Hans-Joachim Stuhlmüller hat eine Vorliebe: „Ich mach halt gerne Motoren.“ Doch über die Jahre wurden dem Ex-Vertragshändler für Aprilia und Moto Guzzi Motorrevisionen bei Vierventil-Guzzis fast etwas zu viel: „Oh je, da gab es viele Schäden.“ Seiner Meinung nach sind große Fertigungstoleranzen und minderwertiges Material Ursache für Probleme insbesondere am Ventiltrieb. Da gingen Nockenwellen „reihenweise ein“, „Nocken um bis zu 1,5 Millimeter abgeraspelt durch einseitige Belastung.“ Bis zu 1,5 bar unterscheide sich die Kompression zwischen zwei Zylindern.
Bei der Suche nach guten Austauschteilen stieß Stuhlmüller auf Luigi Prina bei Bergamo in Italien. Er entwickelte bereits Umrüstkits für Guzzi-Zweiventiler sowie BMWs und Ducatis. „Luigi ist der Theoretiker, wir sind die Praktiker und Schrauber“, sagt Hans-Joachim Stuhlmüller. Viel war nötig, an Versuch, Irrtum und gegenseitiger Rückmeldung, bis genügend konstruktive Finessen im gemeinsam entwickelten, von außen nicht sichtbaren, Umbaukit steckten.
Umbau-Kit für 2700 Euro
Zum Umbaukit für 2700 Euro gehören neue Nockenwellen und Stößel. Beide machen bessere Werkstoffe und DLC-Beschichtung widerstandsfähiger. Die Titanstößel wiegen bloß zwei Drittel, acht statt zwölf Gramm der stählernen Serienteile. Nebenbei sollen Nockenprofile mit geänderten Steuerzeiten (Ventilüberschneidungen) „die Potenz des Motors wecken“. Was zusätzlich neue Software für Zünd- und Einspritzelektronik erforderte. Extra kommen schön gefertigte Pleuel, ein Fünftel leichter als originale. Die Krux: Dauerhaltbarkeit auf der einen, mehr Punch auf der anderen Seite. „Und zwar, wo man es wirklich braucht, in der Drehzahlmitte, nicht erst oben heraus.“

Kraft-Kur gelungen? Das soll eine modifizierte Guzzi 1200 Sport F1 beweisen. Sie trägt Serienkrümmer wie Auspuff. Ist ihr Tuning zu spüren? Nun, vom Start weg bietet ein traditionell luftgekühlter Guzzi-Motor ein eigenes Erlebnis. Dieses Stampfen und Pulsieren serviert nur dieser spezielle 90-Grad-Twin mit der längs liegenden Kurbelwelle so unnachahmlich. Wild schüttelt sich der breite, weit entfernt liegende Rohrlenker. Garniert vom bassigen Beat aus dem riesigen Serienschalldämpfer.
Auffallend: der konstante, stabile Leerlauf des 1150er-Tuning-Motors. Über den 95er-Kolben fachen die Zündkerzen ziemlich gleichmäßige Verbrennungen an. Unüberhörbar tickern die Ventile und Stößel: „Wir fahren mit etwas mehr Spiel“, erklärt der Nordbadener. „0,15 und 0,20 statt 0,10 und 0,15 Millimeter.“ Kann man hören. Heftig fällt der Schaltschlag beim Einlegen des ersten Ganges aus, Sechsganggetriebe und Trockenkupplung sind unverändert.
Mit Nachdruck setzt sich die Signora in Bewegung. Der V2 hängt fein, wenn auch nicht gierig am Gas. Prüfstein am Ortsausgang: Zieht diese Guzzi oder zieht sie nicht? Sie zieht! Ab 3000/min geht’s kräftig, ab der 4000er-Marke vehement zur Sache. Vorbei das übliche Phlegma, der tiefe Drehmoment-Hänger bei Guzzis Vierventilern ausgerechnet zwischen 3000 und 5000 Touren. Verschwunden, weg. Der Drehmomentverlauf ist deutlich fülliger, mit rund 15 Newtonmeter mehr bei 4000 Touren. Und ab 5000 wird der Vierventiler richtig wild, drückt oben heraus stämmige 115 PS.

Es ginge noch mehr, aber dann reichte der Ölkühler nicht mehr, sagt der Tuner. Bei umgebauten Stelvios habe Herr Stuhlmüller schon bis zu 121 PS und 118 Newtonmeter gemessen. Bordrechner und Auspuffanlage der Reiseenduro böten mehr Potenzial. Unter Last hört man bei der F1 den leicht modifizierten Luftfilter moderat lauter Schnorcheln. Er fächelt dem 90-Grad-V2 leistungsfördernd mehr Luft zu.
Ach, wenn die Sport doch bloß nicht so schwer wäre. Sie wiegt satte 260 Kilogramm, spürbar beim Schieben. Ein „Gentleman-Sportler“ also. Lediglich im sechsten Gang ist sein Vortrieb zunächst noch verhalten: viele Kilos, sehr lang übersetzt. Beim Durchzug ab Tempo 60 liegen kaum 2000 Umdrehungen an. Und just in diesem Gang und bei jener Drehzahl nimmt der Big Twin nicht ganz ideal Gas an. Immerhin, die Tachonadel rotiert schneller als die Kollegin im Drehzahlmesser. Fein wäre eine kürzere Gesamtübersetzung, um den Durchzug auch im höchsten Gang zu toppen.
Bei 8000/min knipst die neue Software schlagartig ziemlich hart den Saft ab. Dabei hat das Testexemplar noch gar nicht die leichteren Pleuel, die leichteres Hochdrehen bewirken sollen. Dennoch ist die F1 klasse fahrbar. Im dritten und vierten Gang hämmert sie mit mächtig Schmackes aus den Ecken raus. Das macht an! Eine sinnliche Fahrmaschine, fast schon in Tradition einer seligen Le Mans. Ehrenrunden werden zur Ehrensache, so viel Laune macht der V2. Noch eine und noch eine. Also: Daumen hoch für die gelungene deutsch-italienische Kraft-Kur und Kooperation.
Technische Daten

Messwerte
Fahrleistungen
Höchstgeschwindigkeit*: 1220 km/h
Beschleunigung**
0–100 km/h: 3,9 (3,9) sek
0–140 km/h: 6,5 (6,8) sek
0–200 km/h: 14,9 (15,1) sek
Durchzug**
60–100 km/h: 5,0 (4,6) sek
100–140 km/h: 5,6 (6,2) sek
140–180 km/h: 5,8 (6,1) sek
Kontakte, Preise, Infos
Der Umbaukit umfasst neue, DLC-beschichtete Nockenwellen, DLC-beschichtete Titanstößel mit passenden Ventiltellern und -federn sowie neue Software. Der Preis: 2700 Euro plus Pleuel, für Zweiventil-Guzzis (dann ohne Stößel und DLC-Beschichtung) 1290 Euro. Im Angebot sind auch Umbaukits für BMW-Vierventil-Boxer und Ducatis mit Zwei- wie Vierventilmotoren, zum Beispiel 996/998/999. Kontakt: Zweiradshop Stuhlmüller, www.zweiradshop-stuhlmueller.de, Telefon 0 72 62/23 12. Partner in Italien ist die Firma Cams F1 Motorsportdesign MSD. Der Firmeninhaber, Luigi Prina, spricht auch Deutsch. Kontakt: Telefon 00 39/03 63 32 64 24, www.msd.it