Es ging ein Riss durch die Redaktion MOTORRAD: Während einige Kollegen 1987 Themen für die ersten Ausgaben des CLASSIC-Ablegers sammelten, sahen andere das technische Nirwana nahen. Hier drehte sich alles um Brough Superior, DKW oder allenfalls Münch, dort schaute man atemlos zu, wie Nippons Söhne mit Neuerungen nur so um sich warfen, nachdem schwergewichtige Standardware sie Anfang der 80er-Jahre in eine erste Absatzkrise gezogen hatte. Der Branchenzweite Yamaha nahm dabei häufig die Führungsrolle ein, blieb jedoch – sehr zur Freude einer eingeschworenen Redakteursclique – auch seinen Wurzeln treu. Dem Zweitakt nämlich, und deshalb folgte einem 1984 präsentierten Vierzylinder-Rambo namens RD 500 drei Jahre später die ungleich feinfühligere Yamaha TZR 250.
Yamaha TZR 250 schaut fast aus wie neu
Zwei Zylinder in Reihe, wie bei Yamahas Viertellitern gewohnt. Aber! Mit Fiberglas-Membraneinlass direkt ins Kurbelgehäuse, mit Power Valve-Steuerung des Auslasskanals, mit Flachschiebervergasern, mit 50 zulassungsfähigen PS. 50, jawohl, entwickelt bei 10.000 Umdrehungen der 180-Grad-Kurbelwelle. Aufgehängt ist dieses bis dato einzigartige Energiebündel in einem unten offenen, Deltabox getauften Rahmen aus Leichtmetallprofilen, welche den geschmiedeten Lenkkopf direkt mit den Schwingenlagern verbinden. Die Alu-Hinterradschwinge wird per Umlenkung von einem Zentralfederbein angesteuert, eine 39 Millimeter dicke Gabel führt das Vorderrad, darin bremst eine schwimmend gelagerte 320-mm-Scheibe mit Vierkolben-Festsattel. Nicht zuletzt hohlgegossene Dreispeichen-Leichtmetallräder zeigen das Bemühen um Leichtbau, am Ende sind es 150 Kilo. Vollgetankt, natürlich.
Der als Zweitakt-Junkie bekannte Stuttgarter Yamaha-Händler Edgar Walz hat seine 87er Yamaha TZR 250 für eine kleine Runde hergegeben, und deshalb eben nicht vollgetankt. 140 Kilo also. Atemberaubend. Und wenn man nicht wüsste, dass Zweitakt heute tabu ist und mittlerweile alle Scheinwerfer irgendwie schief in die Gegend linsen, man könnte sie für neu, nein, wegen kleiner Kampfspuren an Schalldämpfer und Motordeckel für eine junge Gebrauchte halten. Und es war doch wirklich erst gestern, dass man vom Kollegen Mini Koch in die Tiefgarage gezerrt wurde, um dieses Wunderwerk gebührend zu würdigen. Ebenso vertraut mutet die Startprozedur an: Chokehebel umlegen, ohne Gas und Zündung zweimal kicken, dann Zündung an, kicken, ohne Gas anlaufen lassen, nach ein paar Sekunden vorsichtig die Drehzahl erhöhen.
Auch auf Flickenasphalt ein Genuss
Wie wunderbar Yamaha selbst für größere Menschen auf diesem kleinen Motorrad eine integrierte und dennoch komfortable Sitzposition geschaffen hat. Wie leicht die Bedienung fällt. Wie brav der Motor im Vierten durch die Gemeinde zuckeln kann. Bis zum Ortsausgangsschild. Runter in den Dritten, hochziehen lassen bis gut 8.000. Sehr homogen macht der Twin das, profitiert eben davon, dass die von Elektromotoren gesteuerten Walzenschieber in seinem Auslasskanal bei niederen Drehzahlen die Steuerzeiten verkürzen. Erst über 7.000/min geben sie den ganzen Querschnitt frei, dann darf die Yamaha TZR 250 Rennerle spielen, und das ist sie ja mit ihrer Nähe zum Production Racer TZ auch. Die Nadel des Kühlwasserthermometers steht im grünen Bereich...
In der Wirkung voll aktuell, bremst die mächtige Scheibe das Motorrad vor einer engen Kehre runter. Zweiter Gang, über 7.000 Touren. Ein Dreh, und die Yamaha TZR 250 schnalzt vorwärts, bei über 10.000 hochschalten, leicht abbremsen und dann flott in eine Kurvenkombi rein, umlegen wie nichts, am Gas bleiben, noch mal hochschalten und raus. Auch auf Flickenasphalt ein Genuss, gespeist aus absolut souveräner Stabilität und Radführung. Ja, sogar aus Komfort, denn die für den Rennstreckeneinsatz vielleicht etwas zu weichen Federelemente taugen mit feinfühligem Ansprechen und großem Schluckvermögen für Landstraßensport umso mehr. Also noch mal. Und noch mal.
Adler pfiff bereits aus dem letzten Loch
Und dann zurück, weil in der Garage des Adler-Freundes Erich Bock schon der nächste Sport-Zweitakter wartet. Eine Adler MB 250, 1956 vorgestellt, mithin weitere 30 Jahre älter als die Yamaha TZR 250. „30, na und?“, möchte man nach dem Rausch auf der „ollen“ Yamaha fragen, doch schon der Anblick dieses Schätzchens verdeutlicht, dass 30 Jahre eben schneller oder auch langsamer vergehen können. Sie müssen gerast sein, von 57 bis 87. VDO-Standardtacho im riesigen Lampengehäuse, darüber der Zündnagel mit Bakelit-Griff. Sitzbankpolster wie ein Sofa, Kniekissen am Tank, ausladende Schutzbleche, Vergaser mit Häubchen drüber. Fast meint man zu hören, wie die ausrollende TZR der Adler nicht ohne Mitgefühl entgegenmeckert: „Oma, du siehst alt aus.“
Immerhin erkennt der Youngtimer die verwandtschaftliche Beziehung an. Bevor nämlich Yamahas Ingenieure 1956 ihren ersten Viertelliter-Twin auflegten, hatten sie sich den von Adler ganz genau angeschaut, das Triebwerk ihrer YD-1 sieht verdammt nach Frankfurter Schule aus. Doch während die Japaner damals erst richtig loslegten, pfiff Adler aufgrund der deutschen Motorradkrise bereits aus dem letzten Loch, schloss die Rennabteilung und stornierte Neuentwicklungen. Mit Mühe und Not hatte man 1956 noch einen neuen Rahmen mit Hinterradschwinge hingebogen. Der war echt überfällig, denn die fixe Adler MB 250 hatte seit ihrem Debüt stets die besonders ambitionierten Fahrer angesprochen, allenfalls ganz schnelle NSU Mäxe konnten mithalten.
Adler MB 250 mit zierlichen 16-Zoll-Rädern
Doch von vorn: Während andere ihr Heil im Verkauf grundsolider, aber auch kreuzbraver Westerwald-Motorräder mit zähem Einzylinder suchten, brachte der Motorrad-Wiedereinsteiger Adler schon in der ab 1951 gebauten M 200 einen Paralleltwin. Einen feinsinnigen, sensiblen sogar, denn außer seiner auf dem linken Kurbelwellenstumpf sitzenden, kompakten Kupplung (wie bei Yamahas YD-1, wer hätte das gedacht?) sowie der gegenüber angebrachten Lichtmaschine besitzt er nur geringe Schwungmassen. Schräg verzahnte Stirnräder – und nicht die damals weit verbreitete Kette – übernehmen den Primärtrieb zum Vierganggetriebe. Sofort verlangte der Markt einen größeren Motor, 1952 erschien die M 250, dank gewachsener Bohrung brachte sie es auf 247 cm³. Die in drei Kugellagern rotierende 180- Grad-Kurbelwelle wird hier in zwei Teilen ins einteilige Motorgehäuse eingefädelt und dann mittels Hirth-Verzahnung verbunden. Ein zentraler Vergaser füttert beide Zylinder, 16 PS kommen dabei raus. Nicht genug, um die tollen Sporterfolge von Adler zu vermarkten. Also gab‘s gleich noch ein Sportmodell, dessen Triebwerk brachte dank vergrößerter Kanäle und leichterer Zweiring- statt Dreiring-Kolben 18 PS bei 6.200/min.
Große Gedanken machte sich Adler über einen niedrigen Gesamtschwerpunkt, und deshalb neigt sich nicht nur das Triebwerk innerhalb des Doppelschleifenrahmens nach vorn, deshalb trägt die Adler MB 250 auch zierliche 16-Zoll-Räder. Wie Anfang der 50er-Jahre üblich, besitzt das Hinterrad nur eine Geradweg-Federung, vorn übernimmt eine sehr eigenwillige, geschobene Kurzschwinge mit Wickelbandfederung die Radführung. Die war sogar nur reibungsgedämpft, aber kaum entfaltete sich zaghaft das Wirtschaftswunder, genügte derlei Vorkriegskram nicht mehr. Also entstand 1954 eine Kurzschwingengabel mit innenliegenden Feder-Dämpfer-Elementen, und von nun an hieß es MB statt M. Zwei Jahre später kam dann endlich der Schwingenrahmen, und damit sind wir beim ewigen Adler-Spitzenmodell, der MB 250 Sprinter in Erichs Garage. Die hat ihn nämlich, und die trägt sogar 18-Zoll-Räder – aus optischen Gründen, damit nicht so viele Leute NSU Max kauften.
Bremsen machen zunächst auf Arbeitsverweigerung
Kurz getupft, zweimal getreten, schon kommt der Motor. Und klingt richtig modern. Singt meckernd das Hohelied der Drehzahl, kein Vergleich mit einer 250er-DKW oder Zündapp, hängt nach kurzer Zeit aufmerksam am Gas. „Erster ist oben, Leerlauf ganz unten“, beseitigt Erich letzte Unklarheiten, eine Entdeckungsreise in die frühe Neuzeit beginnt. Äußerst handlich geht’s ums Brünnchen an der Ecke herum, die Zielsicherheit wird schon noch kommen. Beinahe modern auch die versammelte Sitzpostion hinter dem schmalen Lenker – sie veranlasste MOTORRAD-Tester Paul Simsa zur bis heute gern kopierten Bemerkung, hier sitze man im Motorrad, was sich von BMW R 26 und NSU Max nicht behaupten ließe. Mag sein, auf jeden Fall weckt diese Haltung sportliche Gelüste, und deshalb wird die bereits bekannte Teststrecke anvisiert. Auf dem Weg dorthin muss das Fünfganggetriebe erfunden worden sein, denn im Dritten schreit die Adler an einer laaangen Steigung, dass Erich es nicht hören dürfte, und im Vierten röchelt sie nach Luft und Gnade. Ernst „Klacks“ Leverkus übrigens, damals der bekannteste aller MOTORRAD-Tester, hat gestanden, dass er den Hahn immer aufgelassen hat: Nach anfänglichen Problemen mit Klemmern seien die Adler-Twins nämlich verdammt robust gewesen.
Was es hier nicht zu überprüfen gilt, auch ohne Geschrei reicht das Tempo für die wunderbare Kurvenkombi mit der engen Kehre am Anfang. Die Bremsen – man braucht beide! – machen zunächst auf Arbeitsverweigerung, bei höherem Einsatz bleibt es vorn dabei und hinten droht die Blockade. Geschafft, runter in den Zweiten, wie gehabt. Danach, ja, passt der Dritte, aber so gerade, beim Umlegen mindert die schwammige Sitzbank das Gefühl fürs Motorrad, auf dem Flickenasphalt tänzelt vorn die Gabel und hinten wippen die Stoßdämpfer. Der Gasweg wird lang und länger, nützt nur nix: wieder kein Anschluss im Vierten. Aber jetzt, denn jetzt geht‘s bergab. Die Schwinge ist in Silentblöcken gelagert. Merkt man das? Die Alten haben das Fahrwerk doch so gelobt. Jedenfalls windet sich was, dort unten, und man möchte jetzt mal den Vergleich mit einer Max und nicht immer an die Yamaha TZR 250 denken. Denn man will es doch glauben und weiß es irgendwie längst, dass auch die Adler MB 250 mal Techno war. Nur jetzt, an diesem kurvigen Hang, wirkt sie gerade wie ein deutscher Schlager.