
In Nordamerika, das zeichnete sich schon seit den 50er-Jahren ab, fahren die Leute gern mal abseits der Straße spazieren. Darauf reagierten Nippons Söhne mit hochgelegter Auspuffanlage, breitem Lenker und Stollenreifen. Bei Honda firmierten 90 bis 350 cm³ große Scrambler unter dem Namen SL, auch Street-Scrambler namens CL mit bis zu 450 cm³ waren im Angebot, alle verkauften sich prima. Dummerweise radikalisierte Yamaha dieses Konzept und brachte 1968 mit der zweitaktenden DT-1 die erste Enduro heutiger Prägung. Leicht, reduziert, robust. Dieses Ding wurde ein Renner, Honda musste reagieren, natürlich im firmentypischen Viertakt. Doch das Anforderungsprofil verlangte einige Kopfarbeit, denn bei gutem Durchzug aus niedrigen Drehzahlen sollte der geplante Viertelliter andererseits genügend Höchstleistung produzieren, um über Land mithalten zu können. Außerdem durfte er nicht sonderlich viel wiegen.
Hohe Gasgeschwindigkeiten bei niederen Drehzahlen
Nach ersten Versuchen mit einem konventionellen Zweiventil-Einzylinder besannen sich die Konstrukteure ihrer großen Erfahrungen mit vier Ventilen: Für die dominierenden GP-Renner der frühen 60er hatte Honda echte Grundlagenforschung betrieben und sich sämtliche Vierventiler – so was hatte es im Sport schon Anfang des letzten Jahrhunderts und, bei Rudge etwa, bereits in Kleinserie gegeben – sehr genau angeschaut. Von diesen Kenntnissen sollte ein Enduro-Motor allemal profitieren können. Der braucht bei niederen Drehzahlen hohe Gasgeschwindigkeiten, damit die Füllung stimmt, und zahme Nockenwellen-Steuerzeiten, damit er sanft antritt. Das schafft die Honda dank zweier recht großer Einlassventile, die bei sehr geringen Überschneidungszeiten nur sechs Millimeter Ventilhub aufweisen. Und die nötigen Drehzahlen, um wackere 20 PS abzugeben, machen ihr dank sehr kurzhubiger Auslegung (74 mm Hub, 57,8 mm Bohrung) rein gar nichts aus. Die obenliegende Nockenwelle lagert direkt im Leichtmetall-Zylinderkopf, die Kipphebelwellen in dessen Deckel.
Die Honda XL 250 traf mitten ins Herz
Das kompakte Triebwerk verschwand in einem simplen Einrohrrahmen, die Federwege gerieten lang, das Vorderrad im Interesse guter Führung bei Offroad-Fahrten riesig, die Halbnaben-Trommelbremse hatte leicht zu sein, nicht groß – und trotzdem traf die XL auch alte Fahrensleute mitten ins Herz. Bei MOTORRAD konnten zwar einige mit der Endurowelle noch nicht viel anfangen, standen aber Kopf, als Honda ihnen 1974 eines von 300 für den deutschen Markt bestimmten Exemplare überließ. Viertakt-Einzylinder… So schön, so leicht und ganz wie früher… Gleichzeitig so viel besser als die deutschen Vorläufer von BMW, NSU oder Horex. Zivilisiert, drehfreudig, laufruhig. Schnell sprach man von einer noblen Konstruktion, und das trifft es irgendwie bis heute. Viel zu schade zum Dreckschleudern, fanden deshalb etliche Europäer, und denen kam ab 1976 die Version K3 besonders entgegen: Ihr erschlankter Tank ermöglichte immer noch beinahe 200 Kilometer Reichweite, ein niedrig angebrachter Kotflügel schützte ordentlich vor Spritzwasser, die gut gepolsterte Sitzbank erhöhte den Komfort.
Ohne es wirklich zu wollen, hatte Honda rund um den epochalen Vierventiler mit der K3 gleich noch das erste Wandermotorrad geschaffen. Andererseits taugte dieser Motor auch für Spektakel: Auf Basis der XL entwickelte die englische Trial-Legende Sammy Miller mit der TL 300 Hondas erstes Weltklasse-Klettergerät.
Technische Daten

(Modell K3 von 1976)
Luftgekühlter Einzylinder-Viertaktmotor,
248 cm³,
15 kW (20 PS) bei 7500/min (ab 1977 17 PS),
19,5 Nm bei 6500/min
Fünfganggetriebe,
Reifen vorn 3.00 x 21, hinten 4.00 x 18,
Einschleifenrahmen aus Stahlrohr mit gegabeltem Unterzug
Gewicht vollgetankt 148 kg,
Tankinhalt 9,5 Liter
Höchstgeschwindigkeit 130 km/h
0–100 km/h in 8,5 sek.
Szene
Die Honda XL 250 kam 1972 noch als SL zur Welt, im Jahr drauf aber wurde Honda bewusst, dass hier etwas ganz Neues gelungen war, und so lautete der Gattungsname fortan XL. Auf Basis des 250ers entstand auch ein sehr schön laufender 350er, der allerdings nie nach Deutschland exportiert wurde. 1978 trat ein überarbeiteter Motor (mit Ausgleichswellen) seinen Dienst an. Egal ob DT und XT von Yamaha oder XL von Honda: Frühe Enduros sind sehr begehrt. Aber leider oft genug zerschunden und ausgewrungen auf dem Schrott gelandet. Gerade die preisgünstigen 250er wurden gern von einem Einsteiger zum nächsten weitergereicht, unter armen Lehrlingen oder Studenten ganzjährig malträtiert. Kurzum: Gute und frühe XL 250 sind sehr rar. Original erhaltene sowieso. Problematisch auch die Situation bei manchen Ersatzteilen, etwa dem ziemlich rostempfindlichen Schalldämpfer.
Info
Der Buchmarkt gibt zur frühen Honda XL 250 wenig her – und wenn, dann antiquarisch. Auch eine eigene Website oder einen Markenclub besitzt die kleine Honda nicht. Etwas Beistand finden ihre Besitzer unter www.enduroforum.eu oder auch auf www.xl500.de.