Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, eine neue Ausstattung aus einem Veteranen keinen Jüngling. Höchstens der Herbst des Lebens lässt sich dadurch verlängern.
Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, eine neue Ausstattung aus einem Veteranen keinen Jüngling. Höchstens der Herbst des Lebens lässt sich dadurch verlängern.
Am Ausstellungsstand von Enfi eld India mag sich letztes Jahr der eine oder andere Besucherder Intermot verwundert die Augen gerieben haben. Handelte es sich bei den Exponaten um neue Modelle oder nur um facegeliftete? Aus der Distanz schien alles beim Alten geblieben, typische Merkmale wie der tropfenförmige Tank, der Rahmen, die Auspuffanlage und die verkleideteLampe hatten sich offensichtlich nicht geändert. Die lackierten, weit herumgezogenen Schutzbleche und der gefederte Einzelsitz wirkten gegenüber den Vorgängermodellen sogar noch antiquierter. Erst bei genauerem Betrachten stachen dann doch erhebliche Neuerungen ins Auge: Scheibenbremse vorn, ein glattfl ächigeres Triebwerk ohne außen liegende Ölleitungen, nun als Blockmotor aus geführt, die Lambdasonde, die auf die Einspritzanlage hinwies, und Federbeine mit Ausgleichsbehälter waren Indizien für die Neuzeit.
Verwirrung? Kein Problem, ein Blick auf die technischen Daten hilft weiter: Motor inklusive Getriebe sind neu und teilen sich ein Gehäuse. Zu den vier Vorgänger-Gängen hat sich ein fünfter gesellt. Die identischen Daten von Hub und Bohrung weisen auf Gleichteile oder die Nutzung der alten Fertigungsanlagen hin. Wie ehedem betätigt die unten liegende Nockenwelle die Ventile über ellenlange Stoßstangen und Kipphebel. Die Leistungsangabe liegt mit 28 PS bei beschaulichen 5300/min nicht exorbitant über den 22 PS des alten Modells, zumal auf der Prüfstandsrolle noch deren 24 übrig bleiben. Aber immerhin hat die neue Bullet die europäische Homo loga tions hürde, die Euro 3-Norm überwunden.
Optik hin, technische Daten her, lassen wir die Neue im Fahrbetrieb auf uns wirken. An der Sitzposition hat sich wenig geändert. Aufrecht wie der Lord beim Five-o’-clock-Tea, die Knie rechtwinklig gebeugt, so thront der Fahrer entspannt auf der Enfield. Ebenso entspannt, beschaulich entwickelt der Langhuber seine Leistung. Bereits bei 2000/min liegt nahezu das maximale Drehmoment von 41 Nm an und hält sich wacker bis 4000/min. Höher zu drehen als gefühlte 4000, – ein Drehzahlmesser fehlt noch immer – bringt nicht viel, da die Vibrationen dann unangenehm stark zunehmen. Hochzuschalten, neuerdings mit links und sogar geschmeidig, ist sinnvoller. Dem sonoren Schlag lauschen und sich im fünften Gang mit 100 km/h dahin treiben lassen hat etwas durchaus Beruhigendes, Meditatives. Höheres Tempo, gar bis zur Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h, zerrüttet Physis und Psyche des Fahrers unnötig.
Auch das Fahrwerk, nun auf 18-Zoll-Rädern und Avon-Bereifung, schätzt die gemütliche Gangart. In Schräglage verdirbt starkes Eigenlenkverhalten die saubere Linie. Ab einer bestimmten Schräglage will die Bullet nach innen kippen und muss mit Korrekturen auf Linie gehalten werden. In Rechtskurven mahnt zudem der Seitenständer frühzeitig zur Mäßigung. Selbst die neue Scheibenbremse kann den Durchbruch moderner Technik geschickt kaschieren. Hohe Handkraft erzeugt nur mäßige Verzögerung.
Gelassenheit in allen Situationen sollte des Bulletfahrers Maxime sein. Ob die auch beim Preis von stolzen 5640 Euro anhält, bleibt abzuwarten, zumal sowohl die Ausstattung als auch die Verarbeitung mitteleuropäischen Ansprüchen nicht annähernd gerecht werden. Da hilft es auch nichts, dass sich die Bullet ohne Aufpreis in den Farben Classic-Schwarz, Ocean-Grün und Royal-Rot ordern lässt.
Der Gesamteindruck ist zwiespältig. Die Enfield Bullet bleibt auch mit Scheibenbremse und Einspritzung sowohl optisch als auch funktional ein Kind der 50er-Jahre. Technisch kann sie trotz moderner Komponenten nicht an die Neuzeit anknüpfen. Schwer zu sagen, ob sie in Indien ein Verkaufsrenner wird; zumindest in unseren Breitengraden steht ihr wohl eher ein Indian Summer bevor.
TECHNISCHE DATEN | |
Royal Enfield Bullet 500 Classic EFI | |
Motor/Bauart | Luftgekühlter Einzylinder-Viertaktmotor, eine unten liegende Nockenwelle, zwei Ventile, Stoßstangen, Kipphebel |
Bohrung | 84 mm |
Hub | 89 mm |
Hubraum | 493 cm3 |
Verdichtung | 8,5 : 1 |
Leistung | 28 PS bei 5300/min |
Drehmoment | 41 Nm bei 4000/min |
Gemischaufbereitung | elektronische Saugrohreinspritzung, Keihin |
ELEKTRISCHE ANLAGE | |
Starter | E-Starter |
Batterie | 12 V |
Zündung | elektronisch |
Lichtmaschine | Drehstrom |
KRAFTÜBERTRAGUNG | |
Kupplung | Mehrscheiben-Ölbad |
Getriebe | Fünfgang, klauengeschaltet |
Primärtrieb | Kette |
Sekundärantrieb | Kette |
FAHRWERK | |
Rahmenbauart | Rohrrahmen aus Stahl, unten offen, Motor mittragend |
Radführung vorn | Telegabel |
Radführung hinten | Zweiarmschwinge, zwei Gasdruck-Federbeine |
Räder | Drahtspeichenräder |
Reifen vorn | 90/90 – 18 |
Reifen hinten | 110/80 – 18 |
Bremse vorn | Einzelscheibe, Ø 280 mm, Doppelkolben-Schwimmsattel |
Bremse hinten | Simplex-Trommel, Ø 200 mm |
MASSE UND GEWICHTE | |
Radstand | 1370 mm |
Nachlauf | 90 mm |
Sitzhöhe | 790 mm |
Gewicht vollgetankt | 172 kg |
Tankinhalt | 14,5 Liter |
FAHRLEISTUNGEN | |
Höchstgeschwindigkeit | 130 km/h |
PREIS | 5640 Euro inkl. Nebenk. |
HERSTELLER | Enfield India, Madras, Indien |