Yamaha RD 500 LC – die Dekadenz auf Rädern. Würden heutzutage die Yamaha-Ingenieure auch nur die zaghafte Skizze einer ähnlich aufwendigen und radikalen Konstruktion zu Papier bringen, wären sie umgehend ihren Job los. Vor knapp 30 Jahren aber war das anders. Da verdienten die Japaner mit ihren Motorrädern richtig Geld, weil sie mit Qualität und ungestümen Ideen den Markt beherrschten. Sie dominierten den Rennsport, fegten die europäischen Hersteller vom Markt und hatten für jede Nische eine Antwort. Und die Ingenieure alle Freiheiten. Auch die, einen Vierzylinder-Rennmotor für die Straße zu bauen. Die Zweitakt-Freaks hyperventilierten, lösten überstürzt ihre Bausparverträge auf oder schlichen sich mit Omas Sparstrumpf zum Yamaha-Händler, um 11188 Mark in ihren Traum zu investieren.
Wahnsinn, dieser Motor!
Dieses Ding war aber auch der absolute Hammer, und ich werde den Augenblick nie vergessen, als mir mein Chef und Mentor Franz Josef Schermer die Schlüssel in die Hand drückte: „Zuerst müssen die Fotos im Kasten sein, dann kannst du die Yamaha RD 500 LC übers Wochenende behalten. Und dann zurück – aber bitte am Stück und ohne Kratzer.“
Wahnsinn, dieser Motor. Allein der Start, wenn die vier Zylinder noch etwas fett und knurrig die Arbeit aufnehmen, die Zahnradkaskaden am Kurbeltrieb laut und vernehmlich den Kraftfluss an die Kupplung weiterreichen. Hört und fühlt sich an wie der echte Rennmotor einer YZR-500-GP-Rakete. Allerdings nur mit etwa halber Leistung. Knapp 90 PS, mehr war serienmäßig nicht drin. Logisch, wenn man mickrige 26er-Vergaser im 90-Grad-Winkel an die Einlassmembran flanscht und den Frischgasstrom kräftig einbremst. War aber für die Serie kaum anders zu lösen, um die vier Vergaser zwischen die beiden Zylinderbänke zu pressen. Was trotz Power-Valve-Auslasssteuerung und anderen Tricks dem Motor eine eher inhomogene Leistungsentfaltung bescherte. Auf gut Deutsch: Untenrum lahm, in der Mitte mäßig, und kurz vor dem roten Bereich bricht der Sturm los. Womit die Yamaha RD 500 LC genau das Klischee bediente, das die Viertakt-Fans in ihrer Meinung bestätigte.

Und von wegen V-4-Motor – Pustekuchen. Genau genommen hat die Yamaha RD 500 LC einen Square-Four-Motor mit zwei um 50 Grad geneigten Zylinderbänken. Was aber nichts daran ändert, dass dieser Hightech-Motor jeden Zweitakt-Freak auch heute noch aus den Stiefeln haut. Ein Umstand, der dafür sorgt, dass die knapp 500 noch zugelassenen RDs in fester Hand sind – oder gnadenlos zerschraubt.
Auch am Fahrwerk zogen die Yamaha-Techniker alle Register. Innenbelüftete Bremsscheiben, hydraulisches Anti-Dive, unter dem Motor liegendes Federbein und natürlich ein damals modisches 16-Zoll-Vorderrad. Nur am Rahmen ging bei den Exportmodellen Sicherheit vor radikalem Leichtbau, weshalb man Stahlrohren den Vorzug gab. Nur beim seltenen RZV-R-Modell für den japanischen Markt verschweißten die Yamaha-Techniker filigrane Alu-Vierkantrohre. Es half alles nichts: Bereits drei Jahre nach dem spektakulären Auftritt verschwand die Yamaha RD 500 LC wieder von der Bildfläche.
Daten und Fakten

Daten
Wassergekühlter Vierzylinder-Zweitaktmotor, 499 cm³, 65 kW (88 PS) bei 9500/min, 67 Nm bei 8500/min, vier 26er-Vergaser, Membraneinlass, YPVS-Auslasssteuerung, Getrenntschmierung. Sechsganggetriebe. Gewicht vollgetankt 216 kg, Bereifung vorn 120/80 V 16, hinten 130/80 V 18, Höchstgeschwindigkeit 223 km/h. Preis 1984: 11188 Mark.
Literatur
Bücher zur Yamaha RD 500 LC sind nicht auf dem Markt, da die verkauften Stückzahlen keine lohnenswerte Nachfrage erwarten lassen.
Spezialisten
Oft können nur alteingesessene Händler bei echten Problemen weiterhelfen. Zum Beispiel Motorrad Klein in Dillingen an der Saar (www.motorradklein.de) oder das Motorradhaus Stocksiefen in Nauheim (www.motorradhaus-stocksiefen.de).
Marktsituation
Von den rund 1500 verkauften Neufahrzeugen sollen noch etwa 500 zugelassen sein. Für gut erhaltene Maschinen muss man mit über 10000 Euro rechnen. Defekte Yamaha RD 500 LC werden meist als Teilelager genutzt und stehen kaum zum Verkauf.