Test Schäfer-Suzuki GSX 1300 R Hayabusa
Genug ist nie genug

Wo hört der Spaß auf, wo fängt die Angst an? Gibt es Grenzen der Erfahrbarkeit, ein Ende aller Vernunft? Michael Schäfer aus Saarlouis verschiebt mit seiner Yoshimura-Hayabusa die Maßstäbe.

Schreibtisch, 9.40 Uhr, ich esse gerade mein Käsebrötchen, als der Testchef um die Ecke lugt: »Jorge, ruf mal den Schäfer an, der baut ´ne Granate. Eine Hayabusa mit Yoshimura-Werksteilen.« Gesagt, getan, schon wähle ich 06831/48513, die Nummer des Tuners Michael Schäfer aus Saarlouis. Zwischen Ohr und Schulter klemmt der Telefonhörer, meine Hand kritzelt hektisch die Worte meines akustischen Gegenübers mit.

»Ja, ja, genau, ungefähr 200 PS, bisschen über 200 Kilo voll, weißt schon, so ähnlich wie die Mörderteile vom Acht-Stunden-Rennen in Suzuka. Nein, nein, nix Straße, purer Spaß auf der Rennstrecke.« Wann wir’s bekommen können? »Weiß noch nicht, aber ich gebe rechtzeitig Bescheid.« 200 PS und 200 Kilo. Ich kann mir zwar kaum vorstellen, was der Mann da baut, aber schon der vage Gedanke daran stellt mir die Nackenhaare auf.

Tage, Wochen, Monate vergehen. Für Schäfer brummt die DM-Saison, da muss das Monsterbike warten. Ein Motorrad, das da die Dynamikschraube hochdrehen soll, wo nach den Regeln der Vernunft bereits alle Grenzen überschritten sind. Dessen Vorbild unter der Regie der Legende »Pops« Yoshimura den sechsten Gesamtrang im materiell wie fahrerisch höchstgradig besetzten Acht-Stunden-Rennen von Suzuka belegt hat.

Heute ist es so weit. Im Redaktions-Bully fahren wir Richtung Hockenheim, wo ein Schäfer-Gesandter die Hayabusa übergeben wird. Wir liegen gut in der Zeit. MOTORRAD-Mitarbeiter Markus Barth hat schon ein paar Schäfer-Runden in Valencia gedreht, die Fotoproduktion ist bereits im Kasten. Also können wir uns aufs Wesentliche konzentrieren: aufs Fahren.
Vor dem Tor treffen wird den Schäfer-Mann. Hallo, hallo, ich bin der, wie geht’s denn, gute Fahrt gehabt, dann wollen wir mal. Die geöffnete Transportertür gibt eine der eindruckvollsten Heckpartien frei, die mir Motorräder bisher entgegengestreckt haben. Der Transporteur löst die Gurte, lädt ab, bockt auf. »Schön leicht ist sie, schaut euch das Rahmenheck und den Verkleidungshalter an. Schön, nicht? Also, viel Spaß und lasst sie heile.« Mal sehen. Etwas nervös ziehe ich mich um.
»Tac, tac, tac«, tackern die Schritte meiner Hartschalenschuhe über den badischen Asphalt. Bis auf die Stiefel und das Knarren des kalten, noch widerspenstigen Lederkombis ist es sehr still. Spannung liegt in der Luft. Spannung vor dem Ding, dem Objekt, dem Monster. Yoshimura Hayabusa. Uff. Viel schlanker wirkend als das Serienteil. Alles andere als sporttouristisch. Pur. Stark. Reduziert. Aufs Schnellsein. Was würden Sie denken, wenn Sie ein 200 PS-Motorrad testen sollten, gerade mal 210 Kilogramm schwer, vollgetankt, versteht sich? Kurz übersetzt, damit’s nicht langweilig wird? Unvorstellbar? Stellen Sie sich vor, ihr Golf hätte plötzlich über 1000 PS. Und? Genau, Sie hätten Respekt. Eine Menge davon. Vielleicht sogar ein bisschen Angst. Oder?
In meinem Bauch tummelt sich ein Ameisenhaufen. Emsige kleine Tiere. Mit vielen Kribbelbeinen. Mit Abstand umkreise ich das Hayabusa-Monster. Alles ist anders. Augenfällig rollt es auf leichten PVM-Magnesium-Rädern, offenbar bremsen wunderschöne Bremsen des gleichen Herstellers die einmal entfesselte Dynamik wieder ein. Nicht irgendwelche Stopper, sondern filigrane Guss-Scheiben, umklammert von gefrästen Sechskolben-Monoblock-Sätteln, angesteuert via Kevlar-ummantelter Bremsleitung von einer Radial-Handpumpe. »State of the Art” nennt man das.
Zwei Öhlins-Gabelbeine, in teurer Superbike-Variante, runden die Frontpartie ab. Die goldenen Teile stecken in gefrästen Gabelbrücken, in der unteren gleich vierfach geklemmt, tragen standesgemäße Lenkerhälften mit Scharnier-Klemmung. Etwas dekadent dient zur hydraulischen Kupplungsbetätigung ebenfalls eine Radialhandpumpe. Die Kupplung dankt’s mit lächerlich geringer Handkraft. In weiser Voraussicht, denn der Schäfer-Hayabusa-Dompteur braucht seine Kräfte für anderes.
Hinten geht’s gerade so weiter: Eine aus Alublechen modellierte Harris-Schwinge, die samt Umlenkung und dem speziell abgestimmtem Öhlins-Federbein normalerweise ein GSX-R 750-Superbike schmückt, hält das Hinterrad im Zaum. Damit die Geometrie passt, schweißte Schäfer die Anlenkung am Rahmen um. Ruht die Suzuki auf ihrem Montageständer, überzeugt ein Dreh am Hinterrad von guter Montagearbeit. Es dreht nämlich fast ungebremst nach, was nicht nur der schmächtigen 520er-Kette, sondern auch einer penibel ausgerichteten Kettenflucht zu verdanken ist. Schön, schön, genau wie die kleine Bremsanlage am Hinterrad und die filigranen MR-Fußrasten, deren Ganghebel eine schnelle Umkehr des Schaltschemas sowie Haltepunkte für einen Schaltautomaten vorsieht.

Ein Schalter am linken Lenker schließt den Zündstromkreis, dazu Killschalter auf »On«, den Starter antippen und »bammm«, erwacht der Bigblock unmissverständlich zum Leben. Bald stimmt der Leerlauf, sonor und druckvoll brummelt der Reihenvierer aus den Endrohren des markanten Dreieck-Schalldämpfers. Mal sehen, was sich – huch, das reagiert superspontan, beim kleinsten Dreh am Gasgriff schnalzen die Drehzahlen bellend hoch. Klingt schon gut, so ein offener Vierzylinder, erst recht so ein großvolumiger. Also das Spiel noch ein paar Gasstöße auskosten, schließlich braucht der Motor ja Betriebstemperatur. Das Kraftpaket ist gar nicht so arg modifiziert. Kanal- und Brennraumarbeiten, Verdichtung hoch auf 12 : 1, das Ganze flankiert von Yoshimura-Nockenwellen, die ebenso wie die vierte, fünfte und sechste Gangstufe einem eigens für die Hayabusa entwickelten Kit entstammen. Außen rum noch Auspuff, Zündbox und ein paar kurze Alu-Ansaugtrichter – fertig sind die 200 Pferde. Für die Zukunft soll eine schmale Lichtmaschine folgen, wegen der Bodenfreiheit linksherum. Aber genug der Erklärungen, ich nehme Platz. Eigentlich ganz gemütlich hinter dem fetten Tank, der mit seinen Alu-Einfüllstutzen zu mir aufzublicken scheint. Gang einlegen, ah ja, erster Gang oben, sowieso besser für die Rennstrecke. Sanft lege ich das Gas an, vorsichtig lasse ich die Kupplung kommen.

Respektvoll rolle ich los. Ah ja, eine typische Hayabusa-Kupplung, schlecht dosierbarer, hackender Kraftschluss. Trotzdem hat Markus Barth das Viech in sagenhaften 6,6 Sekunden auf 200 beschleunigt. Kommentar: »Länger übersetzt und mit ordentlicher Kupplung geht’s noch schneller.« Okay, Markus, schon recht. Naturgemäß hockt es sich sportlicher als serienmäßig, höhere Sitzbank, viel höhere, rückverlegte Rasten, viel tiefere Lenker. Mir als rheinischem Laakes passt das wie angegossen, bietet quasi genau die richtige Position, um der Fahrdynamik durch Körperspannung und Gewichtsverlagerung zu begegnen. Ergebnis: Ich werde schnell mutiger, wage schon mal ein bisschen mehr Gas, schalte munter durch die Gänge, heidewitzka, da geht was, noch vom dritten auf den vierten Gang steigt das Vorderrad. Für ein Motorrad von solchen Ausmaßen erschreckend handlich, zirkelt das Viech durch die Radien. Federelemente und Radführung funktionieren gut, wenngleich ihre Fähigkeiten ein wenig in den vorn wie hinten zu weichen Federn verpuffen.

Nordkurve, Scheitelpunkt, der Drehzahlmesser signalisiert 6000/min. Konzentration, jetzt gilt’s. Behutsamer Zug am Lenker, Oberkörper nach vorn-unten, viel Druck auf die kurvenäußere Raste bringen. Vooorsichtig das Gas aufziehen. Die Hayabusa lässt sich nicht zweimal bitten, legt zornig heulend fieberhaft Drehzahl zu, drückt mit brutaler Gewalt auf den Hinterreifen. Festhalten, abstützen, irgendwie. Wie im Zeitraffer klettert die Drehzahlmesser-Nadel. Sehnen und Muskeln des Körpers verhärten sich, gedanklich mahnt sich der Überschlag rückwärts, das ausbrechende Hinterrad, der Verlust über die Fahrzeugkontrolle an. Mein Gott, das geht vorwärts! Ein indifferentes Gefühl im Lenker kündet vom Take-off des Vorderrades, so konzentriert wie möglich visiere ich die Fahrtrichtung, Horizont und Landschaft verschwimmen drum herum zu Unschärfe, so ähnlich sieht wohl ein Erdbeben aus. Oooooouuups! Ungewohnt indifferent dosierbar, diese Bremse, zwar wenig Handkraft, aber viel Hebelweg. Nicht schlecht zum in die Kurve bremsen, also los, mit gesenktem Haupt biegen wir in die Querspange ein. Jjjjjjjja! Aus Rechtsschräglage in den schnellen Linksbogen beschleunigen, passt, mit beruhigender Präzision passiert die Hayabusa den anvisierten Punkt. Etwas hilflos rast der Puls, flach kämpft der Atem gegen die eiserne Umklammerung der angespannten Rumpfmuskulatur. Anbremsen Motodrom, Gas anlegen, sanft den Zug erhöhen, den Bogen durch die Senke ziehen, mit Worp 12 springt die Hayabusa auf die Sachskurve zu. Au Mann! Und das geht immer so weiter!

Fertig, überstanden, meine Güte, der Schweiß drückt aus allen Poren, der Puls klopft schnelle, harte Beats, mein gerötetes Köpfchen grinst im Adrenalinrausch. 80000 Mark kostet der Spaß, ich rechne, na ja, so ungefähr zwölf Jahre Wasser und Brot, dann vielleicht. Aber was für ein Heidenspaß. Erstaunlich gut beherrschbar und immer übermäßig. Vernünftig betrachtet ein Motorrad, das kein Mensch braucht. Aber Gott sei Dank ist ja gerade die Unvernunft der Nährboden fürs Motorradfahren. Oder?

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MOTORRAD 20 / 2023

Erscheinungsdatum 15.09.2023