Großer Ausflug mit großen Folgen: Welcher Motorrad-Fan möchte nicht einmal das Land von Honda & Co bereisen? Stammen doch aus Fernost zahlreiche wunderschöne Maschinen, die heute schon wieder gesuchte Youngtimer sind. Motegi in der Mitte Japans war vor einiger Zeit Reiseziel des MV-Agusta-Clubs, dabei stand der Besuch des Motorrad-Grand-Prix und des weltberühmten Honda-Museums auf dem Programm. Mit von der Partie: Peter Wolf und Sohn Stefan. Große Verehrer der Honda-Rennhistorie und glückselig, weil begeistert von den zahlreichen Honda-Grand-Prix-Maschinen und auch den Langstrecken-Rennbikes, wie etwa der legendären RCB 1000. Diese fuhr 1976 beim Bol d’Or im französischen Le Mans den Sieg ein und gewann überlegen alle fünf Läufe zur Endurance-Europameisterschaft.
Beim Verlassen des Museums dann das Schlüsselerlebnis: Peter und Stefan Wolf trauten ihren Augen nicht: Auf einem Ausstellungsstand auf dem Gelände der Rennstrecke stand eine RCB 1000! Zu kaufen! Die Verkleidung mit den beiden flachen Scheinwerfern, der langgestreckte, flache Tank mit Schnellverschluss und Schnelltankeinrichtung, der kompakte Sitzhöcker mit den beiden runden Heckleuchten und die Vier-in-Eins-Auspuffanlage mit dem geschwungenen Schalldämpfer, alles entsprach dem Original.
Erst auf den zweiten Blick offenbarten sich gewisse Unterschiede. Gussräder statt der vernieteten Comstar-Räder, Cockpit mit Tacho und Drehzahlmesser wohl aus einem Serienmotorrad, und auch bei Gabel, Bremsen und Federbeinen handelte es sich ganz offensichtlich um Großserienprodukte. Ein Blick hinter die Verkleidung eröffnete ihren Kennerblicken die Herkunft. Der Reihenvierzylinder der Honda CB Seven Fifty, mit zwei obenliegenden Nockenwellen und vier Ventilen pro Zylinder, diente als Antrieb und auch das Fahrwerk war schnell als Honda-Großserienteil identifiziert.
Weitere erstaunliche Accessoires wie Rückspiegel, Blinker und eine Nummernschildbeleuchtung deuteten auf die Möglichkeit hin, das Exponat auf öffentlichen Straßen zu bewegen. Des Rätsels Lösung: Ein Customizing-Betrieb in Tokio, die Firma Whitehouse Japan, bietet den Honda CB 750 Café Racer, so die offizielle Bezeichnung, auf Basis der Honda CB Seven Fifty als Komplettpaket an. Keine Frage, so eine Maschine musste mit nach Hause, das wäre die Show am Motorradtreff.
Honda RCB 1000

Rückblende: Bei den RCB-Langstrecken-Rennern von 1976 versah ein Vierzylinder seinen Dienst, dessen Unterbau laut Reglement von der Serie abgeleitet sein musste. Erlaubt waren ein Hubraum von 1000 cm³ und die freie Wahl des Zylinders samt Kopf. Als Basis kam also nur der stark modifizierte Unterbau der CB 750 in Frage. Die ebenfalls modifizierte Original-Kurbelwelle hatte 63 Millimeter Hub, was bei 68 Millimeter Bohrung ursprünglich einen Hubraum von 915 cm³ ergab. Eine überarbeitete Kurbelwelle mit 64,8 Millimeter Hub hob das Arbeitsvolumen während der Saison auf 941 cm³ an, und schließlich sorgten 70 Millimeter Bohrung für 997 cm³. Selbst den Primärtrieb stellte Honda von zwei dünnen Serienketten auf Zahnkette um. Auf dem neuen Zylinder thronte ein völlig neuer Vierventil-Zylinderkopf, sozusagen das Glanzstück der RCB 1000. Eine spezielle Trockenkupplung übertrug das deutlich gestiegene Drehmoment, ein Rennmagnet über dem Getriebe sorgte für die Zündfunken und eine spezielle Trockensumpfschmierung für einen optimierten Ölkreislauf. Vier 34er-Gleichdruckvergaser von Keihin und die Vier-in-Eins-Auspuffanlage komplettierten die Motorperipherie. Ein Doppelschleifenrahmen mit steiferer Showa-Telegabel, eine neue Schwinge und Federbeine mit erstaunlich viel Federweg sowie breite Comstar-Felgen vervollständigten das Paket.
Das war so gut geschnürt, dass Honda Siege bei allen fünf Europameisterschaftsläufen, inklusive dem prestigeträchtigen Bol d’Or in Le Mans vor einem Publikum von mehr als 100000 Zuschauern einfuhr. Anfangs reichten etwa 115 PS, später im Verlauf der Saison dann mehr als 120 PS bei 9000/min, um die internationale Konkurrenz in Schach zu halten.
Das Geheimnis des Erfolgs lag nicht in extremer Spitzenleistung oder geringem Gewicht, sondern ganz offensichtlich in der Fahrbarkeit und der Abrundung des Gesamtpakets.

Diese Erfahrung schilderte einer der beiden Fahrer, Alex George, als "großes Erlebnis". Die Teilnahme am Bol‘Or hatte der Grand-Prix-Fahrer einem Zufall zu verdanken. Nachdem Stammpilot Christian Leon sich bei einem Sturz das Schlüsselbein gebrochen hatte, kam George zum Einsatz. Das Rennen war für ihn eine große Herausforderung: "In einem Grand Prix setzt man 100 Prozent Leistung über eine Stunde ein, in einem Langstreckenrennen aber muss man 24 Stunden gleichbleibend schnell, sicher und stark fahren. Honda als Team war grandios. Für die Fahrer tat man alles nur Vorstellbare. Nach jedem Wechsel nach 42 Runden wurde ich vom Doktor untersucht, massiert, bekam zu essen und konnte mich ausruhen. Das war aber nur die eine Seite. Die andere war die bis ins Letzte ausgefeilte Organisation. Die Maschinen, Mechaniker, Teammanager - alles lief wie am Schnürchen, es gab keine Panne. Wir hatten auch nicht das kleinste Problem, die Honda lief perfekt. Ich bin überzeugt, sie hätte anschließend nochmal 24 Stunden durchgehalten."
Diesen Eindruck untermauerte auch Christian Bourgeois, der die Werks-RCB von Honda France für die Zeitschrift MOTORRAD (Ausgabe 23/1976) testen durfte: "Aufgrund des geringen Abstands zwischen Lenkern und Höcker ist die Sitzposition sehr entspannt. Nach dem Anschieben ertönt ein für ein Rennmotorrad sehr gedämpftes Geräusch und auch die mechanischen Geräusche sind so dezent, dass man die RCB fast auf der Straße hätte bewegen können." Nach den ersten Metern ist der Tester über die Elastizität des großen Vierzylinders erstaunt. "Man kann aus untersten Drehzahlen ohne Beschleunigungsloch hochdrehen. Das Motorrad fährt sich wie von allein. Der Trumpf des Motors liegt in seiner Elastizität. Dank der fülligen Drehmomentkurve beträgt der Bereich der nutzbaren Leistung 5000/min. Die hohe Elastizität bewirkt, dass man die Leistung körperlich nicht spürt. Der große Vierzylinder mit seiner hohen Verdichtung hat eine hohe Bremswirkung, was eine gewisse Gewöhnung erfordert. Trotz ihrer Abmessungen lässt sich die Honda mit einer verblüffenden Leichtigkeit handhaben. Sie fühlt sich in langsamen Schlängelabschnitten genauso wohl wie in langgezogenen Kurven. Trotz des kurzen Radstands zeigt sie eine bemerkenswerte Kursstabilität."
Weiter schwärmt Bourgeois: "Ich habe niemals ein Motorrad gefahren, das nicht nur eine so gute Straßenlage hat, sondern ein ebenso sauberes Gesamtverhalten. Es ist möglich, schon sehr früh am Kurvenausgang zu beschleunigen. In engen Kurven erfordert die Lenkung etwas Gewöhnung. Das Motorrad neigt dazu, in Schräglage zu fallen."
Die Wirkung der Bremsanlage mit drei 280er-Scheiben war enorm. Die Vorderradbremse verdiente nur Lob, die Hinterradbremse erforderte dagegen viel Aufmerksamkeit. Sie griff brutal und neigte schnell zum Blockieren. Ansonsten ist der Tester voll des Lobes über die RCB und zieht ein rundum positives Fazit: "Honda hat mit der RCB in den Langstreckenprüfungen einen beträchtlichen Vorsprung erzielen können. Es ist klar, dass man von fünf Rennen nicht jedes durch Zufall gewinnt. Die Hondas hatten wohl das gewisse Etwas, das den Unterschied ausmacht." Rennsportgeschichte, lange her.





Honda CB 750 Café Racer
Zurück ins Hier und Jetzt: Heute bestaunen wir den Honda CB 750 Café Racer mit der Silhouette der RCB, der mit seiner auffälligen Erscheinung rege Erinnerungen an die große Zeit des Langstreckensports wachruft. Vor uns steht die RCB für jedermann sozusagen. Peter Wolf ließ die RCB vom ersten Moment an nicht mehr los. Nach jeder Rennpause zog es ihn zurück zum Exponat. So ein Motorrad zu besitzen, war ein Muss. Ein japanisches Mitglied aus dem MV-Agusta-Club stellte die Verbindung zu Whitehouse Japan in Tokio her und diente als Dolmetscher. Dort stand ein fahrbereites Motorrad im Showroom, und man wurde sich handelseinig. Mit einigen kleinen Änderungen sollte just diese Maschine nach Deutschland gelangen. Doch es dauerte noch bis Herbst 2010, als eine Kiste in Weingarten bei der Familie Wolf landete. Zuerst galt es aber, die Beamten vom Zoll zu informieren. Nur unter deren gestrengen Blicken durfte die Kiste geöffnet werden. Nach der Entrichtung von zehn Prozent Einfuhrzoll und 19 Prozent Mehrwertsteuer konnte die Familie Wolf die Honda endlich in Empfang nehmen. Seither sticht sie im Wolf‘schen Fuhrpark, der mit zahlreichen Sammlerstücken wie einer VFR 400 oder einer RC 30 glänzt, durch ihre ungewöhnliche Form- und Farbgebung heraus. Und flößt genauso Respekt ein wie das Original.
Lang über den flachen Tank gestreckt sitzt der Fahrer 25 Millimeter tiefer im Motorrad als auf der CB 750. Die Lenkerhälften sind his-torisch korrekt tief geklemmt und die Sitzhaltung klassisch, aber dynamisch. Die Position der eng angewinkelten Beine passt dazu, typisch 70er-Jahre Rennfeeling eben. Der Start wiederum gestaltet sich ganz problemlos, wie bei einem modernen Motorrad. Druck aufs Knöpfchen, kurze Chokephase, und der Vierzylinder säuselt rund und erstaunlich dezent vor sich hin. Auch im Fahrbetrieb gibt er sich erstaunlich kultiviert, fast unauffällig. Erst bei Drehzahlen ab 5000/min entweicht der Vier-in-Eins-Anlage dann eine aggressiv fauchende Tonlage. Mit ihr legt er auch in der Gangart deutlich zu. Wunder an extremer Dynamik sollte der Pilot aber keine erwarten. Mit 73 PS bei 8500/min ist die CB 750 im Vergleich zu heutigen Sportlern eher moderat motorisiert. Doch für die Landstraße reicht die Leistung natürlich. Und wer noch Sonderwünsche hat, den kann Whitehouse mit Tuningmaßnahmen bedienen. Keihin-FCR-Vergaser und weitere Spezialteile heben die Leistung um rund 20 PS. Sie ist damit etwa so potent wie die Honda CBX 750 F mit dem gleichen Motor, der 1984 bereits 91 PS leistete. Selbst damit würde der Café Racer noch lange nicht an die Kraft der echten RCB 1000 heranreichen. Feeling gibt es trotzdem genug. Auf der Autobahn über den Alutank gebeugt und hinter die Scheibe der Kohlefaser-Verkleidung geduckt, wird man sich schon bald wie Jean-Claude Chemarin oder Alex George fühlen. Die Schaltung funktioniert aufgrund der zusätzlichen Umlenkung nicht ganz so leichtgängig und mit längeren Wegen als bei der CB Seven Fifty. Das Fahrwerk spielt mit dem Leistungsangebot in allen Situationen locker mit. Erstaunlicherweise fühlt sich der Café Racer vollkommen anders an als die Serien-Honda. Während diese mit ordentlicher Handlichkeit aufwartet, legt der Racer pure Geradeauslaufstabilität an den Tag und will mit wesentlich höherem Kraftaufwand in Kurven gezwungen werden.

Trotz gleicher Fahrwerksgeometrie und 20 Kilogramm weniger Gewicht, im Vergleich zur Seven Fifty, trennen beide Motorräder aufgrund der radikal geänderten Sitzposition Welten. Relativ straff abgestimmt liebt der Honda-RCB-Nachbau schnelle Kurven, wenn es sein muss auch mit Bodenwellen, und zieht immer und überall stur seine Bahn. Enge Ecken erfordern dagegen engagierten Einsatz. Und auch die giftigen Bremsen unterstützen eine zügige Gangart. Für ausreichend Fahrspaß ist gesorgt, mit dem Café Racer liegt der Bol d’Or täglich aufs Neue praktisch vor der Haustüre. Doch nicht allein das Fahrvergnügen, sondern auch das Genießen der fließenden Linien bietet jedes Mal einen ästhetischen Hochgenuss. Die Blicke über die dynamische Silhouette mit der authentischen Lackierung gleiten lassen, versetzt den Betrachter zurück in die Welt der Endurance-Rennen von 1976.
Doch dieses Erlebnis werden sich, weniger wegen des Einstandspreises von circa 15 000 Euro, sondern wegen der aufwändigen Einfuhrprozedur, nur wenige Enthusiasten in Eu-ropa gönnen. Dabei kann sich Peter Wolf durchaus vorstellen, die Honda dem TÜV vorzuführen, denn sämtliche Funktionen erfüllen die japanischen Zulassungsbestimmungen. Die sind zum Teil höher angesetzt als in Deutschland, und schließlich hat die CB Seven Fifty die gesetzlichen Hürden des TÜV vor beinahe 20 Jahren schon einmal genommen.
Die wären selbst für Honda kein Problem. Man stelle sich dieses Konzept auf Basis einer CB 1300 F vor. Damit ließe sich nicht nur eine vergleichbare Motorisierung wie beim Original-Renner, sondern auch die phantastische Optik realisieren. Doch die Familie Wolf kann ihre "RCB" ganz entspannt im normalen Alltag bewegen und sich wie beim Bol d’Or in Le Mans fühlen, ohne wie einst Jean-Claude Chemarin oder Alex George die Konkurrenz ständig im Nacken fürchten zu müssen.




