Es gab weder Internet noch Handy, es gab nicht mal serienmäßige Straßen-Vierventiler. Bis 1976, dann kam die Yamaha XS 500 - zwei obenliegende Nockenwellen, Ventile satt, Leichtmetallräder. Der Fortschritt war gesichert.
Es gab weder Internet noch Handy, es gab nicht mal serienmäßige Straßen-Vierventiler. Bis 1976, dann kam die Yamaha XS 500 - zwei obenliegende Nockenwellen, Ventile satt, Leichtmetallräder. Der Fortschritt war gesichert.
In bewundernswertem Eigensinn hat Yamaha oft versucht, anders zu sein als die anderen. Vor allem anders als Honda, und deshalb entstanden bis 1977 in Iwata Motoren aller Art, bloß keine Vierzylinder. Mit spitzen Fingern hatte der ewige Branchenzweite 1969 immerhin einen Viertakter konstruiert, die XS 1 mit 650er-Paralleltwin. Aber kurz danach deutete die US-Gesetzgebung einen Kurs an, der Zweitakter links liegen ließ, und so gerieten Ventile und deren Steuerung erneut in den Fokus.
Die Ingenieure versprachen hochmoderne Twins - so stark und laufruhig wie die Honda-Fours. Das klappte beim neuen Topmodell eher weniger: Die 1972 präsentierte Yamaha TX 750 blieb bei 51 DIN-PS stecken - und außerdem ziemlich oft stehen.
Deshalb wollte der deutsche Importeur, die Mitsui GmbH, von der ein Jahr später vorgestellten und technisch noch ambitionierteren TX 500 rein gar nichts wissen. Eine verständliche Entscheidung, wie ein kleiner Ausflug in die TX-Historie zeigt.
Wer einen laufruhigen Reihenzweizylinder will, muss ihm Ausgleichswellen spendieren. Das taten die Japaner zunehmend, Yamaha unter dem herrlich wichtigen Namen Omni-Phase-Balancer-System. Nippons Söhne lieben solche Anglizismen, dieser benennt bei der TX 500 eine Ausgleichswelle mit zwei Gegengewichten. Sie liegt hinter der Zylinderbank, eine recht lange Kette sorgt für Schwung, und dieser Kette gönnte Yamaha keinen automatischen Kettenspanner. Pech für die Kunden. Außerdem hatte die TX lausig schlechte Vergaser. Kein vernünftiger Leerlauf, unmotiviertes Ruckeln - ein Graus. Aber nicht aussichtslos, und deshalb bekam das Motorrad eine zweite Chance. Mikuni-Vergaser, bessere Kettenspanner, modernes Kantendesign und neumodische Leichtmetallräder machten aus der TX eine XS, und unter diesem gut beleumundeten Kürzel wagte Mitsui ab 1976 den Import.
An den Stammtischen sorgte die Yamaha XS 500 für Aufruhr. Zwar trugen Hondas 250er-Enduros schon seit 1972 Vierventilköpfe, hatten aber nur eine Nockenwelle und waren auf guten Durchzug getrimmt. Ein hochdrehender dohc-Twin jedoch, der musste bei derart optimiertem Gasdurchsatz gehen wie die Hölle. Die zu beschleunigenden Massen der einzelnen Ventile waren viel geringer, er konnte höher drehen. Der freie Ventilquerschnitt war viel größer, er durfte freier atmen. Er war schmaler als ein Reihen-Four, musste leichter sein. Und schließlich: Bei vielen erfolgreichen Renn-Viertaktern von Rudge bis MV Agusta tanzten längst vier Ventile über den Kolben.
Tatsächlich dreht die Yamaha XS 500 locker in ihren erst bei 9000/min beginnenden roten Bereich. Das war damals eine Ansage. Andererseits bietet sie unter 6000/min nicht viel mehr als braven Vortrieb und agiert - wohl auch wegen ihrer vielen Wellen und Ketten - nicht wirklich spontan. Man hatte mehr erwartet. Und war dennoch begeistert: MOTORRAD nannte das Fahrwerk „beispielhaft“, bejubelte Handling und Stabilität. Später traten häufig Hitzeschäden am Zylinderkopf auf, massenhaft musste Mitsui Ventilsitze ersetzen. Aber so ist das Leben: Meist ernten nicht die Pioniere, sondern deren Nachfolger. Yamaha kehrte für geraume Zeit reumütig zum Zweiventiler zurück, Honda brachte 1978 den Megahit CB 900 F, genannt Bol d’Or. Mit vier Zylindern und je vier Ventilen.
Daten: Zweizylinder-Viertakt-Reihenmotor, 498 cm³, 35,3 kW (48,5 PS) bei 8500/min, 43 Nm bei 6500/min, Fünfganggetriebe, Doppelschleifenrahmen aus Stahl-rohr, Gewicht vollgetankt 212 kg, Reifen vorn 3.25 H 19, hinten 4.00 H 18, Tankinhalt 15,5 Liter, Höchstgeschwindigkeit liegend 171 km/h, 0-100 km/h in 6,5 sek.
Literatur: Es gibt keine Einzeldarstellung der XS 500 oder der XS-Familie. Das Standardwerk „Yamaha-Motorräder seit 1955“ von Joachim Kuch und Jürgen Gassebner (Motorbuch Verlag, leider vergriffen) enthält immerhin einen kleinen Abschnitt zur XS 500.
Spezialisten: Aufs Reparieren und Restaurieren dieser doch recht seltenen Yamaha hat sich niemand spezialisiert, auch nicht auf ihre Ersatzteilversorgung. Gute Lackteile sind rar, noch rarer Kettenschlösser der eigenwilligen Duplex-Steuerkette.
Marktsituation: Knapp 3000 XS 500 wurden zwischen 1976 und dem Abverkaufsjahr 1980 an die Kunden gebracht. Die meisten davon sind verschrottet, nur wenige haben Liebhaber gefunden. Immer wieder gehen Schnäppchen unter 500 Euro weg, aber Vorsicht: Die Zylinderköpfe der 76er-Exemplare sollten nachweislich bei Mitsui umgerüstet worden sein. Spätere XS 500 sind ab Werk schon hitzebeständig, und grundsätzlich ist sie auch recht solide sowie gut zu beschrauben.
Eine ausführliche Darstellung ist in MOTORRAD CLASSIC 3/1994 erschienen. Artikel-Nachbestellung: Tel. 0711/32 06 88 99.