Echte Klassiker erkennt man daran, dass sich jeder an ihre große Zeit erinnert. Eine der wenigen Ausnahmen: die Moto Guzzi V7 S von 1974.
Echte Klassiker erkennt man daran, dass sich jeder an ihre große Zeit erinnert. Eine der wenigen Ausnahmen: die Moto Guzzi V7 S von 1974.
Der Zeitpunkt war denkbar schlecht. Umgeben von der japanischen Großoffensive mit Kawasaki Z 900, Honda CB 750 und Suzuki GT 750 stand sich die schlanke Schönheit aus Italien die Reifen platt. Dabei brannte Moto Guzzi beim Start der 1971 modernisierten V7-Baureihe mit der legendären und rassigen V7 Sport ein echtes Feuerwerk ab. Schnell, superstabil und in ein bildhübsches Rohrrahmenkorsett verschnürt, legten die Italiener 1974 mit der Moto Guzzi V 750 S kräftig nach.
Leider begleitete eine akute Drehmomentschwäche den 62 PS starken V-Twin, ausgelöst von den zugestopften Schalldämpfern und einer misslungenen Motorabstimmung. So blieb die 240 Kilogramm schwere Moto Guzzi V 750 S eine unbeachtete graue Maus. Zumindest für die PS-hungrige Heizerfraktion, die mit dem klotzig wirkenden Motor und einem Kardanantrieb nichts anzufangen wusste und sich lieber von japanischen Offerten verführen ließ.
Treue Guzzi-Fans hingegen wussten sich zu helfen und verschafften dem ohv-Motor genügend Luft zum Atmen, damit der dicke Twin nicht mehr lethargisch in den Seilen hängen musste. Denn, bitte schön, was soll ein 750er-Twin mit 30 Millimeter kleinen Dell’Orto-Vergasern anfangen? Zumal auch hintenraus die schlanken Schalldämpfer das letzte Quäntchen Drehmoment strangulierten. Also rumpelte der Autor, in den 70er-Jahren leidenschaftlicher Guzzi-Mechaniker, über die Alpen und deckte die Stuttgarter Guzzi-Kundschaft mit feinster Ware der Brambilla-Brüder ein. Füllige Nockenwellen, 36er-Dell’Ortos mit Stutzen – und schicke Auspuffrohre zum Durchgucken. Etwas anderes hatte die Moto Guzzi V 750 S nicht verdient! Zumal das geniale Fahrwerk des Lino Tonti aus der doch eher rustikalen Erscheinung ein Supersportbike erster Güte zauberte.
Schon damals mit einer „Closed-Cartridge-Gabel“ mit zwei in sich geschlossenen Gasdruckstoßdämpfern und Konis an der stabilen Zweiarmschwinge ausgestattet, ließen die Guzzis nichts anbrennen, sobald es durchs Kurvengesäusel von Schwarzwald, Alb oder Eifel ging. Wenn dann noch Michelin S 41-Reifen in klebriger PZ 2-Mischung über die Drahtspeichenräder gestülpt wurden, mussten sich die Nippon-Jünger schwer ins Zeug legen, um vom „Betonmischer“ nicht überrollt zu werden.
Vermisst der Leser jetzt die journalistisch nüchterne Sachlichkeit und Kritik? Nur die Ruhe, die kommt jetzt: Typisch italienisch versagten elektrische Bauteile oft schon vor der ersten Inspektion den Dienst, und so manche Guzzi-Kupplung musste mangels Undichtigkeit der qualitativ unterirdischen Simmerringe im wahrsten Sinne des Wortes trocken gelegt werden. Dass so manche Italienerin – nicht nur aus dem Hause Moto Guzzi – bereits in der Kiste Rost ansetzte, ist auch bekannt.
Obwohl der ursprüngliche V7-Motor bei seiner Premiere 1965 mit nur 700 cm³ konzipiert war, erwiesen sich die verstärkten Motor- und Getriebekonstruktionen als äußerst robust und zuverlässig. Und wenn sie Luft zum Atmen hatten, auch mit richtig Qualm. Der Beweis: die legendäre Le Mans 850, die 1976 als Nachfolgerin der V7 S3 für Furore sorgte. Sollte Ihnen eine herrenlose Moto Guzzi V7 S über den Weg laufen: Kaufen, kaufen, kaufen! Denn mit den klassischen Drahtspeichenrädern wird diese Guzzi aus der Rundmotor-Ära zu einer rentablen Wertanlage.
Viertakt-V2-Motor, 748 cm³, 62 PS bei 6900/min, 54 Nm bei 5500/min, Fünfganggetriebe, Doppelschleifenrahmen aus Stahlrohr, Gewicht vollgetankt 240 kg, Reifen vorn 3.25 H 18, hinten 3.50 H 18, Tankinhalt 21 Liter, Höchstgeschw. 205,7 km/h, 0–100 km/h in 6,2 sek.
„Reparaturanleitung für alle Guzzis ab 1967 bis 1996“ von Franz-Josef Schermer und Helmut Städele, Bucheli Verlag; „Typenkompass Moto Guzzi seit 1945“ von Jan Leek und „Moto Guzzi seit 1921“ von Wolfgang Zeyen, beide erschienen im Motorbuch Verlag. Test der Moto Guzzi V7 S3 in MOTORRAD 5/1976.
In dieser Kürze alle Spezialisten in Deutschland aufzuzählen, ist unmöglich. Sicher ist, dass Besitzer älterer V7-Guzzis ab 1972 mit Ersatzteilen und sehr erfahrenen Werkstätten bestens versorgt sind, zumal sich die grundlegende Technik einiger Modelle bis heute kaum verändert hat.
Eine Moto Guzzi V7 S im Originalzustand zu erstehen, grenzt an ein Wunder. Gut erhaltene oder gründlich restaurierte Maschinen werden ab 10.000 Euro gehandelt. Die Nachfrage nach den sogenannten Rundmotoren im Tonti-Fahrwerk ist enorm. Ab Anfang der 80er-Jahre wurden Zylinder und Köpfe – der De Tomaso-Philosophie folgend – eckig gestaltet.