Wir schreiben das Jahr 2007. Der Kölner Christoph Madaus hat gerade mit seinem vielfach preisgekrönten Custombike Twintrax Power Plus auf sich aufmerksam gemacht, indem er in einem Eigenbau-Rahmen zwei Harley-Antriebe hintereinander pflanzte, und sucht eine neue Herausforderung. Monatelang durchsurft er das Internet nach raren Harley-Modellen. Im November wird er schließlich bei Ebay fündig: Ein Privatmann aus Michigan versteigert eine Harley KHRM, einen Desert-and-woods-racer, von dem in den 1950er-Jahren lediglich 77 Exemplare gebaut wurden.
Der in 27 Pappkartons lagernde Scheunenfund wirkt auf Fotos wie ein Schrotthaufen. Madaus ist elektrisiert. Er traut dem 9000 Flugmeilen entfernten Anbieter, als dieser ihm versichert, das Fahrzeug sei komplett. Überhaupt: Teile des Motors würden sich sogar noch drehen. Irgendwie jedenfalls. Für 3800 Dollar bekommt der Kölner den Zuschlag.
Er jubelt und lässt die Kisten per Spediteur nach New York transportieren. Dort soll sie ein Freund weich verpacken und nach Deutschland senden. Doch die heftigsten Unwetter in der Stadthistorie setzen den Keller unter Wasser, weichen die Kartons auf, zerstören sie, wirbeln die Teile wild durcheinander. Als diese nach der Odyssee endlich in Nordrhein-Westfalen ankommen, stellt sich bei Madaus Ernüchterung ein: "Die einzigen noch brauchbaren Motorteile außer des Gehäuses waren die Nocken-wellen", sagt der 51jährige. Das hört sich ernüchternd an. Madaus überlässt den Motor-Wiederaufbau einem Profi, überstellt die mechanische Leiche Motorenpapst Bernd Kramer, dessen Milwaukee Iron Shop in der Szene eine Bank ist. Kramer ist fasziniert, es ist sein erstes K-Modell, die Urmutter aller Harley-Sportster, das er wiederbeleben darf. Eine Kaskade mit vier unten liegenden Nockenwellen betätigt vier stehende Ventile. Die Leistung des rund 890 Kubik starken, luftgekühlten V2 beziffert ein Datenblatt aus den Fünfzigern mit achtenswerten 40 PS.

Es dauert ein Jahr, bis der Vau wieder bereit ist, seine Arbeit aufzunehmen. "Die meisten Teile für den Motor habe ich über Ebay in den Staaten ersteigert", sagt Christoph Madaus, kann sich aber nicht mehr erinnern, wie viel Zeit er dafür am Rechner verbracht oder für den Wiederaufbau des Schätzchens investiert hat. Zeitgleich zur Motorrevision restauriert der Kölner die restlichen Fragmente. Sandstrahlt, dengelt, entwirft neu und lässt hier und da die Flex kreisen. Er tunnelt den Tank weiter aus, damit dieser tiefer sitzt, was der Optik sehr entgegen kommt. Entwirft und schweißt eine Auspuffanlage aus Edelstahl, wechselt von sechs auf zwölf Volt und spendiert seinem Fahrzeug Wilbers-Federbeine sowie eine Suzuki GSX-R-1000-Gabel. "Suzukis Supersportler hat mit rund 200 Kilogramm fast das gleiche Gewicht wie mein Custombike", sagt Madaus mit dem Hinweis, die Gabel ohne große Änderungen im Innenleben übernommen zu haben.
Auch die Bremssättel des Supersportlers adaptiert er, kombiniert sie jedoch mit 320er-Beringer-Bremsscheiben. "Objektiv gesehen ist das natürlich ein wenig zu viel des Guten, denn die Höchstgeschwindigkeit liegt nur bei rund 140 km/h", sagt Madaus. "Doch ich habe ein Gesamtkonzept geschaffen, bei dem sich moderne Komponenten harmonisch in die Vintage-Optik fügen." Als der Motor endlich wieder als Herzstück mit dem Rahmen vermählt wird, spendiert Christoph ihm zur Hochzeit einen erweiterten Ölkreislauf mit separatem Ölfilter. Ein Feature, auf das die Harleys der Fünfziger Jahre allesamt verzichten mussten, und das die Lebensdauer des Antriebs verlängert. Der Scheinwerfer einer Harley V-Rod rundet das Erscheinungsbild ab.
Die größte Herausforderung besteht für den Kölner jedoch in einer anderen Aufgabe: Ursprünglich wird die Hinterradbremse über einen Hebel auf der linken Seite und die Schaltung rechts betätigt. Madaus will das ändern und entwirft Umlenkungen für beide Mimiken, schweißt und dreht alles selbst. "Mein Anspruch war es, die Umlenkungen nicht nur technisch, sondern auch optisch perfekt zu integrieren", sagt er. Es ist wunderbar gelungen. So steht man vorfreudig erregt und gespannt vor dem Gesamtkunstwerk, einem Unikat, das Menschen vor Eiscafés anzieht wie ein Magnet Metallspäne.

Mit 750 Millimetern Sitzhöhe ist die Maschine nicht gerade superniedrig, doch der schmale Sattel, die zierliche Taille in Kombination mit dem breiten Lenker vermitteln bereits beim ersten Sitzkontakt Vertrauen und Beherrschung über das Krad. Der Metallsitz ist nicht gefedert und nur mit gefüttertem Leder bespannt. Komfort darf man nicht erwarten. Und statt durch Druck aufs Knöpfen will der Vau durch einen kräftigen Tritt auf den Kickstarter zum Leben erweckt werden. Er springt ohne Murren an. Aus dem Supertrapp-Schalldämpfer pufft ein satter, aber TÜV-konformer Bass. Der Kupplungshebel verlangt nach einer durchtrainierten Hand. Die vier Gänge sortieren sich erst nach kurzer Bedenkzeit, müssen sich wahrscheinlich erst noch aneinander gewöhnen, denn die Madaus-Harley hat gerade mal 260 Kilometer auf der Uhr. Erste Assoziation: Radfahren! Die KHRM lenkt sich wunderbar leicht und präzise. Satt gedämpfte Federelemente vermitteln Stabilität, und die vordere Bremse lässt sich super dosieren.
Ein kleiner Drehzahlmesser ist vorhanden, bei 2800 Touren läuft die Maschine 100 km/h im Vierten. Vibrationen? Ja, freilich! Sie halten sich in Grenzen, doch sie gehören zu diesem Bike wie das Tüpfelchen aufs i. Und sind ein wichtiges Puzzlestück im Gesamtbild "unverfälschtes, ursprüngliches Fahrgefühl".
Sanft reagiert der V2 auf Gasbefehle, das Lastwechselverhalten ist minimal. Als "durch die Zeit gleiten" könnte man dieses Motorradfahren bezeichnen. Völlig frei. Losgelöst. Auf einer Maschine, bei der man jeden Verbrennungstakt unverblümt mit-erlebt. "Es gibt für mich kein schöneres Spielzeug", sagt Christoph Madaus. Man muss ihm Recht geben. Dieses Bike weckt das Kind im Mann.
Technische Daten

Bezeichnung KHRM:
K = K-Modell, H = 889cm³, (aufgebohrtes Modell, normale K hatte 727cm³), R = Racing, Wettbewerbsmodell, allerdings mit Straßenzulassung, M = Desert-and-woods-racer (nur KR = Flattrack, KRTT = Tourist Trophy), Urmutter der späteren XL-Reihe (Sportster).
Motor:
Luftgekühlter 45-Grad-V-Motor, Flathead, stehende Ventile, Graugusszylinder, Kaskade mit vier untenliegenden Nockenwellen, Trockensumpfschmierung, CV-Harley-Davidson-Vergaser, original Linkert, 12-Volt-Lichtmaschine, Gelbatterie, Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Vierganggetriebe, Primär- und Sekundärantrieb über Kette.
Bohrung x Hub 69,9 x 115,9 mm
Hubraum 889 cm³
Verdichtungsverhältnis 8,0 :1
Nennleistung zirka 40 PS
Fahrwerk:
Doppelschleifenrahmen aus Stahl, Upside-down-Gabel Suzuki GSX-R 1000, Zweiarmschwinge aus Stahl, zwei Wilbers-Federbeine ECO-Line, zwei Beringer-Bremscheiben vorne, 0 320mm, Bremssättel Suzuki GSX-R 1000, hinten Trommelbremse H-D KHRM mit Ritzelring.
Speichenräder mit Alufelgen vorn 2.50 x 18
hinten 3.50 x 18
Bereifung Metzeler ME77
Maße und Gewichte:
Radstand 1409 mm, Federweg vorne 125 mm, hinten 660 mm, Sitzhöhe 750 mm, Gewicht vollgetankt 205 kg, Tankinhalt 9,5 Liter.
Garantie abgelaufen
Service-Intervalle jährlich, Geräuschkontrolle ständig beim Fahren
Farbe Schwarz/ Cremeweiss
Preis unermesslich
Produktionszahl 77 Stück
Porträt Christoph Madaus

Ich mag Freaks", sagt Christoph Madaus und lehnt, die Beine lässig überkreuzt, an seiner steril wirkenden Küchenwand. Über seiner Bluejeans klebt ein weißes T-Shirt mit dezentem Harley-Aufdruck. Madaus ist 51. Kein Alter, sondern ein Wert, eine Zahl, die sich optisch nicht recht erschließen will. Wer ihn auf der Straße sieht und nicht kennt, drängt ihn unterbewusst in die Schublade "Prototyp eines gut situierten Oberlehrers". Die Optik zu clean, die Zähne zu gerade, Haare wie geschnitzt. Man fragt sich zwangsläufig, warum und wie dieser Mann mit Freaks sympathisiert. Auf Nachfrage, was er sich unter Freaks vorstellt, meint er: "Menschen, die sich für etwas, egal was, total begeistern können, und für ihren Traum alles tun."
Christoph Madaus ist selbst ein Freak. Mit 13 Jahren stand er an den Dreh- und Werkbänken der elterlichen Betriebe und ließ keine freie Minute aus, die Beschäftigten zu löchern. Deren Erklärungen zu seinen ewigen "Wie geht das?" und "Warum ist das so?" fielen auf fruchtbarsten Boden. Denn Christoph will etwas erschaffen. Völlig neu. Oder die Dinge so ändern, dass sie ihm gefallen. Er studiert Architektur und verdient heute sein Geld überwiegend mit Innendesign, dem Gestalten und Planen von Räumen aller Art. Wer jedoch erlebt, wie er über das Thema Zweirad philosophiert, es lebt und mit ihm leidet, kann den Eindruck nicht abschütteln, dass sein Beruf nur Hobby ist. Und seine Leidenschaft für Motorräder sein Leben.
Madaus ist verheiratet. Hat einen achtjährigen Sohn, eine dreizehnjährige Tochter und rund ein Dutzend begehrenswerte Motorräder. Fast alle tragen seine Handschrift, sind umgebaut, für seine Ansprüche optimiert. Oder gar aus dem Nichts, nur aus einer Idee heraus entstanden. So wie die legendäre Twintrax Power plus (www.twintrax.de). Ein Monster von Motorrad, drei Meter lang, 400 Kilogramm schwer, mit zwei hintereinander gekoppelten Harley-Motoren. Zwölf Jahre hat er daran gewerkelt. Unzählige Winterabende. Unzählige! Aus dem Trieb heraus, alles selbst konstruieren zu wollen, bestückte er seine Werkstatt mit zahlreichen Maschinen zur Metallbearbeitung. Er belegte Schweißkurse, ließ sich das Dengeln beibringen, verschlang zentnerweise Fachliteratur und war erst zufrieden, als das Ungetüm an einem Frühlingstag 2007 zum ersten Mal in seiner Werkstatt aufbrüllte.
Es ist schwer zu verstehen, was bei dieser Geburt in Madaus vorgegangen sein muss. Einem Mann, der sich selbst als "Insgeheim-Freuer" beschreibt und diese Eigenschaft folgendermaßen erklärt: "Ich kann mich schon am Umstand freuen, wenn die Unterlegscheibe richtig herum montiert wurde." Kleinigkeiten, die einen guten Schrauber zum Perfektionisten adeln. Und einen Idealisten zum Freak stempeln.
Custombikes sind seine Passion. Freiheit und Fahrtwind bestimmen seine Weltanschauung. Doch Christoph Madaus leistet es sich, keine Klischees zu bedienen. In der Welt großkalibriger Worte, wilder Mähnen, heldenhafter Selbstdarstellung und aggressiver Tätowierungen wirkt er mit seiner metallischen Nickelbrille unnatürlich steril, wie ein Oberlehrer, der sich in eine Rockerbar verirrt hat. Dass er mindestens ebenso viel Benzin im Blut hat, beweisen die vielen Kilometer, die er Jahr für Jahr auf seine Bikes spult. Und die Momente, in denen er über sie spricht - wenn seine Augen kindlich begeistert aufleuchten, seine Körpersprache Feuer fängt oder er ehrfürchtig zu einer Werkzeugschublade schwebt. Sie wie eine lang vermisste Schatztruhe öffnet und die darin pedantisch drapierten Schaubenschlüssel, Nüsse oder Verlängerungen wie Juwelen präsentiert. "Werkzeug kann man nie genug haben", seufzt er hochzufrieden. Die Zufriedenheit ist ansteckend.
Mit der KHRM hat Christoph Madaus einen Spagat zwischen Historie und Moderne gewagt, der zudem erfolgreich ist: Sein Bike sichert sich den ersten Platz der Kategorie Antik auf der 2009er-Bikeweek am Faaker See. Und wird auf der Custom Chrom DealerShow in Mainz mit dem in der Szene vielbeachteten Jammer-Award ausgezeichnet. Momente, in denen der Insgeheim-Freuer wieder zum Freak wird. Zu einem Mann, der für seine Träume lebt.