Im Studio: Kawasaki H2-Eigenbau
Furchtbar schön

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Irgendwann stand die Frage im Raum: Wie kann man eine Kawasaki 750 H2 umgestalten, damit sie ihrem legendären Ruf gerecht wird? Tobias Guckel hat die Antwort gefunden. Und ein atemberaubendes Motorrad auf die Räder gestellt.

Furchtbar schön
Foto: Christian Haasz

Der Mann kann nicht anders. Auf­gewachsen im magischen Dreieck des ländlichen Rappenhof, bestehend aus der großväterlichen Deltin-Tankstelle, der ­daneben liegenden Werkstatt und dem ­Zeitungsständer mit den Motorsport-Zeitschriften in Omas kleinem Laden, musste aus Tobias Guckel einfach ein „Petrol Head" werden. „Ein total Verstrahlter", wie der 40-jährige Motorradmechaniker-Meister grinsend zugibt. Einer, der schon als kleiner Bub bei jedem tankenden Motorrad die Krümmer gezählt und den speziellen Sound der Dreizylinder-Zweitakt-Kawas und der japanischen Vierzylinder für immer auf seiner Festplatte abgespeichert hat.

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Frühkindliche Schlüsselreize, die bis heute nachwirken. Denn es sind genau die zwei- und vierrädrigen Legenden der 70er-Jahre, die es dem passionierten Customizer angetan haben. Meistens parken die Pläne für seine spektakulären Umbauten schon länger in seinem Kopf, bis es zur Realisierung kommt. So war es auch beim „Kamikaze"-Projekt, dessen martialischer Name bereits bei den ersten Gedankenspielen 2008 feststand. Und damit die konzeptionelle Richtung für den radikalen Umbau einer Kawasaki 750 H2 vorgab. Wobei Tobias diese Bezeichnung durchaus mit einem Augenzwinkern gewählt hat, denn mit lebensverneinendem Tun, egal ob auf oder abseits der Straße, hat der fröhliche Bayer nichts am Hut. Eher schon – wie kann es anders sein – mit den klassischen Kawasaki-Schriftzeichen, die sich auch auf dem Tank der „Kamikaze" wiederfinden, farblich inspiriert vom traditionellen BP-Logo aus den – natürlich – 1970er-Jahren.

Das Unikat ist auf Tobias' Bedürfnisse abgestimmt

Haasz
Ein radikales ­Unikat, wild und ­aggressiv gestylt mit höchster ­Individualität.

Der Spritbehälter selbst entstammt einer Kawasaki KH 500, den Tobias, wie fast alle anderen Bauteile, im Lauf der Jahre für dieses Umbau-Projekt gezielt erstanden hat. Denn die Ausgangslage war sehr übersichtlich: Mehr als einen Rahmen und einen Motor, dessen Kurbelwelle sich nicht mehr drehte, gab es zu Beginn des Aufbaus im vergangenen Herbst nicht. So mussten alle in der „Kamikaze“ verbauten Komponenten entweder selbst angefertigt, frisch überholt oder aufwendig umgearbeitet werden.

Was Tobias insofern in den Kram passte, weil er dieses Unikat sowieso genau auf seine Bedürfnisse abstimmen wollte. Also wurde das Fahrgestell erst einmal von Heckrahmen und allen unnötigen Halterungen befreit. Anschließend passte Tobias die Aufnahmen der Fußrasten seiner Körpergröße an, auch für Auspuff, Seitenständer und die elektrischen Bauteile schweißte er neue Halterungen ans gekürzte sowie verstärkte Rahmenheck. Eine komplette Überarbeitung erfuhr ebenfalls der Motor. Kurbelwelle, Zylinder, Kolben, Lager, einige Getriebezahn­räder und die Kupplung sind neu, ebenso der selbst konfigurierte Kabelbaum.

Eigenkonstruktionen sind weiterhin der aus einem Millimeter starkem Stahlblech gefertigte Höcker mit den unsichtbaren Verschraubungen und der Öltank mit Füllstandanzeige sowie Absperrhahn, der in seinem früheren Leben mal ein Supertrapp-Schalldämpfer war. Nicht zu vergessen die unzähligen, aus Alu oder Edelstahl gedrehten Buchsen oder die untere Gabelbrücke mit speziell gefertigtem Gabeljoch. Aufwendig angepasst werden mussten zudem die aus einer 1100er-Suzuki entlehnte Alu-Schwinge wie auch die Jolly-Moto-Auspuffanlage, überdies Gabel, Räder und Bremsen, die eine Suzuki GSX-R 750 der ersten Serie beisteuerte.

„Kamikaze“ steht hier für perfekte Handarbeit und eine große Detailverliebtheit

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Alles anders: Der Heckrahmen wurde gekürzt und verstärkt, die Fußrastenaufnahmen versetzt, der Motor komplett überholt und der Öltank aus einem Auspuffmantel gebaut.

Ganz bewusst übrigens, weil den 70er-Jahre-Freak ausgerechnet mit diesem  vollverkleideten 80er-Jahre-Supersportler jede Menge Erinnerungen verbinden – die GSX-R war Tobias‘ erstes Motorrad. Außerdem harmonieren die nicht übertrieben breiten 18-Zöller der Suzuki ­perfekt mit der  „Kamikaze“, die nach dem Willen ihres Erbauers „so aussehen soll, als ob sich ein Tuner in den 70er-Jahren ihrer angenommen hätte“. Hinzu kommt, dass die schwimmend gelagerte Doppelscheibenbremse mit den frisch überholten Vierkolbenzangen bestens zu Tobias Guckels Philosophie passt.

Optimieren steht nämlich auch bei seinen originalgetreuen Restaurierungen ganz oben auf der Liste, sofern es der Kunde wünscht. „Wenn sich der Fahrspaß durch den Einbau einer Doppelscheibenbremse oder einstellbarer Federbeine deutlich verbessern lässt, warum sollte ich es dann nicht machen?“, erteilt er den Gralshütern der absoluten Originalität ­eine Absage. Dennoch, ein wilder Stilmix wird die Werkstatt des Bayern nie verlassen.  Schon gar nicht bei dem ganz auf Tobias zugeschnittenen „Kamikaze“-Projekt. Auch hier war das Ziel, trotz des gewollt radikalen Umbaus eine in sich stimmige Gesamtkomposition mit einem höchst ­individuellen Stil zu erschaffen. Und das ist Tobias und seinen fünf Mitstreitern bei TGS Motorcycles perfekt gelungen.

Haasz
Meistens parken die Pläne für Tobias Guckels spektakulären Umbauten schon länger in seinem Kopf, bis es zur Reali­sierung kommt.

Mit viel Aufwand und Liebe zum Detail wurde hier – übrigens mit dem Segen des TÜV – innerhalb von drei Monaten ein Motorrad auf die Räder gestellt, das schnell, wild und aggressiv wirkt. Und damit all das verkörpert, was für den Erbauer seit Generationen den legendären Ruf der Kawasaki H2 ausmacht.

Die „Kamikaze“ hat Tobias nur für sich gebaut, sie ist ein Unikat. An Ideen für ähnlichen Umbauten mangelt es freilich nicht. Schließlich arbeitet er heute dort, wo ihn die Kindheit geprägt hat – im magischen Dreieck von Rappenhof.

Für alle da

Haasz
Lenkt die Geschicke von TGS Motorcycles: Tobias Guckel mit seiner „Kamikaze“.

Seit 1998 findet man Tobias Guckels Firma TGS in Rappenhof im südöstlichen Bayrischen Wald – genau auf dem großväterlichen Grundstück, das seine Kindheit geprägt hat.

Hier kümmern sich fünf Spezialisten um Motorräder aller Marken. Die Bandbreite umfasst regelmäßige Wartungsarbeiten, Reparaturen, Tuning, Umbauten und sowohl Teil- als auch Komplettrestaurierungen. Besonders am Herzen liegen Tobias und seiner Mannschaft dabei die japanischen Klassiker und Youngtimer der 1970er-, 80er- und 90er-Jahre, für die TGS auch zahlreiche technische Verbesserungen anbietet, die sich nicht zuletzt dank des stetig gewachsenen Maschinenparks im Haus realisieren lassen. Davon profitiert natürlich auch der Bau von Custom-Bikes, der für Tobias und seine Mannen zu einem immer wichtigeren Geschäftsbereich geworden ist. Etliche nationale und internationale Siege bei den einschlägigen Wettbewerben zeugen von der Kreativität der Rappenhofer Edelschmiede, die sogar eine eigene Teileproduktion betreibt und für Kunden Sonderanfertigungen anbietet. Mit Eigenbauten wie der„Kamikaze“ will Tobias zeigen, was möglich ist – und zugleich die Vorstellungskraft aller Interessierten beflügeln.

Umbau-Infos

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Hier möchte man gerne Platz nehmen: Der stilvolle Höcker wurde aus Stahlblechen an­gefertigt, die Rückleuchte ­darin integriert.

Rahmen: Basis Kawasaki H1, Baujahr 1973, stark modifiziert; abgeänderte Alu-Schwinge von Suzuki, Räder, Gabel, Bremsen von Suzuki GSX-R 750 (überholt und ­angepasst), Gabelbrücke und -Stabilisator von TGS (Eigenkonstruktionen), Ikon-Federbeine, Reifen vorn 110/80-18, hinten 160/80-18.

Motor: Kawasaki 750 H2, komplett neu aufgebaut mit 800 cm³, geänderte Steuerzeiten, Jolly-Moto-Auspuff, 34er-Mikuni-Vergaser

Sonstiges: Tank von KH 500, Heck, Schutzblech, Öltank, Lampenhalter von TGS (Eigenkonstruktionen), Drehzahlmesser H1 (modifiziert), Tachometer von Moto­gadget, Fußrasten Suzuki/Yamaha (modifiziert)

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Erscheinungsdatum 01.09.2023