Die Mittelklasse hat die 100-PS-Schallmauer lange hinter sich gelassen. Ist Ihnen das etwas zu viel des Guten? Dann bieten BMW F 800 R und Honda CB 650 F mit rund 90 PS immer noch viel freches Fast-Forward-Feeling.
Die Mittelklasse hat die 100-PS-Schallmauer lange hinter sich gelassen. Ist Ihnen das etwas zu viel des Guten? Dann bieten BMW F 800 R und Honda CB 650 F mit rund 90 PS immer noch viel freches Fast-Forward-Feeling.
Welche Klasse ist derzeit eigentlich die Mittelklasse? Sind es die Maschinen um 9000 Euro, vom Schlag einer MT-09, Street Triple S, GSX-S 750, wie wir sie in MOTORRAD 12/2017 verglichen haben? Nun, spätestens mit Ankunft der neuen, 125 PS starken Z 900 muss man diese Mittelklasse um das Attribut „obere“ erweitern. In der anderen Mittelklasse, der „unteren“, fechten Bikes wie die SV 650, Z 650 und MT-07 mit rund 75 PS für unter 7000 Euro. Zwischen beiden liegt dann, wenn man so will, die eigentliche, die mittlere Mittelklasse. Um 90 PS stark, verfügen diese Maschinen über mindestens ausreichend Leistung, lassen sich, da unter 95 PS angesiedelt, zudem in gedrosselter Form auch von Inhabern des A2-Führerscheins bewegen. Bis zur Verfügbarkeit der Aprilia Shiver 900 lauten die einzigen Vertreter der Mitte-Mitte-Nakeds: BMW F 800 R und Honda CB 650 F.
Neu sind beide Motorräder nicht, sie erhielten lediglich für die aktuelle Saison ihr Euro 4-Update. Im Falle der 2014 präsentierten CB 650 F bedeutet diese erste Überarbeitung: frische, überaus gelungen nachgeschärfte Optik (neuer LED-Scheinwerfer und Tankflanken-Verkleidungen), kürzere Übersetzung der Gänge zwei bis fünf, „Dual Bending Valve“-Technologie für die Gabel. Honda verspricht dank Optimierung von Ansaugtrakt und Auspuff eine um 4 auf 91 PS gesteigerte Maximalleistung. Wir werden sehen.
Die F 800 R hat in ihrer Grundkonstruktion mittlerweile schon einige Lenze auf der buckligen Tankattrappe. 2009 geboren, erhielt der kleine Bayern-Roadster im Jahr 2014 ein großes Update mit USD-Gabel, Radialbremszangen und symmetrischem Scheinwerfer. Einzige Neuerung für 2017: E-Gas und damit einhergehend die Fahrmodi „Road“, „Rain“ und „Dynamic“ (letzterer Sonderausstattung). Überhaupt, Leserbriefschreiber dürfen hier die Feder spitzen, dehnt das mit Dynamik-, Safety- und Touringpaket üppig ausgestattete Testmotorrad zu 10460 Euro den Preisrahmen etwas (Basis: 8900 Euro). Was soll’s, genau hierfür gibt es die Preis-Leistungs-Note. Für die in Thailand produzierte Honda sind günstige 8100 Euro fällig.
Testprozedere. Das beginnt mit der Verbrauchsfahrt, die Mensch und Maschine auf gemäßigter Landstraßenrunde ganz in Ruhe zueinanderfinden lässt. Beide Bikes empfangen mit angenehmen Ergonomien. Die CB 650 F bietet ein ausgesprochen kompaktes Arrangement aus kurzem Tank, nahe am Lenker platzierter Sitzbank, mittelhohen Rasten und schmalem, innigem Knieschluss. Ein Hauch vorderradorientierter Sport, voller Tatendrang also. Der BMW-Pilot sitzt weiter hinten in einem Motorrad, das sofort länger, massiger wirkt – und ist. Auf langem Riser reckt sich eine weit gekröpfte, höhere Lenkstange zum Fahrer, der aufgrund höherer, weiter vorne liegenden Fußrasten und subjektiv tieferer Sitzkuhle (die Sitzhöhe ist mit 800 Millimetern identisch, die Tankattrappe der BMW aber deutlich höher) die Beine etwas mehr zusammenfalten muss. Weniger aktiv ist diese Haltung, dafür zumindest oben gelassener. Geschmackssache.
Dieser ausgeprägte Größenunterschied (Radstand Honda: 1450 Millimeter, BMW 1526 Millimeter) prägt entscheidend das subjektive Fahrempfinden. Vom Fleck weg wirkt die CB 650 F trotz identischem fahrfertigen Gewicht von 210 Kilogramm gieriger beim Einlenken, spritziger. Kompakte Geometrie erreicht zackiges Handling. Dagegen fühlt sich die lang gestreckte BMW im ersten Moment – dazu trägt die Sitzposition maßgeblich bei – viel ruhiger, gelassener an, weniger hungrig. Doch schon beim ersten Einlenken offenbart auch sie eine bestechende Handlichkeit, die der Erstbereifung, dem guten Michelin Pilot Power 3, zu verdanken ist. Dessen spitzere Kontur, seine steilere Flanke, macht der F 800 R in Verbindung mit ausgewogener Geometrie und perfekter Balance mächtig Beine. Honda setzt auf einen deutlich flacher konturierten Dunlop D 222 „M“, welcher die ungemein wuselige 650 F mit zunehmender Schräglage in ihrem Kurven-Elan eher hemmt.
Weiterhin auf eher verhaltener Verbrauchsfahrt zeigt sich die mächtige USD-Gabel der 800 R dem konventionellen Honda-Pendant besonders im Ansprechverhalten überlegen. Mit spürbar geringerem Losbrechmoment tastet sie den Asphalt feinfühliger ab als die seltsam hoppelige CB-Forke. Hinten verfügt die BMW als Sonderausstattung über das elektronische ESA-Fahrwerk, welches in der einfachen Variante die Zugstufe entsprechend den Modi „Comfort“, „Normal“ und „Sport“ anpasst. Ersterer verbreitet genau jenen Komfort, den der Name verspricht. Das ebenfalls direkt angelenkte Federbein der Honda arbeitet stimmiger als die Gabel, für diese Preisklasse tadellos – nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Auch motorisch liegt die BMW bislang vorne. Bei niedertourig-flüssiger Fahrweise liefert der Zweizylinder dank kräftigem Hubraumplus und größerer Einzelbrennräume den wesentlich souveräneren Durchzug. Akustisch macht der Gleichläufer mit 360 Grad Zündabstand dabei auf Boxermotor, rotzt sich ungeniert bärig durch den Drehzahlkeller. Euro 4-Zurückhaltung? Pustekuchen. Von seinem bekannten Klappern scheint der Motor etwas abgelegt zu haben, bei kerniger Vibration in allen Bereichen bleibt er sich treu – eigenwillige Schwenkpleuel-Ausgleichsmechanik hin oder her. Der CB 650 hilft die verkürzte Übersetzung der Fahrgänge, akkurate Gasannahme und die seidige Laufruhe des Vierers verdienen in der unteren Drehzahlhälfte Lob. Neben dem bulligen Twin wirkt der CB-Four aber flach. Das geschmeidigere, bessere Getriebe steckt allerdings zweifelsohne in der Honda, die BMW produziert beim Herunterschalten gern laute Schläge.
An der Zapfsäule endet die Verbrauchsrunde: Günstige 4,3 Liter gluckern nach 100 Kilometern in den Tank der 650 F, sehr günstige 4,0 Liter bunkert die BMW unter der Sitzbank. Kabelbinder und Zollstock helfen, der unharmonischen Arbeitsweise der Honda-Telegabel auf die Schliche zu kommen: Effektiv nutzt die CB 650 F 110 Millimeter Federweg, statisch unbelastet beträgt der Negativfederweg schon 35 Millimeter. Mit 80-Kilo-Fahrer sackt die Front weiter ein auf 55 Millimeter oder 50 Prozent Negativfederweg. Zu viel, die Gabel arbeitet tendenziell zu nahe an der Endprogression. Befund: Für proper proportionierte Westeuropäer sind die Federn der CB 650 F etwas weich, Vorspannen ist leider nicht möglich. Kein Beinbruch, das Fahrverhalten bleibt zufriedenstellend. Es ginge aber besser. Inwieweit das „Dual Bending Valve“-System, von dem Showa eine Funktionalität ähnlich eines teureren Cartridge-Einsatzes verspricht, das Dämpfungsverhalten beeinflusst, lässt sich angesichts dieses Umstands schwerlich beurteilen. Jetzt aber zur Handlingstrecke. Schluss mit Verbrauch, auf die Brause!
Unten schon kraftvoll, spannt der Bayern-Twin in der Mitte seinen Bizeps, dreht sich ab da in die Region überzeugender Fahrleistungen. Als Mapping darf nun die direkte, aber immer noch feinst kontrollierbare „Dynamic“-Variante ran, im ESA wird flink der Sportmodus herbeigezappt, das strafft deutlich die Hinterhand, macht auf Knopfdruck aus der F 800 R ein ernsthaftes Fräsgerät. Dazu gesellt sich eine Bremse, die an der Zehn-Mille-Marke den Anspruch auf Referenz erhebt: Einteilige Brembo-Vierkolbenzangen setzen, radial verschraubt, 320er-Doppelscheiben arg in Bedrängnis. Dosierbarkeit fast giftig, Wirkung brutal – wie eine kleine K 1300 R. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht bemerkenswert, wie es dieser Anker an ein Mittelklasse-Bike geschafft hat. Doch nicht alles ist perfekt: Hurtig vorangetrieben, rauscht die F 800-Gabel weich und unterdämpft durch die Druckstufe, erlaubt zu viel Bewegung. Über Kanten dann verhärtet die Front, teilt aus. Die biestige Bremswirkung offenbart zudem einiges an Aufstellmoment.
Das kann die CB 650 F besser, überhaupt pariert sie bei Attacke ziemlich wacker. Unten eher bummelig, entwickelt der Reihenvierer in der oberen Drehzahlhälfte Lebensfreude (und Vibrationen), ab fünfstelligen Drehzahlen dann regelrechte Glut. Bis fast 12 000 Umdrehungen lässt sich der Screamer zwirbeln, schließt hier beinahe zur F 800 R auf. Die Drehorgel am Singen zu halten ist über Land ein Fest, zumal das Aggregat im Vergleich zum Vorjahr mitteilungsfreudig, aber unprollig aus der Airbox röhrt. Ein Antrieb für Liebhaber des klassischen, frei drehenden Inline-Four.
Fahrwerksseitig beherrscht auch die CB 650 F den Spaßbetrieb, der skizzierte Enthusiasmus beim Einlenken spornt einfach an, die Bremse (Zweikolben-Schwimmsättel) braucht zwar etwas mehr Handkraft, verzögert aber punktgenau und akkurat, das ABS regelt fein. Nur die Erstbereifung hält da nicht mit. Neben erwähnter, flacher Kontur stört die etwas diffuse Rückmeldung, und auch im maximalen Grip schneidet der Michelin der F 800 R deutlich besser ab. Ein höherwertiger Pneu stünde der CB 650 F ausgezeichnet, mit strafferer Federung vorne (oder einem 55-Kilo-Jockey im Sattel) wären die einzigen echten Kritikpunkte behoben. Dass die BMW am Ende so hoch gewinnt, lässt sich neben den nennenswerten, aber nicht erdrückenden Vorteilen bei Motor, Fahrwerk und Bremse in erster Linie über die Ausstattung erklären. Gepäckbrücke, Hauptständer, guter Bordcomputer, Ganganzeige, einstellbare Hebeleien, Traktionskontrolle, Fahrmodi, enormer Soziuskomfort – einiges davon aufpreispflichtig (und empfehlenswert), alles punkteträchtig, und bei Honda ab Werk nicht zu bekommen. So relativiert sich schließlich auch die Preisfrage – obwohl 2300 Euro teurer, kommt die in Spandau montierte BMW bei Preis-Leistung sehr nahe an die Thailand-Honda heran. Während die CB 650 F in erster Linie Spaßmotorrad sein will, überzeugt die F 800 R in allen Bereichen in Form und Funktion – aus dem Effeff.
1. BMW F 800 R
Der gar nicht so kleine Bayern-Roadster überrascht. Druck, Handling, Wahnsinnsbremse, vor allem aber eine in dieser Klasse unerreichte Ausstattung und Alltagskompetenz machen ihn trotz kleiner Schwächen fast zum Schnäppchen.
2. Honda CB 650 F
Weniger seriös, eher dem unbedingten Fahrvergnügen verpflichtet als der Punktejagd. Der drehzahlhungrige Motor ist etwas für Vierzylinder-Freunde. Das an sich herrliche Handling wird durch die maue Erstbereifung etwas eingebremst.