Sind sie die Krone der Schöpfung? Oder hat auf dem Weg nach höher, schneller, weiter nur jemand vergessen, die Notbremse zu ziehen? Unbestritten ist: Über den Sinn, bis zu 175 PS in Bikes zu packen, die sich mit sturmumtostem Frischluft-Sitzplatz, breiter Lenkstange und aufrechter Sitzposition klipp und klar auf den Landstraßenslalom fokussieren, lässt sich diskutieren. Erst recht über die Frage, ob es sinnvoll ist, diese exorbitante Power mit diversen Mappings, Traktions-, Wheelie- und Launch-Kontrollen elektronisch zu domestizieren.
Man könnte aber alle Grundsatzfragen ignorieren, den Starterknopf drücken – und diese prickelnde Kombination genießen. Dieses hochexplosive Gemisch aus fortschrittlicher Technik, unbändiger Kraft und gefühlsechtem Motorradfahren. Genau darin liegt der Reiz der Power-Naked-Bikes. Sie sind stark, schön und sexy – aber nicht billig.
Was eint die vier außer dem noblen Ansatz? Dass kein Reihen-Vierzylinder-Motor zwischen ihren Rahmenrohren steckt. Den Vergleichstest der Inline-Vierer wird es geben, sobald die neue MT-10 von Yamaha (siehe Teil 2) im Lande ist. Doch jetzt gilt: Feuer frei für Teil 1 des Power-Naked-Vergleichstests 2016. Die Zündschnur glimmt – für den Ritt auf den Kanonenkugeln Aprilia Tuono V4 1100 Factory, Ducati Monster 1200 R, KTM 1290 Super Duke R und Triumph Speed Triple R.
Motor
Nomen est omen: Bei einem Motorrad beeinflusst der Motor zu großen Teilen auch die charakterliche Ausrichtung der Maschine. Vier unterschiedliche Motoren, vier unterschiedliche Charaktere? Eine interessante Frage.
Power-Nakeds – die Initialzündung gab Triumph. Mit der Speed Triple im Jahr 1994. 22 Jahre nach dem Urknall hat der Dreizylinder just zur Saison 2016 zum vierten Mal in seiner Historie die Klingen geschärft. Neue Kolben, Kurbelwelle, Nockenwellen, engere Drosselklappendurchmesser, geändertes Getriebe und aufgerüstete Elektronik bilden die Speerspitze von insgesamt 104 Änderungen am ehrwürdigen Drilling. Und was sagen die Kraftmax-Jünger? 134 PS. Auf dem Prüfstand drückt die neue Triumph Speed Triple R kein einziges Pferdchen mehr ab als bislang. Trotz 140 versprochenen PS. Und was sagt der Kenner? Na und? Denn die Zuwendung hat den ohnehin schon wohlerzogenen Dreizack noch feiner geschliffen. Ist das wirklich noch ein Hubkolbenmotor? So seidenweich wie eine Turbine, noch sensibler als sein Vorgänger spricht der Triple bereits ab Standgas an. Am Kurvenscheitelpunkt eine Offenbarung. Butterweich setzt der Treibsatz ein, klettert Zehntelsekunden später auf sein nahezu horizontales Drehmomentplateau. Ab 4000/min liegen über 100 Nm an, vermitteln ihre Macht auf eine ganz eigene, distinguierte Weise. Nie wird sich der Triumph-Pilot durch den konstanten Schub gestresst fühlen, nie wird er überrascht. Zumal auch die überarbeitete Schaltung mit präziseren Schaltvorgängen und die leichter zu ziehende Kupplung den Kraftfluss noch geschmeidiger halten. Toll! Genauso wie die aufgerüstete Elektronik der Triumph Speed Triple R, die mit fünf Mappings (Rain, Road, Sport, Track, Rider) nun für jeden Geschmack eine Abstimmung bereithält. Und letztlich sind es nur ein paar Zehntelsekunden in der Beschleunigung, der besagt wenig relevante Topspeed von 250 km/h und – vielleicht – der trotz aller Finesse wenig emotionale Charakter, welche den famosen Dreizylinder vom Platz an der Sonne abhalten.
Den dritten Rang in der Motorenwertung darf er sich mit dem ebenfalls für die Saison 2016 aufgerüsteten V2 der Ducati Monster 1200 R teilen. Denn auch der muss erst mal beichten. Aus 160 in der Werbung versprochenen PS blieben im Fahrzeugschein 152 und auf dem Prüfstand 149 PS. Und was sagt der Kenner dieses Mal? Immer noch mehr als die 143 PS der S-Variante und die 138 PS der Standard-Monster 1200. Mehr als genug für die Landstraße sowieso. Stimmt. Der Aufwand für die Kraftkur bleibt überschaubar. Von 53 auf 56 Millimeter vergrößerter Drosselklappen-Querschnitt, von 12,5 auf 13,0 erhöhte Verdichtung und von 50 auf 58 Millimeter aufgeblasene Krümmer brachten dem R-Motor mehr Schmackes. Am grundsätzlichen Charakter hat sich auch an der kräftigsten „Mostro“ aller Zeiten nichts geändert. Hat der Treibsatz die Mühen mit dem traditionell zäh drehenden Anlasser und der unter 3000/min etwas unaufgeräumten Kinderstube überwunden, wird alles gut. Fein pulsierend pocht er sich die Drehzahlleiter hoch. Nicht nervend, schon gar nicht aufgeregt, aber immer präsent. V2-Feeling vom Allerfeinsten. Auch akustisch. Trotz Euro4-Homologation pocht es bassig, aber sozialverträglich aus dem um zwei Liter vergrößerten Auspuff.
Ohnehin hält man zum Maschinenraum gern Kontakt. Im Vergleich zur Triumph Speed Triple R einen Tick ruppiger, aber immer noch gut erzogen, spricht der Vau-Motor der Ducati Monster 1200 R am Kurvenscheitelpunkt an, schiebt danach mit mächtigem Druck voran, wirkt spritzig und emotionsgeladen. Immer wieder ertappt man sich, wie man den L-Motor unwillkürlich in der Drehzahl absacken lässt, um diese Mixtur aus satter Beschleunigung und massierendem Motorlauf zu erleben. Die etwas schwergängige Kupplung und die leicht hakige Schaltung fallen im beschwingten Brake-und-go-Betrieb nicht einmal auf, machen sich erst bei beschaulicherem Tempo oder im Stadtverkehr bemerkbar. Zumal sich gerade dort mit der letztlich doch so gut erzogenen Ducati Monster 1200 R endgültig auf den auf 108 PS leistungsbeschränkten Urban-Modus verzichten lässt: Die Wahl zwischen dem bissigen Sport- und dem etwas dezenter ansprechenden Touring-Modus bleibt einzig und allein Temperamentssache.
Beim Stichwort Temperament fühlt sich die Aprilia Tuono 1100 V4 Factory auf den Plan gerufen. Um gleich mit der Tür ins Haus zu fallen: Der V4 der Tuono gehört zum emotionsstärksten, was zwischen zwei Räder montiert werden kann. Allein diese Akustik, wenn der Vierzylinder im Standgas vor sich hinbrabbelt. Ein aus mahlender Mechanik und dumpfem Donner gewobener Klangteppich. Gänsehaut. Auch wenn etwas weniger Radau diesem Ohrenschmaus bestimmt keinen Abbruch täte. 77 cm³ mehr Hubraum schenkten die Ingenieure der 1000er im vergangenen Jahr nach, stockten das Drehmoment damit um etwa zehn Prozent und die Leistung auf gemessene 172 PS auf. Eine Zahl, die erahnen lässt, was der Donnerbolzen-Reiter im Sattel erlebt. Gierig wie ein ausgehungerter Löwe beißt die Aprilia Tuono 1100 V4 Factory am Kurvenausgang zu, schnalzt selbst beim moderaten Zug am elektronischen Gasseil mit der Front himmelwärts, schiebt mit einer unerhörten Leichtigkeit voran. Selbst der Gangwechsel wird zum Erlebnis, wenn sich per serienmäßigem Schaltassistenten fast nahtlos der nächsthöhere Gang einklicken lässt. Wer genau hinschaut, erkennt, dass die Italiener den Emo-Trip ganz bewusst inszenieren, mit leichteren Pleueln (minus 100 Gramm je Pleuel!) und vor allem einer kürzeren Übersetzung (Kettenritzel mit 15 statt 16 Zähnen) nachhelfen. Das im objektiven Vergleich bis 8000/min unterlegene Drehmoment (siehe Leistungsdiagramm) des V4 kaschiert die Aprilia subjektiv dadurch bestens. Für ihre kleineren Schwächen wie die etwas zu langen Gedenkpausen des Schaltassistenten, den Lastwechselschlag und die etwas indifferente Kupplung rehabilitiert sich die Tuono letztlich dennoch mit klaren Fakten: den besten Beschleunigungs- und Durchzugswerten. In diesem Kreis ein gewichtiges Argument.
Das wohl auch die KTM 1290 Super Duke R gern für sich in Anspruch genommen hätte. Dass sich das bei der Präsentation im Jahr 2014 beworbene, 180 PS starke „Biest“ im wirklichen Leben mit gemessenen 168 PS outete, wird ihm letztlich dennoch nur die Stammtischrunde übel nehmen. Vor allem, weil die Österreicher dem mit 1301 cm³ hubraumstärksten Antrieb der Viererbande die allerbesten Manieren anerzogen. Blitzsauber trabt der 75-Grad-V2 los, ballert erstklassig dosierbar durchs Drehzahlband, lastwechselt minimal, gibt sich in allen Mapping-Varianten (Sport, Street, Rain) wohlerzogen, lässt sich geschmeidig schalten, leichtgängig kuppeln und wirkt mit diesem Auftritt letztlich wie aus einem Guss. Ja, versteckt mit diesen famosen Manieren beinahe sein gewaltiges Potenzial. Doch wer am E-Gaskabel Wind sät, wird auch bei der KTM 1290 Super Duke R Sturm ernten. Einen gewaltigen. Nur ein Zehntel verliert der Power-V2 beim Drag-Duell bis 140 km/h auf den Kraftmax Aprilia Tuono 1100 V4 Factory. Und weil der Super Duke-Treibsatz diesen gewaltigen Druck mit seinem feinpolierten Auftritt souverän kombiniert, holt er sich den Sieg in der Motorenwertung. Und zwar mit Abstand.
Fahrwerk
Mit hochwertigen Federelementen, supersportlichen Reifen sowie aufrechter Sitzposition blasen die Power-Nakeds zur Landstraßen-Attacke. Welche zieht den flottesten Strich?
Nach dem so überzeugenden Auftritt in der Motorenwertung präsentiert sich die KTM 1290 Super Duke R auch in Sachen Fahrwerk selbstbewusst. Markentypischer Gitterrohrrahmen und die erste Einarmschwinge der Firmenhistorie zeugen von Konsequenz und Mut zu Neuem. Mit ihrer Geometrie bleibt die Herzogin allerdings bodenständig. Die Werte für Nachlauf (107 mm), Lenkwinkel (65,1 Grad) und Radstand (1482 mm) gewichten eher Stabilität als Handlichkeit, eine rekordverdächtig lange Schwinge (610 mm) soll zudem für Ruhe und Traktion sorgen. Nachvollziehbar, wenn fast 170 PS an der Kette reißen und sich ein windumtoster Pilot am breiten Lenker festkrallt. So zieht die Österreicherin abgeklärt ihre Bahn und harmoniert zudem überraschend gut mit dem auf manch anderen Maschinen etwas knochigen Dunlop Sportsmart 2. Allerdings: Quirlig ist sie mit dieser Ausrichtung nicht, verlangt im engen Geläuf beim Abbiegen immer etwas Nachdruck. Kleinere Unebenheiten geschmeidiger wegstecken könnten sowohl die etwas stuckerig arbeitende Gabel von WP Suspension als auch das ohne Umlenkhebelei arbeitende, direkt auf die Schwinge montierte Federbein. Grundsätzlich kein Anlass zum Jammern. Im eng gespreizten Power-Bike-Feld genügt aber auch ein Kratzer im sonst so makellosen orangefarbenen Lack, um entscheidenden Boden zu verlieren.
Sieht man von dem mit 89 Millimetern kürzesten Nachlauf des Quartetts einmal ab, bewegt sich auch die neue Ducati Monster 1200 R eher auf fahrwerksgeometrisch gemäßigten Pfaden. Wieso auch anders? Schließlich ziehen ihre beiden Schwestern, die Basis- und S-Variante, bereits seit zwei Jahren souverän ihre Linien. Ihren sportlicheren Anspruch dokumentiert die R-Ausgabe mit um 15 Millimeter angehobener Fahrhöhe, leichteren Schmiederädern, Federelementen von Öhlins und einem 200er-Hinterradreifen. Einen Achtungserfolg erreicht die R-Monster damit auf der Waage. Mit 212 Kilogramm kommt die R einen Hauch drahtiger als die KTM 1290 Super Duke R (213 kg) und die Aprilia Tuono 1100 V4 Factory (214 kg) daher. Lediglich die Triumph Speed Triple R (220 kg) muss sich in dieser Riege distanzieren lassen. Einen weiteren Pluspunkt liefern die Öhlins-Teile. Sensibel tasten sie das Terrain ab, kombinieren klares Feedback mit einem für ein derartig sportliches Konzept ordentlichen Komfort. Zudem lässt sich die Duc durch die um zwei Grad größere Schräglagenfreiheit noch etwas gewagter abwinkeln, sorgt mit präzisem und betont neutralem Lenkverhalten sowie beschwingtem Handling für Hochstimmung beim Eckenwetz. Nicht einmal für die in dieser Beziehung hinderliche 200er-Show-Walze muss sie büßen. Letztlich profitiert die Ducati Monster 1200 R durchweg von der technischen Aufwertung – muss sich nur hauchdünn hinter der in Tuchfühlung agierenden Konkurrenz einreihen.
Dass dies auch der Triumph Speed Triple R gelingt, hätten selbst anglophile Funbike-Freaks nicht so ohne Weiteres erwartet. Denn abgesehen von Öhlins-Gabel, nebenbei bemerkt dem gleichen Typ wie in der Ducati Monster 1200 R, und dem ebenfalls aus Schweden stammenden Federbein zeigt sich die R-Ausgabe der Speedy fahrwerksseitig gegenüber der günstigeren S-Version unverändert. Insofern liefert die Britin mit der Öhlins-Combo einen genauso gelungenen Auftritt ab wie die Italienerin. Vor allem die mit getrennter Dämpfung arbeitende Gabel (rechter Holm Zug-, links Druckstufe) imponiert mit feinfühligem Ansprechen. Letztlich tragen aber nicht nur die Öhlins-Teile zum glasklaren Feedback und der präzisen, der Ducati einen Hauch überlegenen Lenkpräzision und Kurvenstabilität bei. Auch der steilste Lenkwinkel und der kürzeste Radstand im Feld lassen die Speedy – trotz ein paar Kilo mehr auf den Rippen und der durch den massigen Motor sich schwer anfühlenden Front – auf Augenhöhe mit dem restlichen Trio um die Ecken biegen.
Dennoch muss sich die Triumph Speed Triple R – gemeinsam mit dem restlichen Trio – dem Kurvenstar aus dem Veneto beugen. Keine Bange, die Karte der fahrwerksgeometrischen Extreme spielt auch die Aprilia Tuono 1100 V4 Factory nicht. Im Gegenteil. In den Erste-Gang-Ecken gibt sie sich neutral, gleicht den abwartenden Auftritt bereits in den etwas zügigeren Bögen schnell aus. Dort liegt die Aprilia wie das sprichwörtliche Brett, zieht mit den – auch in der Ducati Monster 1200 R und Triumph Speed Triple R verwendeten – Pirelli Super Corsa SP-Reifen so präzise ihre Linie wie ein Slotcar auf der Modellrennbahn. Die in diesem Kreis eher untypische Entwicklungsstrategie (weicher abgestimmte Federelemente, 18 Millimeter niedrigere Fahrhöhe) erstaunt zwar, entfernt die Tuono aber noch ein Stück weiter von ihrem Ursprung, dem Superbike RSV4. Gut so, denn das Ergebnis gibt diesem Weg recht. Mit grandioser Straßenlage, exzellenter Lenkpräzision, grenzenloser Schräglagenfreiheit und bolzstabilem Geradeauslauf generiert die Tuono bei ihrem Piloten ein regelrechtes Urvertrauen, kompensiert mit toller Rückmeldung sogar die immer noch straffe Federungsabstimmung. Letztlich schiebt sich das gelungene Fahrwerkspaket damit an der wahrlich hochgerüsteten Konkurrenz vorbei. Complimenti.
Alltag
Life isn’t all Roses, sagt der Engländer, das Leben ist kein Ponyhof, der Deutsche. Selbst so konsequent sportlich ausgerichtete Konzepte müssen sich beim Brötchenholen oder auf der Wochenendtour bewähren. Doch welcher Sportanzug taugt am besten für die Wandertage?
Alltag. Wer der Aprilia Tuono 1100 V4 Factory mit diesem Begriff kommt, wird wohl auch beim neuesten Fummel von Versace nach einer Klimamembran suchen. Alltag, darunter versteht die Aprilia eher den alltäglichen glamourösen Auftritt. Die polierten Flanken von Rahmen und Schwinge etwa. Oder das in der Factory-Version von der RSV4 übernommene, durchgestylte Rahmenheck. Oder die schnittige Frontverkleidung – in der dann auch der etwas schummrige Scheinwerfer stecken darf. Sogar das spartanische Notsitzbrötchen für die Sozia und – zähneknirschend – die durch den stattlichen Verbrauch (6,6 Liter/100 km) knappe Reichweite. Alles akzeptiert. Denn die zum letztjährigen Modellwechsel weicher gepolsterte Sitzbank und die um 15 Millimeter reduzierte Sitzhöhe bringen mehr Komfort als vermutet, der etwas flachere Lenker mehr Druck auf die Front. Mehr Zugeständnisse für den Alltag hat von der Tuono niemand erwartet.
Das galt zu Beginn ihrer Karriere auch für die Triumph Speed Triple R. Doch aus dem streetfightenden Revoluzzer-Bike von damals hat sich ein umgänglicher Kumpel entwickelt. Erst recht nach der aktuellen Retusche. Auf der neuen, etwas schmaleren Sitzbank residiert es sich kommod, der modifizierte Tank erlaubt einen schlankeren Knieschluss. Sein um zwei auf 15,5 Liter reduziertes Volumen kompensiert erfreulicherweise der um etwa einen halben Liter auf 100 Kilometer gesunkene Verbrauch. Mag sich der Drillings-Treiber vielleicht über die Optik der neuen, stylishen Lenkerendspiegel freuen, gerät die Rückschau in den weit unten montierten Teilen auf Dauer nervig. Und sonst? Hat sich die Triumph Speed Triple R mit vielen optisch hochwertigen Schrauben (zum Beispiel am Rahmenheck), feinen Schweißnähten oder LED-Blinkern fein herausgeputzt. Kaum jemand wird merken, dass ihr Lenkungsdämpfer und zur Ducati Monster 1200 R ein paar Pünktchen fehlen. Welche – sagen wir’s gleich – die Italienerin vor allem mit ihrem unerwartet komfortablen Soziusplätzchen, großen Rückspiegeln und der größten Reichweite (360 km) der vier holt.
Spröde Fakten? Zudem für einen nackten Kraftprotz nicht kriegsentscheidend? Das mag sein. Doch mit schnittiger Lackierung, liebevoller Detailpflege, dem farbigen – wenn auch bei Sonneneinstrahlung verblassenden – Display mit frisch integrierter Ganganzeige dokumentiert auch die Ducati Monster 1200 R das in dieser Klasse außergewöhnlich hohe Verarbeitungslevel. Dass ausgerechnet im Nobel-Display statt einer Benzinuhr nur ein profanes Reserve-Warnlämpchen sitzt und am Hinterrad ein Winkelventil eingespart wird, das könnte man ihr wirklich übel nehmen. Doch der schnuckelig-bequeme Sitz oder das einfach zu bedienende Menü lenken die Konzentration schnell wieder auf wesentlichere Dinge um.
Mag man sich im britisch-italienischen Dialog noch über die Wahl der Prioritäten streiten, kann der KTM-Pilot darüber nur lächeln. Allein die gelungene Ergonomie dominiert dauerhaft das Gefühl auf der Super Duke R. Offener Kniewinkel, ganz leicht nach vorn gebeugte Sitzposition, kommoder Sattel, schlanker Knieschluss – das Biest reitet sich im Herren-, nicht im Rodeostil. Auch sonst gibt sich die KTM 1290 Super Duke R weniger verspielt, reizt stattdessen vom schnörkellosen Display über schöne Fräs- und Gussteile bis hin zum fein justierbaren Lenker oder der leichtgängigen Hebelei mit technisch-kühler und doch brillanter Verarbeitung. Letztlich kann sie sich im besagt hochklassigen Feld zwar auch nicht entscheidend distanzieren, überrascht aber mit für ein solches Konzept unerwarteter Universalität. Im Alltag ein schlagendes Argument.
Sicherheit
Hightech bieten die Power-Nakeds nicht nur für den Spurt auf der letzten Rille. Elektronische Assistenzsysteme und hoch entwickelte ABS-Regelungen spannen für den flotten Auftritt ein wirksames Sicherheitsnetz.
Ein Blick auf die Tabelle unten zeigt: In keinem anderen Kriterium liegt das Power-Quartett näher zusammen als beim Thema Sicherheit. Gerade einmal vier Punkte liegen zwischen dem Erst- und Viertplatzierten im Feld. Der Schwerpunkt der Bewertung in diesem Kriterium lässt sich bereits am Punkteschlüssel festmachen. 120 der insgesamt 150 zu vergebenden Zähler werden über die Leistungsfähigkeit der Bremsanlage sowie die Regelqualität des ABS vergeben. Gerade in diesem Segment ein sehr anspruchsvolles Thema. Denn der relativ kurze Radstand und der mit aufrecht sitzendem Fahrer hohe Schwerpunkt von Naked Bikes bilden bei extremen Verzögerungen eine unheilige Allianz, machen diese Spezies außerordentlich überschlagsanfällig. Um die PS-strotzende Horde wieder einzufangen, sind nicht nur leistungsfähige, sondern vor allem feinfühlig dosierbare Bremsen gefragt. Zur ersten Adresse – übrigens ebenfalls im MotoGP-Sport – hat sich in dieser Beziehung Brembo entwickelt. Alle vier Hersteller setzen auf edle Monoblock-Zangen des italienischen Spezialisten.
Erstaunlich, dass sich ausgerechnet die sonst technisch so hochgerüstete Aprilia Tuono 1100 V4 Factory als Einzige mit konventioneller, also axial betätigter Handbremspumpe etwas knausrig zeigt. Im Vergleich zu den Radialpumpen des restlichen Trios verliert sie bei der Dosierbarkeit ein wenig, imagemäßig damit aber beträchtlich. Vielleicht haben die Mannen aus dem Veneto das gesparte Geld stattdessen in die Elektronik investiert. Denn mit jeweils separat und unabhängig voneinander justierbarer Traktions-, Wheelie und Launch-Kontrolle, obendrein wählbarer Schleppmoment-Regelung und variablem Ansprechverhalten griffen die Techniker ganz tief in die Kupferdrahtkiste. Und: Die Regelungen greifen sanft und kaum spürbar ein. Stoppiesicher regelt das ABS dennoch nur in der dritten von insgesamt drei Stufen. Für die Landstraße daher ganz klar die beste Wahl.
Wer mit der Triumph Speed Triple R so nervenschonend bremsen möchte, muss den Road-Modus anwählen. Damit bleibt das Heck trotz guter Verzögerung auch bei einer Brachialbremsung am Boden. Im Gegensatz zur Aprilia Tuono 1100 V4 Factory koppeln die Briten die Abstimmung von ABS, Ansprechverhalten und Traktionskontrolle – wie alle anderen – an die Mappings (Rain, Road, Sport, Track). Das funktioniert gerade auf der Landstraße bestens, degradiert den frei konfigurierbaren Rider-Modus zur Spielwiese für Stunt- oder Rennfreaks. Doch auch bei der Britin wird gespart. Als Einzige des Quartetts besitzt die Speedy keinen Lenkungsdämpfer. Gerade bei der betont spitzen Lenkgeometrie wäre so ein Rettungsanker angebracht.
Wie schon beim Motor bleibt die KTM 1290 Super Duke R auch beim Thema Sicherheit professionell-unspektakulär. Oder liegt es einfach nur an ihrer Souveränität? An der toll dosierbaren Ein-Finger-Bremse, die im Rain- und Street-Modus das Heck sauber auf dem Asphalt hält? Oder am Dunlop Sportsmart 2, der – wie der Pirelli Super Corsa SP-bereifte Rest – auch die Super Duke R beim Bremsen nur mäßig aufstellt? Fakt ist: Stress bleibt mit der Österreicherin – wieder einmal – ein Fremdwort.
Sogar mehr noch als mit der Ducati Monster 1200 R. Denn selbst wenn die Bologneser Techniker die effizienteste Paarung von Pumpe, Sattel und Bremsscheibe des Testfelds gefunden haben und diese Kombination alle anderen in den Schatten stellt, muss man eines wissen: Sogar in der defensivsten der drei Stufen kann die Monster beim Extremankern zum Überschlag ansetzen, ihren knappen Vorsprung nur durch besagt exorbitante Bremsleistung, die außergewöhnlich feine Dosierbarkeit der Stopper aus der Panigale und zudem die geringste Neigung zum Lenkerschlagen retten.
Kosten
Selbst wenn die Hersteller für ihre Power-Nakeds wahrlich stolze Preise aufrufen, gilt: Lange Inspektionsintervalle oder ein niedriger Verbrauch helfen nicht nur sparen, sondern dokumentieren genauso technische Reife.
Bei Einstandspreisen bis knapp 19.000 Euro auf Sprit-, Unterhalts- oder Inspektionskosten zu schauen, klingt nach kleinlicher Erbsenzählerei. Ist es aber nicht. Vor allem die Bedeutung des Benzinverbrauchs spiegelt die Gedanken der meist technisch interessierten Motorradfahrerschaft wider. Und das nicht nur wegen des gestiegenen Umweltbewusstseins. Gerade vor dem Hintergrund der seit Beginn dieses Jahres gültigen Euro 4-Norm zeugen sparsame Motoren von einem ausgereiften Entwicklungsstand. Auch die Länge der Inspektionsintervalle ist – genauso wie die Großzügigkeit der Garantie – bei den tendenziell geringer werdenden jährlichen Kilometerleistungen eher ein Gradmesser für die Zuverlässigkeit der Technik und Alltagstauglichkeit.
Ach so, Alltag. Mit den Niederungen des Lebens konnte die Aprilia Tuono 1100 V4 Factory bereits in der Alltagswertung wenig anfangen. Wen wundert’s, dass sie sich auch hier irdischen Zwängen entzieht. Bereits beim Verbrauch setzt die adrette Italienerin den Spitzenwert dieser Klasse: 6,6 Liter auf 100 Kilometer, bei zügiger Fahrweise auch problemlos einen Liter mehr, presst der V4 durch seine Einspritzdüsen. Zeitgemäß ist das nicht. Dem technisch aufwendigen Motorenkonzept sind auch die vergleichsweise teuren Inspektionen und die dadurch hohen Unterhaltskosten geschuldet.
Erheblich besser macht’s die KTM 1290 Super Duke R. Mit stattlichen 15.000-Kilometer-Intervallen und schnörkelloser Technik setzt die Super Duke R gerade bei den Werkstattbesuchen einen beachtenswerten Kontrapunkt. Sowohl bei den erwähnt langen Fristen zwischen den Durchsichten als auch den Inspektionskosten selbst gibt sie sich vornehm zurückhaltend. Schade, dass die großvolumige Österreicherin sich beim Spritverbrauch nicht so knauserig zeigt und mit 5,8 Litern/100 km etwa einen Liter mehr als die britisch-italienische Konkurrenz inhaliert und damit den Puls der Zeit ignoriert.
Die in den vergangenen Jahren bei Ducati spürbar hochgerüstete und feingeschliffene Technik kommt der Monster hier zugute. Wie die KTM 1290 Super Duke R muss auch die Ducati Monster 1200 R nur alle 15.000 Kilometer zur Durchsicht, die bei der Desmodromik aufwendige Ventilspiel-Einstellung liegt sogar nur alle 30.000 Kilometer an. Auch in Sachen Verbrauch (4,9 Liter/100 km) gibt sich die Dame aus Bologna erfreulich zurückhaltend, schiebt sich dadurch haarscharf hinter die Triumph Speed Triple R.
Trotz ihrer Ursprünge in den britischen Midlands stellt sich die Triumph Speed Triple R mit sozusagen schottischer Knickerigkeit ins Rampenlicht. Mit dem auf der gleichwohl moderat gefahrenen Verbrauchsrunde geringsten Durst (4,7 Liter/100 km), den niedrigsten Unterhaltskosten und der freiwilligen Garantieverlängerung auf vier Jahre schnürt die Britin unterm Strich das finanziell attraktivste Paket des Quartetts – mit dem gegenüber der Konkurrenz um mindestens 1500 Euro günstigeren Einstandspreis von 14.650 Euro sowieso.
Fazit
Seien die Konzepte auch noch so emotional, am Schluss wird nüchtern zusammengerechnet. Resultat eines Kopf-an-Kopf-Rennens.
Die Schlacht ist geschlagen. Doch bevor abgerechnet wird, gilt: Brachiale Leistung, präzises Fahrverhalten und rassige Optik generieren Fahrspaß der Extraklasse. Und zwar auf allen vier Naked Bikes. Doch durch die so eindeutige konzeptionelle Ausrichtung dieses Quartetts entscheiden letztlich Nuancen über Platz oder Sieg. Lediglich die Aprilia Tuono 1100 V4 Factory verliert mit kleineren Fehltritten wie hohem Verbrauch und im Vergleich etwas rauerem Motor auf das restliche Trio leicht an Boden – um die Kritiker trotzdem mit einem grandiosen Fahrwerk und hochemotionalem Gesamtpaket zu versöhnen.
Triumph hat mit der aktuellen Frischzellenkur für die Speedy wieder den Anschluss an die Chefetage des Kraftmax-Segments gefunden, überzeugt mit dem höchst manierlichen Drilling – und nicht zuletzt moderaten finanziellen Ansprüchen. Die preislich dagegen weit oben angesiedelte Ducati Monster 1200 R brilliert mit ihrer sensibel arbeitenden Federung, Top-Bremsen und einem erstklassigen Finish.
Letztlich setzt sich aber dennoch das homogenste Gesamtpaket durch. Brachialer Motor in einem umgänglichen Paket – mit dieser Kombination holt die KTM 1290 Super Duke R den Sieg. Zumindest in Teil 1 des Power-Naked-Vergleichs.
MOTORRAD-Punktewertung Gesamtübersicht
Max. Punktzahl
| Aprilia Tuono V4 1100 Factory
| Ducati Monster 1200 R
| KTM 1290 Super Duke R
| Triumph Speed Triple R
Motor | 250 | 197 | 195 | 204 | 195 | Fahrwerk | 250 | 196 | 190 | 183 | 192 | Alltag | 250 | 125 | 141 | 147 | 137 | Sicherheit | 150 | 114 | 118 | 117 | 115 | Kosten | 100 | 43 | 61 | 56 | 62 | Gesamtwertung | 1000 | 675 | 705 | 707 | 701 | Platzierung | | 4. | 2. | 1. | 3. | Preis-Leistungs-Note | 1,0 | 3,3 | 3,0 | 2,3 | 1,6 | |
Sieger Preis-Leistung: Triumph Speed Triple R - im Kreis der Schönen und Teuren fällt die Speed Triple positiv auf. Vor allem finanziell.
Technische Daten
Hier sehen Sie einen Auszug der technischen Daten. Wenn Sie die kompletten, von uns ermittelten Messwerte inklusive aller Verbrauchs-, Durchzugs- und Beschleunigungswerte möchten, können Sie den Artikel als PDF zum Download kaufen.