Der smarte Mittdreißiger in seinem schwarzen Porsche Cayenne Turbo war vermutlich ein gestresster Banker auf dem Weg zu einem wichtigen Termin und hatte es eilig. Warum sonst hätte er die hundert Meter bis zur nächsten roten Ampel regelmäßig mit quietschenden Reifen und voller Beschleunigung absolvieren sollen? Was auch immer ihn umtrieb, er hätte seine Umgebung genauer im Auge behalten sollen. Das unvermeidliche Klonk beim Einlegen des ersten Ganges war eigentlich kaum zu überhören, doch offensichtlich hatte er den neben ihm lauernden Fahrer im Sattel der MPC-Guzzi BB1 (BB steht für Big Bore, also große Bohrung) ignoriert. Mit dem Umspringen der Ampel auf Grün gewann das Kürzel für den Porschefahrer jedoch umgehend eine neue Bedeutung: BB = böse Blamage.
Die ersten Meter gehörten noch dem Gelände-Boliden, doch nach dem Einrücken der extrem schwergängigen, schwer dosierbaren Kupplung surfte die MPC-Guzzi auf einer meterhohen Drehmomentwoge und machte auch ohne wildes Ausdrehen der Gänge ihren vierrädrigen Gegner nass. Wie kommt‘s?
Nun, im serienmäßigen Fahrwerk einer äußerlich kaum als Tuningbike zu erkennenden Griso steckt ein gezähmter, Euro-3-konformer V2, der weitgehend auf dem 167 PS starken Rennmotor basiert, der bereits 2007 mit Siegen in Daytona für Furore sorgte. Motoren-Tuner und Emissions-Experte Giovanni Mariani hatte dieses Triebwerk entwickelt. Keine Frage, dass dieser Mann die erste Wahl sein muss, wenn man eine sportliche "Moto Guzzi" auf den Markt bringen will. Genau dies hatte nämlich Stefano Perego, einer der umsatzstärksten Guzzi-Händler Italiens, nach den Daytona-Rennerfolgen von 2007 im Sinn. Mit Motoren-Papst Mariani und Guiseppe Ghezzi, dem einstigen Mitinhaber der angesehenen Guzzi-Tunerschmide Ghezzi & Brian, fand Perego die idealen Partner und gründete 2008 die Firma MPC. Das Credo des ehrgeizigen Trios: Nach amerikanischem Vorbild aus möglichst viel Hubraum mit klassischer Zweiventiltechnik richtig Leistung aus dem stoßstangengesteuerten V2-Motor holen.

Als Basis dafür schien das Kurbelgehäuse des Vierventil-Motors der einst ziemlich erfolglosen Moto Guzzi Daytona gerade recht, per Schweißbrenner angepasst, um Platz für die größere Bohrung zu schaffen. Der Wert von enormen 106,3 Millimetern wurde vom Rennmotor übernommen, weil jedoch das reglementbedingte Hubraumlimit von 1350 Kubikzentimetern keine Rolle spielte, entschied sich Mariani für eine Serien-Kurbelwelle mit satten 80 Millimetern Hub, feingewuchtet, versteht sich: Mächtige 1420 cm³ kommen so zustande. Die Spezial-Schmiedekolben tragen je drei Kolbenringe amerikanischer Herkunft und müssen ein Verdichtungsverhältnis von elf zu eins nebst anschließender Gemisch-Explosion ver-dauen. Der eigentliche Clou steckt jedoch im Zylinderkopf: zwei riesige Titan-Ventile mit je drei Ventilfedern (zwei normale, eine zur Dämpfung von Vibrationen), Beryllium-Bronze-Ventilsitze und ein ungewöhnlich geringer Ventilwinkel von nur acht Grad. "Die Nockenwelle haben wir selbst entwickelt", so Mariani. "Wir haben uns angesehen, was die besten Amis hier an Nockenprofilen zaubern und welch enormen Ventilhub in Verbindung mit hohen Drehzahlen bis zu 9000/min die realisieren."
Auch beim MPC-Motor erreicht der Ventilhub stattliche Werte, immerhin 15,5 beim Einlass-, und 14,5 Millimeter beim Auslassventil, und er ist zudem einstellbar. Die Einlasskanäle sind mehr zur Bike-Mitte hin gekröpft, der Wegfall der beiden Drosselklappengehäuse auf beiden Seiten schafft Knieraum und ist dem zentralen 65-Millimeter-Gehäuse von Dellorto unter der Sitzbank zu verdanken. Der Sprit wird dem V2 per jeweils einer Einspritzdüse kurz vor dem Einlassventil zugeführt, die Abgase entweichen durch großzügig ausgelegte Auslasskanäle und Krümmerrohre in den Katalysator und den Serien-Endtopf. "Wir hatten mehr Probleme mit den Geräusch- als mit den Abgasbestimmungen", ergänzt Mariani. "Aber wir haben es geschafft und konnten schließlich bis auf 29 Grad Frühzündung gehen, das trägt zur Geschmeidigkeit des Motors bei." Tatsächlich vibriert der mächtige MPC-Motor weniger als das Serien-Pendant, und das Gas lässt sich erfreulich leicht und präzise dosieren. Kaum zu überhören allerdings, dass der Serienschalldämpfer seine Arbeit nur recht halbherzig verrichtet, wenn auch angeblich im legalen Bereich.

Die erste Ausfahrt mit der übrigens (im Vergleich zur Serien-Griso) etwa 12 Kilogramm leichteren BB1 beweist, dass der 1420er-Block mächtig Dampf hat. Die versprochenen 135 PS scheinen realistisch, fast 150 Newtonmeter Drehmoment bei 5500 Touren ebenfalls. Doch zusätzlich zur satten Midrange-Power bietet der MPC-V2 auch noch einen Extra-Kick bei 6300/min nebst zugehöriger Drehfreude.Auf Wunsch hebt die BB1 per Dreh am Gas auch im zweiten und dritten Gang noch das Vorderrad. Erfreulich auch der bessere Knieschluss, nichts stört mehr den innigen Kontakt zum Bike, was dem Fahrer eine aktivere, Vertrauen fördernde Sitzhaltung beschert. Wer es wissen will, kann im letzten Gang 208 km/h auf dem Digitaltacho ablesen, wenn der Begrenzer bei 7800/min sanft abriegelt. Wünschte man schon der Serien-Griso bissigere Bremsen, täten diese bei der bärenstarken BB1 dringend Not. Doch würde dies den ohnehin schon strammen Preis von 23 800 Euro ebenso noch weiter in die Höhe treiben, wie die auf Wunsch erhältlichen Öhlins-Federelemente. Egal - es werden sich sicher einige Enthusiasten finden, denen es jeden Preis wert ist, schnöseligen Cayenne-Fahrern mit einem vermeintlich antiquierten, aber gewaltigen stoßstangengesteuerten Zweiventiler im Neo-Klassiker-Gewand zu zeigen, wo der Hammer hängt. Gewalt ist keine Lösung? Manchmal schon.
Technische Daten

Motor:
Wassergekühlter Zweizylinder-Viertakt-90-Grad-V-Motor, Kurbelwelle längs liegend, eine untenliegende, kettengetriebene Nockenwelle, zwei Ventile pro Zylinder, Stoßstangen, Kipphebel, Einspritzung, Ø 64 mm, geregelter Katalysator, hydraulisch betätigte Zweischeiben-Trockenkupplung, Sechsganggetriebe, Kardan.
Bohrung x Hub 106,3 x 80 mm
Hubraum 1420 cm³
Nennleistung 99 kW (135 PS) bei 7100/min
Max. Drehmoment 146 Nm bei 5500/min
Fahrwerk:
Brückenrahmen aus Stahl, Up-side-down-Gabel, Ø 43 mm, verstellbare Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung, C.A.R.C-Einarmschwinge aus Aluminium, Zentralfederbein mit Hebelsystem, verstellbare Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung, Doppelscheibenbremse vorn, Ø 320 mm, Vierkolben-Festsättel, Scheibenbremse hinten, Ø 282 mm, Doppelkolben-Schwimmsattel.
Alu-Gussräder 3.50 x 17; 5.50 x 17
Reifen 120/70 ZR 17;180/55 ZR 17
Maße und Gewichte:
Radstand 1550 mm, Sitzhöhe 800 mm, Gewicht vollgetankt 231 kg, Tankinhalt 17 Liter.
Farben Bronze, Schwarz
Preis ohne Nebenkosten ca. 23800 Euro
Info www.millepercento.com
Die Gründer der Firma MPC

Die Idee von einer sportlichen Guzzi, die echte Faszination ausstrahlt, verbindet Giovanni Mariani (links) und Stefano Perego. Motorenbauer und Abgasspezialist Mariani genießt seit den 1970er-Jahren einen guten Ruf als kreativer Tüftler, der stets über den Tellerrand hinausschaute und völlig neue Wege beschritt. Unter anderem schuf er den drehschiebergesteuerten 50-cm³-Zweitaktmotor, mit dem Lazzarini 1980 Weltmeister wurde. Seine Zusammenarbeit mit in Fachkreisen durchaus bekannten Größen wie den Vertemati-Brüdern führte zur Entwicklung eines 250er-Viertaktmotors unter dem Markennamen VOR. Dieses Projekt wurde inzwischen von Gas Gas übernommen, und der Motor soll 2011 in Serienproduktion gehen. Bereits seit 2004 arbeitet Mariani am BB1-Motor, bohrte nebenbei aber auch hemmungslos Ducati-Motoren auf racetaugliche 1341 Kubikzentimeter auf, welche bei Battle-of-Twins-Rennen recht erfolgreich eingesetzt wurden.
Stefano Perego darf sich rühmen, mit seiner Firma Millepercento (tausend Prozent) einen der größten Moto Guzzi-Läden Italiens zu besitzen. Seine Idee war es, einen kleinen Spezial-Hersteller (ähnlich wie Bimota, nur mit umgekehrten Vorzeichen) zu gründen, also eigene Motoren in Serien-Chassis zu verpflanzen. Die Firma MPC hat ihren Sitz in der Nähe von Monza, nur etwa eine halbe Autostunde vom Moto Guzzi-Werk entfernt.