Ebenso wie man Freunde liebgewonnen hat, können einem auch Motorräder ans Herz wachsen. Ein solches Verhältnis pflegt der Australier Scott Webster zu seiner Moto Martin-Kawasaki.
Ebenso wie man Freunde liebgewonnen hat, können einem auch Motorräder ans Herz wachsen. Ein solches Verhältnis pflegt der Australier Scott Webster zu seiner Moto Martin-Kawasaki.
Bereits seit rund 30 Jahren befindet sich ein Rennmotorrad mit Kawasaki-Vierzylinder und dem Doppelschleifen-Chassis aus Stahlrohr der französischen Rahmenschmiede Moto Martin in der Garage des Australiers Scott Webster. Mit ihm bestreitet er sogenannte Post Classic-Rennen, in denen Zweiventiler aufeinandertreffen, die vor 1981 entstanden sind. Obwohl der Australier wegen seines Berufs als selbstständiger Autoelektriker die Rennerei nicht als Vollzeitjob bestreiten konnte, nahm er seit 1982 ohne Unterbrechung auf höchstem Niveau an der australischen Superbike-Meisterschaft teil.
Schon 1980 hatte der französische Importeur Bertrand Cadart eine Martin mit Kawasaki-Vierzylinder nach Australien geholt. 1981 starteten Scott Stephens und Dave Miller damit bei einem Langstreckenrennen in Bathurst, kamen aber nicht ins Ziel. Daraufhin stellte Cadart das Rolling Chassis Ken Wooton zur Verfügung, der seinen eigenen Kawasaki Z 1000-Superbike-Motor installierte. Doch nach weiteren Ausfällen verkaufte Bertrand Cadart das Fahrwerk samt originalem Kawasaki-Motor 1982 an Steven Watts. Der entfernte sämtliche Anbauteile wie die Marvic-Räder, die Marzocchi-Gabel und den Motor und veräußerte das nackte Chassis 1983 an Scott Webster, der gerade ein Jahr zuvor mit dem Rennsport begonnen hatte. Der baute das Rennmotorrad erneut komplett mit einem Kawasaki-Vierzylinder auf und setzte es in der australischen Superbike-Klasse ein. Doch bereits 1985 änderte sich das Reglement für Superbikes. Es begrenzte den Hubraum auf 750 cm³. Die folgenden 20 Jahre, in denen Webster in Australien bei Superbike-Rennen startete, verbrachte die Martin sozusagen als Anschauungsobjekt in seiner Garage. Doch ein Bekannter beschwor ihn: „Du musst die Martin-Kawasaki wieder aufbauen und in der Post Classic-Serie einsetzen.“ Allerdings bereitete das Reglement ein kleines Problem, denn es schrieb eigentlich zwei Federbeine vor. Da das Monofederbein jedoch ohne Umlenkung arbeitete, erhielt er letztendlich die Starterlaubnis. Nach einigen Einsätzen bekam er großen Spaß an den Klassik-Wettbewerben und entschloss sich, das Ganze ernsthafter zu betreiben. Er montierte 17-Zoll-Räder, um modernere Reifen verwenden zu können und gab den Motor zu Tuner Trevor Birell.
Birell verwendete ein Kawasaki Z 1000-Motorgehäuse und erweiterte den Hubraum der 1000er mit 11:1 verdichtenden Kolben von Arias mit 77 statt der originalen 69,4 Millimeter Bohrung auf 1229 cm³. Die Kurbelwelle entstammt einer Kawasaki GPZ 1100, die Pleuel sind Serienteile. Die Brennräume überarbeitete der Tuner komplett, passte sie an die größere Bohrung an, adaptierte größere 38er-Einlass- und 32,5-mm-Auslassventile und montierte scharfe Web-Cam-Nockenwellen mit 9,9 mm Hub. 33er-Keihin CR-Vergaser und eine 4-in-1-Auspuffanlage von Moriwaki unterstützten einen ungehinderten Gaswechsel. Eine programmierbare CDI-Zündung begrenzt die Drehzahl auf 9500/min. Ein Fünfganggetriebe der GPZ 1100 und die Kupplung einer ZXR 750 mit verstärkten Federn sorgen für die Kraftübertragung. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Eindrucksvolle 144 PS bei 9200/min am Hinterrad entlockte Trevor Birell dem betagten Vierzylinder.
Eine 38-mm-Marzocchi-Gabel mit modifizierten Innereien und eine speziell angefertigte Dreiecksschwinge aus Aluminiumprofilen mit einem voll einstellbaren, direkt angelenkten Öhlins-Federbein sorgen für Fahrstabilität. Ein Vorderrad von Marvic und ein Hinterrad einer Suzuki, beide 17 Zoll groß, ermöglichen den Einsatz von aktuellen Dunlop-Slicks. Serie d´Oro-Bremssättel von Brembo greifen in 310 mm große Bremsscheiben von Honda. Das Trockengewicht liegt bei 175 Kilogramm. Der Radstand beträgt üppige 1520 mm, aber das macht sie auf schnellen Kursen wie zum Beispiel in der letzten Biegung von Phillip Island herrlich stabil, gibt Webster zu Protokoll. Um das instabile Fahrverhalten der Japaner zu verbessern, gingen europäische Chassis-Hersteller mit dem Radstand einst in die Länge und platzierten die Motoren im Fahrwerk deutlich höher, um die Schräglagenfreiheit zu verbessern.
Doch es sollte bis 2004 dauern, ehe Scott Webster den historischen Langstrecken-Renner reaktiviert hatte und der französischen Marke Moto Martin mehr Erfolg auf der Rennstrecke bescherte als jeder andere Fahrer zuvor seit der Gründung der Firma im Jahre 1972. 2005 beendete Webster die Australian Historic Championship in der Post Classic Unlimited-Klasse bereits auf dem dritten Platz.
Und obwohl er in seiner Kategorie auf Stars wie Rob Phillis, Wayne Gardner, Steve Martin und Jeremy McWilliams traf, beendete Scott Webster die Island Classics International Challenge sowohl 2008 als auch 2009 auf dem dritten Gesamtrang und schlug in der Saison 2009 Rob Phillis in jedem Rennen. 2011 eroberte er sich nach einem Jahr ernsthafter Verletzungen den sechsten Gesamtrang. Dabei sicherte sich Scott Webster mit einer geradezu unglaublichen Beständigkeit dritte Plätze bei den historischen Rennen, die 2011 im Rahmen von Großevents wie der Superpike-WM oder dem australischen Grand Prix in Phillip Island stattfanden.
Auf dem engen, gut zwei Kilometer langen Kurs von Broadford in Australien bekam MOTORRAD Classic die Gelegenheit, die Martin-Kawasaki zu fahren. Beim Entern der Martin sitzt der Fahrer nicht wie auf modernen Rennmaschinen, er muss sich vielmehr zwischen den Sitzhöcker und den 24-Liter-Tank aus Aluminium regelrecht hineinzwängen, um hinter der ausladenden Vollverkleidung Platz nehmen zu können und mit stark angewinkelten Beinen die Füße auf den hoch angeordneten Fußrasten unterzubringen.
Die Moto Martin ist ein typisches Langstreckenmotorrad vom Ende der 70er-Jahre, bei dem die Fahrer nicht im Sattel turnten, sondern sich darauf konzentrierten, das Motorrad auf der schmalen Bereifung möglichst kräfteschonend von einer Schräglage in die nächste zu legen und die Konkurrenten auf die lange Distanz taktisch in Schach zu halten. Bei heutigen Klassik-Rennen ist genau das Gegenteil der Fall. Man nützt die mögliche Schräglage und die für solch ein langes Motorrad erstaunlich präzise und leichtgängige Lenkung. Sie bietet auch die Voraussetzung, um Runde für Runde die ideale Linie zu treffen, ohne den Dunlop-Vorderreifen oder die schlecht ansprechende Marzocchi-Gabel zu überfordern. Diese wurde zwar überarbeitet und zeitweilig gegen eine Honda CBR 600-Gabel getauscht, beides brachte jedoch keine Abhilfe. Hier wäre noch eine Menge Entwicklungsarbeit erforderlich. Dagegen ist das Öhlins-Federbein hervorragend abgestimmt und filtert sämtliche Bodenwellen in Broadford heraus. Ohne Übertreibung lässt sich die direkte Verbindung von der Gashand zum Hinterrad spüren. Die Rückmeldung verblüfft, doch neben dem Öhlins-Federbein ist die lineare Leistungsentfaltung des Reihen-Vierzylinders ab 4000/min aufwärts ein weiterer Schlüssel zu dem sicheren Gefühl. Wenn die Nadel des Drehzahlmessers gegen die 9000er-Marke klettert, findet man sich nach dem Hochschalten im üppigen Bereich der Drehmomentkurve von 6500 bis 7500/min wieder. Und obwohl das Getriebe der GPZ 1100 eine reine Straßenabstimmung hat, spielen die Übersetzungssprünge wegen des breiten Leistungs- und Drehmomentbands des Motors überhaupt keine Rolle. Beim Verzögern ist es dagegen hilfreich, das Bremsmoment des Motors zu nutzen, da die Brembos tatsächlich so schwach agieren wie erwartet. Die Leistungsentfaltung erlaubt es sogar, enge Ecken im dritten Gang zu fahren, ohne die Kupplung zu Hilfe zu nehmen. Scott Webster hat die Vergaser selbst im Teillastbereich perfekt abgestimmt. Das Ansprechverhalten ist direkt, genau berechenbar und mit perfekter Rückmeldung. Deshalb lassen sich die 144 PS so einfach vom schmalen Hinterreifen auf den Asphalt übertragen.
Abgesehen von der Gabel und den Bremsen will man kaum glauben, dass Steve Websters Martin ein Kind der späten 70er-Jahre ist. Sie fährt sich eher wie ein Motorrad der frühen 90er und stellt ein hervorragendes Gesamtpaket dar. Dies ist ein Grund, warum Scott Webster die Klassik-Rennen schätzt, sicher aber auch wegen der Atmosphäre: „Ständig kommen Leute in die Box, die eine starke Beziehung zu den Bikes ihrer Jugend haben. Sie mögen sie, weil keines ist wie das andere. In der Startaufstellung kann man eine unglaubliche Vielfalt entdecken. Rennmotorräder von heute sind großartig, sie sind schnell, aber eines gleicht dem anderen.“ Er ist davon überzeugt, dass die Klassik-Rennen auf den Zuschauer viel spektakulärer wirken. „Am besten fühlt man die Atmosphäre aber, wenn man mittendrin steckt.“ Natürlich nur mit einem Motorrad, das einem so ans Herz gewachsen ist wie die Martin-Kawasaki ihrem Besitzer Scott Webster.