Power-Naked-Bikes gibt’s viele. Ab welcher Leistung sich ein unverkleidetes Sportmotorrad dieser Kategorie zugehörig fühlen darf, ist Definitionssache. Zwei Bikes haben sich in den letzten Jahren jedoch um die Krone der Maßlosigkeit im Naked-Segment duelliert: BMW M 1000 R und Ducati Streetfighter V4 S. Genau genommen wurden sie gar nicht nackt konzipiert, sondern sind unverkleidete Ableger der Superbikes M 1000 RR und Panigale V4 S. Beide gut über 200 PS stark, nur knapp über 200 Kilo schwer und mit großem Hang zum Rennsport.
Landstraßen-Performance im Test mit 100-km/h-Limit
2025 präsentierten BMW und Ducati ihre Über-Nakeds für das Modelljahr mit noch mehr Power und noch mehr Hightech. Beide Hersteller wählten für die erste Fahrpräsentation weitläufige Rennstrecken, denn die Urgewalt der Motoren, die feine Abstimmung der Elektroniken und nicht zuletzt der Anpressdruck der auf Frittenthekengröße angewachsenen Winglets lässt sich nur hier voll auskosten.
Doch BMW M 1000 R und Streetfighter V4 S bleiben Naked Bikes, die womöglich den einen oder anderen Trackday erleben, aber meist im öffentlichen Raum bewegt werden. Sportlich, versteht sich, aber eben auf der Landstraße, wo 100 km/h das Limit markieren. Für diesen Vergleichstest halten wir uns deshalb (fast) an dieses Limit und stellen trotzdem die alles entscheidende Frage: Welche ist schneller?
900 Meter langer Handling-Parcours
Es geht nicht nach Hockenheim, sondern auf das MOTORRAD-Testgelände, wo wir einen gut 900 Meter langen Handlingparcours abstecken. Enge und etwas weniger enge Bögen, Ecken und Kombinationen in Landstraßen- statt Rennstreckendimensionen, keine langen Geraden, (fast) nie über 100 km/h Topspeed. Ein Landstraßen-Performance-Labor, in dem BMW M 1000 R und Ducati Streetfighter V4 S ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen müssen. Anpressdruck von Winglets? Nicht messbar. Abrufen von über 200 PS? Nicht möglich. So wie auf den Hausstrecken dieses Landes, die auf die Power-Nakeds warten und die nicht auf Slicks, sondern auf Serienreifen befahren werden. Fahrkomfort, Verbrauch und Reichweite blenden wir heute trotzdem aus. Bühne frei für ein Naked-Bike-Battle der anderen Art.
BMW M 1000 R mit 210 PS und 201 Kg
Auftritt BMW M 1000 R. Der Wolf im Wolfspelz aus Bayern kommt dieses Jahr (2025) mit neuer Frontmaske, Winglets aus Kohlefaser und viel Silber. Technisch gab’s kleinere Anpassungen für die Euro-5+-Norm und einen Kurzhub-Gasgriff. Die weiteren Daten sind ebenso bekannt wie beeindruckend: 210 PS, 201 kg vollgetankt. Die BMW M 1000 R trägt den Shiftcam-Reihenvierer der Superbike-Verwandtschaft wie auch deren Elektronikpaket mit allerhand Performance-Assistenten wie Traktions-, Wheelie- und Slidekontrolle. Volle Hütte, dazu Bridgestone RS 11 als Serienbereifung.
Reifen der BMW müssen auf Temperatur gebracht werden
Bis diese rennsportlichen Gummis auf Betriebstemperatur kommen, braucht es auch bei 20 Grad Außentemperatur etwas Zeit und noch etwas mehr fahrerisches Engagement. Auf der Landstraße herumbummeln liegt der BMW M 1000 R allein deshalb nicht besonders, denn kühlen die Pneus aus, wird das Feeling für Front und Heck spürbar stumpfer. Auf dem Handlingparcours behutsam auf Temperatur gebracht, entwickeln sie im Gegenzug sehr guten Grip und vermitteln in Schräglage viel Sicherheit. Jetzt kann die BMW M 1000 R durchzünden und eine Richtzeit um die Pylonen brennen. "Race Pro"-Modus rein und Hahn auf.
Unbeirrbare Kurvenstabilität und Präzision
Die unbeirrbare Kurvenstabilität der BMW M 1000 R kennen wir von vergangenen Straßen- und Track-Tests. Sie entspringt nicht bloß den Reifen, sondern natürlich vor allem dem Chassis. In Schräglage lässt es sich weder von Reibwertsprüngen durch Bitumenstreifen noch durch fiese Querrillen aus der Ruhe bringen und folgt dem anvisierten Radius wie auf Schienen.
Dank der fast supersportlichen Ergonomie mit tiefem Lenker und hohen Rasten ermuntert die BMW M 1000 R den Fahrer zum aktiven Hanging-off. Leider schränken dabei die Lenkerendenspiegel die Bewegungsfreiheit der Hände deutlich ein. Auf der Rennstrecke würden wir sie an diesem Punkt einfach demontieren, doch auf der Straße wäre das keine Option, also bleiben sie dran.
Die BMW M 1000 R wedelt entschlossen durch die Kurvenkombinationen, verfällt auch unter höchster Belastung niemals in Panik. Die beschriebene Präzision und Stabilität zeigt sie vor allem in langen Bögen, aber auch in Wechselkurven. Lenkimpulse oder Gewichtsverlagerungen setzt sie hier zielgenau, aber nicht übereifrig um.
Bestnote bei Verzögerung und Hebelgefühl der M
Während einer Runde um den Parcours ruft man nie mehr als 130 PS ab und erreicht mit der BMW M 1000 R maximal 101,4 km/h. Trotzdem spielen Bremsen und Beschleunigen eine entscheidende Rolle. Ersteres funktioniert über die BMW-Stopper problemlos. Verzögerung und Hebelgefühl verdienen Bestnoten, und beim Einlenken auf der Bremse stellt sich die BMW M 1000 R allerhöchstens minimal auf. Beim Beschleunigen stellt der Shiftcam-Reihenvierer in den Gängen eins bis drei stets mehr Power zur Verfügung, als auf den Asphalt übertragen werden kann. Er fordert die grandiose Traktions- inklusive Slidekontrolle permanent heraus und lässt die Fuhre bei voll geöffnetem Gasgriff immer wieder kräftig powersliden. Das fühlt sich spektakulär an und macht tapferen Angasern riesigen Spaß.
Ducati Streetfighter V4 S: weniger Korrektur in Schräglagen
Die weniger aufsehenerregenden Beschleunigungsphasen der hinter der BMW M 1000 R lauernden Ducati Streetfighter V4 S sind dagegen beinahe unspektakulär – aber nachweislich effizienter. Seit diesem Jahr mit filigraner Zweiarmschwinge bestückt, baut die Streetfighter mehr mechanischen Grip auf, der dem Vorwärtsdrang des 1103-Kubik-V4 besser gewachsen ist.
Obwohl die Durchzugswerte im hier relevanten zweiten Gang auf der Geraden identisch sind, muss die Elektronik der Ducati Streetfighter V4 S in Schräglage weniger korrigierend eingreifen, weshalb die Streetfighter Meter um Meter auf die BMW M 1000 R gutmacht und bei den kurzen Zwischensprints etwas mehr Speed (maximal 104,2 km/h) aufbauen kann. Die Armada an Elektronik umfasst auch beim großzügig beflügelten Naked Bike aus Bologna separate Assistenten für Traktion, Wheelies und Slides, und alle Systeme arbeiten auch hier so sensibel, dass grobe Regeleingriffe nie spürbar sind.
Reifen der Streetfighter benötigen fast keine Aufwärmphase
Am Kurveneingang drängt die Ducati Streeetfighter V4 S zudem noch energischer auf die enge Linie als die BMW M 1000 R. Im direkten Vergleich lenkt sie handlicher ein, klappt schneller bis in tiefe Schräglagen ab. Hier liegt sie nicht ganz so satt wie die Bajuwarin und bewegt sich an der Grenze zwischen Handlichkeit und Nervosität. Trotzdem mutet man der Duc intuitiv tiefe Schräglagen zu, denn sowohl das Feeling der Pirelli Diablo Rosso IV Corsa-Reifen als auch die Transparenz des Öhlins Smart EC 3.0-Fahrwerks gehören zum Besten, was man in einem Naked Bike bekommen kann.
Die Pirellis mögen zwar weniger tracktauglich sein als die Bridgestones der BMW M 1000 R. Sie arbeiten aber in dem Temperaturbereich, der abseits der Rennstrecke erreicht wird, besser und brauchen fast keine Aufwärmphase. In Summe kann die Ducati Streetfighter V4 S, deren aufrechtere Ergonomie eine bessere Spielübersicht bei Kehrtwendungen schafft, einen Hauch enger fahren als die BMW und fordert dafür weniger Körpereinsatz.
214-PS-V4 geht leicht verzögert ans Gas
Der bis gut 100 km/h selbstverständlich dauerhaft zu starke 214-PS-V4 vibriert kerniger als der auch nicht gerade kultivierte BMW-Motor. Unterhalb von 2.000/min, nach einer Kehre zum Beispiel, geht er leicht verzögert ans Gas und wirkt bei derartigen Manövern weniger geschmeidig als der Reihenvierer aus Bayern. Diese Eigenheit lässt sich zwar mit Kupplung und Hinterradbremse der Ducati Streetfighter V4 S überspielen, dafür braucht’s aber Routine. Über 2.000/min passt die Gasannahme, und beim Durchbeschleunigen wechselt der Ducati-Quickshifter die Fahrstufen (wir brauchen nur Gang eins, zwei und drei) ebenso schnell und mit klarerem Gefühl im Fußhebel als der BMW-Schaltassistent.
Ducati Streetfighter V4 S: Knapper Sieg im Handlingparcours
Am Ende entscheidet auf dem Handlingparcours die Stoppuhr über Sieg und Niederlage. Mit dem besseren Ende für die Ducati Streetfighter V4 S. Ihre Handlichkeit und Traktion schlagen die Kurvenstabilität und das wilde Powersliden der BMW M 1000 R um acht Zehntel. Nicht viel, auf der Hausstrecke kaum relevant, aber die Differenz bestätigt, was man im Sattel erlebt. Der Ritt auf der Naked-Bike-Kanonenkugel in Richtung Landstraßen-Spatzennest ist in beiden Fällen wild und unvernünftig – aber eben Alltag dieser Maschinen. Und wer so ein Bike kauft, hat sowieso etwas übrig für Unvernunft.