Die USA haben 2016 Trump zu ihrem Präsidenten gewählt. Ehrlich, die Welt hat größere Probleme als ein zu lautes Motorrad. Aber eigentlich passt das Gedröhne unter mir perfekt zum Anspruch. Schließlich baute die Louis-Schraubercrew um Frontmann Kay Blanke (er macht sonst PR für den Versand-Giganten) einen motorisierten Tribut an Ian Fraser, genannt Lemmy Kilmister. Der war bis zu seinem Tod 40 Jahre lang Sänger und Bassist von Motörhead.
Ulf Penner kümmerte sich ums Drehmoment
Sein erster Satz auf jedem der verdammt vielen Konzerte war stets völlig untertrieben: „We are Motörhead, and we play Rock ’n’ Roll!“ Mit ihrem „Proto Metal“ schlug die zugegeben sehr laute Band eine Brücke von Heavy Metal und Hardrock hin zu Punk und sogar Blues. Auch dieses spezielle Motorrad entzieht sich einer simplen Einordnung. Ein Custombike ist es, okay.Stilelemente eines Café Racers hat es: hochgezogene Auspuffe, Stummellenker, Einmann-Höckersitzbank. Aber die feiste V4-Honda bietet viel mehr.
Motoren-Papst Ulf Penner (www.tuning-fibel.de) machte per Power-Commander, geänderter Software und Feinabstimmung auf dem Prüfstand das Drehmoment fülliger. Viel freier als vorher atmet der halbe V8 aus und ein. Die vier im Quadrat stehenden, polierten Aluminium-Ansaugtrichter gab es so wohl noch nie bei einem Motorrad zu sehen. Wörtlich zu nehmen: Der fantastische Alu-Tank gewährt durch raffinierte Schlitze links wie rechts und zusätzlich von oben durch ein Guckloch freie Sicht auf die radikale Airbox. Eine Peepshow für Petrolheads!
Louis-Honda VFR 1200 F DCT "Lemmy" mit 175 PS
Schon jemals den Drosselklappen während der Fahrt beim Öffnen und Schließen zugesehen? Bitte sehr. Im Stadtverkehr und später auf Landstraßen öffnen sie bloß in homöopathischen Dosen. Mehr tut bei diesem Überschuss an Leistung, Ulf Penner verspricht 175 PS, nicht not. Verkleidung, Tank und Höcker formte und fertigte der „Alu-Gott“ Friedhelm Lammers (www.alu-tanks.de). Wenn die offenen Trichter die Seele dieses Motorrads sind, dann ist die raffinierte Verkleidung sein Gesicht. Inspiriert von klassischen Halbschalen der 60er-Jahre wirkt sie minimalistisch, schmal und schick. Ein rudimentäres MRA-Scheibchen krönt sie. So muss ein Motorrad sein, damit es dir direkt aus der Seele donnert.
Viele Teile dieser mechanischen Skulptur sind Einzel- und Spezialanfertigungen. Etwa die fein gefrästen Kineo-Speichenräder. Das exquisite hintere Exemplar hat eine frei liegende Nabe und außermittig angebrachte Speichen. Neben diesem filigranen Teil wirkt die originale Kardan-Einarmschwinge regelrecht plump. Rückgrat und Gipfel der Verrücktheit ist der vom Könner Sam Wassermann kunstvoll geschweißte Gitterrohrrahmen aus unbehandeltem „Naturstahl“. Perfekt sitzend wie ein Maßanzug, spannt er den voll tragenden V4 ein. Form: schlüssig. Sexy, aber hochfunktional führt der Sonderrahmen in gekreuzten Linien von vorn nach hinten und vom Lenkkopf zur Schwinge. Ein geniales Konzept, ein Meisterwerk in Metall statt der groben Serien-Alubrücke.
Abgefahren, aber fahrbar
Leichtfüßig wuselt die Louis- Honda VFR 1200 F DCT "Lemmy" durchs Großstadtgewühl. Kein Wunder, der Komplettumbau wiegt mit Doppelkupplungsgetriebe nur noch 237 Kilogramm. Das sind satte 41 Kilo weniger als beim optisch schwülstigen Serien-Motorrad. Meta-Morphose: Unter der breiten VFR-Serienverkleidung steckten einst „Tausend Kabel und Leitungen“, wie Kay Blanke es formuliert, „Relais, die Hydraulikeinheit vom ABS, Batterie und so fort.“ Wohin damit? Sicherungen und eine mikroskopisch kleine Lithium-Eisenphosphat-Batterie von Modellbau Fuchs wanderten in den Mini-Höcker. Das ABS schmiss Louis kurzerhand raus. Abgefahren, aber fahrbar.
Knackig gefühlsecht und kräftig beißen die per Gale Speed-Radialbremspumpe betätigten Sechskolben-Stopper zu. Wenn es einen Gott (des Schraubens) gibt, dann zeigt er sich im Detail. Zu den tief angeklemmten, superedlen Lenkerstummeln von Gilles Tooling muss ich mich tief, fast devot kauernd bücken. Man könnte die Stummel höher setzen. Aber das Playmate des Monats muss ja nicht den Weltrekord im Kartoffelschälen brechen. Gut stützen sich die Füße an der hohen Gilles-Fußrastenanlage ab. Sinnlich-sportiv ist die fordernde Haltung auf dem bequemen Pölsterchen der Sattlerei Kinzlin. Weit spreizt der brotkastenbreite Tank die Beine – irgendwo braucht der Silver Surfer ja etwas Sprit.
Martialisch und doch elegant erscheint die Lackierung von Schrammwerk. Sie sieht aus, als wären apokalyptische Reiter durch ein Maler-Atelier gerast und hätten haufenweise Farbeimer umgenietet. Danny Schramm hat die Aluteile aufgehängt und ließ von oben Farbe drübertropfen – daher verlaufen die Spritzer wie bei einem Gemälde von Jackson Pollock. „Action Painting“ ist die völlig zutreffende Beschreibung für so etwas! Lemmy ist eine pure Fahrmaschine, die sich nicht nur übers Fahren definiert. Sie spricht mit mir, erzählt viel. Friedhelm Lammers machte die Aluteile, ja. Aber deren Halter und die Haltebügel fürs polierte vordere Alu-Schutzblech von LSL schuf das Team von Louis selbst. „Die Feinadaption war Strafarbeit!“, erzählt Kay Blanke am Telefon.
Trommelwirbel aus der Airbox
Die beiden Ölpumpen fürs Doppelkupplungsgetriebe rechts am V4 bekamen projektilförmige Abdeckungen. Das waren mal Lenkerenden aus dem Louis-Programm. Passend dazu geht die VFR ab wie eine Rakete. Denn endlich liegt die Stadt hinter und das Vergnügen vor uns. Hahn spannen, und es passiert richtig was. Stets sprungbereit, sehnig wie ein Panther hechtet der 1237-Kubik-Kraftwürfel nach vorn. Dabei schaltet das elektrohydraulische DCT ohne spürbare Zugkraftunterbrechung hoch. Lemmy hat keinen Kupplungshebel, nur eine Mission: Power und Sound! Beim Motorrad-Festival Glemseck 101 vollstreckte Stunt-Fahrerin Mai-Lin Senf damit im Sprint über die Achtelmeile.
Geeicht auf heftiges Beschleunigen sind die Schaltalgorithmen – lange bleiben untere Gänge drin. Im Stadtverkehr schalte ich manuell per Tiptronic hoch. Aber jetzt, auf der Bahn, stehen die Drosselklappen endlich 90 Grad senkrecht, offen auf vollem Durchzug. Kick-down! Nun spielt Lemmy infernalisch laute Rock-’n’-Roll-Riffs, rauchig-rau, mit aggressiver Note. Den ersten dB-Eater hustete er auf der A 8 westlich, den zweiten auf der A8 östlich von Stuttgart aus. Steil wie Granatwerfer sind die Shark-Auspuffe schräg nach oben gerichtet: eine Doppelrohr-Schallkanone. Dazu hämmern Trommelwirbel aus der Airbox wie bei ’nem Weltklasse-Drummer.
Bridgestone-Regenreifen Battlax W01 in den Formaten 120/ 600 R 17 und 190/650 R 17 ohne Straßenzulassung sind für Rennstreckeneinsatz gedacht. Aber sie grippen bei drei bis fünf Grad Celsius und feuchter Witterung wie der Teufel. Besser geht’s nicht. Zudem rollt diese VFR viel handlicher, folgsamer als die Serie und dabei sehr spur- und linientreu. Hochpräzise umrundet sie die Kurven, wie Mauersegler beim Um-Hausdächer-Wetzen. Doch bei feuchter Straße saut das Hinterrad ohne jeden Spritzschutz schon nach wenigen Metern Mensch und Maschine komplett ein.
Tribute to Lemmy im Schlesinger
Auf der B 295 entgehe ich knapp einer Verkehrskontrolle. Was hätte die Sheriffs wohl am meisten gestört? Die Reifen, die Brüllrohre oder fehlende Spiegel? Das ist wirklich gefährlich „rücksichtslos“ beim Einfädeln auf die Autobahn. Nun, die versteckten fünf Louis-LED-Tagfahrleuchten mit Vorstufe haben zwar ABE, taugen aber nicht als Hauptscheinwerfer. Sie wirken wie die Zahnreihe von jemandem, der im Leben schon viel einstecken musste, aber auch viel ausgeteilt hat … Es wird Abend, der Tank ist leer, meine Seele voll, bereichert um viele Eindrücke. Das „Schlesinger“, eine Restaurant-Kneipe Stuttgarts, empfängt uns mit offenen Armen. Ein Porträt von Mister Kilmister hängt hier an der Wand. Tribute to Lemmy!
Micha und Nolde, beide vom „Schlesinger“-Team und selbst Mopedfahrer, sind begeistert, bewundern das maskuline Motorrad. Hey, das ist Lemmy, nicht Louise! Drahtig-sehnig verheißt diese scharfe Honda schon im Stand Beschleunigung und Speed. Sie ist ein echter Menschenfischer: Kneipenbesucher fragen sich bis zu mir durch, wollen alles über die rattige VFR wissen. Viele Fragen, viele Gespräche.
Es beginnt die Nacht des Kerosins – das „Schlesinger“ hat die größte und beste Bier-Auswahl der Stadt. Ach ja, die Startnummer „79“ steht fürs Alter der Firma Louis, 2018 feiern die Hamburger ihr 80-jähriges Jubiläum. Danke, Lemmy und der Louis-Schraubercrew, für das emotionale Erlebnis, danke „Schlesinger“, dass du mir immer ein zweites Wohnzimmer warst: edel und gut!