Jens "Doc Jensen" Koch präsentiert zum Jahr der vielen Moto-Guzzi-Jubiläen seinen bislang aufwendigsten Umbau: die Moto Guzzi Doc Jensen Racer No. 59.
Jens "Doc Jensen" Koch präsentiert zum Jahr der vielen Moto-Guzzi-Jubiläen seinen bislang aufwendigsten Umbau: die Moto Guzzi Doc Jensen Racer No. 59.
Die Urmutter aller Zweizylinder-Guzzis, die Moto Guzzi V7, feiert heuer ihren 50. Geburtstag, und die Sportikone Le Mans wird 40. Das ist einerseits kaum zu fassen, erzwingt andererseits den Blick auf deren historische Verdienste. Die sind enorm, meint Jens Koch, und das sollte machtvoll bewiesen werden. Jens darf (und muss) so denken, denn er lebt (von) Guzzi. Tagelang kann er zum Thema referieren, sein Spitz- wurde zum Firmennamen: Doc Jensen. Voll angeschossen, seit er sich 1987 seine erste Le Mans kaufte, voll verrückt, seit er 1998 mit Motorrad- und Teilehandel begann, und voll professionell, seit er 2013 nordöstlich von Hamburg seine Meisterwerkstatt eröffnete. Pflege und Wartung macht er – „nee, ehrlich“ – gern und piekfein, aber ins Erzählen kommt er bei seinen Umbauten. Wie sich 2015 anlässlich der Hamburger Motorradtage alle über seinen V2-Scrambler gefreut haben etwa.
Oder warum dieses Jahr was Sportliches an der Reihe ist. Wegen Le Mans-Geburtstag, schon klar. Aber keine Nostalgie, das sowieso, denn Jens guckt am liebsten nach vorn. Unter jenen, die weit, manchmal sogar sehr weit nach vorne schauen, bewundert er Sylvain Berneron am meisten. Der Franzose ist von Motorradfahren und Design gleichermaßen besessen und hat in fünfjährigem BMW-Dienst gelernt, wie schwer Tradition und Moderne unter einen Zylinderkopfdeckel passen. Er hat aber – beispielsweise am Projekt R nineT – auch gelernt, wie es doch klappen kann und dass ein brandheißes Kleid den altbewährten Boxer ganz besonders stark zur Geltung bringt. Seit geraumer Zeit arbeitet Berneron wieder selbstständig, unter seinem Label Holographic Hammer entstanden wahnsinnige Entwürfe rund um luftgekühlte Ein-, Zwei-, Vierzylinder, realisiert von Europas besten Customizern.
Jens Koch ist nicht eitel, aber er stellt sich gern hohen Ansprüchen. Also nahm er Mitte 2015 seinen Mut zusammen und bat Sylvain Berneron um den Entwurf für einen Racer. Einen wirklich modernen, und Vorgaben für einige Teile, selbst produzierte allemal, äußerte er ebenfalls. Der Meister willigte ein, gegen Ende des Sommers kamen zwei Dateien mit skizzierten Racern zurück, der eine etwas kommoder, der andere irgendwie radikaler. Man möge wählen, schrieb Berneron, und letzte Wünsche äußern, dann fertige er die endgültige Zeichnung an. Customizing im Zeitalter von Internet und Globalisierung. Dem Ehepaar Koch – Martina ist im Laden die kongeniale Arzthelferin – fiel die Wahl schwer, und deshalb wanderten die Skizzen auf Website und Veranstaltungen. Sollten Kunden und Freunde doch bestimmen. Mitten in dieser Entscheidungsphase jedoch meldete sich ein erster Interessent, und der wollte eine Mischung. Also gut.
Aus einem ziemlich großen Stück Buche fräste eine Fünf-Achsen-Maschine die Modelle für Tank und Sitzbank. Während Alu- und GFK-Spezialisten ans Werk gingen, suchte Jens die Maschinenteile zusammen. Der modifizierte Rahmen des 70er-Jahre-Tourers T3 nimmt den Motor einer Le Mans 2 auf. Fein gemacht ist der. Mit etwas größeren Ventilen, leicht erhöhter Verdichtung, einer im eigenen Haus entworfenen Nockenwelle, leichter Ein- statt Zweischeibenkupplung, Doppelzündung, ach, es hört gar nicht auf, aber einen sollte man noch raushauen: Den Nockenwellenantrieb übernehmen statt der Serienkette elegante Stirnräder, so wie von Wiens Tuner-Legende Peter Horvath erdacht. Wozu? Der technischen Ästhetik wegen, und vielleicht auch, weil nun kein Kettenspanner Leistung klauen kann. Der Motor sagt Danke und liefert 82 PS sowie 83 Nm, übrigens obwohl der Doktor hier einem seiner Grundrezepte untreu wurde: Normalerweise verordnet er eine Airbox, „weil es bei Trichtern immer irgendwo wirbelt. Aber das passt nicht zu einem Café Racer.“
Besagte Motorradspezies entstand bekanntermaßen in England, so um 1960 rum, als die Jungs mit aufgebrezelten Twins Rennen um die Blöcke und Schaulaufen vorm Café veranstalteten. Handwerkliche Sorgfalt und selbstverliebte Details gehörten zwingend dazu, alles in streng proletarischer Tradition: Der beste Arbeiter baut und bedient die wichtigsten Geräte. Fertig. Wer das nicht begreift, sollte Designermöbel herstellen, keinen Café Racer. Wer sich aber wie Jens kindisch über die blitzblanken konischen Erleichterungsbohrungen der Feststellschraube des Einstellers vom Kupplungsbowdenzug freuen kann, der darf. Hier erhebt sich das Schöne beinahe unbemerkt über den reinen Zweck. Genau so funktionieren Café Racer. Und wenn von dieser Schraube über die makellose Lackierung, die cleane Elektrik, die kunstvolle und ledern bezogene Bank bis zum perfekt in den Höcker eingepassten Rücklicht alles gebührend bewundert wurde, dann bleibt nur noch ein Wunsch: Lass mal fahren, die Karre.
Machtvoll tönt es aus der vom Doc erdachten Auspuffanlage. Nicht übermächtig. Das Schnorcheln der Vergaser bleibt gut hörbar, wunderlich spontan reagiert der V-Twin auf Gasstöße. Gibt es Wunder? Kommt manchmal auf den Blickwinkel an. Wer 100 Serien-Guzzis auf Trab gebracht hat, für den stammt dieses Triebwerk zumindest aus einer anderen Welt. Die ganze Fuhre kippt nicht nach rechts beim Losfahren. Das liegt an den deutlich geringeren Massen. Deshalb dreht das Ding auch so seidig hoch. Im Guzzi-Maßstab, ja, ja, ja, aber trotzdem: dass der olle Zweiventiler so spontan und zivilisiert sein kann! Das überarbeitete Getriebe hat in Jensens Kellerwerkstatt eine vergleichbare Entwicklung durchlebt, lässt sich – genau wie die Einscheibenkupplung – leicht und präzise bedienen, kurzum: alles ziemlich Sahne.
Das knappe Kleid von Sylvain Berneron und die zielgerichtete technische Bestückung durch Doc Jensen münden natürlich in einem berauschend niedrigen Gewicht. Zum Glück bewahren schmale Reifen die daraus resultierenden Vorteile, und deshalb biegt der Racer behände ums Eck, wirkt dabei nie kippelig oder instabil. Erwartet souverän und gut dosierbar packen die Nissin-Vierkolbenzangen zu. Das betont sportliche Sitzarrangement ließe sich dank verstellbarer Rasten und Lenkerhälften deutlich gemütlicher gestalten, ein Zugeständnis an den künftigen Besitzer sind die recht hart abgestimmten Federelemente. Noch was?
Nee, die kleine Testrunde führt zurück zu den Hamburger Fischhallen. Früher ganz und gar proletarisch, heute Szenetreff für den After-Work-Prosecco. Die Guzzi bollert an gut gefüllten Terrassen vorbei, Typen schieben ihre Sonnenbrillen ins Gel-Haar, Ladys setzen das Glas ab. Man möchte jetzt denken dürfen, „ja, da guckt ihr, wa? Alles selbst gebaut.“ Aber einer auf Rezept vom Doc tut auch schon verdammt gut.
Technik
Für die Moto Guzzi V7 Sport von 1971 konstruierte Chefingenieur Lino Tonti einen flacheren und steiferen Rahmen, den später alle V2-Guzzi übernahmen. Der hier verwendete und im Heckbereich gekürzte stammt von einer T3, einem unverkleideten Allrounder. Den Motor lieferte eine Le Mans II, er wurde komplett neu aufgebaut und dabei umfangreich modifiziert. Das Getriebe kam wiederum von einer T3. Die ebenfalls von Doc Jensen überarbeitete Gabel stammt von einer Honda CBR 900.
Technische Daten
Motor: Zweizylinder-V-Viertaktmotor, Bohrung x Hub: 88 x 78 mm, Hubraum 942 cm³, je zwei Ventile (Einlass 44, Auslass 37 mm), DJG (Doc Jensen Guzzi)-Nockenwelle, angetrieben über DJG-Stahlstirnräder, Kurbelwelle erleichtert und feingewuchtet, Doppelzündung, DellOrto-Vergaser, Ø 36 mm, DJG-Auspuff, Leistung: 82 PS bei 7500/min, 83 Nm bei 6350/min.
Antrieb: leichtere DJG-Einscheiben-Trockenkupplung, Fünfganggetriebe, Kardanantrieb.
Fahrwerk: Doppelschleifenrahmen aus Stahlrohr, modifizierte Showa-Gabel, Ø 45 mm, voll einstellbar, Wilbers-Stereo-Federbeine mit einstellbarer Zugstufe, Doppelscheibenbremse vorn mit Nissin-Vierkolben-Festsattelbremszangen vorn, Einscheibenbremse mit Brembo-Zweikolben-Bremszange hinten, Drahtspeichenräder mit Akront-Flachschulterfelgen, vorn 2.50 x 18”, hinten 3.5 x 18”, Reifen vorn 110/80 x 18, hinten 140/70 x 18, Gewicht ohne Benzin, mit allen Ölen: 181 kg.
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