniveau.
Die Drehmomentkurve der Zündapp KS 175 verläuft ebenfalls harmonischer, und so gestaltet sich der Fahrbetrieb deutlich gelassener. Ein paar Zahlen: Unter acht Kandidatinnen erzielte die KS 175 im MOTORRAD-Vergleichstest Anfang 1978 die besten Durchzugswerte (50 bis 100 km/h: 17 s), bei Höchstgeschwindigkeit (liegend 125,9 km/h) und Beschleunigung (0 bis 100 km/h: 11,4 s) lag sie ebenfalls vorn, noch vor den Zweitakt-Twins von Suzuki und Yamaha. Im Vergleich mit den Zweitakt-Einzylindern wirkte sie wie das Beste aus zwei Welten, vereinte viel von der satten Durchzugskraft einer MZ 250 mit einigen Spritzern vom energischen Temperament einer Hercules 125.
Thermosiphon - Verzicht auf Wasserpumpe
Anders als die Zündapp KS 175 nervt das Nürnberger Achtelliter-Aggregat Hercules 125 allerdings mit dem akustischen Gebahren eines Kleinkraftrads. Eines luftgekühlten, genauer gesagt, denn den schrill sirrenden Lärm bei hohen Drehzahlen erzeugen die Schwingungen der großen Kühlrippen. Da helfen auch keine Verbindungsstege oder Gummipuffer, da hilft nur ein Wassermantel. Den hatten die Münchener zur Kölner IFMA 1972 bereits ihrem Kleinkraftrad KS 50 watercooled verordnet, nun stülpten sie ihn auch auf den 175er-Motorblock. Hinter dem geheimnisvollen Begriff Thermosiphon übrigens verbirgt sich ... nichts! Exakter: der Verzicht auf eine Wasserpumpe. Das erwärmte Wasser steigt ja auch von allein auf und wird über den fetten Schlauch am Zylinderdeckel in den großen Kühler geleitet. Von dort fließt es wieder herab zum Zylinderfuß. Der Nachteil: Um die Fließgeschwindigkeit halbwegs hoch zu halten, darf die Wassermenge nicht besonders groß sein, Belastungsspitzen – geringes Tempo etwa bei hohen Drehzahlen – steckt eine Umwälz-Kühlung also viel besser weg. Der nach unten offene Zylinderkörper ist bei der Zündapp als Doppelmantel ausgeführt, das heißt, den eigentlichen Zylinder verbinden etliche Kühlrippen mit der von außen sichtbaren Hülle.
Weil Zündapps Gelände-Werksrenner bis zum Schluss luftgekühlt antraten, darf vermutet werden, dass der Alu-Wassermantel in erster Linie die Geräuschemissionen mindern sollte. Was durchaus gelang, auch wenn der spontan anspringende Motor nicht gerade flüstert. Meckert seine Leistungsbereitschaft im kecken Zweitakt raus, braucht den Choke keine halbe Minute. Schaltwege und Präzision des Ziehkeilgetriebes wurden schon oft genug geschmäht, an dieser Stelle sei einfach mit dem erstaunlichen Durchzugsvermögen des Zweitakt-Singles gekontert. Da muss man gar nicht oft schalten, zumindest rund um Rendsburg nicht, wo MOTORRAD Classic gleich drei Zündapp KS 175 zum Rendezvous bat: Die rote zählt zur zweiten Serie und gehört Klaus Möller, die grüne zur ersten. Ihr Besitzer, Dirk Struve, hat aus Teilen seines beachtlichen Lagers schnell noch eine silberne gestrickt, somit sind alle je gelieferten Farben vorhanden.
Wer Spaß sucht, schaltet
Die rote Zündapp KS 175 beschleunigt mittlerweile im Vierten fröhlich aus dem Ort heraus. Ungefähr auf Höhe der Nenndrehzahl findet dann der Fünfte zwar guten Anschluss, erweist sich aber als kleine Spaßbremse. Etwas zu lang, aufrecht sitzend wird's schon vor 110 km/h recht zäh. Wer sich ein wenig duckt, kommt gaaanz allmählich in die Nähe von 120 km/h. Andererseits kann man sogar im großen Gang schon bei 50 das Gas aufmachen, ohne dass der Motor komplett verhungert. Lässt sich bei gut 3.000 Touren nicht unterkriegen, schöpft bei 4.000 Hoffnung, bei 5.000 Zuversicht, um kurz darauf mit frohem Meckern wieder Freude zu äußern. Nüchterne Zahlen verdeutlichen jedoch, wie akademisch eine solche Durchzugsprüfung ist: Im fünften Gang braucht die Zündapp von 50 bis 100 km/h wie bereits gesagt 17, im vierten ganze 11,5 Sekunden. Wer Spaß sucht, schaltet also. Ziehkeil hin oder her.
Was dann bedeutet, dass die gesuchten und tatsächlich gefundenen Kurven hinterm Nord-Ostsee-Kanal schwungvoll im vierten, wenn nicht dritten Gang anvisiert werden. Schon geradeaus ist der von der Zündapp KS 175 und damit prinzipiell vom Gelände-Gerät übernommene Rahmen bolzstabil, mit der gut dosierbaren Brembo-Zange wird das Tempo angepasst, leicht, aber nicht kippelig winkelt die KS ab. Am Kurvenscheitel sollten wieder 5.500/min anliegen, dann können weder Buckel noch Rillen diese reine Freude an der Leichtigkeit schmälern. Toll, wie die KS durch Biegungen zirkelt, und genau deshalb schwören Klaus und Dirk auf ihre großen Zündapps. Hinzu kommt, dass eine straffe, nicht unkomfortable Federung sowie eine auch Großgewachsenen angenehme Sitzposition den Spaß verstetigen.
Gut 25 PS an der Kurbelwelle
Aber es geht noch besser. Zum Abschluss der frohen Vergleichsfahrt bittet Dirk zum Ritt auf seiner grünen Zündapp KS 175. Die hat einen gemachten Zylinder. Während die serienmäßigen Kanäle eher Mofa-Format aufweisen, wurden hier richtige Löcher gefräst, alle Übergänge peinlichst genau angepasst und der Vergaser neu bedüst. Mehr nicht. Gut 25 PS an der Kurbelwelle sind das Resultat – und eine Motorcharakteristik, die jeden begeistert, der auch nur begrenzte sportliche Ambitionen hegt. Natürlich fährt dieser Motor bis 4.000/min in den oberen Gängen gegen die Wand, will 5.000, mindestens. Doch kurz danach ist Showtime, 8.000, 9.000 Touren, der hört gar nicht auf zu drehen, zack stehen 120 auf dem Tacho. Es ginge noch mehr, locker, aber jetzt mal schön langsam, hier ist nämlich Landstraße.
Beim abschließenden und sittlichen Heimrollen wehen die Gedanken zurück zum ollen Rauch. Der hatte orakelt, diese 175er "könnte den großen Verkaufserfolg haben, der den 125ern allgemein versagt blieb". Ach ja, wenn er doch nur in allem recht gehabt hätte.