Laverda begann 1975 mit der Entwicklung des 500er-Twins, arbeitete schnell und konnte bereits auf dem Mailänder Salon im Herbst jenen Jahres ein schmuckes Halbliter-Bike mit modernem Vierventil-Twin präsentieren. Doch wusste man in Italien etwa von den anfänglichen Problemen, die Yamaha mit seinem schon 1973 vorgestellten Vierventil-Twin hatte und wollte keinen Schnellschuss riskieren? Jedenfalls dauerte es bis Herbst 1977, ehe man die Laverda endlich kaufen konnte. In Deutschland gar bis Mitte 1978 – der Wechsel des Importeurs einst die Firma Louis, dann Zweirad Röth, brachte die Verzögerung mit sich.
Doch nun sorgte sie überall für staunende Gesichter und weckte Begehrlichkeiten. Eine leichte und handliche, quasi kleinere Ausgabe der 1000er-Drillinge, mit an die große Jota angelehntem Design und leckeren technischen Details wie doppelte obenliegende Nockenwelle und Vierventilkopf. So wähnte man sich gerüstet im Kampf um die Gunst der Käufer. Die Gegner standen bereit, in Gestalt der Ducati 500 Sport Desmo und sicher auch der Yamaha XS 500.
Für 6.860 Mark gab's hochwertige Ausstattung
Um dieser mit 5.492 Mark (1978) schon nicht rekordverdächtig günstigen Japanerin Paroli bieten zu können, musste die Laverda für die verlangten 6.860 Mark schon einiges auffahren. Der 497-cm³-Motor mit kettengetriebenen obenliegenden Nockenwellen und vier per Tassenstößel gesteuerten Ventilen, vierfach wälzgelagerter Kurbelwelle und mit 180 Grad Hubzapfenversatz als Gegenläufer ausgelegte Twin musste sich mit 46 PS zwar nicht verstecken, hatte aber auch nicht mehr drauf als die Konkurrenz.
Nicht gespart hat Laverda jedoch bei den Anbauteilen und der Ausstattung: Eine kontaktlose Bosch-Transistorzündung sorgt für Verlässlichkeit, ein Sechsganggetriebe für die jederzeit passende Übersetzung, und japanische Schaltereinheiten sowie das Cockpit bieten gute Bedienbarkeit und Anzeigegenauigkeit. Großzügig verzichtet hat man hingegen auf einen Kickstarter, dem geringen Gewicht kommt es zugute. Mit 189 Kilogramm vollgetankt untermauert die Laverda hier ihren sportlichen Anspruch, auch wenn bei der Entwicklung des Fahrwerks angeblich sogar die softe, auf Fahrkomfort ausgelegte Ausrichtung Vorrang hatte. So rollten die ersten 500er also aus den Werkshallen in Breganze. Doch die ersten Änderungen hielten schon im ersten Jahr nach Erscheinen Einzug: So entschied man sich nun doch zum Einsatz einer Ausgleichswelle (die ersten Exemplare wurden noch ohne ausgeliefert), um der Vibrationen Herr zu werden, und man musste bereits früh den Namenszusatz Alpina in Alpino umwandeln – ein deutscher BMW-Tuner hatte sich den Namen bereits schützen lassen.
"Laufleistung und Zustand waren mir egal"
Heute steht also ein bestens gepflegtes Exemplar der Laverda 500 Alpino für uns bereit – es gehört Tom Eatman, seines Zeichens Laverda-Enthusiast und professioneller Schrauber, nicht nur, aber vor allem an Laverdas, mit Domizil im Allgäu. Er besitzt nahezu alle Modelle der Marke, seine Alpino hat er 2006 erstanden. „Laufleistung und Zustand waren mir egal – ich habe eh alles überholt und erneuert, was fällig war“, erzählt er mit gewohnter Gelassenheit. Bildschön strahlt der (relativ) neue Lack in der Sonne, die filigran wirkenden 18-Zoll-Gussräder aus Laverda-eigener Fertigung passen bestens zum Gesamtbild. Hochbeinig wirkt die 500er allerdings und erwachsener, vor allem im Vergleich zur kompakt, fast gedrungen auftretenden Yamaha, auch wenn die Maße dies nicht belegen. Spürbar ist jedoch der Gewichtsvorteil schon beim Aufsitzen und Rangieren. Der Chokehebel sitzt etwas fummelig versteckt am linken Vergaser, doch mit dem Druck aufs Knöpfchen bollert der Twin überraschend spontan los. Kernig blubbert es aus den beiden Lafranconi-Töpfen, der Motor mahlt mechanisch hörbar, vor allem jedoch spürbar vor sich hin. Er lässt sich seine Lebensäußerungen auch von der Ausgleichswelle nicht nehmen. Die Kupplung braucht keine Schraubstockhand, auch zum Aufziehen der Dellortos ist keine übermäßige Kraft erforderlich.
Zum Anfahren genügt wenig Drehzahl, auch wenn sich der Laverda-Twin hier nicht ganz so sanft und geschmeidig gebärdet wie der XS-Motor. Wer zuvor lange die XS 500 bewegt hat, spürt umso deutlicher den Unterschied. Vibrationen sind nicht störend aber spürbar, mit steigender Drehzahl und über 5.000/min deutlich. Auch die Motorcharakteristik wirkt eindeutig sportlicher: unten und in der Mitte fahrbar, aber verhaltener, dafür mit deutlicherem Biss ab 6.000/min, willig auch bis zum roten Bereich bei 8.000/min.
Wegen der etwas weiter über den längeren Tank gebeugten, Vorderrad-orientierteren Haltung vermittelt die Laverda 500 Alpino bei aller bequemen Unterbringung (nicht zu breiter, sehr gut gekröpfter Lenker, entspannter Beinwinkel) sportliches Flair und verleitet zum Gasgeben. Zumal auch die Marzocchi-Gabel und die Hagon-Zubehörfederbeine (wie schon die originalen Marzocchis) fein ansprechen und genügend Reserven bieten, um auch derbe Wellen wegzufiltern. Ein paar Kilometer kurvige Bergstrecke durch den Wald lassen kurz das Potenzial aufblitzen: Bei solch präzisem Lenkverhalten und so willigem Einklappen in Schräglage, bei bester Stabilität, lässt es sich auch verschmerzen, dass man sich hie und da ein paar mehr als die 46 PS, etwas kürzere Schaltwege sowie eine exaktere Rastung der sechs Gänge wünschen würde. Die prima dosierbaren, standfesten Brembo-Bremsen lassen hingegen kaum Wünsche offen. Noch eine kleine Extrarunde? Wie hatte Tom noch gesagt? „Du kannst mit der 500er entspannt bummeln, es aber auch ordentlich krachen lassen.“ Stimmt. Entspanntes Rumrollen wird nicht langweilig, aber wer weiß, wie viel Spaß flottes Räubern macht, lässt sich immer wieder verlocken.
Schon Jahre vor der Laverda, nämlich 1973, hatte Yamaha auf der Amsterdamer Motorradmesse einen Vierventil-Twin vorgestellt, die TX 500. Damals noch mit rundlicherem Look der Schwester TX 750 und mit Speichenrädern. Und auch sie war nicht die erste Vierventil-Serienmaschine, hatte doch Honda bereits 1972 mit dem ohc-Eintopf SL 250 S vorgelegt. Doch stellte die Yamaha immerhin den ersten Serien-Vierventil-Twin mit zwei obenliegenden Nockenwellen. Wegen der Erfahrungen mit der technisch anfälligen TX 750 zögerte der deutsche Importeur jedoch und bot die 500er hierzulande offiziell nicht an. Amerika blieb zunächst der Hauptabsatzmarkt der TX 500.
Erst der zunehmende Druck, eine leistungsfähige Maschine in der 500er-Klasse anbieten zu wollen, die optische Überarbeitung (modernes, kantiges Design, modische Gussräder) und technische Updates (Mikuni- statt der Keihin-Vergaser) bescherten dem nun XS 500 getauften Twin eine neue Chance. Ende 1975 auf der Mailänder Messe präsentiert, wurde sie ab 1976 auch in Deutschland offiziell angeboten. Die einzigen gravierenden Modellpflege-Änderungen wurden 1977 fürs Modell 1978 vorgenommen. Eine höhere Verdichtung von nun 9,6 statt 8,5:1, ein größeres Luftfiltergehäuse und ein neuer Fliehkraftregler mit anderer Verstellkurve verhalfen dem Motor zu vollen 50 statt der vormals 48,5 PS. Für bessere thermische Verhältnisse sorgten zudem größere Hauptölbohrungen. Auch beim Fahrwerk legte man Hand an: Neue Gussräder sparten deutlich Gewicht – die vordere Felge wurde von sechs auf gut fünf, die hintere von 7,15 auf 6,2 Kilogramm abgespeckt. Damit der Fahrer die immer noch 212 Kilo schwere XS leichter aufbocken konnte, wurde die Form des Hauptständers dahingehend optimiert.
3.000 in Deutschland verkaufte Yamaha XS 500
Eine Yamaha XS 500 für den geplanten Vergleich zu finden, erwies sich als gar nicht so einfach. Viele der insgesamt nur knapp 3.000 in Deutschland verkauften Exemplare wurden längst als billige Studenten-Mopeds zuschanden gefahren oder stehen heute verstaubt und nicht fahrbereit in Garagenecken. Zufällig fanden wir über ein Inserat eine Maschine, die zwar bereits einen Käufer gefunden hatte, der uns jedoch die XS für den Vergleich und die Fahraufnahmen überließ. Der Verkäufer, Wolfgang Gräter, hatte die XS 500 1978 neu gekauft und war nun 38 Jahre lang Erstbesitzer. Ohne irgendwelche Probleme mit der Yamaha, wie er versichert. Die XS wurde die letzten Jahre wenig bewegt (meist die Harley bevorzugt) und soll nun doch einen neuen Liebhaber finden.
Nun haben also wir das Vergnügen, der Faszination der Vierventil-Twins auf den Grund zu gehen. Der Chokeknopf ist gezogen, einstufig, alles oder nichts, und nach zähen Umdrehungen meldet sich der XS-Twin zum Dienst. Es braucht etwas Geduld und Feingefühl, den Motor am Leben zu halten, bis der Choke deaktiviert werden kann, um in Ruhe dem hellen Singen und Mahlen zu lauschen. Neben dem dumpfen Blubbern aus den Endtöpfen bestimmen vor allem die Laufgeräusche der zahlreichen Ketten und Zahnräder die Soundkulisse. So werden nicht nur die beiden Nockenwellen von einer Kette angetrieben, und zwar von einer außen in einem Schacht am rechten Zylinder laufenden Duplexkette, sondern auch die Ausgleichswelle. Die ist oberhalb der Kurbelwelle hinter dem Zylinderfuß angeordnet und soll mit zwei um 180 Grad versetzten Ausgleichsgewichten die letzten Vibrationen eliminieren. Wo doch der Twin ohnehin schon als Gegenläufer ausgelegt ist, also mit 180 Grad Hubzapfenversatz arbeitet, des besseren Massenausgleichs wegen. Der gleitgelagerte Motor läuft zudem bereits recht sanft, und dank all der genannten Maßnahmen sind über das gesamte Drehzahlband so gut wie keine Vibrationen spürbar. Einzig das helle metallische Heulen nimmt ab mittleren Drehzahlen hörbar zu.
Fahrwerk dem Motor deutlich überlegen
Die sind ja auch angesagt, wenn es zügig voran gehen soll, denn eines fällt schnell auf und war bereits angesichts der konstruktiven Merkmale (große Bohrung, geringer Hub, vier kleine Ventile) zu ahnen: Ein Durchzugswunder ist der 500er nicht. Zwar lässt sich die Yamaha XS 500, auch dank leichtgängiger, gut dosierbarer Kupplung, mit wenig Drehzahl anfahren und der Twin zieht ab gut 1.500/min sauber und ruckfrei hoch, doch tut sich unter 3.000 Touren nicht viel. Erst ab 6.000/min stellt sich so etwas wie feuriger Vortrieb ein. Drehfreude ist denn auch sein Ding – der Vierventiler jubelt willig bis an den roten Bereich bei 9.000/min, das exakt schaltbare Fünfganggetriebe ist passend gestuft und bietet immer guten Anschluss.
Dass die Yamaha dennoch kein Sportler sein kann und auch gar nicht will, liegt nicht nur an der gleichmäßigen, wenig spektakulären Leistungsentfaltung, sondern auch am relativ hohen Gewicht. Dazu passt dann auch die entspannte Sitzhaltung auf der fast schon zu breiten, kantigen Sitzbank, in Verbindung mit der relaxten Beinhaltung und dem angenehm gekröpften Lenker. Alles zusammen vermittelt eine alltagstaugliche, unauffällige Fahrerhaltung, die eher zum Überland-Cruisen als zum Heizen animiert.
Wobei die XS könnte. Eigentlich. Die Fahrwerksgeometrie mit kurzem Radstand und die erstaunlich gut funktionierenden Federelemente erlauben einen zügigen Fahrstil, die gebotene Stabilität ist stets tadellos. So zumindest die Erinnerung an früher bewegte Yamaha XS 500, die sich mit dem Lob aus früheren Testberichten deckt. Nicht zu Unrecht wurde das Fahrwerk damals als beispielhaft gelobt, und es sei, ganz unüblich für jene Zeit, dem Motor deutlich überlegen. Auch heute lässt sich das flinke Fahrverhalten erahnen, die leichte Kippeligkeit in Kurven und das nervöse Verhalten der Gabel sind recht eindeutig auf die alten Reifen und die etwas leckende Gabel zurückzuführen. Erstaunlich jedoch, wie souverän die hinteren Federbeine auf leichte Stöße ansprechen und dabei auch grobe Schläge souverän wegstecken. Die heute etwas zahnlose Bremse mit matschigem Druckpunkt ließe sich wohl durch Entlüften zu alter Güte bringen. Auf die wirksame Scheibenbremse hinten ist aber Verlass. Übrigens trug die XS 500 von Beginn an die Vorrichtung zum Nachrüsten einer zweiten Bremsscheibe vorn. Kosten damals: 480 Mark.
Beide Exemplare sind sehr selten
Die genannten Kritikpunkte sind auch Neubesitzer Klingelhöfer bei der Probefahrt aufgefallen. Nach einer kleinen Kur inklusive neuer Reifen fährt sich die Yamaha XS 500 nun so agil wie einst gelobt, bestätigt der XS-Käufer heute. Klingelhöfer war schon bei ihrem Erscheinen fasziniert von der 500er, musste sich aber damals mit der XS 360 bescheiden. Zufällig stolperte er nun über die Annonce und schlug spontan zu. Sorgen um anfangs häufig aufgetretene Schäden im Zylinderkopf durch Überhitzung muss er sich kaum machen. Die Probleme mit undichten Ventilsitzen und Leistungsverlust sowie unruhigem Leerlauf betrafen nur die 1976er-Modelle, die anfangs auf Garantie repariert und umgerüstet wurden. Ab 1977 gehörten die Schäden dank werksseitiger Modifikationen wie anderen Ventilsitzen und verbessertem Schmiersystem der Vergangenheit an. Am bereits lädierten Ruf, der ihr teils bis heute anhaftet, hat dies nicht viel geändert.
Von den zwischen 1976 und 1979 gebauten, zuletzt bis 1980 abverkauften rund 3.000 Exemplaren sind nicht mehr allzu viele übrig, von den rund 2.750 gebauten Laverda Alpino fanden erst gar nicht viele den Weg nach Deutschland. Wer also auf exotischen Japan-Barock oder sportlich-italienische Eleganz mit Vierventil-Twin steht, sollte Geduld bei der Suche mitbringen. Doch es lohnt sich. Laverda-Enthusiast Eatman und XS-Neubesitzer Klingelhöfer können sicher ein Lied davon singen.